Soziale Arbeit und Entsolidarisierung

Sozialarbeiterische Überlegungen zu gesellschaftlichen Themen


Fachbuch, 2005

71 Seiten, Note: Gut


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Acknowledgements

Prolog

1 Einleitung
1.1 Die Themenwahl
1.2 Unsere Fragestellung und Ziele
1.3 Unsere Hypothesenthesen
1.4 Eine Definition für die Solidarität
1.5 Nun eine Definition für Entsolidarisierung

2 Das Phänomen Entsolidarisierung
2.1 Ursachen der Entsolidarisierung
2.1.1 Leistungsdenken
2.1.2 Konsumismus
2.1.3 Individualisierung
2.1.4 Institutionalisierung
2.1.5 Zusammenfassung der Kernaussagen
2.2 Wirkungen / Heutige Zeichen der Entsolidarisierung
2.2.1 Fehlender Solidaritätsgedanke bei Versicherungen
2.2.2 Fehlender Solidaritätsgedanke in Unternehmen / bei Fusionen
2.2.3 Fehlender Solidaritätsgedanke gegenüber Randgruppen
2.3 Zukunftsszenarios
2.3.1 Abbau des Sozialstaates unter Weiterverfolgung der kapitalistischen und individualistischen Ideale
2.3.2 Reform des Sozialstaates bau des Sozialstaates unter
2.3.3 Wiederentdecken der Verbundenheit
2.3.4 Zusammenfassung der Zukunftsszenarios des

3 Entsolidarisierung und Soziale Arbeit
3.1 Einleitende Klärung
3.2 Entsolidarisierungshindernde Soziale Arbeit
3.2.1 Sprachrohr der Randgruppen
3.2.2 Öffentlichkeitsarbeit und Projektarbeit
3.2.3 Unterstützung des Integrationsprozesses
3.2.4 Unterstützung von kleinen Netzen
3.3 Entsolidarisierungsfördernde Soziale Arbeit
3.3.1 Unterstützung der Werte des Zeitgeistes
3.3.2 Übernahme betriebswirtschaftlicher Denkmuster
3.3.3 Zunehmende Bürokratisierung und Spezialisierung
3.3.4 Entmündigung der Klientel
3.4 Auswertung der Arbeitshypothese
3.5 Momentaner Standpunkt der Sozialen Arbeit
3.5.1 Opportunistische Soziale Arbeit
3.5.2 Doppelmandat als Dilemma der Sozialen Arbeit
3.6 Mängel der aktuellen Sozialen Arbeit

4 Entsolidarisierung und Soziale Arbeit im Suchtbereich
4.1 Soziale Arbeit im Suchtbereich heute
4.1.1 Vier-Säulen-Politik
4.1.2 Statistische Fakten zum Drogenproblem
4.1.3 Bestehende Einrichtungen im Suchtbereich
4.2 Standpunkt der Sozialen Arbeit im Suchtbereich
4.2.1 Abhängigkeit der Sozialen Arbeit im Suchtbereich
4.2.2 Erfolge der Sozialen Arbeit im Suchtbereich
4.3 Vorschläge zum Umgang mit der Entsolidarisierung
4.3.1 Bewusstseinsförderung für gesellschaftliche Zusammenhänge
4.3.2 Verbindungsstiftende Projekte
4.3.3 Emanzipation der Klientel
4.3.4 Veränderung im gesellschaftlichen System

5 Schlussbemerkungen

6 Epilog

7 Quellenverzeichnis

8 Anhang

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Spulengesetz nach Setudegan & Freund

Abbildung 2: MODA Modell nach Setudegan & Freund

Acknowledgements

Wir danken den solidarischen Menschen, die uns während dieser Zeit unterstützt, mit uns diskutiert und uns auf dem manchmal unebenen Weg stets ermutigt haben.

Daniel Freund & Morris Setudegan

Prolog

Wir Menschen stehen im Spannungsfeld zwischen individuellen Bedürfnissen und dem Wunsch nach Gemeinschaft, zwischen Egoismus und großzügiger Selbstlosigkeit, zwischen angstvollen und vertrauensvollen Verhaltensmustern. Gelingt es uns, beide Pole in unserem Dasein zu respektieren, persönliche Interessen und Impulse ebenso ernst zu nehmen wie das Verlangen, Teil eines gesunden Grossen Ganzen zu sein, so tragen wir aktiv zu einer solidarischen, lebendigen und funktionierenden Gesellschaft bei, in der sich die Menschen wohl fühlen und ihr individuelles Potenzial bestmöglich ausschöpfen. Zur Bereicherung des Gemeinwohls und zur Zufriedenheit jedes einzelnen. Der Trend der Entsolidarisierung ist eine große gesellschaftliche Herausforderung. Wir sind überzeugt, dass er schließlich den Weg bahnt, für ein neues Bewusstsein von Zusammenhalt und Solidarität.

