"Connasse, Câlice, Kilba" oder Ein Überblick über den Gebrauch von Schimpfwörtern weltweit und an den frankophonen Beispielgebieten Frankreich, Quebec und Marokko


Seminararbeit, 2006

20 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Fluchen weltweit
2.1 Malediktologie
2.2 Überblick über das Fluchen weltweit
2.3 Die Rechtslage beim Fluchen

3. Das Fluchen im frankophonen Raum
3.1 Frankreich: Die wichtigsten gros mots und injures
3.2 Kanada: Sacres oder kreative Gotteslästerung
3.3 Marokko: Die Schändung der Mütter

4. Ausblick

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

In der vorliegenden Arbeit werde ich nach einer kurzen Einführung in die Malediktologie (Kapitel 2.1) einen Überblick darüber geben, inwieweit das Schimpfen im Rahmen der Linguistik, Medizin, Pädagogik, Soziologie, Anthropologie und Psychologie erforscht ist. Dabei werde ich einige Schimpfwortkundler vorstellen und auf ihre Forschungsergebnisse eingehen. In Kapitel 2.2 folgt ein weltweiter Vergleich des Fluchverhaltens mit Beispielen des wohl wichtigsten Malediktologen Reinhold Aman aus Bayern. Ein kurzer Blick auf die Rechtslage schließt sich in Kapitel 2.3 an.

Ich wurde in meiner Schulzeit nicht über das Schimpfwortvokabular des Französischen aufgeklärt. Und so stand ich manches Mal wehrlos in Frankreich und war den mir unbekannten Beschimpfungen der französischen Jugendlichen ausgeliefert. Im Französischunterricht wurden von meiner Lehrerin alle Art Kraftausdrücke unterbunden. Das tat sie mit einem Pas de mots féqualiques dans ma présence. Als Deutsche hatte sie die Vorliebe der Deutschen, fäkal zu fluchen, erkannt, doch leider verbot es ihr ihre Moral, im Unterricht über solche obszönen und vulgären Worte zu sprechen. Beleidigungen, auf die ich deshalb möglicherweise erst bei künftigen Aufenthalten in Frankreich, Quebec oder Marokko stoßen werde, sind das Thema der Kapitel 3.1 bis 3.3. Die Hörbeispiele der Audiodatei habe ich im März und April 2006 mit frankophonen Interviewpartnern aus Frankreich und Marokko selbst aufgezeichnet.

2. Das Fluchen weltweit

2.1 Malediktologie

Die Malediktologie ist die Wissenschaft über das Fluchen und den Gebrauch der Schimpfwörter. Sie ist ein relativ junger Zweig der Psycholinguistik. Obwohl Flüche, Beschimpfungen und Beleidigungen schon immer einen relativ großen Platz in unserem täglichen Sprachgebrauch eingenommen haben, wurden sie in der Forschung lange vernachlässigt. In einer Zeit, in der selbst im Bundestagsprotokoll[1] Schimpfwörter häufiger vorkommen, ändert sich dies allmählich. Ich stelle einige Befunde internationaler Wissenschaftler vor, die das belegen.

Reinhold Aman, 1936 in Bayern geboren, promovierter Mediävist und Philologe, gründete 1976 die Fluch-Zeitschrift Maledicta - The International Journal of Verbal Aggression, die in bereits 75 Ländern einen festen Leserkreis hat[2]. Das Motto seiner Zeitung ist „Die Leute sagen es - und wir drucken es“, so widerwärtig es auch sein möge. 1996 behauptete Aman in einem Interview in der Schweizer Sonntagszeitung[3], dass man das Wertesystem einer Kultur an deren Fluchmanieren erkennen könne. „Man sieht genau, was in dieser Kultur als gut, als nobel, als ideal, als schön, als richtig gilt“ - spätestens dann, wenn einer aus der Reihe tanzt. Der wird dann in jeder Sprache und in jedem Dialekt jeweils anders angeflucht. Und dabei werden stets die größten Tabus der Kultur gebrochen. Offensichtlich ist die Malediktologie auch ein Zweig der deskriptiven Linguistik, denn sie widmet sich allen Wörtern und Redewendungen, die in der Gesellschaft als obszön, gotteslästerlich oder beleidigend gelten, über die lange in der Wissenschaft geschwiegen wurde, die aber genauso zu unserer Sprache gehören wie alle anderen Äußerungen auch. Alles, was Menschen, so unterschiedlich sie auch sein mögen, sagen, wenn sie durch das Schimpfen emotional Dampf ablassen, findet in der Malediktologie die Beachtung, die es verdient. Während sich nach Aman der Mediziner mit Deformationen des menschlichen Körpers, z. B. Geschwüren beschäftigt, setzt sich der Malediktologe mit den Deformationen der Sprache auseinander. Die beiden Berufe unterscheiden sich für Aman vor allem im Sozialstatus[4].

