Die Mafia im ‚Paten’

Eine Untersuchung der Inszenierung des Phänomens Mafia in der Filmtrilogie 'Der Pate'


Bachelorarbeit, 2007

57 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Faszinationsgründe
2.1 Sympathie mit Gangster
2.2 Gewalt – Mord – Macht
2.3 US-kulturspezifisches Verständnis
2.4 Geheime Verschwörung
2.5 Reale Bezüge
2.5.1 Die ‚echten’ Paten
2.5.2 Die ‚echten’ Mafiosi
2.5.3 ‚Wahre’ Begebenheiten
2.5.3.1 Sinatra
2.5.3.2 Komitees
2.5.3.3 Kuba
2.5.4 Zeitgeist

3 Don
3.1 Macht
3.2 Parallelgesellschaft
3.3 Patronage – Klientelismus
3.4 Selbstjustiz – Helfer
3.5 Kapitalismus
3.6 Werte
3.7 Marlon Brando

4 Inszenierung
4.1 Parallelisierung
4.2 Theatralik
4.3 Kolorit
4.4 Generationswechsel – Rise and Fall

5 Schlussbemerkung

6 Quellenverzeichnis
6.1 Literatur
6.2 Internet
6.2 Sondermedien

7 Anhang

8 Eidesstattliche Erklärung

1. Einleitung

„(…) I am not writing about the Mafia; I am writing about (…) a mystique.“ (Smith 1975, S. 3).

Der Terminus Mafia im Titel dieser Arbeit ist in kursiver Schrift abgedruckt, weil die Recherchen diesbezüglich (besonders Dwight C. Smiths Buch „The Mafia Mystique“) ergaben, dass sich Mafia, ohne an dieser Stelle auf etymologische Analysen einzugehen, zu einem irreführenden Label entwickelt hat und mit seiner ursprünglichen Bedeutung nur noch wenig verbindet sowie inflationär gebraucht wird. „(...)‚Mafia’ has now become one of the most ubiquitos labels in American Society.“ (Smith 1975, S. 4).

Nicht nur in den USA, auch hierzulande ist die Etikettierung so stark stereotypisiert, dass auch bei geringstem Bezug zum Thema organisierte Kriminalität z.B. Analogien folgender Art gebildet werden: „Die Fußball-Mafia titulierte die Osterländer Volkszeitung in ihrer Wochenendausgabe vom 20./21. Mai 2006 einen Bericht über die Geschehnisse um den italienischen Fußballskandal vor der Weltmeisterschaft, „Massaker nach Mafia-Manier“ heißt ein Artikel in der Online-Ausgabe des Spiegels vom 5. Februar 2007 (Spiegel Online Website, Blutbad im China-Restaurant: 2007, online), in dem es um den sechsfachen Mord in einem China-Restaurant im niedersächsischen Sittensen geht, „Die Russen-Mafia – Das gefährlichste Verbrechersyndikat der Welt“ oder „Gejagt von der Polenmafia“ nannte Jürgen Roth, ein deutscher Publizist und angeblicher Experte in Sachen organisiertes Verbrechen, zwei seiner Bücher.

Die Liste der Beispiele ließe sich beliebig erweitern und deutet tatsächlich auf eine allgegenwärtige Präsenz der Vokabel auch in der hiesigen Medienlandschaft hin: „Der Begriff Mafia wird in der Öffentlichkeit für zahlreiche Verbrechersyndikate und -banden in aller Welt verwandt, oft synonym für die Organisierte Kriminalität.“ (Bornpower Website 2007, online).

Das Wort Mafia taucht nur selten explizit in der Filmtrilogie Der Pate auf, z.B. in einer Szene in Der Pate – Teil 2, in der Michael Corleone von einem Untersuchungsausschuss eine Erklärung verliest, in der er sich von den an ihn gerichteten Anschuldigungen distanziert: „That no proof linking me to any criminal conspiracy whether it is called Mafia or Cosa Nostra or whatever other name you wish to give has ever been made public.“ (Der Pate – Teil 2).

Aber implizit war dem US-amerikanischen Zuschauer klar, um wen es auf der Leinwand geht. Nicht ohne Grund forderte die Italian-American Civil Rights League, eine Organisation, deren Absicht es u.a. war, das Vorurteil zu bekämpfen, alle Italiener seien Mafiosi (vgl. Wikipedia Website, Der Pate (Film): 2007, online), dass im Film Der Pate die Wörter Mafia und Cosa Nostra nicht vorkommen: „The league also secured an agreement from Al Ruddy, the producer of The Godfather, to omit the terms ‚Mafia’ and ‚Cosa Nostra’ from the film’s dialogue (…).“ (Wikipedia Website, Italian-American Civil Rights League: 2007, online).