1 Einleitung

1.1 Die Themenwahl

Was fehlt unserer Gesellschaft und wo liegen die tieferen Gründe der sich vielfältig zeigenden Missstände? - Seit einigen Jahren interessiert uns beide diese grundsätzliche Fragestellung. Nach Beginn der Schule für Soziale Arbeit entdeckten wir bald unsere ähnlichen Gedanken und philosophischen Überlegungen zu den Abläufen in der Gesellschaft. Viele gemeinsame Diskussionen drehten sich schließlich immer wieder um diese Frage. Unsere stetige Auseinandersetzung mit diesem Thema veränderte nach und nach unsere Sichtweise. Dadurch nahm unser Interesse zu, die Fragestellung konkret mit in die Arbeit mit Ange­hörigen einer Randgruppe zu nehmen und unsere Hypothesen zu überprüfen.

Diese Möglichkeit bot sich uns besonders im Rahmen des zweiten Praktikums im Drop-in Luzern, beziehungsweise im Drogen-Therapiezentrum Lehn. Bei die­ser Arbeit stellte sich uns immer wieder die grundlegende Frage, was den Menschen unserer Gesellschaft fehlt und wir begannen, unsere eigenen Hypothesen darüber zu bilden.

1.2 Unsere Fragestellung und Ziele

Wie kann die Sozialarbeit im Suchtbereich der Entsolidarisierung in der Gesell­schaft begegnen? - Dies ist die Fragestellung, welche wir durch unsere Recherche beantworten möchten. Die Idee, das Phänomen der Entsolidari­sierung als Erklärungsansatz auf die uns seit langem beschäftigende Frage zu wählen, entstand im Laufe der Diskussion zur Themenwahl.

Als Ausgangspunkt unserer Arbeit sehen wir die persönliche Frage, wieweit das Phänomen der Entsolidarisierung in Zusammenhang mit der Suchtmittel­abhängigkeit steht und wo, wie oder womit die Soziale Arbeit positive Verän­derungen bewirken könnte. Unser persönliches Anliegen ist es auch, gesamt­gesellschaftliche Zusammenhänge aufzuzeigen und an deren Wichtigkeit zu erinnern.

Mit unserer Recherchen wollen wir uns dieser Herausforderung annehmen. Wir möchten den Begriff der Solidarität beziehungsweise Entsolidarisierung klären, die verschiedenen Ursachen, heutigen Ausprägungen und möglichen Zukunftsszenarios der Entsolidarisierung erläutern, Überlegungen zu den Auswir­kungen des Entsolidarisierungsprozesses auf die Soziale Arbeit anstellen und zu guter letzt Vorschläge ausarbeiten, wie die Soziale Arbeit im Suchtbereich einer immer unsolidarischer werdenden Gesellschaft begegnen soll.

Um dieses Hauptziel unserer Arbeit zu erreichen, möchten wir einerseits auf unsere eigenen Erfahrungen und Gedanken bezüglich der Entsolidarisierungs-Entwicklung in der Gesellschaft zurückgreifen, andererseits auch Meinungen und Überlegungen aus der Fachliteratur festhalten. Neben dem persönlichen Bestreben, uns der eigenen Kenntnisse und Ressourcen bewusster zu werden, hat die Verwendung von Fachliteratur zum Ziel, unser fachspezifisches Wissen zu erweitern und die eigene intellektuelle Neugier zu befriedigen. Zudem möchten wir mit unserer Arbeit Sozialtätige sowie Interessierte, die sich mit dem Phänomen der Entsolidarisierung und seinen Auswirkungen auf die Soziale Arbeit im Suchtbereich befassen, ansprechen.

1.3 Unsere Hypothesenthesen

Als Fundament unserer Arbeit dienten uns folgende Arbeitsthesen:

I. Suchtmittelabhängigkeit ist neben psychologischen Aspekten auch ein gesellschaftliches Phänomen, ein Signal für die Gesellschaft, dass eine Dis­harmonie unter ihren Mitgliedern besteht und Veränderungen dringend angezeigt sind.
II. Unsere Gesellschaft prägende Entwicklungen wie Leistungsdenken, Konsumismus, Individualisierung oder Institutionalisierung bedingen eine Entsolidarisierung der Gesellschaft.
III. Die Soziale Arbeit fließt mit im Strom des Zeitgeistes und unterstützt dadurch oft die Entsolidarisierung.
IV. Der durch die gesellschaftlichen Entwicklungen stattfindende Entsolida­risierungsprozess steigert das Suchtpotential.

Um diesen Arbeitsthesen nachgehen zu können, benützten wir verschiedene methodische Mittel. Durch formulieren der eigenen Hypothesen und Gedan­ken, vergleichen mit der gelesenen Fachliteratur, auslegen und niederschrei­ben der daraus gezogenen Erkenntnisse sowie mittels Sammeln von Ideen zur Beantwortung der Fragestellung und Ausarbeiten von Vorschlägen, näherten wir uns kontinuierlich dem Ziel unserer Recherchieren und der vorliegenden Endfassung. Bevor wir wirklich ins Thema einsteigen, sehen wir es als wichtig, den Begriff der Entsolidarisierung beziehungsweise Solidarität zu klären und definieren.

