Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Themenbereich der in den Artikeln 49 ff. EGV (Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft) normierten Dienst-leistungsfreiheit hinsichtlich ihrer Bedeutung für grenzüberschreitende soziale Dienste . In diesem Zusammenhang wird die am 15.11.2006 in zweiter Lesung vom Eurpäischen Parlament als Ausdruck der Strategie von Lissabon und Ergänzung zur Dienstleistungsfreiheit verabschiedete Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt (im Folgenden: Dienstleistungsrichtlinie) untersucht.
Das Ziel dieser Analyse ist die Offenlegung der möglichen Auswirkungen, die dieser Rechtsakt für die deutschen Wohlfahrtsverbände und freien Träger als gemeinnützige Erbringer sozialer Dienstleistungen mit sich bringen kann und welche Maßnahmen diese national wie international ergreifen können.
Bei der Auswahl des Themas dieser Arbeit spielten verschiedene Faktoren eine Rolle. Durch die am 12.12.2006 auch durch den Rat angenommene Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt gewinnt der Themenbereich der grenzüberschreitenden Dienstleistungen in hohem Maße an Aktualität und Brisanz. Dieser gemeinhin als Dienstleistungsrichtlinie bezeichnete Rechtsakt sorgte bereits während seines Entstehungsprozesses – anfangs noch unter dem Pseudonym „Bolkestein-Richtlinie“ – europaweit für öffentliche Diskussionen und Demonstrationen. Zu den Kritikern der Richtlinie gehörten auch die deutschen Wohlfahrtsverbände, die in der Dienstleistungsrichtlinie eine deutliche Bedrohung für den sozialen Sektor in Deutschland erkannten . Nach der Verabschiedung der Dienstleistungsrichtlinie und den vorgenommen Änderungen im Text der Richtlinie hinsichtlich nicht-wirtschaftlicher Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, Gesundheitsdienstleistungen und bestimmter sozialer Dienste sind die Stimmen vieler Gegner verstummt. Einige Akteure monieren jedoch nach wie vor den breiten Interpretationsspielraum der Regelung sowie den daraus resultierenden Mangel an Rechtssicherheit bezüglich der Ausnahmetatbestände. Zudem veröffentlichte die Europäische Kommission im Jahr 2006 eine Mitteilung zu Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse in der Europäischen Union (EU), in welcher der hohe Stellenwert sozialer Dienste für die europäische Bevölkerung und Wirtschaft gewürdigt wird. Auch dies indiziert die bevorstehenden Entwicklungen in diesem Bereich, die von den Protagonisten des deutschen Sozialsektors nicht unbemerkt bleiben .
In dieser Arbeit, die sich exklusive Einleitung und Schlussbetrachtung in drei Kapitel unterteilt, sollen die Änderungen, die die Dienstleistungsrichtlinie für die deutschen Wohlfahrtsverbände und freien Träger als gemeinnützige Erbringer sozialer Dienst-leistungen mit sich bringen kann, untersucht werden. Diese Aufgabenstellung macht es erforderlich, im ersten Kapitel eine inhaltliche Erläuterung der Begrifflichkeit des sozialen Dienstes vorzunehmen. Dazu muss der Frage nachgegangen werden, ob die Europäische Union eine einheitliche, differenzierte Definition dieses Begriffes kennt und zwischen welchen Termini auf europäischer Ebene unterschieden wird. Im Anschluss daran wird der Begriff der sozialen Dienste in ausgewählten Mitgliedstaaten der Euro-päischen Union auf inhaltliche Unterschiede und verschiedene Begriffsinterpretationen überprüft.
Das zweite Kapitel befasst sich mit der Erforschung des bisherigen Verhältnisses zwischen Dienstleistungsfreiheit und sozialen Diensten, um aus den gewonnenen Erkenntnissen auf mögliche Veränderungen durch die Dienstleistungsrichtlinie schließen zu können. Deshalb erfolgt zunächst in gebotener Kürze die Darstellung der Dienstleistungsfreiheit als eine der Grundfreiheiten des Binnenmarktes im Kontext mit sozialen Diensten. In diesem Zusammenhang ist die Behandlung ausgewählter, wegweisender Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zwingend, um das Spannungsfeld zwischen den Regelungen der Dienstleistungsfreiheit und den sozialen Diensten anhand von Praxisbeispielen zu ergründen. In logischer Folge knüpft sich hieran die Erörterung der Regelungen der EU-Dienstleistungsrichtlinie hinsichtlich sozialer Dienstleistungen. Diese Überprüfung soll Aufschluss über künftige Veränderungen für die deutschen Sozialdienstleister geben und mögliche Schlupflöcher des Regelungsgehaltes zu Tage fördern.
