Die Entstehung des Manifests vom Oktober 1905 und des russischen Grundgesetzes vom März 1906


Seminararbeit, 2006

25 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Gliederung

Die politische Situation in Russland vor dem Oktobermanifest 1905
1. Das Volk
- Die Bauern
- Die Arbeiter
- Die Intelligenzia
2. Das Militär und die Polizei
3. Der Zarenhof

Das Oktobermanifest von 1905
1. Entstehung und Inhalt
2. Aufnahme durch das russische Volk

Die russische Verfassung von 1906
1. Die Folgen des Manifestes: Entstehung einer Verfassung
2. Aufbau
- Zur Legislative
- Zur Exekutive
- Zur Judikative
3. Pflichten
4. Rechte
5. Umsetzung durch den Zar und die Regierung

Bewertung der russischen Verfassung und Gründe für das Scheitern
1. Bewertung von Historikern
2. Eigene Meinung

Literaturverzeichnis

Die politische und gesellschaftliche Situation in Russland vor dem Oktobermanifest 1905

Russland war um das Jahr 1904 und 1905 von Spannungen, Streiks und revolutionärem Gedankengut völlig überzogen. Innenminister Plewe hatte dem Zaren geraten, das Volk durch einen „kleinen und siegreichen Krieg“ abzulenken. Der daraufhin vom Zaun gebrochene Krieg gegen Japan geriet zu einem Debakel für die russische Armee.

Aber nicht nur außenpolitisch, vor allem innenpolitisch war das Land ein brodelnder Vulkan.

Im folgenden werde ich versuchen, die Situation Anfang 1905 darzustellen, da diese die „Grundlage“ für die Entwicklung zum Manifest vom Oktober 1905 bildet und sicherlich auch einen von vielen Gründen darstellt, warum der Versuch einer konstitutionellen Monarchie, zu der das Oktobermanifest ja führte, letztendlich gescheitert ist..

Der russische Staatsapparat mit dem absolut herrschenden Zaren an der Spitze wurde den Problemen und dem Freiheitsstreben der Bürger nicht mehr Herr und somit kam es dann zu Beginn des Jahres 1905 zur ersten russischen Revolution.

Einer Revolution, welche der Zar erst gar nicht zu Kenntnis nehmen wollte:

„..., am 18. Februar (3. März) 1905, sagte Nikolaus II. vorwurfsvoll zu Minister Bulygin: „Es sieht ja aus, als befürchteten Sie den Ausbruch einer Revolution!“ – „Majestät“, replizierte Bulygin, „ die Revolution ist bereits im Gange.““[1]

Bis zum 22. Januar (9, Januar) war Russland durch viele lokale Streiks, Proteste und auch Bauernunruhen an den Rande der Revolution gerückt. Dennoch waren diese „Brandherde“ für das Zarenregime noch unter Kontrolle zu halten, zumal es immer noch Teile der Bevölkerung gab, die das bestehende System nur etwas verändern, aber nicht abschaffen wollten.

Der 22. Januar, welcher als der „Blutsonntag“ in die russische Geschichte einging, veränderte diese Situation hin zur Revolution: „Als am 22./ 9. 01.1905 ein Demonstrationszug unter Führung des Priesters Georgij Gapon (1870-1906) zum Winterpalais vorzudringen versuchte, um dem Zaren eine Petition der Arbeiterbevölkerung zu überreichen, eröffneten die verschreckten Wachmannschaften das Feuer und zielten planlos in die Menge. Der Blutsonntag wurde zum Auftakt einer landesweiten Protestbewegung, der sich in den nächsten Wochen die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen anschlossen.“[2]

Am sinnvollsten erscheint mir hier eine Betrachtung der einzelnen Schichten der russischen Gesellschaft, also des Volkes, des Militärs und der Polizei und zuletzt dem Zarenhof, um die, nach dem Blutsonntag einsetzende Revolution zu beschreiben, bis sie im Oktober durch das Manifest von Witte einigermaßen eingedämmt, in Moskau und teilweise auch in den ländlichen Regionen brutal niedergeschlagen werden konnte.