1.4 Eine Definition für die Solidarität

Der relativ häufig verwendete Begriff ‘Solidarität’ kann nach unserer Meinung ziemlich verschieden verstanden werden. Je nach Kontext und Sichtweise steht die Bezeichnung ‘Solidarität’ für ganz unterschiedliche Wörter. Allgemein umschrieben könnte Solidarität als ‘gesellschaftlicher Zusammenhalt’ bezeichnet werden, doch auch Loyalität oder Moralität, Konsens oder Kooperation, Mitgefühl oder Hilfeleistungen und einiges mehr könnten damit gemeint sein.

Um die Definitionsvielfalt von ‘Solidarität’ zu überblicken, hilft es unserer Meinung nach, zwischen gesamtgesellschaftlich gemeinten Definitionen und solchen zu unterscheiden, welche sich auf ein Verhältnis in einer Gruppe oder zwischen Menschen beziehen. Wir sehen einen grossen Unterschied darin, ob, wie beispielsweise in der Sozialpsychologie, Solidarität im Sinne von ‘Zusam­mengehörigkeitsgefühl’, ‘guten Beziehungen’, ‘Sympathie’ oder ‘Altruismus’ gemeint ist oder aber aus einer mehr soziologischen Warte als 'gesellschaft­liche Verbundenheit' verstanden wird.

Die vielfältige und etwas verwirrende Auslegung von Solidarität geht bis auf die Wurzeln des Begriffes zurück. Ursprünglich entstanden ist der Begriff aus der Rechtssprache. Mit ‘solidus’ oder ‘in solidum obligari’ war im römischen Recht die Haftung für das Ganze gemeint, genauer gesagt ein Zusammen­schluss von Schuldnern, die sich verpflichteten, bei Krediten für den Fall zu haften, dass der Hauptschuldner die geforderte Leistung nicht erbringen konnte (vgl. HONDRICH/KOCH-ARZBERGER 1992, S.10; vgl. KLEINE 1992, S.10). Aus dieser Umschreibung geht sowohl die Verantwortung für den einzelnen Menschen als auch das Gemeinwohl hervor.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde der römisch-rechtliche Begriff von der französischen Arbeiterbewegung zu einem politischen Kampfbegriff umge­münzt. Es entstand eine Art sprachliche Neuschöpfung, um dem aufgrund der industriellen Entwicklung sich ändernden Wirtschaftssystem ein neues gesell­schaftliches Bewusstsein entgegenzusetzen. Nach dem Zusammenbruch der mittel­alterlichen Ständegesellschaft war ein neuer Zusammenschluss der ver­schiedenen gesellschaftlichen Gruppen, insbesondere der Benachteiligten, zur Durchsetzung gemeinsamer Interessen notwendig (vgl. KLEINE 1992, S.10; vgl. HONDRICH/KOCH-ARZBERGER 1992, S.10). Interessanterweise entstanden bereits in dieser Zeit widersprüchliche oder zumindest verschiedene Ausle­gungen. Einerseits beinhaltete das Wort ‘Solidarität’ ein neuer Typus von sozialer Bindung, andererseits wurde der Begriff, insbesondere von seinen Wortführern, als Rückbesinnung auf das allgemein Menschliche und damit als Rückgriff auf frühere Bindungen verstanden.

Neben der Beschreibung des geschichtlichen Hintergrundes stießen wir während des Studiums der Fachliteratur auf Definitionsversuche, welche die Komplexität und Breite des Begriffes, wie wir meinen, gut ausdrücken. Im Staatslexikon lasen wir beispielsweise: "Näherhin bezeichnet die S.[Solidarität] die wechselseitige Verbundenheit von mehreren bzw. vielen Menschen, und zwar so, dass sie aufeinander angewiesen sind und ihre Ziele nur im Zusammenwirken erreichen können." (RAUSCHER o.A. S.1191) Weniger was Solidarität ist, sondern was sie bedeutet, umschrieb Jan Milic Lochmann folgendermaßen: "Solidarisch leben heißt, die «natürliche» Selbstbezogenheit unseres Denkens und Handelns im Einbeziehen von Lebensinteressen unserer Mitmenschen und Mitgeschöpfe korrigieren; Versuchungen der Apathie, Trägheit und des Unbeteiligtseins widerstehen; am Geschick der anderen, besonders der Benachteiligten, Anteil nehmen, ihre Last mittragen, für sie eintreten." (MILIC LOCHMANN 1984, S.8)

Eine weitere Tatsache, die mit der vielfältigen Auslegung und häufigen Verwendung des Begriffes zu tun haben könnte, schilderte Alva Myrdal: "«Solidarität» gehört zu den am allgemeinsten bejahten Zielsetzungen in unserem westlichen Kulturkreis. Niemand tritt gegen eine ethische Forderung nach Solidarität zwischen den Menschen auf. Aber äußerst wenige sind der Meinung, dass dieses Wort «Solidarität» eine verbindliche Wirkung habe." (MYRDAL 1977, S.518; zit. nach MILIC LOCHMAN u.a. 1984, S.7)

Anhand der verschiedenen Definitionen in der Fachlektüre haben wir fest­gestellt, dass unsere Sichtweise von Solidarität eine soziologische ist. Zwar kennen wir den Begriff auch im Zusammenhang mit der Bezeichnung eines Gruppengefühls oder dem Zusammenhalt einer spezifischen Gruppe. Grund­sätzlich und im Bezug auf unsere Arbeit meinen wir mit Solidarität jedoch nicht eine der unzähligen und immer wieder neu entstehenden Solidaritäten, son­dern vielmehr eine gesamtheitliche Verbundenheit und ein freiwilliges ‘Füreinander-Dasein’ über Gesellschaftsschichten, Kulturen und Nationen hinweg.