Auch in der Dokumentation „The Godfather and the Mob“ wird die Angst vieler Italo-Amerikaner vor einer Diskreditierung ihrer Bevölkerungsgruppe durch das im Film vermittelte Image thematisiert. Im Hollywood-Streifen selbst findet die Problematik Widerhall in einem Plädoyer des Senators Geary für den Unterschied zwischen italienischstämmigen US-Bürgern und Mafiosi. Die Bemühungen der Italian-American Civil Rights League zeigen deren Befürchtung einer falschen, generalisierenden Verwendung des Labels Mafia, der ich in meiner Arbeit keinen Vorschub leisten möchte und deswegen das Wort Mafia immer markiere.

Für den Autor des Romans und Co-Autor des Drehbuchs Der Pate, Mario Puzo, spielte die Bezeichnung Mafia wohl eine untergeordnete Rolle: „The ‚Mafia’ label for Puzo was less important than a story about men whose criminal identification (…) had been presaged by what Joe Valachi told the McClellan subcommittee in 1963 about ‚families’, ‚dons’, ‚wars’ and ‚soldiers’ (…).“ (Smith 1975, S. 253; vgl. Kapitel ‚2.5.3.2 Komitees’). Aber unabhängig von der Bezeichnung, muss er sich doch den Vorwurf gefallen lassen, bestimmte Vorstellungen in der öffentlichen Meinung zu bedienen und damit ein unrealistisches Bild von der Mafia zu zeichnen, wenngleich sein Roman natürlich eigentlich nur fiktionalen Charakter besitzt: „The Godfather as a contributor to generally held images about organized crime (…).“ (Smith 1975, S. 277; vgl. Kapitel ‚2.5.3.2 Komitees’). Unbestreitbar ist und bleibt die Wirkung seiner Erzählung auf das Image, dass viele Zuschauer nach dem Film mit dem organisierten Verbrechen sizilianischen Typus in den USA verknüpfen: „(…) the reflected glory of Mario Puzo’s Vito Corleone. His success is evidence of the impact, that a sufficiently credible fictional narrative can have on our view of the real world. “ (Smith 1975, S. 90).

Es geht in dieser Arbeit weniger um eine fundierte Analyse des Begriffes Mafia als vielmehr um die Motive und Konzepte, die der Film damit verbindet, ergo was Der Pate dem Zuschauer als Mafia präsentiert.

Die Trilogie gilt als einflussreiches und bedeutendes Werk. Der erste Teil machte seinen Regisseur und v.a. Al Pacino als Schauspieler bekannt, Marlon Brando gelang mit der Rolle des Don ein umjubeltes Comeback. Im zweiten Teil ging der Stern des jungen Robert De Niro auf, der für seine Interpretation des jungen Patriarchen einen Oscar erhielt. Die Filme waren auch an der Kinokasse sehr erfolgreich und wurden von der US-amerikanischen Academy of Motion Picture Arts and Sciences mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht. Dass Der Pate im medialen Diskurs immer noch zitiert wird, spricht für seine starke kulturhistorische Wirkung. Beispiele, wie das erst im letzen Jahr veröffentlichte Videospiel „The Godfather: The Game“ oder die in Deutschland in diesem Jahr ausgestrahlte Episode der Zeichentrickserie Die Simpsons mit dem Titel „Der Koch, der Mafioso, die Frau und ihr Homer“ (vgl. Simpsonspedia Website, Der Koch, der Mafioso, die Frau und ihr Homer: 2007, online), in der direkt auf das filmische Vorbild Bezug genommen wurde, deuten auf ein nach wie vor bestehendes Interesse am Thema hin.

Hauptsächliches Ziel dieser Arbeit soll es sein, den Versuch zu unternehmen, den Erfolg der Filme zu begründen und zumindest partiell ihre Faszinationskraft zu dechiffrieren. Die angewandte Methodik kann dabei nicht als empirisch bezeichnet werden. Es handelt sich vielmehr um heuristische Überlegungen, aufbauend und referierend auf Untersuchung anderer Autoren.

