Die residenzielle Segregation in deutschen Städten wird nicht nur als Ausdruck sozialer Ungleichheit diskutiert, sondern im Zusammenhang mit Zuwanderern als Gradmesser ihrer Integration in die Aufnahmegesellschaft. Dennoch existiert in Deutschland keine systematische Erfassung des Grades residenzieller Segregation von Zuwanderergruppen. Der Beitrag stellt die wichtigsten Maße residenzieller Segregation auf verschiedenen Dimensionen sowie das Ausmaß der Segregation von 25 der bevölkerungsstärksten Staatsangehörigkeitsgruppen für das Jahr 2004 in Hamburg auf diesen Dimensionen vor. Eine auf dem traditionellen Dissimilaritäts-Index basierende ‚Karte der Segregation’ spiegelt den Grad der disproportionalen Verteilung zwischen allen berücksichtigten Gruppen grafisch wider. Einem Vektormodell schließlich kann eine Vielzahl von Informationen über die multi-ethnische, mehrdimensionale Struktur residenzieller Segregation in Hamburg entnommen werden. Ein Ergebnis dieses Modells ist, dass das Ausmaß der ungleichen Verteilung im Wesentlichen auf den Zentralisations- und den Stratifikationsgrad zurück geführt werden kann.
Inhaltsübersicht
1. Einleitung
2. Dimensionen horizontaler residenzieller Segregation
2.1. Dimension der Ungleichheit
2.2. Dimension des Kontaktes
2.3. Dimension der Konzentration
2.4. Dimension der Zentralisation
3. Dimension der residenziellen Stratifikation
4. Multidimensionale Skalierung
5. Das Vektormodell
6. Fazit
Literatur
Anhang
1. Einleitung
Trotz zahlreicher Veröffentlichungen über vermeintliche Ursachen und Folgen residenzieller Segregation, der systematischen Sortierung der Wohnstandorte sozialer Gruppen im städtischen Raum, und der von einigen Autoren prognostizierten Zunahme der ethnischen und sozialen Segregation in den Städten Deutschlands (Heitmeyer 1997: 645; 1998: 458; Häußermann 1998: 169), mangelt es an einer umfassenden empirischen Bestandsaufnahme über deren Ausmaß und Entwicklungstrend, die Datenlage zur residenziellen Segregation von Ausländergruppen[1] in Deutschland ist schlicht ungenügend (vgl. Häußermann/Siebel 2001: 36; Deutscher Bundestag 2001: 6).
Wenn überhaupt empirische Belege für das Ausmaß ethnischer residenzieller Segregation in deutschen Städten zu finden sind, handelt es sich in der Regel um Indexwerte des so genannten Dissimilaritäts-Index (D-Index), der den Grad der disproportionalen Verteilung zweier Gruppen über die Teilgebiete einer Stadt misst. Über zwei Jahrzehnte wurde dieser Index, der von Otis D. Duncan und Beverly Duncan (1955) vorgeschlagen wurde, als das Standardmaß residenzieller Segregation verwendet, eine Zeit, die Massey und Denton (1988: 281) als „pax duncana“ bezeichnen. Diese Zeit des ‚Friedens’ endete schließlich Mitte der siebziger Jahre, als Cortese et al. (1976) auf Schwächen des D-Index aufmerksam machten und in der sich anschließenden Diskussion wurde eine Reihe schon vergessener Indices wieder ausgegraben und neue vorgestellt. Um Ordnung in die ausufernde Debatte zu bringen haben Massey und Denton (1988) schließlich nach einer systematischen Literaturanalyse 20 Segregations-Indices miteinander verglichen. Sie kamen zu dem Schluss, dass Segregation ein mehrdimensionales Konstrukt ist und identifizierten fünf Dimensionen ethnischer residenzieller Segregation in den USA. Mit einem um die US-Zensus-Daten aus dem Jahr 1990 erweiterten Datensatz haben Massey et al. (1996) die Studie wiederholt und kamen zu ähnlichen Ergebnissen. Die von ihnen identifizierten Dimensionen residenzieller Segregation sind:
1. Evenness: Ungleichheit
2. Exposure: Kontakt
3. Concentration: Konzentration
4. Centralization: Zentralisation
5. Clustering: Räumliche Nähe.
Jede dieser Dimensionen bezeichnet einen anderen Aspekt residenzieller Segregation (vgl. auch Iceland et al. 2002: 8). Evenness bezieht sich auf die disproportionale Verteilung ethnischer (oder anderer sozialer) Gruppen über die geografischen (in der Regel administrativen) Teilgebiete einer Stadt; Exposure misst den potenziellen Kontakt zwischen ethnischen Gruppen, Concentration den relativen physischen Raum eines städtischen Gebietes, den eine ethnische Gruppe besetzt; Centralization zeigt den Grad an, mit dem eine ethnische Gruppe nahe dem Zentrum eines städtischen Gebietes wohnt, und Clustering misst den Grad, mit dem Mitglieder einer Gruppe in angrenzenden, benachbarten städtischen Teilgebieten leben. Faktorenanalytische Berechnungen ergaben, dass Ungleichheit die wichtigste Dimension ist (mit dem größten Anteil an erklärter Varianz), gefolgt von Kontakt, dann Konzentration und Zentralisation, relativ gering ist die Bedeutung der räumlichen Nähe (vgl. Massey/Denton 1988: 307; Massey et al. 1996: 191-192).