1.5 Nun eine Definition für Entsolidarisierung

Unter Entsolidarisierung verstehen wir ein Wegfokussieren vom Ganzen auf das Individuelle, eine Entfremdung und Entfernung von gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen und davon abgeleitet eine Abnahme von Verbundenheit und Rücksichtnahme in der Gesellschaft. So gesehen stehen für uns Aus­drücke wie 'Entmenschlichung' oder auch 'Entsozialisation' dieser Definition sehr nahe.

2 Das Phänomen Entsolidarisierung

Wie der Inhalt der Fragestellung verrät, gehen wir davon aus, dass in unserer Gesellschaft eine Entsolidarisierung stattfindet. Vielleicht mögen Sie sich daran gestört oder zumindest innegehalten und sich gefragt haben, ob dem wirklich so sei. Diese berechtigten Fragen und Zweifel möchten wir nicht einfach ablehnen. Anhand von vier verschiedenen Erklärungsansätzen wol­len wir deshalb erst einmal aufzeigen, weshalb wir der Meinung sind, dass es in unserer Gesellschaft zunehmend an Solidarität fehlt. Diese eigentliche Legitimation unserer Entsolidarisierungs-These beinhaltet Ausführungen darü­ber, wie die Existenz der Entsolidarisierung erklärt wird und wo wir die wesent­lichsten Ursachen für diese Entwicklung sehen.

Als nächstes nennen wir Beispiele, die wir als aktuelle Zeichen und Wirkungen der Entsolidarisierung ansehen. Schließlich interessiert uns in diesem Kapitel auch ein Blick in die Zukunft. Hypothetisch beschreiben wir, was dieser Prozess längerfristig bewirken könnte. Mittels dreier Zukunftsszenarios zeigen wir schließlich auf, wie darauf reagiert werden könnte.

2.1 Ursachen der Entsolidarisierung

2.1.1 Leistungsdenken

Ob beklagend-vorwurfsvoll oder einschüchternd-bedrängend, immer wieder bekommen wir zu hören, dass wir in einer Leistungsgesellschaft leben, in einer Zeit, in der es sich niemand mehr leisten könne, das ökonomische Moment auszublenden. Leistung wird zur Größe, an der man und frau sich misst. Wie stark ausgeprägt dieses Denken zurzeit ist, erleben wir tagtäglich. Beispiele dafür finden wir sowohl bei uns selber und im Umgang mit anderen Men­schen als auch in Zeitungsartikeln und Fachliteratur.

Dass es wirklich Leistung ist, was schließlich zählt, brachte, als eines von unzähligen Beispielen, kürzlich ein Mann so auf den Nenner: “Macht sie wieder funktionsfähig!“ (AMREIN 1997, S.41) verlangte er von Ärzt(inn)en und meinte damit seine depressive Frau. Zwecks Wiederherstellung ihrer Funktions- und Leistungsfähigkeit lieferte er sie in eine Psychiatrische Klinik ein. Gründe, weshalb die Krankheit erneut ausgebrochen war, interessierten ihn weniger, vielmehr verlangte er nach schnell wirksamen Medikamenten. (a.a.O. S.41) Der starke Einfluss der Leistung zeigt sich auch in unserem Sozialversicherungs­system. Grundsätzlich wird Erwerbsarbeit vorausgesetzt, um ein Anrecht auf Leistungen zu haben.

Die große Bedeutung der Leistung in unserer Gesellschaft betrachten wir als unbestritten. Etwas weniger geläufig dürfte jedoch die Verbindung zum Phänomen der Entsolidarisierung sein. In der Folge möchten wir deshalb aufzeigen, wie leistungsorientiertes Denken unserer Meinung nach als Erklä­rungsansatz zur Entsolidarisierung dienen kann.

Gleich zu Beginn halten wir es für wichtig, zwei Dinge vorauszuschicken. Erstens sind wir uns bewusst, dass das leistungsorientierte Denken nicht einfach so vom Himmel gefallen ist. Die globale Marktentwicklung verlangt von einer Nation, Gesellschaft oder einem Betrieb immer mehr Leistung, um weiterhin konkurrenzfähig zu bleiben und den bis anhin erreichten Wohlstand zu erhalten. Zweitens steht nach unserer Ansicht das leistungsorientierte Denken dem produktorientierten oder utilitaristischen Denken sehr nahe. Bei all diesen Betrachtungsweisen wird vor allem die materielle Nützlichkeit des Menschen als maßgebend betrachtet. Was dies zur Folge hat, möchten wir nun anhand eines Bildes anschaulicher aufzeigen.