Um den Inhalt der filmischen Handlung grob zu skizzieren, sei an dieser Stelle die Erzählung kurz zusammengefasst: In Der Pate lehnt es Don Corleone ab, ins Rauschgiftgeschäft einzusteigen, woraufhin man einen Mordanschlag auf ihn ausübt und sein ältester Sohn in eine tödliche Falle gerät. Ausgerechnet sein jüngster Sohn Michael, der sich stets von den Machenschaften seiner Familie distanziert, tritt Don Corleones Nachfolge an. (vgl. Dieter Wunderlich Website, Der Pate: 2007, online). Der zweite Teil stellt den Werdegang des Vaters Vito Corleone vom einsamen sizilianischen Immigrantenkind zum Boss einer mächtigen Mafia -Organisation der Entwicklung seines Sohnes Michael gegenüber, der versucht seinen Geschäftsbereich zu erweitern und sich dabei aber von seiner Familie entfernt. In Der Pate – Teil 3 strebt Michael schließlich die komplette Legalisierung seines Unternehmens an und versucht, mittels eines bestechlichen Kardinals in eine von der Vatikan-Bank dominierte Immobiliengesellschaft einzukaufen (vgl. Dieter Wunderlich Website, Der Pate III: 2007, online). Am Ende wird seine geliebte Tochter durch einen an ihn gerichteten Anschlag getötet.

Zur Gliederung dieser Arbeit muss erläuternd erwähnt werden, dass die Kapitel-Themen relativ intuitiv ausgewählt wurden, einerseits aufgrund des vorhandenen Quellenmaterials, andererseits da sie am interessantesten anmuteten und dem Anspruch, dem Phänomen Der Pate, so weit es im diesem Rahmen einer Bachelorarbeit möglich ist, am nächsten zu kommen schienen. Als größtes Problem kristallisierten sich dabei thematische Überschneidungen heraus, die hoffentlich einer strukturierten und nachvollziehbaren Rezeption nicht allzu sehr im Wege stehen.

Die einleitenden Gedanken abschließend sei noch auf die persönliche Motivation an der Beschäftigung mit der Filmtrilogie hingewiesen. An der einen oder anderen Stelle erkennt der Autor durchaus Parallelen zu eigenem Erlebten bzw. hat Verständnis für das Gezeigte, was für den Verfasser eine ganz besondere Faszinationskraft ausübt und auch nach mehrfacher Rezeption wenig von seiner unerklärlichen und starken Wirkung verloren hat.

2. Faszinationsgründe

Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, welche Gründe zum Erfolg der Filmtrilogie beigetragen haben, und inwiefern das Interesse durch US-kulturspezifische, zeitgeistliche und diverser anderer Faktoren erklärbar ist. Dabei werden in diesem Abschnitt nur erste Betrachtungen angestellt, die Frage nach den Faszinationsgründen wird sich aber durch die gesamte Arbeit ziehen und an vielen Stellen wieder in den Vordergrund rücken.

Die Ursachen für die Faszination am Thema Mafia in der kulturhistorischen Verarbeitung durch Filme bis in die Gegenwart sind schwierig zu bestimmen. Trotzdem soll mit dieser Arbeit der Versuch unternommen werden, basale Strukturen zu beschreiben, die sich evtl. nicht nur im ‚Paten’ lokalisieren lassen, sondern auch in anderen Erzählungen von und über die Mafia Anklang finden, wenngleich der Fokus auf erstgenanntem liegt. Ziel ist es also, intersubjektive Determinanten zu finden, die die Aufmerksamkeit des Publikums für das Thema explizieren. Dabei kann die folgende Suche nach den Faszinationsgründen nur als spekulativ bezeichnet werden. Die Liste der aufgeführten Aspekte erhebt keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll lediglich einige Gesichtspunkte in den Brennpunkt der Betrachtungen rücken.

2.1 Sympathie mit Gangster

„Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, dass [sic] wir um so wärmer sympathisieren, je weniger wir Gehilfen darin haben; dass wir dem, den die Welt ausstößt, unsere Tränen in die Wüste nachtragen. (…) Dies ist es, was uns (…) an die so äußerst unmoralischen Jaunerhorden festbindet.“ (Schiller 1782, online).

Schillers Reflexionen zu den ‚Räubern’ lassen sich durchaus auf den ‚Paten’ übertragen. Die filmische Umsetzung der Mafia -Saga rückt die Protagonisten Vito und Michael Corleone unweigerlich in den Mittelpunkt und führt so zu einer Art Identifikation des Rezipienten mit den beiden Figuren. Bei Filmen wie GoodFellas von Scorsese ist dieses Phänomen vielleicht noch mehr ausgeprägt als bei Coppola, da Scorsese für dieses Phänomen förderliche Stilmittel benutzt, die die Distanz zwischen Zuschauer und Akteur noch stärker abbauen. Nichtsdestotrotz lässt sich aber auch bei den ‚Godfathers’ diese Grundtendenz erkennen. Trotz oder vielleicht auch gerade aufgrund der Gewalt und Rücksichtslosigkeit der Protagonisten, kann sich der Rezipient einem empathischen Miterleben schwer entziehen.