Im dritten Kapitel sollen basierend auf den Erkenntnissen der vorangegangenen Kapitel etwaige aus der Dienstleistungsrichtlinie resultierende Risiken und Chancen für die Wohlfahrtsverbände und freien Träger in Deutschland als Erbringer sozialer Dienstleistungen aufgezeigt werden. Für eine Bewertung der Gesamtsituation ist es unerlässlich, die von vielen Seiten beschriebenen Gefahren für den sozialen Sektor in Deutschland durch soziale Dienstleistungsangebote aus Osteuropa auf deren Gehalt zu überprüfen. Hierzu muss diskutiert werden, ob es für Sozialdienstleister aus den mittel- und osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten attraktiv und möglich ist, ihre Dienste in Deutschland anzubieten oder ob derartige Bestrebungen als Panikreaktion der hiesigen Interessenvertreter zu bewerten sind. Im Anschluss daran werden unterschiedliche Varianten der Internationalisierung eines Sozialdienstleisters vorgestellt. Die Absicht des Verfassers besteht darin, den deutschen Sozialdienstleistern Handlungsstrategien aufzuzeigen, die es ihnen ermöglichen sollen, den sich möglicherweise verändernden Verhältnissen entsprechend zu agieren
Inhaltsverzeichnis
- Abkürzungsverzeichnis
- Einleitung
- Der Begriff der sozialen Dienste in Europa und den Mitgliedstaaten
- Überprüfung einer einheitlichen Begriffsdefinition auf EU-Ebene
- Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse
- Nicht-wirtschaftliche Dienstleistungen von allgemeinem Interesse
- Leistungen der Daseinsvorsorge
- Dienstleistungen von allgemeinem Interesse
- Sozialdienstleistungen von allgemeinem Interesse
- Abweichendes Begriffsverständnis in den Mitgliedstaaten
- Soziale Dienste in Deutschland
- Soziale Dienste in Frankreich
- Soziale Dienste in Großbritannien
- Soziale Dienste und die Dienstleistungsfreiheit
- Soziale Dienste im Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit?
- Persönlicher Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit
- Sachlicher Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit
- Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit
- Die Rechtsprechung des EuGH zu sozialen Diensten
- Urteile des Sozial- und Gesundheitssektors in Abgrenzung zur Dienstleistungsfreiheit
- Urteile zur Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit und sozialen Dienste
- Die Dienstleistungsrichtlinie und soziale Dienste
- Kritische Stimmen der Interessenvertreter im Vorfeld der Richtlinie
- Allgemeine Regelungen der Dienstleistungsrichtlinie
- Ausdrückliche Bereichsausnahmen sozialer Dienste
- Rechtsbegriffe, die soziale Dienste erfassen können
- Soziale Dienste ohne ausdrückliche Bereichsausnahme
- Soziale Dienste im Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit?
- Risiken und Chancen für die Wohlfahrtsverbände und freien Träger in Deutschland
- Allgemeine Risiken
- Besondere Risiken
- Risiken für den Bildungssektor
- Risikofaktoren für den sozialen Sektor in Deutschland durch Anbieter aus Mittel- und Osteuropa
- Soziale Dienstleister und Dienstleistungen in Tschechien
- Chancen für die Wohlfahrtsverbände und freien Träger
- Nationale Chancen
- Europäische und Internationale Chancen
- Strategische Vorüberlegungen zur Auslandstätigkeit eines Sozialdienstleisters
- Markteintritts-/Marktbearbeitungsstrategien
- Ausblick auf ein Auslandsengagement in Tschechien
- Schlussbetrachtung
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Diplomarbeit befasst sich mit den Auswirkungen der Dienstleistungsrichtlinie auf die Wohlfahrtsverbände und freien Träger in Deutschland. Die Arbeit analysiert die Regulierung sozialer Dienste im europäischen Kontext und untersucht, welche Chancen und Risiken sich für die deutschen Wohlfahrtsverbände und freien Träger aus der Dienstleistungsfreiheit ergeben.
- Der Begriff der sozialen Dienste im europäischen Recht
- Die Anwendung der Dienstleistungsfreiheit auf soziale Dienste
- Die Auswirkungen der Dienstleistungsrichtlinie auf den sozialen Sektor in Deutschland
- Chancen und Risiken für die Wohlfahrtsverbände und freien Träger
- Strategische Optionen für Wohlfahrtsverbände und freie Träger im europäischen Kontext
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik der Arbeit ein und stellt die Relevanz der Dienstleistungsrichtlinie für die Wohlfahrtsverbände und freien Träger in Deutschland dar. Das erste Kapitel beschäftigt sich mit dem Begriff der sozialen Dienste im europäischen Recht. Es werden verschiedene Begriffsdefinitionen und deren Anwendungsbereich im europäischen Kontext vorgestellt. Das zweite Kapitel untersucht die Anwendung der Dienstleistungsfreiheit auf soziale Dienste. Es werden die relevanten Rechtsgrundlagen und die Rechtsprechung des EuGH analysiert. Das dritte Kapitel befasst sich mit der Dienstleistungsrichtlinie und deren Auswirkungen auf den sozialen Sektor in Deutschland. Es werden die relevanten Regelungen der Richtlinie und die Auswirkungen auf die Wohlfahrtsverbände und freien Träger dargestellt. Das vierte Kapitel analysiert die Chancen und Risiken für die Wohlfahrtsverbände und freien Träger in Deutschland. Es werden sowohl nationale als auch europäische und internationale Perspektiven betrachtet. Das fünfte Kapitel beschäftigt sich mit strategischen Optionen für Wohlfahrtsverbände und freie Träger im europäischen Kontext. Es werden verschiedene Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt, die den Wohlfahrtsverbänden und freien Trägern helfen können, sich im europäischen Markt zu positionieren.
Schlüsselwörter
Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, soziale Dienste, Dienstleistungsfreiheit, Dienstleistungsrichtlinie, Wohlfahrtsverbände, freie Träger, Chancen, Risiken, strategische Optionen, europäischer Markt, Bildungssektor, sozialer Sektor, Mittel- und Osteuropa.
- Quote paper
- Diplom-Wirtschaftsjurist (FH) Thomas Werner (Author), 2007, Welche Änderungen bringt die Dienstleistungsrichtlinie für die Wohlfahrtsverbände und freien Träger in Deutschland?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83573