Sieht man oder frau die Gesellschaft als Kette mit verschiedenen Gliedern, so verursacht der zunehmende Leistungsdruck, dass nach und nach einzelne Glieder dem Druck nicht mehr gewachsen sind und aus der Kette springen. Die Glieder, die aus der Gesellschaftskette hinausfallen, werden als Rand­gruppen von Drogenabhängigen, psychisch Kranken, Behinderten, ausge­steuerten Arbeitslosen und so weiter betrachtet. Die entstandenen Lücken werden zwar durch ein Zusammenrücken der anderen Glieder geschlossen, die Kette wird aber zusehends kleiner. Weil der Druck auf die gesamte Kette jedoch nicht zurückgeht, nimmt die Belastung der einzelnen Glieder zu. Dies wiederum hat zur Folge, dass die nächstschwächeren Glieder hinausspringen. Es besteht die Gefahr, dass sich dieser Prozess unaufhaltsam wiederholt und zu einem eigentlichen Teufelskreis wird.

Nach unserer Auffassung geschieht dieser Prozess, weil unsere Gesellschaft zu sehr leistungsorientiert ist oder sich zumindest vom Leistungsdruck überrollen lässt. Die vorwiegende Konzentration auf Leistung und Produkt haben unserer Meinung nach negative Auswirkungen. Das Fokussieren auf die Leistung vernachlässigt die Übersicht über grundsätzliche Abläufe eines gesamten Systems. Betrachtet man und frau in einem systemischen Ablauf nur das Endprodukt als wichtig, so droht der Mensch als Teil des Systems vergessen und in seiner Existenz gefährdet zu werden. Auch dies erklären wir gerne anhand einer Metapher etwas genauer.

Konzentrieren wir uns bei einem Baum nur auf seine Früchte und versuchen beispielsweise alle Äpfel möglichst glatt zu polieren und die faulen Äpfel ohne weitere Gedanken auszusortieren, besteht die Gefahr, dass immer mehr unverwertbare Früchte entstehen. Wenn der Grund der Fäulnis der Äpfel nie hinterfragt wird und Veränderungen am Baum oder Boden nicht wahr­genommen und behandelt werden, kann dies längerfristig den ganzen Baum bedrohen. Auf unser Beispiel bezogen würde dies bedeuten, dass das lei­stungsorientierte Denken den Fokus auf Menschen richtet, ohne nach den gesellschaftlichen Zusammenhängen zu fragen. Bei auftretenden Problemen wird die Lösung häufig beim Menschen gesucht und in erster Linie bei ihm angesetzt. Der Frage, was am Boden der Gesellschaft verändert werden könnte oder müsste, wird meist ausgewichen oder an ihr vorbeigesehen. Geteilt wird diese Ansicht von Enderle, der ausführt, dass in Erklärungen, warum die Armen arm seien, oft auf deren Unfähigkeit und Selbstverschulden hingewiesen würde (vgl. ENDERLE 1987, S.41).

Wie in den Bildern beschrieben, gefährdet das leistungsorientierte Denken nach unserer Ansicht den Zusammenhalt einer Gesellschaft. Solange die Gesellschaft den ausgegrenzten Menschen keine Möglichkeit anbieten kann, eine ihnen entsprechende, vielleicht nicht materiell mess- oder sichtbare Leistung zu erbringen und anzuerkennen, müssen die übriggebliebenen Glieder der Kette, um auf das erste Bild zurückzukommen, die gesamte Last tragen und zusätzlich für die Herausgefallenen aufkommen.

Dies ist solange tragbar, als die Randgruppen eine relativ kleine Minderheit darstellen. Wächst die Gruppe der Ausgegrenzten jedoch an, nähert sich der Belastungsdruck einer bedrohlich werdenden Größe, bei der auch ein tief verankerter Wert wie die Solidarität gesprengt werden könnte. Je größer die Randgruppen sind, desto belastender werden sie für den Kern der Gesell­schaft. Je größer die Last der Randgruppen wird, desto mehr entfernt sich der Kern der Gesellschaft von ihnen, grenzt aus und ist weniger bereit, für sie aufzukommen.

Unterstützung für diese mögliche Tendenz finden wir in den Beschreibungen von Karl Otto Hondrich: "Die Ausweitung des finanziellen Solidarnetzes ver­langt den Leistungsfähigen immer größere Geldbeträge ab, ohne dass noch ein funktionaler oder persönlicher Zusammenhang zu den Leistungsem­pfängern zu erkennen wäre. Resultat: Der Leistungswille derjenigen, die zur Kasse gebeten werden, erlahmt." (HONDRICH/KOCH-ARZBERGER 1992, S. 39)

Abgeleitet von unserem Bild formulierten wir die These, dass das leistungs­orientierte Denken nicht nur qualitativ immer hochstehendere, der Konkurrenz standhaltende Produkte hervorbringt, sondern unsere Gesellschaft als Ganzes auch immer mehr belastet, entsolidarisiert, ja gefährdet. Wenn in einer Gesell­schaft zusehends nur noch die Leistung der einzelnen Betriebe und Menschen zählt, verliert logischerweise das Gemeinwohl sowie der Staat mit seinen sozialen Richtlinien zunehmend an Bedeutung und Einfluss.