Beim ‚Paten’ muss im speziellen noch das historische Bild berücksichtigt werden, das Erhard Stölting mit dem Begriff „sehnsuchtsvolle Identifikation“ (Stölting 1987, S. 14) beschreibt. Gemeint ist ein gewisses emotionales Sichgleichsetzen mit dem Mafioso bezüglich des historischen Bildes des Mafioso als Gentleman, das der ein oder andere Zuschauer als Image im Hinterkopf haben könnte.

2.2 Gewalt – Mord – Macht

„Vielleicht genießen wir doch einfach den Exzess, genießen einander zuzugucken, wenn wir uns umbringen. Vielleicht genießen wir die Brutalität, die Zynismen, die abgründig-ungerührte Schonungslosigkeit des Blicks, würden es aber nie zugeben.“(Suchsland 2005, online). Was Rüdiger Suchsland in seiner Rezension des Buches „Der Pate kehrt zurück“ beschreibt, findet sich auch in Jörg Friedrichs Filmkritik zu Der Pate: der Zuschauer bewundert die Gewalt (vgl. Friedrich 1972, S. 659).

Diesen Gedankengang weitergeführt, lässt sich annehmen, dass sich evtl. hinter den expliziten Gewaltdarstellungen, die den Film sicherlich visuell prägen, ein anderer Faszinationsgrund verbirgt: die Sehnsucht nach Macht im Sinne Nietzsches: „Diese Welt ist der Wille zur Macht – und nichts außerdem!“ (Nietzsche 1954, S. 916).

Zweifelsohne sind die Handlungen des ‚Paten’ in der Lage, Omnipotenz-Fantasien zu beflügeln. Don Corleone, so erfährt man schon recht früh im Film, setzt sich durch, mit allen Mitteln. So erzählt sein Sohn Michael seiner Freundin in der Anfangssequenz eine Begebenheit, in der sein Vater eine Unterschrift von jemandem erzwang, indem er eine geladene Schusswaffe an dessen Kopf halten liess: „My father made him an offer he couldn’t refuse. Luca Brasi held a gun to his head, and my father assured him that either his brain, or his signature, would be on the contract.“ (Der Pate).

Der Patriarch verkörpert eine Macht, die auch Michael zuteil wird, und die er einzusetzen lernt. In Der Pate – Teil 2 konstatiert er nüchtern: „If anything in this life is certain – if history has taught us anything – it’s that you can kill anybody.“ (Der Pate – Teil 2).

Jörg Friedrich findet bei seinen Betrachtungen eine US-kulturspezifische, politische Legitimation für derartige Denkweisen beim nordamerikanischen Publikum: „(…) gerade die Ohnmacht, in die das kapitalistische Zwangsgesetz das Kleinbürgertum fesselt, erzeugt die heimliche Sehnsucht nach radikalen Lösungen.“ (Friedrich 1972, S. 654). Er entlarvt das offensichtliche Verständnis bzw. die Nachvollziehbarkeit für die Handlungen der Leinwandhelden als unterschwellig schwelenden politischen Konflikt, als Ausdruck der Unzufriedenheit einer ganzen gesellschaftlichen Klasse.

2.3 US-kulturspezifisches Verständnis

Den vielleicht interessantesten Versuch, der Faszination Mafia im Film auf die Spur zu kommen unternimmt Edward Mitchell. Er beschreibt drei Grundmuster des Gangsterfim-Genres (zählt Der Pate dazu): „(…) a secularized Puritanism; the ideas and attitudes that came to be known as Social Darwinism; and the Horatio Alger myth.“ (Mitchell 2003, S. 219).

Der säkularisierte Puritanismus ist eine religiöse Geisteshaltung im Sinne Calvins: Menschen würden in Sünde geboren und nur einige von Gott erlöst (materieller Reichtum als Zeichen der göttlichen Auserwähltheit). Auch wenn Gott später im Zuge sozialdarwinistischer Theorien durch das Gesetz des „Survival of the Fittest“ (Wikipedia Website, Survival of the Fittest: 2007, online) ersetzt wurde, blieb die grundsätzliche These eines Determinismus durch externe Einflüsse bestehen.