Die von Massey et al. (1996) vorgeschlagenen Indices werden im Folgenden zur Messung des Grades residenzieller Segregation auf vier dieser Dimensionen in Hamburg verwendet. Die Dimension der räumlichen Nähe (Clustering) bleibt unberücksichtigt, weil diese nur geringe Bedeutung hat, zum anderen sind die Indexwerte davon abhängig, welche Einheit der Entfernungsmessung von städtischen Teilgebieten zugrunde gelegt wird. Einem Vorschlag von Timberlake (2002) folgend wurde außerdem die residenzielle Stratifikation – als Indikator vertikaler Segregation – gemessen , die Verteilung der Gruppen über die Status-Teilgebiete Hamburgs. Auf der Grundlage der bivariaten D-Indexwerte wird mittels des multivariaten statistischen Verfahrens der ‚multidimensionalen Skalierung’ eine ‚Karte der Segregation’ erstellt, die – modellhaft – das Ausmaß der disproportionalen Verteilung zwischen allen berücksichtigten Staatsangehörigkeitsgruppen übersichtlich grafisch darstellt. Schließlich wird ein Vektormodell der residenziellen Segregation vorgestellt, dem eine Vielzahl von Informationen über die mehrdimensionale Struktur multi-ethnischer residenzieller Segregation in Hamburg entnommen werden kann.
2. Dimensionen horizontaler residenzieller Segregation
2.1. Dimension der Ungleichheit
Der hierzulande meist ausschließlich verwendete D-Index ist zwar ein wichtiger Index, aber er misst residenzielle Segregation lediglich auf einer, der Ungleichheits-Dimension. Darüber hinaus ist er nur einer von mehreren Indices[2] dieser Dimension und er erfüllt auch nicht alle Kriterien, die ein ideales Ungleichheitsmaß residenzieller Segregation erfüllen sollte, nur der Gini-Index und der Atkinson-Index erfüllen alle vier vorgeschlagenen Kriterien[3], der D-Index verletzt das ‚Transfer-Prinzip’, der Entropie-Index (auch ‚Informations-Theorie-Index’ genannt) das Kriterium der ‚Kompositions-Invarianz’ (vgl. Iceland et al. 2002: 119; Kalter 2000: 3f). Wie alle anderen der im Folgenden vorgestellten Indices ist der D-Index darüber hinaus abhängig von der zugrunde liegenden geografischen Skala. Je feiner diese Skala, je größer die Zahl der Teilgebiete ist, desto homogener ist die Zusammensetzung der Bevölkerung in den Teilgebieten und desto größer sind die Indexwerte. Die daraus resultierenden Messprobleme werden als ‚Checkerboard-Problem’ und ‚Modifiable-Areal-Unit-Problem’ diskutiert (vgl. Reardon et al. 2004; White 1983; Wong 2004). Zur Vermeidung dieser Schwierigkeiten wurde u. a. vorgeschlagen, residenzielle Segregation über Schwellenwert-Modelle (Johnston et al. 2002; Poulsen et al. 2002) oder als Individual-Merkmal (Echenique/Fryer 2005) zu messen. Diese Vorschläge werfen jedoch neue Probleme auf, die hier nicht weiter diskutiert werden. Eine weitere Schwäche des D-Index, die er - mit Ausnahme des Entropie-Index in seiner Multi-Gruppen-Form, der aber lediglich einen einzigen Wert für ein städtisches Gebiet ausweist (vgl. Iceland 2004) - mit anderen Indices der Ungleichheits-Dimension teilt, ist, dass er lediglich zwei Gruppen berücksichtigt und somit die relative Verteilung mehrerer Gruppen, die ethnische Vielfalt einer Stadt, nicht einfangen kann. Die Vorteile des D-Index gegenüber anderen Indices der Ungleichheits-Dimension sind, dass er einfach zu berechnen und sein Wert leicht zu interpretieren ist. Trotz der beschriebenen Unzulänglichkeiten empfehlen Massey et al. (1996: 200), den D-Index zur Messung residenzieller Segregation auf der Ungleichheits-Dimension zu verwenden.
[...]
[1] Gruppen nicht-deutscher Staatsangehöriger werden auch als ‚Ausländergruppen’‚ Minoritätsgruppen’, ‚Minoritäten’, oder als ‚Zuwanderer’ bezeichnet. Sind deutsche Staatsangehörige eingeschlossen, wird auch der Begriff ‚ethnische Gruppen’ verwendet. Gemeint sind stets Gruppen von Personen, deren Staatsangehörigkeit dem Eintrag ins Register des Einwohnermeldeamtes entspricht.
[2] Die von Massey und Denton berücksichtigten vier Maße der Ungleichheits-Dimension sind: Dissimilaritäts-Index, Gini-Index, Entropie-Index, Atkinson-Index.
[3] Transfer-Prinzip (transfer principle): der Index sollte auf die Umverteilung (den ‚Transfer’) von Mitgliedern einer Gruppe innerhalb von Teilgebieten mit unter- oder überdurchschnittlichen Gruppenanteilen reagieren (und nicht nur auf die Umverteilung von Teilgebieten mit unter-/überdurchschnittlichen Anteilen auf Gebiete mit über-/unterdurchschnittlichen Anteilen); Kompositions-Invarianz (compositional invariance): die relative Größe der Gruppen sollte den Indexwert nicht beeinflussen; Größen-Invarianz (size invariance): der Indexwert sollte sich nicht verändern, wenn die Anzahl der Mitglieder jeder Gruppe mit einer Konstante multipliziert wird; Organisations-Äquivalenz (organisational equivalence): der Indexwert sollte sich nicht verändern, wenn Teilgebiete mit identischen Gruppenanteilen aggregiert werden.
- Arbeit zitieren
- Diplom-Soziologe Werner Grabowski (Autor:in), 2007, Mehrdimensionale residenzielle Segregation ethnischer Gruppen in Hamburg, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83441
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