Auch der amerikanische Psychologie-Professor am Massachusetts College of Liberal Arts Timothy B. Jay hat sich intensiv mit dem Schimpfen beschäftigt und das Buch „Warum wir fluchen“ zu diesem Thema geschrieben[5]. Er fand mit statistischen Methoden heraus, wie oft geschimpft wird. Am Arbeitsplatz sind es etwa 5% der Gespräche, die aus Beschimpfungen und Flüchen bestehen und in der Freizeit bis zu 10%. Zusätzlich stellte Jay fest, dass in den 1960er Jahren etwa ein bis zwei Schimpfwörter pro Film zu erwarten waren, während bis Ende der 80er die Zahl der Schimpfwörter in einem Film auf 100 gestiegen ist[6]. Angesichts dieser Ergebnisse kritisiert Timothy Jay seine Kolleginnen und Kollegen wegen des riesigen Rückstands in der Fluch-Forschung. Wie kann sich so lange wissenschaftlich nicht oder nur minimal mit einem Kapitel der Sprache und Psyche befasst werden, das so vielfältig ist und vor allem eine wichtige Ausdrucksform menschlicher Gefühle darstellt?[7] So wird einem beim Blättern in Wörterbüchern oder Lexika noch so manches Mal der Eindruck vermittelt, dass Menschen nicht fluchen, nicht beleidigen, nicht schimpfen und nicht drohen, denn der Wortschatz dazu ist größtenteils ausgespart. Dort findet man nur die schwachen Schimpfwörter wie z. B. mince, zut, die zur Kategorie 3 gerechnet werden[8], oder Schimpfwörter wie merde der Kategorie 2, die schon seit Jahrzehnten enttabuisiert sind. Der schönste Tod eines Schimpfwortes muss wohl der Eintrag im Robert sein[9]. Jay, der auch an Schulen forschte, stellte fest, dass besonders Kinder und Jugendliche mit einem schlechten Selbstwertgefühl häufig vor sich hinfluchen oder andere anfluchen, um sich von ihnen zu distanzieren[10]. Dabei gilt für ihn, dass das Fluchverhalten eines jeden zwar jeweils von seinem sozialen Hintergrund abhängt[11], aber dass das Fluchen an sich, geschlechts-, alters-, berufs- und schichtübergreifend zu betrachten ist[12]. Bei Untersuchungen mit Alzheimer- und Demenzpatienten entdeckte Timothy Jay, dass das menschliche Fluchbedürfnis wohl sehr tief im Gehirn verankert ist und wir unser Schimpfvokabular als letztes vergessen[13].

Auch der Sprachwissenschaftler Thomas E. Murray von der Kansas State University entdeckte sein Interesse an der Malediktologie. Er analysierte die Flüche von 4000 Schülerinnen und Schülern aus dem amerikanischen Mittelwesten und fand heraus, dass Mädchen ebenso oft und schmutzig wie Jungen schimpfen und zwar unabhängig ob Stadt- oder Landkind[14] und unabhängig von der sozialen Herkunft oder ihrer Hautfarbe. Laut Huber vermutet Murray, dass zu den „traditionellen Erklärungen“ für das Fluchen, nämlich „Macht auszuüben, Aufmerksamkeit zu erregen, zu provozieren, Frust abzureagieren, es jemanden (sic) zu zeigen oder Gruppenzugehörigkeit auszudrücken“[15] noch die Tatsache hinzukommt, dass junge Menschen während des „Übergang[s] von der Adoleszenz in das Erwachsenenalter“ besonders viel schimpfen. Das könne daran liegen, dass sowohl in den USA als auch in Ländern westlicher Kultur „identitätsstiftende Rituale des Übergangs“ fehlen[16].

Die beiden Mediziner Fausto Palazzo und Orlando Warner aus England haben in einer Studie bewiesen[17], dass auch unter ihren Fachkollegen und Fachkolleginnen gelegentlich etwas rauer gesprochen wird. So fällt im Durchschnitt alle 51,4 Minuten ein Kraftausdruck im OP, wobei sich die Schimpfwortfrequenz auf alle 29 Minuten erhöht, wenn ein Orthopäde, dessen Arbeitsgebiet eben nicht die Chirurgie ist, ein Skalpell in der Hand hält, und komplizierte, lange Operationen durchführen muss. Für ihn ist der Stress bei dieser Arbeit besonders groß und damit erhöht sich das Bedürfnis, Stress durch Fluchen abzubauen.