Hinsichtlich der Kriterien externer Einflüsse und dem Überleben des Angepasstesten lässt sich leicht die Brücke zu Der Pate – Teil 2 schlagen. Michael Corleone schafft es, die Macht seines Clans gegen rivalisierende Familien zu verteidigen, Verräter zu entlarven, Untersuchungsausschüsse zu überstehen und sich veränderten politischen und ökonomischen Bedingungen zu assimilieren (vgl. Mitchell 2003, S. 224).

Puritanismus und Sozialdarwinismus „(...) served as a rationalization for economic and geographic rapaciousness (...).“ (Mitchell 2003, S. 220). Wenn man Michaels Mordserie in Der Pate nicht nur als Schutz der Familie interpretiert, und seine Bemühungen in Der Pate – Teil 2, wo er geschäftlich Anstrengungen unternimmt auch an der Westküste Nordamerikas und in Kuba Fuß zu fassen nicht als bloßen Versuch deutet in die komplette Legalität zu wechseln, erklärt sich so unter Umständen ein weiterer Aspekt der Faszination der Filme in den USA. Die in den Staaten immer noch existierenden geistigen Strömungen lieferten hier womöglich eine Legitimation der Aktionen des Protagonisten.

Im Zusammenhang mit Puritanismus und Sozialdarwinismus sieht Mitchell den US-kulturspezifischen Horatio Alger Mythos. Horatio Alger war ein amerikanischer Autor, der im 19. Jahrhundert zahlreiche Romane mit wiederkehrenden Handlungsmustern beschrieb, die den Amerikanischen Traum vom „Tellerwäscher zum Millionär“ („from rags to riches“) thematisieren (vgl. Wikipedia Website, Vom Tellerwäscher zum Millionär: 2007, online).

Die Grundgedanken Horatio Algers lassen sich z.B. in Der Pate – Teil 2 wieder finden. „The Hero is a young lad, who (…) has been separated from his family and deprived of his rightful inheritance. The chief task of the hero is (...) to rise from his status as urban waif to a position of monetary security and respectability.“ (Mitchell 2003, S. 220). Vito Corleone wurde in der Tat von seiner Familie getrennt und verließ das heimische Sizilien Anfang des vorigen Jahrhunderts in Richtung USA um dort einen enormen sozioökonomischen Aufstieg zu schaffen. Bezüglich der Gewinnung von Respekt, formuliert sein Sohn Michael auch an einer Stelle, dass er nie einen Mann von größerem Respekt gekannt habe.

„Thus the Alger hero’s task is not so much to earn his success as it is to maintain his traditionel values (…).“ (Mitchell 2003, S. 221). Auch im Hinblick auf diesen Aspekt, sind Parallelen zum Film erkennbar. Vito Corleone steht praktisch Synonym für eine Rückwärtsgewandtheit in Richtung seiner sizilianischen Wurzeln und den damit verbundenen Werten und Moralkodizes.

Auch Dwight C. Smith sieht im alten Don die Verkörperung des Mythos: „He is a real Horatio Alger hero in gangster garb (…).“ (Smith 1975, S. 278).

Edward Mitchell weist in seinen abschließenden Ausführungen seines Aufsatzes „Apes and Essences“ daraufhin, dass der Gangsterfilm seine Faszinationskraft aus der Widersprüchlichkeit von Puritanismus/Sozialdarwinismus und Horatio Alger zieht (vgl. Mitchell 2003, S. 227). Die Determination des Protagonisten durch äußere Umstände vs. dem Aufbegehren des Akteurs gegen diese, sei im amerikanischen kollektiven Gedächtnis verankert und werde auf der Leinwand reflektiert.

2.4 Geheime Verschwörung

Zum Abschluss dieser einführenden Betrachtungen zu den Faszinationsgründen des Mafia -Films, soll auch ein Topoi nicht unerwähnt bleiben, welches immer wieder in fiktionalen als auch nonfiktionalen Diskursen auftaucht: die Verschwörungstheorie. Coppola versucht durch seine Inszenierung offensichtlich die Möglichkeit einer verschwörerischen Geheimorganisation (in diesem Fall die Mafia), die die politischen und wirtschaftlichen Fäden im Hintergrund zieht, offen zu halten. Dies verdeutlichen z.B. die heimlichen Treffen, die korrupten Polizisten oder die Kontakte zu Regierungsvertretern. Allein die Darstellung der geheimen Audienzen des ‚Paten’ in einem abgedunkelten Raum zu Beginn des Films, suggerieren dem Publikum eine Macht, die sich im Verborgenen hält und gerade deswegen so mächtig ist. Der Pate ist also auch „(…) a saga of a giant, silent empire (…).“ (Smith 1975, S. 280).

Auf einige der bis hier aufgeführten Aspekte, wird im Kapitel ‚3. Don’ näher eingegangen.