Diese These finden wir von Robert Kopp in seinem Buch ‘Solidarität in der Welt der 80er-Jahre: Leistungsgesellschaft und Sozialstaat’ bestätigt. Im Vorwort beschreibt der Autor, dass steigender Wohlstand und wachsende Sicherheit Produkte einer Gesellschaft seien, in welcher Leistung einen sehr hohen Stellenwert einnehme. Wenn Leistung jedoch nurmehr als Druck oder Zwang empfunden werde, könnten auch die Grundlagen des Sozialstaates in Frage gestellt und über seine Grenzen neu diskutiert werden (vgl. MILIC LOCHMAN u.a. 1984, S.4). Kopp spricht weiter von einem "Widerstreit zwischen Sozialstaat und Leistungsgesellschaft" (a.a.O. S.4) und meint, dass die Solidarität einer der Werte sei, auf die sich die Gesellschaft dringend rückbesinnen sollte.

Auch Franz Hochstrasser äußert sich in seinem Buch ‘Konsumismus und Soziale Arbeit’ zur Problematik der Leistungsgesellschaft und spürt als erstes ihre Wurzeln auf. Er findet sie bei der Tatsache, dass unsere Wirtschaft den Gesetzen des Kapitalismus unterliege und meint weiter, dass der Kapitalismus eine Wirtschaftsform sei, deren zentrales Merkmal es nicht etwa sei, den Menschen Lebensmittel im breitesten Sinne zur Verfügung zu stellen, sondern vielmehr einen möglichst grossen Profit irgendwelcher, auch abstrakter Art, zu erzielen (vgl. HOCHSTRASSER 1995, S.12).

Der Autor beschreibt, dass der Kapitalismus auf die industrialisierte Produktiv­kraft fixiert sei. Das Verhalten des Kapitalismus der Natur und damit auch dem Menschen gegenüber bezeichnet er als gewissermaßen inexistent, obwohl auch Nichtverhalten ein Verhältnis sei. Als konkrete Schattenseiten des Kapi­talismus nennt er die technologischen Gefahren, Ökokatastrophen sowie Überflussrisiken, welche durch Verschwendung oder dadurch entstehen, dass selbst Brauchbares, infolge Überproduktion, immer wieder der Vernichtung zuge­führt wird. (a.a.O. S.15) Im Weiteren werden laut Hochstrasser auch die sozialen, gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse über den Warenfetisch zumindest für das Bewusstsein ausgelöscht. (a.a.O. S.13)

Bisher lag der Akzent, auch in der kapitalistisch verfassten Ökonomie, ein­deutig auf der Produktionssphäre. Dieser Sicht entstammen auch Ausdrücke wie ‘Arbeits- oder Leistungsgesellschaft’. Hochstrasser ist der Meinung, dass sich heute eine zuneh­mende Gewichtsverlagerung beobachten lässt. "Das Gewicht verschiebt sich von der Produktion zur Konsumtion." (HOCHSTRASSER 1995, S.17) Mit dieser Aussage leitet der Autor von der unbestritten zentralen Bedeutung der Produktion in unserer Gesellschaft über zum Thema des Konsums der produzierten Dinge. Unter dem Stichwort ‘Konsumismus’ ent­wickelt er dabei einen neuen Erklärungsansatz, den wir im nächsten Kapitel genauer vorstellen wollen.

2.1.2 Konsumismus

‘Konsumismus’ als Erklärungsansatz der Entsolidarisierung baut eigentlich auf dem des Leistungsdenkens auf und schließt das Phänomen der Individuali­sierung, dem wir dann das nächste Kapitel widmen, mitein. Die Gedanken zu diesem Ansatz stammen weitgehend von Franz Hochstrasser, auf den wir in der Folge öfter zurückkommen werden. Mit ‘Konsumismus’ meint Hochstrasser eine gesellschaftliche Organisationsform, in der es Konsum gibt, der nur um seiner selbst willen stattfindet (vgl. HOCHSTRASSER 1995, S.20). Dieser sogenan­nte ‘Überkonsum’ wird laut dem Autor durch den Kapitalismus und die ihm gesetzmäßig unterliegende Überproduktion ermöglicht. Wie bereits erwähnt, liegt der Grund für Überproduktion im ökonomischen Verwertungsinteresse und nicht in bedürfnisorientierter Menschenfreundlichkeit. Da eine waren­produzierende Gesellschaft nur dann funktionieren kann, wenn die produzier­ten Güter konsumiert werden, ist der Mensch sozusagen zum Konsum ver­pflichtet. Der Autor Anders drückt dies so aus: "Nicht unter dem 'Fluch der Arbeit' leben wir, sondern unter dem der Muße" (ANDERS 1986, S.170; zit. nach HOCHSTRASSER 1995, S.19).