1. Das Volk

- Die Bauern

Das größte Problem stellte die „unzureichende“ Bauernbefreiung dar. Die Bauern waren zwar frei, aber ihnen gehörte kein Land. Dieses war immer noch das Eigentum der Gutsbesitzer und die Bauern mussten große Teile ihrer Ernten als Pacht an die Gutsbesitzer abtreten. Immer wieder kam es zu Bauernaufständen gegen die Gutsbesitzer, aber es blieb bei vereinzelten Aufständen.

Im Jahr 1905 änderte sich diese Situation. Bereits im Frühjahr setzen die ersten Aufstände ein und sie nahmen im Laufe des Jahres an Häufigkeit und Radikalität immer mehr zu. Ihren Höhepunkt erreichten sie dann im Herbst mit dem Abschluß der Erntearbeiten.

Es „wurden die fruchtbarsten Gouvernements des Russischen Reiches (Tambow, Kursk, Woronjesh, Kiew, Tschernigow, Podolsk, Saratow, Samara, Simbirsk) zum Entsetzen der Regierung aufs neue von heftigen Bauernaufständen ergriffen. “In kurzer Zeit“, berichtet Masslow,“ wurden über 2000 Gutshöfe niedergebrannt, dem Erdboden gleichgemacht oder sonst wie zerstört, wobei die Verluste der Gutsbesitzer in den zehn am schwersten heimgesuchten Gouvernements nach offiziellen Angaben 29 Millionen Goldrubel betrugen.““[3]

Die Bauern schufen sich in dieser Zeit ihre Interessenvertretung im „Bauernbund“, der am 13. August/ 31.Juli seinen ersten Kongress abhielt und als Ziele der Bauern “die Nationalisierung des gesamten Bodens zugunsten derer, die ihn selbst bearbeiteten, sowie eine konstituierende Nationalversammlung und die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften der Arbeiter proklamierte.“[4]

Mehr als das Stellen von Forderungen erreichte der Bauernbund aber nicht. Gemeinsam abgestimmte Aktionen gelangen nicht und so konnten die Bauern in keinem Teil des russischen Reiches das durch Vertreibung der Gutsbesitzer angeeignete Land gegen die militärischen Strafexpeditionen halten.

Dennoch bedeuteten die Bauern für das russische Reich einen ständigen Quell der Unruhe. Gerade da sehr große Teile des russischen Volkes Bauern waren und auch an dieser Bevölkerungsschicht die Versorgung der Städte mit Lebensmitteln hing, waren die Aufstände so verheerend für den russischen Staat und die schlechte Situation der Bauern eines der am wichtigsten zu lösenden Probleme des Russischen Reichs. Witte hatte dies schon sehr früh erkannt. Die Regierung und insbesondere der Zar sahen aber viel zu lange, im Endeffekt bis in das Jahr 1906 hinein, keine Notwendigkeit die Situation der Bauern zu verbessern, was sie dann im Herbst des Jahres 1905 auch zu dem Zugeständnis der Manifests vom Oktober und der daraus resultierenden Verfassung zwang.

- Die Arbeiter

Die wachsende Industrie im russischen Reich wurde seit Jahren immer wieder von Streiks gelähmt. Dennoch waren diese Streiks immer wirtschaftlich motiviert. Sei es, um höhere Löhne zu fordern, geringere Arbeitszeiten oder für den Erhalt von Zulagen oder freien Tagen zu kämpfen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts setze aber nach und nach eine Politisierung der Arbeiter ein, welche im Jahre 1905 einen ersten sichtbaren Höhepunkte erreichte:

Unter dem Einfluß der revolutionären sozialistischen Partei ging eine immer stärker werdende Politisierung der Aktionen einher. „In den ersten Tagen des Jahres 1905 führte eine Streik der Belegschaft des Putilov-Werkes zu einem ganz Petersburg erfassenden Aufstand und schließlich zu dem Plan, am Sonntag, den 22./ 9. Januar, eine friedliche Massendemonstration vor das Winterpalais zu führen und dem Zaren durch eine Delegation die Wünsche der Arbeiter vorzutragen.“[5]

Organisiert und geleitet wurde diese Demonstration von dem äußerst undurchsichtigen Priester Gapon, dessen Verwicklung in die Arbeiterbewegung bis heute nicht einwandfrei geklärt ist Das „Ergebnis“ dieser Demonstartion war dann der bereits erwähnt Blutsonntag. Die Reaktion der Arbeiterschaft war eine landesweite Lähmung der Industrie durch eine immer wieder an- und abschwellenden Streikwelle, Stökl bezeichnet diese Wellen auch als revolutionäre Wellen.