2.5 Reale Bezüge

Beträchtlichen Anteil seiner Faszination zieht der Film auch aus der Spekulation über die realen Bezüge. Der Zuschauer fragt sich, ob oder inwieweit das Gezeigte tatsächlichen Ereignissen und Begebenheiten entlehnt ist. Die Thematik Mafia motivierte in der Vergangenheit eine Vielzahl von Autoren und Filmemachern, sich des Phänomens anzunehmen und es medial zu verarbeiten. Außergewöhnliche Geschehnisse, die dem Konzept Mafia zugeschrieben wurden, dienten dabei häufig als Inspirationsquelle für diese Geschichten.

„Fact, fiction, and mythology are now inextricably mixed.“ (Smith 1975, S. 4).

Auch wenn der Mehrzahl der Produktionen eindeutig das Attribut fiktional angehängt werden muss, hält sich im kollektiven Gedächtnis hartnäckig der Glaube, dass den Erzählungen ein wahrer Kern innewohnt, das sie auf tatsächliche Ereignisse und Personen verweisen und diese in einer bestimmten, wenn auch stark verzerrten, Art und Weise widerspiegeln (vgl. Wikipedia Website, Liste der Mafiafilme: 2007, online). Dabei ist den Rezipienten meist nicht bewusst, dass diese Erzählungen nur auf Mutmaßungen, Indizien und Medienberichten beruhen, aber keinesfalls auf bewiesenen Fakten. Die Filme oder Bücher spinnen vielmehr einen Faden weiter, dessen Anfang und Ende sie nicht kennen.

Wie wenig Realitätsgehalt in Filmen wie Der Pate steckt, veranschaulicht ein Auszug aus einem Chat-Interview mit Giorgio Basile auf Spiegel Online vom 17.11.2005. Basile wuchs als Gastarbeitersohn im Ruhrgebiet auf und wurde Killer in Kalabriens Mafia -Organisation ’Ndrangheta. Die Aussagen des mittlerweile unter dem Kronzeugenschutzprogramm der italienischen Justiz stehenden, gebürtigen Italieners war außerdem die Grundlage für Andreas Ulrichs Buch „Das Engelsgesicht“. Auf die Frage, welchen Mafia- Film (Der Pate, Goodfellas, Casino etc.) er am veritabelsten findet, antwortet er: „Ich glaube keiner von denen ist richtig authentisch, das sind alles Romane, das ist alles übertrieben, es sind Phantasie-Paten, die so in der Wirklichkeit nicht existieren, die Realität sieht anders aus.“ (Spiegel Online Website, Chat mit einem Ex-Mafioso: 2007, online).

2.5.1 Die ‚echten’ Paten

Mehreren Personen wird zugeschrieben, für Mario Puzos Figur des Oberhaupts des Corleone-Clans Pate gestanden zu haben. Neben Carlo Gambino, Francesco ‚Frank’ Scalise, Vito Genovese und Joseph Profaci wird vor allem Frank Costello immer wieder mit dem Charakter des Godfather in Verbindung gebracht.

Costello (siehe Abb. 1) gilt gemeinhin als einer der einflussreichsten Mafia -Bosse seiner Zeit. Ihm wird nachgesagt, weitreichende Verbindungen zu Politikern, Richtern und Polizisten unterhalten zu haben. Er erhielt deswegen den Spitznamen Prime Minister. Behauptungen zufolge, hat er sich diesen Einfluss durch Bestechungen erkauft. In den Bereich wilder Gerüchte fallen die Vermutungen, Costello hätte es dem damaligen FBI-Chef J. Edgar Hoover regelmäßig ermöglicht, bei Pferderennen zu gewinnen, wofür sich dieser mit dem steten Dementieren der Existenz einer Organisation wie der Mafia revanchierte. Puzos ‚Paten’ werden diese Kontakte zu Staatsmännern zum Verhängnis, als andere Mafia -Familien im Zuge der Etablierung des Drogengeschäfts im großen Stil verlangen, diese Kontakte für den Rauschgifthandel einzusetzen, wogegen sich Vito Corleone aus moralischen Beweggründen wehrt. Costellos Aussage „I detest the narcotics racket (…).“ (Smith 1975, S. 124) erhärtet den Verdacht, dass Costello Vorbild für den ‚Paten’ war, da Puzos Charakter ebenfalls den Drogenhandel ablehnt: „I believe this drug business is gonna destroy us in the years to come.“ (Der Pate). Gegen die Vermutung, Costello sei eines der bedeutendsten Vorlagen für den Godfather, spricht die Annahme, dass er nach einem Attentat zurücktrat, jedoch nicht wie im Roman zu Gunsten seines Sohnes, sondern wegen eines angeblichen Rivalen (vgl. Wikipedia Website, Frank Costello: 2007, online).