Einen weiteren Grund für die Zunahme des Konsums sehen wir in der durch die Produktivitätssteigerung gewachsenen Freizeit. Der neueröffnete Freiraum wurde und wird zu einem grossen Teil mit Konsum gefüllt, was ganz den Absichten der Produzenten entsprechen dürfte. Anzumerken ist, dass der Teil der neuentstandenen Freizeit grundsätzlich für Männer wesentlich größer ist als für Frauen, da die reproduktiven Tätigkeiten nach wie vor mehrheitlich auf sie überwälzt werden.

Interessant scheint uns auch die psychologische Betrachtung der Zunahme des Konsums von Rudolf Bahro. Er spricht von "kompensatorischen Interessen" (BAHRO 1977, S.322; zit. nach HOCHSTRASSER 1995, S.23) der Individuen, die sich durch Besitz und Verbrauch von möglichst vielen, möglichst wertvollen Dingen und Diensten dafür schadlos halten, dass sie in den eigentlich menschlichen Bedürfnissen zu kurz kommen. (a.a.O. S.23)

Die Gefahren des Konsumismus zeigt Hochstrasser auf, indem er der Frage nachgeht, was ‘gute’ Konsument(inn)en ausmachen würde. Er folgert, dass sie erstens unersättlich sein sollten und gute Ware demzufolge sättigungsverhindernd sein müsste und zudem die Unersättlichkeit fördern sollte.

Zweitens sollten gute Konsument(inn)en tendenziell wissenlos sein und insbe­sondere nicht danach streben, Zusammenhänge zu verstehen (vgl. HOCHSTRASSER 1995, S.27). Paradoxerweise wird dieser Zustand nach Grant McCracken von den Produzent(inn)en oft dadurch zu erreichen versucht, indem sie so täten, als würden sie informieren. Insgeheim würden die Unternehmer(innen) aber oft erhoffen, dass Konsument(inn)en durch die Informa­tionenflut verwirrt würden, ihre Entscheidungsfähigkeit verlören und schließlich unkritisch kauften und konsumierten (vgl. MCCRACKEN 1992, S.37; zit. nach HOCHSTRASSER 1995, S.27).

Als dritter und letzter Punkt wird ausgeführt, dass ‘gute’ Konsument(inn)en den Zusammenhang zwischen Konsumakt und Konsumeffekt nicht herstellen. Wie Hochstrasser in seinen Überlegungen erklärt, wird das Wissen über Sozial- oder Umweltverträglichkeit von Konsumierenden verselbständigt und dem Kon­sumhandlungskontext entzogen (vgl. HOCHSTRASSER 1995, S.31).

Konsumistischer Genuss ist nach Hochstrasser geprägt von sich steigernder Gier und Wiederholungslust, tendiert andererseits zu Passivität, Gleichgültigkeit und Lustlosigkeit. (a.a.O. S.36) Von den weitergehenden Folgen mahnt Mies und macht darauf aufmerksam, "dass es eben gerade jener Überfluss an Waren und materiellem Reichtum ist, der, angetrieben durch den Wachstums­fetischismus des Kapitals, nicht nur unsere natürlichen Grundlagen zerstört, sondern auch menschliches Leben und menschliches Glück" (MIES 1988, S.270; zit. nach HOCHSTRASSER 1995, S.37).

Die Grenzen des Konsumismus zeigen auch folgende Überlegungen auf. Als idealtypischer Konsum und förderlichstes Ziel des Konsumismus kann der maßlose Konsum bezeichnet werden. Allerdings darf durch die Maßlosigkeit die Konsumkraft nicht beeinträchtigt werden. Die Grenze der Maßlosigkeit befindet sich so gesehen dort, wo der idealtypische Konsum den Konsu­menten und damit seine Konsumfähigkeit einschränkt oder gefährdet (vgl. HOCHSTRASSER 1995, S.116). Die Problematik des idealtypischen Konsums äußert sich beispielhaft im Drogenkonsum.

Dabei ist zu erwähnen, dass in unserer Gesellschaft sehr widersprüchlich mit dem Konsum von Suchtmitteln umgegangen wird. Während die einen Süch­tigen als Zeugen der konsumistischen Werte gelten und ohne gesetzliche Sondermaßnahmen in der Gesellschaft integriert bleiben, werden andere als Gegner des Leistungsprinzips angesehen und gesetzlich wie gesellschaftlich ausgegrenzt. (a.a.O. S.107) Der Konsum legaler wie auch illegaler Suchtmittel zeigt aber in beiden Fällen, dass idealtypischer Konsum alles andere als ideal für die Gesellschaft und schließlich auch für den Konsu­mismus selbst ist. Der idealtypische Konsum gefährdet die Einhaltung einer maßvollen Maßlosigkeit und wie sich bei Süchtigen klar zeigt, ihre eigene Existenz und Konsumkraft. (a.a.O. S.113)

Inwiefern Konsumismus mit Entsolidarisierung zu tun hat, bringt Hochstrasser wie folgt auf den Punkt: "Insofern die Konsumenten zu Anhängseln der Waren geraten, Mittler für den Warenkonsum werden, Dingstatus annehmen - inso­fern dies geschieht, koppelt sich der Einlass ins Warenparadies mit der Aus­treibung aus dem Gesellschaftlichen. Als Quasidinge sind die Menschen entsozialisiert." (HOCHSTRASSER 1995, S.53)

2.1.3 Individualisierung

Das Phänomen der Individualisierung dürfte im Vergleich zum Ausdruck Konsu­mismus weitgehend bekannt sein. Deshalb beschränken wir uns auf eine kurze Zusammenfassung, was unter dem Begriff zu verstehen ist, um uns dann eingehender dem Zusammenhang zwischen der Individualisierung und der Entsolidarisierung anzunehmen.