Es steht außer Frage, dass die Propaganda der Sozialrevolutionäre gerade nach dem Blutsonntag in den Arbeiterkreisen auf fruchtbaren Boden fiel und die Anhänger eines bewaffneten Kampfes gegen das Zarenregime immer zahlreicher wurden. Dennoch waren die ersten Reaktionen auf den Blutsonntag weitere Streiks in bisher nie gekanntem Ausmaß. „Durch besonderen Radikalismus zeichneten sich die Metallarbeiter und, etwas später, die Textilarbeiter aus. An den Streiks nahmen aber auch Bäcker, Schumacher, Lastwagenkutscher, Handelsangestellte, Dienstboten und andere teil. Im Textilrayon von Iwanaowo-Wosnjessensk brach im Mai 1905 ein Streik aus, dessen Leitung einem gewählten „Arbeiterrat“, dem ersten proletarischen „Sowjet“ der russischen Geschichte, anvertraut wurde. Dieser Sowjet sorgte für Disziplin, für die Bewachung der bestreikten Betriebe, für die finanzielle Unterstützung der Streikenden;“[6]

Diesem ersten Sowjet sollten im Laufe der Streik- und Revolutionsbewegung des Jahres 1905 noch viele weitere folgen und so kann man sagen, dass bereits in diesen Jahren das „politische System“ der späteren Sowjetunion unbewusst „erprobt“ wurde.

Den Höhepunkt der bewaffneten Revolution und zugleich das „vorläufige“ Ende der Sowjets bildete im Dezember des Jahres 1905 der Versuch des Moskauer Sowjets, den revolutionären Kampf als gewaltsame Aktion der Massen zu führen (vom 21./8. Dezember bis 2.Januar/ 20.Dezember); “er scheiterte zu einem Zeitpunkt, da der Petersburger Sowjet bereits aufgelöst war und dessen führende Mitglieder – unter anderem der Vizepräsident Trockij – schon hinter Schluß und Riegel saßen, an der Unzulänglichkeit der Organisation und an dem Einsatz der aus Petersburg herbeigeholten Elitetruppen.“[7]

Man kann also sagen, dass die Arbeiter durch ihre Politisierung, welche den teilweise sehr schlechten, fast schon ausbeuterischen Arbeitsbedingungen, denen sie ausgesetzt waren, geschuldet war, zu einem unerschöpflichem Pool an Revolutionären und Sympathisanten der Revolution wurden. Ihre ursprünglichen Ziele, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Löhne wurden durch diese Politisierung von den linken Parteien (Sozialrevolutionäre, Sozialdemokraten, aufgeteilt in Menschewiki und Bolschewiki) und sicherlich auch Teilen der Intelligenzia geschickt mit ihrem revolutionärem Programm verwoben: nur eine Beseitigung des Systems würde auch eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen schafften

“So schrien denn die Proletarier:„ Nieder mit der Selbstherrschaft !“ – nicht etwa, um ihre Begeisterung für Montesquieus Theorie über die Trennung der Gewalten zu manifestieren, sondern weil sie sahen, dass der Absolutismus, so oft sie eine Verbesserung ihrer Existenzbedingungen zu erringen versuchten, sich als Bundesgenosse ihres Klassenfeindes erwies.“[8]

- Die Intelligenzia

Allgemein lässt sich sagen, dass die Intelligenzia in Opposition zum Zarenregime stand und zu diesem Zeitpunkt von marxistischem Gedankengut geprägt war.

