Politische Urteilsbildung im Sozialkundeunterricht

Kann der Beutelsbacher Konsens den Schüler vor unzulässiger Beeinflussung des Politiklehrers schützen?


Seminararbeit, 2005

16 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

I. Einleitung und Themeneingrenzung

II. Hauptteil
A. Der Beutelsbacher Konsens - Platz und Berechtigung in der Didaktik der politischen Bildung
B. Die politische Urteilsbildung des Schülers - der Politiklehrer und sein Ziel (den Schüler zur eigenen politischen Urteilsbildung zu befähigen) als Ziel
C. Konkrete Handlungsanweisungen an Lehrer und Schüler, die „der Anerkennung und Wirksamkeit des B. K. dienen“[1]

III. Resümee

IV. Literaturverzeichnis–

I. Einleitung und Themeneingrenzung

Neben der Fähigkeit zu sozialem Handeln, muss man die politische Urteilsfähigkeit „zu den wichtigsten Zielen des politischen Unterrichts zählen“[2] – das ist auch in der Politikdidaktik unumstrittener Konsens, quer durch die didaktischen Lager.

In meiner Arbeit soll es aber weniger um die Frage nach dem ‚Was ist ein politisches Urteil?’, als vielmehr darum gehen, wie die Schüler zu ihren politischen Urteilen gelangen und ob der Politiklehrer[3] bewusst oder unbewusst auf Inhalt und Qualität des Urteils Einfluss nimmt. Der Beutelsbacher Konsens (B.K.), bietet bezüglich meiner Fragestellung den didaktischen Hintergrund für die Arbeit. Ich will versuchen zu klären, ob der B.K. den Lehrer davor schützen kann, seine Schüler in Bezug auf ihre politische Urteilsfähigkeit und ihre politischen Urteile in unangemessener Form zu beeinflussen.

Im ersten Teil werde ich Form und Inhalt des Beutelsbacher Konsenses darstellen und dabei versuchen, seinen Platz und seine Berechtigung in der Didaktik der Politik nachzuweisen.

Unter B. steht die politische Urteilsbildung und -fähigkeit im Mittelpunkt meines Interesses, wobei ich dabei vor allem auf die Rolle des Lehrers im Urteilsbildungsprozess des Schülers eingehen will.

Im dritten Teil meiner Arbeit will ich dann versuchen, konkrete Handlungsanweisungen an Schüler und Lehrer zu stellen, die zur Umsetzung des Beutelsbacher Konsenses beitragen. Ich werde mich dabei vor allem nach Wolfgang Hilligen und Dieter Grosser richten, die sich, zehn Jahre nach der Tagung in Beutelsbach, Gedanken zu diesem Thema gemacht haben.

II. Hauptteil

A. Der Beutelsbacher Konsens - Platz und Berechtigung in der Didaktik der politischen Bildung

Ausgelöst durch den Streit um „die Hessischen Rahmenrichtlinien für Gesellschaftslehre, die 1972 erschienen“[4] waren und von einigen Eltern und der Opposition als marxistisch verurteilt wurden, wurde die politische Bildung zum Spielball zweier politischer Lager, der regierenden SPD und der sich in Opposition befindlichen CDU.

„Der Konflikt war Mittel im Rahmen der politischen Strategie“[5] der CDU, die versuchte „Bedrohungen auf dem Feld der Bildungspolitik in den SPD-regierten Ländern den Wählern wahrscheinlich zu machen“[6]. Auswirkungen hatte dieses Verhalten vor allem auf die Didaktik der politischen Bildung, deren Vertreter nun „selber zu politischen Akteuren“[7] instrumentalisiert wurden. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Didaktik „ausdifferenziert, aber nicht in zwei gegensätzliche Lager, sondern in vier oder fünf, sechs unterschiedliche kontroverse Richtungen“[8], nun waren sie entweder für oder gegen die Rahmenrichtlinien und Schulbuchinhalte, für oder gegen die Politik einer der großen Parteien.

„Der Streit der Pädagogen geriet unversehens zur Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“[9] konstatiert Hans-Georg Wehling in seinem Beitrag zum Konsensproblem in der politischen Bildung schon 1977.

1976 trafen sich die führenden Politikdidaktiker in Beutelsbach auf Initiative der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, um zu versuchen, „den wissenschaftlichen Diskurs in der politischen Didaktik wiederherzustellen“[10].