Individualisierung wird als eine gesellschaftliche Dynamik beschrieben, die sich in der Auflösung der durch Religion, Tradition oder Staat vorgegebenen sozialen Lebensformen äußert (vgl. BECK/BECK-GERNSHEIM 1994, S.11). Konkret zeigt sich Individualisierung im brüchig werden von lebensweltlichen Kategorien wie Klasse und Stand, Geschlechterrollen, Familie, Nachbarschaft oder auch im Zusammenbruch staatlich verordneter Normalbiographien, Orientierungsrahmen und Leitbilder. (a.a.O. S.11)

Wie auch Beck und Beck-Gernsheim sehen wir als entscheidendes Merkmal von Individualisierungsprozessen nicht die Erlaubnis, sondern vielmehr die Er­fordernis von aktiver Eigenleistung der Individuen. Individualisierung ist jedoch nicht als Entwicklung zu Unbegrenztheit oder totaler Freiheit zu verstehen. Anstelle der alten, vorgegebenen Lebensformen treten neue institutionelle Anforderungen, Kontrollen und Zwänge. Beispielsweise über Arbeitsmarkt, Wohlfahrtsstaat und Bürokratie werden die Individuen in Netze von Regelun­gen, Maßgaben oder Anspruchsvoraussetzungen eingebunden. (a.a.O. S.12) Erwähnenswert scheint uns noch, dass die Individualisierung stark mit der Urbanisierung zusammenhängt und dass aufgrund der regionalen Unterschie­de nicht von einer individualisierten Gesellschaft gesprochen werden kann.

Wie sehr Individualisierung mit Entsolidarisierung zusammenhängt, wird aus der Fachliteratur immer wieder deutlich. "Chancen, Gefahren, Unsicherheiten der Biographie, die früher im Familienverbund, in der dörflichen Gemeinschaft, im Rückgriff auf ständische Regeln oder soziale Klassen definiert waren, müssen nun von den einzelnen selbst wahrgenommen, interpretiert, entschieden und bearbeitet werden. Die Folgen - Chancen wie Lasten - verlagern sich auf die Individuen, wobei diese freilich, angesichts der hohen Komplexität der gesell­schaftlichen Zusammenhänge, vielfach kaum in der Lage sind, die notwendig werdenden Entscheidungen fundiert zu treffen, in Abwägung von Interesse, Moral und Folgen." (BECK/BECK-GERNSHEIM 1994, S.15)

Ein Widerspruch besteht im weitern darin, einerseits staatliche Einrichtungen auf Individuen zuzuschneiden und von den einzelnen Menschen mehr Selb­ständigkeit und Verantwortung zu verlangen, andererseits aber auch mehr Solidarität zu fordern. "Man mag das Gemeinwohl mit einer Pflicht-Impfung in die Herzen der Menschen spritzen, die gerade heute wieder öffentlich heruntergebetete Litanei der verlorengegangenen Gemeinsamkeit ist dop­pelzüngig, doppelmoralisch, solange die Mechanik der Individualisierung intakt bleibt und niemand sie wirklich ernsthaft in Frage stellt - weder will noch kann." (a.a.O. S.14)

[...]

Ende der Leseprobe aus 71 Seiten

Details

Titel
Soziale Arbeit und Entsolidarisierung
Untertitel
Sozialarbeiterische Überlegungen zu gesellschaftlichen Themen
Note
Gut
Autoren
Jahr
2005
Seiten
71
Katalognummer
V83575
ISBN (eBook)
9783638872676
ISBN (Buch)
9783638872690
Dateigröße
923 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Was fehlt unserer Gesellschaft und wo liegen die tieferen Gründe der sich vielfältig zeigenden Missstände? - Seit einigen Jahren interessiert uns beide diese grundsätzliche Fragestellung. Nach Beginn der Schule für Soziale Arbeit entdeckten wir bald unsere ähnlichen Gedanken und philosophischen Überlegungen zu den Abläufen in der Gesellschaft. Viele gemeinsame Diskussionen drehten sich schließlich immer wieder um diese Frage. Unsere stetige Auseinandersetzung mit diesem Thema veränderte nach und nach unsere Sichtweise. Dadurch nahm unser Interesse zu, die Fragestellung konkret mit in die Arbeit mit Angehörigen einer Randgruppe zu nehmen und unsere Hypothesen zu überprüfen.
Schlagworte
Soziale, Arbeit, Entsolidarisierung
Arbeit zitieren
Prof. Social Manager M.A. Morris Setudegan (Autor:in)Daniel Freund (Autor:in), 2005, Soziale Arbeit und Entsolidarisierung , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83575

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