Das Attentat betreffend, kommt ein weiterer Kandidat ins Spiel: Francesco Scalise, der am 17. Juni 1957 einem Anschlag vor einem Obst- und Gemüseladen zum Opfer fiel. Dieser Überfall in der Arthur Avenue im Stadtteil Bronx von New York City könnte Inspiration für die Szene gewesen sein, in der Vito Corleone beim Kauf von Orangen von Pistolenschützen angegriffen wird. Im Gegensatz zu Scalise überlebt der ‚Pate’ (vgl. Wikipedia Website, Francesco Scalice: 2007, online).

Im zweiten Teil der Filmtrilogie, wird der Aufstieg des Immigrantenkindes Vito Andolini erzählt (durch ein Versehen bekommt er bei der Ankunft nach der Schiffsreise von Sizilien nach New York auf Ellis Island den Nachnamen seiner Heimatstadt Corleone). Als junger Mann betreibt Puzos Figur ein kleines Olivenölgeschäft, über welches er später Handelsbeziehungen bis nach Sizilien aufbaut. Dem Mafia -Boss Joseph Profaci, ebenfalls sizilianischer Einwanderer, wird nachgesagt, seine illegalen Aktivitäten durch legale Geschäfte wie den Import von Olivenöl, insbesondere natürlich aus Italien, getarnt zu haben (vgl. Wikipedia Website, Joseph Profaci: 2007, online). Die Parallelen zum ‚Paten’ sind unübersehbar.

Francis Ford Coppola äußerte sich zur Thematik der Vorbilder seines Filmhelden in einem Interview für den Playboy wie folgt:

„The character was a synthesis of Genovese and Joseph Profaci, but Genovese ordered his soldiers not to deal in drugs while he himself did just that (...); Profaci was dishonorable (...). The film Godfather would never double-cross anyone, but the real godfathers double-crossed people over and over.“ (Coppola 2004, S. 28).

Coppola bestätigt, dass Der Pate sich an realen Persönlichkeiten, oder zumindest das was man diesen Personen zuschreibt, orientiert, wobei er die starke fiktionale Komponente der medialen Umsetzung einräumt und ironisch feststellt: „(…) it wasn’t a documentary about Mafia chief Vito Genovese. It was Marlon Brando with Kleenex in his mouth.“ (Coppola 2004, S. 28).

2.5.2 Die ‚echten’ Mafiosi

Auch für andere Figuren außer dem ‚Paten’, bediente sich Mario Puzo realer Vorbilder. Einer der berühmt-berüchtigtsten Gangster in den USA des vorigen Jahrhunderts war wohl Meyer Lansky. In Der Pate – Teil 2 ist anzunehmen, dass die Figur des Hyman Roth starke Bezüge zu Lansky enthält (vgl. Wikipedia Website, Der Pate – Teil II: 2007, online). Roth ist, wie Lansky, ein jüdischer Gangster und plant mit Michael Corleone einen großen Coup im Glücksspielgeschäft auf Kuba. Meyer Lansky soll für den damaligen kubanischen Diktator Fulgencio Batista als Berater tätig gewesen sein (vgl. Wikipedia Website, Meyer Lansky: 2007, online). Die angeblichen guten Kontakte zum Oberhaupt des Inselstaates schimmern auch in der filmischen Umsetzung Coppolas hindurch und erklären die augenscheinliche Macht, die Hyman Roth im Film ausstrahlt.

Neben Meyer Lansky könnte aber auch Unterweltboss Arnold Rothstein, der u.a. Baseballspiele manipulierte, in den Charakter Hyman Roths eingeflossen sein (vgl. Wikipedia Website, Gezinkte Karten: 2007, online). Roth erwähnt Rothstein an einer Stelle explizit: „I’ve loved baseball ever since Arnold Rothstein fixed the World Series in 1919.“ (Der Pate – Teil 2). Ein weiteres Indiz pro der Theorie, Arnold Rothstein habe maßgeblichen Anteil an der Gestaltung der Figur Hyman Roths, ist natürlich die auffällige Ähnlichkeit der Nachnamen beider Personen, die sofort ins Auge sticht (vgl. Wikipedia Website, Arnold Rothstein: 2007, online).