Es handelt sich bei dem Beutelsbacher Konsens, der als Ergebnis aus der Tagung hervorging, jedoch nicht um „ein Abkommen, oder gar einen Vertrag […], sondern lediglich um von Hans-Georg Wehling formulierte Protokollpunkte […], denen niemand widersprochen hat.“[11]

Hans-Georg Wehling kommentiert den Konsens in seinem Beitrag in Siegfried Schieles und Herbert Schneiders Büchlein „Das Konsensproblem in der politischen Bildung“ von 1977 selber wie folgt:

Das Expertengespräch von Beutelsbach diente der Klarstellung von Positionen und der Erkundung von Konsensmöglichkeiten. Ein Auftrag, einen Konsens – etwa in Form eines Lehrplanes – nun auch tatsächlich zu produzieren, war nicht gegeben. So kann es sich an dieser Stelle nur darum handeln, zu skizzieren, wo der Verfasser nach seinen – zugegebenermaßen subjektiven – Eindrücken einen Konsens für möglich hält, einen Konsens zwischen so unterschiedlichen wissenschaftstheoretischen, politischen und auch didaktischen Positionen wie denen von Rolf Schmiederer, Kurt Gerhard Fischer, Hermann Giesecke, Dieter Grosser, Bernhard Sutor bis hin zu Klaus Hornung.[12]

Der Inhalt des Beutelsbacher Konsens ist seitdem anerkannt bei all jenen, die sich mit der Didaktik in der politischen Bildung beschäftigen und all jenen die als Lehrende angehalten sind, die Punkte des Konsenses im Politikunterricht umzusetzen[13].

Wehling nannte die Punkte des Konsenses „Grundprinzipien Politischer Bildung“[14], die wie folgt lauten:

1. Überwältigungsverbot: Es ist nicht erlaubt, den Schüler, mit welchen Mitteln auch immer – im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der „Gewinnung eines selbständigen Urteils“ zu hindern. Hier genau verläuft nämlich die Grenze zwischen Politischer Bildung und Indoktrination. Indoktrination aber ist unvereinbar mit der Rolle des Lehrers in einer demokratischen Gesellschaft und der – rundum akzeptierten – Zielvorstellung von der Mündigkeit des Schülers.
2. Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muß auch im Unterricht kontrovers erscheinen. Diese Forderung ist mit der vorgenannten aufs engste verknüpft, denn wenn unterschiedliche Standpunkte unter den Tisch fallen, Optionen unterschlagen werden, Alternativen unerörtert bleiben, ist der Weg zur Indoktrination beschritten. Zu fragen ist, ob der Lehrer nicht sogar eine Korrekturfunktion haben sollte, d.h. ob er nicht solche Standpunkte und Alternativen besonders herausarbeiten muß, die den Schülern (und anderen Teilnehmern politischer Bildungsveranstaltungen) von ihrer jeweiligen politischen und sozialen Herkunft her fremd sind. […]
3. Der Schüler muß in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren, sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen. Eine solche Zielsetzung schließt in sehr starkem Maße die Betonung operationaler Fähigkeiten ein, was aber eine logische Konsequenz aus den beiden vorgenannten Prinzipien ist. […][15]

Wie bereits erwähnt, wurden die Prinzipien des Beutelsbacher Konsens bisher nicht widerlegt und gelten somit seit nunmehr 28 Jahren. Da die politische, ökonomische und gesellschaftliche Landschaft in den letzten knapp drei Jahrzehnten verschiedenen Veränderungen unterlag, die hier nur durch einige Eckpunkte wie die Wiedervereinigung, die Parteigründung der Bündnis 90 / Grünen (und ein damit verbundenes neues ökologisches Verständnis), sowie der zunehmenden Globalisierung gekennzeichnet werden können, bleibt natürlich die Frage nach der Gültigkeit des Beutelsbacher Konsens – die Frage nach seiner Berechtigung.

Wolfgang Hilligen hat sich diese Frage zehn Jahre nach dem Beutelsbacher Konsens in seinem Beitrag „Mutmaßungen über die Akzeptanz des Beutelsbacher Konsenses in der Lehrerschaft“ in dem von Siegfried Schiele und Herbert Schneider herausgegebenen Büchlein „Konsens und Dissens in der politischen Bildung“ von 1987, gestellt. Er hält fest, dass vermieden werden sollte, „den B[eutelsbacher] K[onsens] mit einem Maximalprogramm zu überbürden“[16] und Wolfgang Sander ergänzt 1996, „dass der Beutelsbacher Konsens als Minimalkonsens keine zureichende konzeptionelle Grundlage für demokratische politische Bildung bietet, und die vertiefende Auseinandersetzung mit ihren Grundlagen nicht ersetzen kann, auch daß er keine nicht mehr diskutierbare obrigkeitliche Anordnung darstellt und schon gar nicht als Rezept für die Bewältigung konkreter Unterrichtssituationen taugt“[17]. Es ist also anzuerkennen, dass der Konsens natürlich nicht ‚vollkommen’ ist; er ließe sich konkretisieren (An welchem Punkt beginnt eigentlich Indoktrination […]?[18] ) oder aber erweitern (um ein viertes Konsensprinzip, das auf die „pädagogischen Aufgaben politischer Bildung mit dem neuen Rechtsextremismus […]“[19] abzielt), es ist jedoch genauso anzuerkennen, dass es wenig Sinn machen würde den Konsens zu erweitern, denn „letztlich ist der Beutelsbacher Konsens als Teil eines Tagungsberichts ein historisches Dokument, das man vielleicht interpretieren, aber nur schwer inhaltlich verändern kann, ohne ihm als Text eine andere Qualität zu verleihen“[20].