Das Volk stand im Mittelpunkt aller Überlegungen und die Verbesserung der Lebensumstände. Der Schritt zum Marxismus als „Allheilmittel“ erschein daher als der beste und auch einfachste. Die Intelligenzia sympathisierte daher auch sehr mit den Sozialrevolutionären und den Sozialdemokraten. Große Teile lehnten zwar die Gewalt und vor allem den Terror ab, wobei man sagen muss, dass gerade nach dem Blutsonntag auch in der Intelligenzia einige Stimmen zu hören waren, die Gewalt und Terror zur Beseitigung des Zarenregimes befürworteten.

Neben der Sympathie für die radikalen Linken war aber auch ein großer Teil der Intelligenzia mit den Ideen des Liberalismus „infiziert“. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Zentren des Liberalismus vor allem die Zenstvo-Versammlungen und die Führungspersonen der Zemstvo-Adel, wobei man zu diesem Zeitpunkt eigentlich noch nicht von einer einheitlichen Führung sprechen kann.. Im 20. Jahrhundert ging die Führungsrolle in diesen liberalen Kreisen immer weiter auf die Intelligenzia über:

“Es war verhängnisvoll, dass die Führung des russischen Liberalismus mehr und mehr auf die gewiss von allen freiheitlichen Idealen beseelte, aber im Grunde wirklichkeitsfremde und doktrinäre Intelligenz überging, doch wird andererseits kaum zu bestreiten sein, dass das Konstitutionsverlangen des liberalen Zemstvoadels allein die Autokratie nicht zur Kapitulation gezwungen hätte und wie bisher unerfüllt geblieben wäre, wenn es nicht durch die einheitliche Willensbildung der radikal-liberalen Intelligenz unterstützt und durch die revolutionären Aktionen der Arbeiter und Bauern mit einem beängstigenden Hintergrund versehen worden wäre.“[9]

Insofern ist der Intelligenzia auf dem Weg zum Manifest vom Oktober 1905 und der Verfassung des Jahres 1906 eine durchaus wichtige Rolle zuzusprechen.

[...]


[1] Gittermann Valentin, „Geschichte Russlands“, Band III, Europäische Verlagsanstalt GmbH, Hamburg 1949, S.392

[2] Hösch Edgar, „Geschichte Russlands, Vom Kiewer Reich bis zum Zerfall des Sowjetimperiums“, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 1996, S. 305

[3] Gitermann Valentin, „Geschichte Russlands“, Band III, Europäische Verlagsanstalt GmbH, Hamburg 1949, S. 414

[4] Stökl Günther, „Russische Geschichte, Von den Anfängen bis zur Gegenwart“, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1990, S. 598

[5] Stökl Günther, „Russische Geschichte, Von den Anfängen bis zur Gegenwart“, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1990, S. 595

[6] Gitermann Valentin, „Geschichte Russlands“, Band III, Europäische Verlagsanstalt GmbH, Hamburg 1949, S. 400

[7] [7] Stökl Günther, „Russische Geschichte, Von den Anfängen bis zur Gegenwart“, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1990, S. 597

[8] Gitermann Valentin, „Geschichte Russlands“, Band III, Europäische Verlagsanstalt GmbH, Hamburg 1949, S. 400

[9] Stökl Günther, „Russische Geschichte, Von den Anfängen bis zur Gegenwart“, Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1990, S. 595

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Die Entstehung des Manifests vom Oktober 1905 und des russischen Grundgesetzes vom März 1906
Hochschule
Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt  (Lehrstuhl für Mittel- und Osteuropäische Zeitgeschichte)
Veranstaltung
Die Herrschaft des letzten russischen Zaren Nikolaus II. (1894- 1917)
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
25
Katalognummer
V83350
ISBN (eBook)
9783638895729
ISBN (Buch)
9783638897198
Dateigröße
502 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eine sehr gute Arbeit, welche äußerst genau die Vor- und Nachteile des russischen Grundgesetzes beleuchtet, wobei die grafische Darstellung der Verfassung als besonders gelungen zu betrachten ist.
Schlagworte
Entstehung, Manifests, Oktober, Grundgesetzes, März, Herrschaft, Zaren, Nikolaus
Arbeit zitieren
Christoph Seifferth (Autor:in), 2006, Die Entstehung des Manifests vom Oktober 1905 und des russischen Grundgesetzes vom März 1906, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83350

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