Noch einen wichtigen Denkanstoß gibt die Anthropologin Ashley Montagu, für die das Fluchen genauso wie das Lachen und das Weinen zu den „fundamentalen menschlichen Erlebnis- und Verhaltensweisen“ gehört, die alle dazu dienen, das „psychophysiologische Gleichgewicht“ aufrecht zu erhalten. Jeder Säugling werde sozusagen mit der Veranlagung zum Schimpfen geboren, so dass zu seinen Urwörtern auch schon bald das ein oder andere Unwort gehören kann[18].

In einem sind sich die Malediktologen einig: Schimpfen, so befreiend und Stress abbauend es auch sein mag, kann in manchen Situationen pathologisch werden. Und bis heute weiß niemand wirklich, ob sich übles Fluchen ab einer bestimmten Regelmäßigkeit auf die Persönlichkeit des Schimpfers überträgt. Auch der deutsche Psychologie-Professor Franz Kiener, der neben Reinhold Aman als Malediktologie-Gründungsvater gilt, gibt seinen amerikanischen und englischen Kollegen Recht in der Annahme, dass sich andauerndes „hemmungsloses Austoben im Fluchen und wüste Kränkungen der Mitmenschen“ nicht positiv auf das menschliche Miteinander auswirken können, sondern dass das Schimpfen in vielen Fällen als „sprachliche Gewalttat“, ja als „Waffe“ gesehen werden muss und dass verbale Aggressivität und Gewaltdarstellungen in den Medien äußerst kritisch beobachtet werden müssen[19]. Auch in der Schule entsteht häufig ein Teufelskreis aus verbaler oder physischer Gewalt, ein Beispiel dafür ist der Amoklauf jenes Schülers in Erfurt, der offensichtlich in seiner Freizeit mehr Computer spielte als seine Konfliktfähigkeit mit Gleichaltrigen beim Spielen zu üben. In der psychologischen Aggressionsforschung hat man festgestellt, dass sich 90% des Aggressionsverhaltens verbal zeigen. Trotzdem beschäftigten sich die Aggressionsforscher kaum damit[20]. Für Aman wird das Schimpfen dann gefährlich, wenn der oder die Beschimpfte stärker, dümmer oder bewaffnet ist, oder wegen Beleidigung Anzeige erstattet; immerhin könne man wegen einer Beschimpfung sogar im Zuchthaus landen[21]. Damit kennt sich Reinhold Aman aus, denn er saß viele Monate deswegen selbst in einem US-Gefängnis.

[...]


[1] Herrmann 2005 gibt als Beispiel dafür eine Provokation Joschka Fischers, der 1984 zum Bundespräsidenten Richard Stücklen sagte: „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch.“

[2] S. Huber 1996:32

[3] Kern 1996

[4] Huber 1996:ebd.

[5] bei Freutel 2005

[6] Huber 1996:29. Als ein Meilenstein des Fluchtheaters gilt laut Huber das Beziehungsdrama „Wer hat Angst vor Virgina Woolf?“ aus den 60er Jahren.

[7] Huber 1996:32

[8] dazu auch Kapitel 3.1

[9] dazu auch Robert 1967:233

[10] vgl. Huber 1996:ebd.

[11] s. Huber 1996:34

[12] Huber 1996:28

[13] vgl. Herrmann 2005

[14] Huber 1996:ebenda

[15] zitiert nach Huber 1996:29

[16] zit. nach Huber 1996:29

[17] Huber 1996:ebd.

[18] Huber 1996:ebd.

[19] vgl. Huber 1996:34

[20] siehe Huber 1996:28

[21] zitiert nach Huber 1996:35

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
"Connasse, Câlice, Kilba" oder Ein Überblick über den Gebrauch von Schimpfwörtern weltweit und an den frankophonen Beispielgebieten Frankreich, Quebec und Marokko
Hochschule
Universität des Saarlandes
Veranstaltung
Linguistik 2 « Le Français hors de France
Autor
Jahr
2006
Seiten
20
Katalognummer
V83330
ISBN (eBook)
9783638899215
ISBN (Buch)
9783638939645
Dateigröße
497 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Hörbeispiele sind bei mir erhältlich. Ich weiß allerdings nicht in welcher Form ich sie Anhängen kann.
Schlagworte
Connasse, Câlice, Kilba, Gebrauch, Schimpfwörtern, Beispielgebieten, Frankreich, Quebec, Marokko, Linguistik, Français, France, Malediktologie, Sprachwissenschaft, Kanada
Arbeit zitieren
Nele Bach (Autor:in), 2006, "Connasse, Câlice, Kilba" oder Ein Überblick über den Gebrauch von Schimpfwörtern weltweit und an den frankophonen Beispielgebieten Frankreich, Quebec und Marokko, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83330

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