[...]


[1] Hilligen, Wolfgang: Mutmaßungen über die Akzeptanz des Beutelsbacher Konsenses in der Lehrerschaft, in: Siegfried Schiele/Herbert Schneider (Hrsg.), Konsens und Dissens in der politischen Bildung (Didaktische Reihe der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg), Stuttgart 1987, S. 20

[2] Uffelmann, Uwe: Die Befähigung zum sozialen Handeln als Dimension des Verbots der Überwältigung des Schülers. Vorüberlegungen und Unterrichtsbeispiel für die Hauptschule, in: Siegfried Schiele/Herbert Schneider (Hrsg.), Das Konsensproblem in der politischen Bildung (Anmerkungen und Argumente, 17), Stuttgart 1977, S. 187

[3] Da es keine einheitliche Bezeichnung für das Schulfach des Politischen in Deutschland gibt, gibt es auch keine für den, der es unterrichtet. Ich werde im laufenden Text den Begriff Politiklehrer bzw. Lehrer benutzen, wobei ich aus Gründen der Vereinfachung auf die politisch korrekte Unterscheidung von weiblichem und männlichem Lehrer verzichte. Trotzdem soll sich auch das weibliche Lehrpersonal angesprochen fühlen.

[4] Gagel, Walter: Der Beutelsbacher Konsens als historisches Ereignis. Eine Bestandsaufnahme, in: Siegfried Schiele/Herbert Schneider (Hrsg.), Reicht der Beutelsbacher Konsens? (Didaktische Reihe der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg), Schwalbach 1996, S. 15

[5] Ders., S. 18

[6] ebd.

[7] ebd.

[8] Ders., S. 19

[9] Wehling, Hans-Georg: Konsens à la Beutelsbach?. Nachlese zu einem Expertengespräch, in: Siegfried Schiele/Herbert Schneider (Hrsg.), Das Konsensproblem in der politischen Bildung (Anmerkungen und Argumente, 17), Stuttgart 1977, S. 174

[10] Gagel, Walter: Der Beutelsbacher Konsens als historisches Ereignis. Eine Bestandsaufnahme, S. 20

[11] Schiele, Siegfried: Der Beutelsbacher Konsens kommt in die Jahre, in: Siegfried Schiele/Herbert Schneider (Hrsg.), Reicht der Beutelsbacher Konsens? (Didaktische Reihe der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg), Schwalbach 1996, S. 2

[12] Wehling, Hans-Georg: Konsens à la Beutelsbach. Nachlese zu einem Expertengespräch, S. 179

[13] In Punkt B meiner Arbeit werde ich auf die Interpretation der Grundsatzprinzipien bezüglich der Lehrerarbeit detaillierter eingehen.

[14] Wehling, Hans-Georg: Konsens à la Beutelsbach. Nachlese zu einem Expertengespräch, S. 179

[15] Ders., S. 179-180

[16] Hilligen, Wolfgang: Mutmaßungen über die Akzeptanz des Beutelsbacher Konsenses in der Lehrerschaft, in: Siegfried Schiele/Herbert Schneider (Hrsg.), Konsens und Dissens in der politischen Bildung (Didaktische Reihe der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg), Stuttgart 1987, S. 19

[17] Sander, Wolfgang: Politische Bildung nach dem Beutelsbacher Konsens, in: Siegfried Schiele/Herbert Schneider (Hrsg.), Reicht der Beutelsbacher Konsens? (Didaktische Reihe der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg), Schwalbach 1996, S. 31

[18] Wehling, Hans-Georg: Konsens à la Beutelsbach. Nachlese zu einem Expertengespräch, S. 183

[19] Sander, Wolfgang: Politische Bildung nach dem Beutelsbacher Konsens, S. 32

[20] Ders., S. 33

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Politische Urteilsbildung im Sozialkundeunterricht
Untertitel
Kann der Beutelsbacher Konsens den Schüler vor unzulässiger Beeinflussung des Politiklehrers schützen?
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaften)
Veranstaltung
Einführung in die Didaktik von Politikunterricht
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
16
Katalognummer
V83700
ISBN (eBook)
9783638895101
Dateigröße
461 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Politische, Urteilsbildung, Sozialkundeunterricht, Einführung, Didaktik, Politikunterricht
Arbeit zitieren
Katja Erben (Autor:in), 2005, Politische Urteilsbildung im Sozialkundeunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83700

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