Im Zusammenhang mit Hyman Roth muss eine weitere Gangster-Größe der USA des 20. Jahrhunderts genannt werden: Bugsy Siegel. Roth spricht im Film von einer Art brüderlichen Beziehung zu Moe Green, dessen Pendant wohl Siegel ist. „There was this kid I grew up with, he was younger than me. Sorta looked up to me, you know. (...) I loved him.“ (Der Pate – Teil 2) Da Meyer Lansky alias Hyman Roth tatsächlich mit Bugsy Siegel befreundet gewesen sein soll, leistet dies zusätzlich der Annahme Vorschub, dass Roth ein Synonym für Lansky sein könnte.

Die Rollen der Verräter besetzten die Figuren des Willie Cicci und Frank Pentangeli im zweiten Teil der Trilogie. Diese Charaktere sind wahrscheinlich Joseph Valachi nachempfunden, dessen Aussagen 1963 vor dem sog. „McClellan Committee“ (Smith 1975, S. 152) die Mafia stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rückte (vgl. Wapedia Website, Joe Valachi: 2007, online). Zum Thema Untersuchungsausschüsse mehr im Kapitel ‚2.5.3.2 Komitees’.

Zur Frage nach den ‚echten’ Mafiosi hinter den Filmprotagonisten muss erläutert werden, wie Mario Puzo bei der Recherche zu seinem Roman vorging. Er erkundigte sich z.B. bei Ed Walters (angeblicher Mafioso) in dem Casino „The Sands Regency“ in Reno im US-Bundesstaat Nevada über die Mafia und übernahm viele Anregungen für seine Geschichte. Bettye McCartt, Assistentin des Produzenten von The Godfather konstatiert in der der Fernsehdokumentation „The Godfather & The Mob“: „He used the stories that he heard and moved them into the godfather story.“ (The Godfather & The Mob). In der selben Sendung wird in diesem Zusammenhang von „first hand knowledge on the inner workings of the mafia“ gesprochen. Woraus sich diese Annahme ableitet ist mehr als unklar, basieren die Anekdoten Walters doch höchstwahrscheinlich auf Indizien, die keiner stichhaltigen Überprüfung standhalten würden. Es ist erstaunlich, wie sicher sich dennoch viele im Umfeld des Filmes scheinen oder dies zumindest vorgeben (evtl. um den Film weiterhin nicht dieses Reizes zu berauben), dass zumindest ein Fünkchen Wahrheit an der ein oder anderen Episode des Films ist. Womöglich sind die dargestellten Personen und Ereignisse schon zu sehr im kollektiven Gedächtnis der US-Amerikaner verankert, vielleicht bezieht der Film aber auch sein gesteigertes Interesse aus dem für möglich halten des Gesehenen, ohne genauer nach den Hintergründen zu fragen, um den ‚Zauber’ nicht aufzulösen.

Auch Fred J. Cook kommt in seinen Analysen aus unerfindlichen Gründen zu der Annahme: „The Godfather is deeply embedded in reality.“ (Cook 1969, S. 771). Er weist bei seinen Ausführungen darauf hin, dass Puzo Jugenderinnerungen einfließen ließ. Derartige Reminiszenzen können jedoch aufgrund ihrer extremen Subjektivität und verzerrten Wirklichkeitswahrnehmung wohl kaum als Anhaltspunkt für Darstellungen realer Verhältnisse dienen.

Mario Puzo selbst wirkt im Vergleich zu Cook geradezu bescheiden. Auf seiner offiziellen Internetseite ist unter der Überschrift „Confessions“ ein Zitat aus seinen autobiografischen Essays zu lesen, das den regelrechten Hype um die Spekulationen um den Wahrheitsgehalt seiner Erzählungen relativiert: „I’m ashamed to admit that I wrote The Godfather entirely from research. I never met a real honest-to-god gangster (...).“ (Mario Puzo Website, The Godfather Papers & Other Confessions: 2006, online).

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Ende der Leseprobe aus 57 Seiten

Details

Titel
Die Mafia im ‚Paten’
Untertitel
Eine Untersuchung der Inszenierung des Phänomens Mafia in der Filmtrilogie 'Der Pate'
Hochschule
Technische Universität Chemnitz
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
57
Katalognummer
V83583
ISBN (eBook)
9783638884266
ISBN (Buch)
9783638888844
Dateigröße
1146 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mafia, Untersuchung, Inszenierung, Brando, Pacino, DeNiro, Pate, Godfather, Don, Matthias, Weber, Paten, Phänomen, Film, Trilogie, Corleone, Sinatra
Arbeit zitieren
Matthias Weber (Autor:in), 2007, Die Mafia im ‚Paten’, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83583

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