Selektionsproblematik im deutschen Schulsystem


Seminararbeit, 2006

22 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhalt

1. Vorwort

2. Selektion an deutschen Schulen

3. Ist Selektion im Schulsystem noch zeitgemäß?
3.1. Entstehung und Manifestierung des dreigliedrigen Schulsystems
3.2. Genügt unser selektives Schulsystem den Anforderungen der heutigen Gesellschaft?

4. Alternativen zum derzeitigen Auswahlverfahren
4.1. Internationaler Vergleich
4.2. Was kann Deutschland von den PISA-Gewinnern lernen?

5. Schluss/ Ausblick

6. Literatur

1. Vorwort

Nicht zuletzt nach den Ergebnissen der PISA-Studie im Jahr 2003 ist die Diskussion um die Tauglichkeit des deutschen Schulsystems, das im Gegensatz zu den Systemen vieler anderer Länder einen hierarchischen Aufbau hat, entbrannt. Im Mittelpunkt des Interesses steht hierbei meist die Tatsache, dass in den deutschen Schulen, die aufgrund des föderalistischen Staatswesens bundesweit uneinheitlichen Regelungen unterworfen sind, eine starke Selektion nach dem Prinzip der Leistungsfähigkeit stattfindet. Die Meinungen, ob dieses Vorgehen begründet ist und welche Alternativen möglich sind, divergieren zum Teil stark.

Um nachzuvollziehen, warum das deutsche Bildungswesen sich in dieser Form entwickelt hat, ist zudem ein Rückblick auf den geschichtlichen Kontext der letzten 200 Jahre, in dem das deutsche Schulwesen steht, notwendig.

Die Begriffe „Selektion“ und „selektieren“ sind durch die Euthanasieverbrechen des NS-Regimes in den 30er und 40er Jahren des 20.Jahrhunderts negativ besetzt. Um diese Terminologie zu vermeiden, weichen manche Autoren auf die Begriffe „Selegierung“ und „selegieren“ aus, die bedeutungsgleich verwandt werden. Im Folgenden ist die Wortwahl jeweils aus der Literatur, auf die sich die Ausführungen beziehen, übernommen.

Da sich meine Arbeit nicht mit geschlechtsspezifischen Unterschieden befasst, sind die Begriffe „Schüler“ und „Lehrer“ nicht als Maskulinum zu verstehen, sondern schließen männliche und weibliche Form gleichermaßen ein.

2. Selektion an deutschen Schulen

Im deutschen Bildungssystem ist die starke Selektivität im internationalen Vergleich einmalig. Durch die in fast allen deutschen Bundesländern stattfindende Trennung der Schüler in Schulen mit unterschiedlichen Leistungsniveaus nach dem vierten Schuljahr findet die Auswahl auch beispiellos früh statt. Eine Ausnahme hierzu bildet Berlin, wo die für alle Schüler gemeinsame Grundschule sechs Jahre dauert. Dieses Phänomen ist begründet im 18. Jahrhundert, wo bereits ein dreigliedriges Schulsystem in Form von Bauern-, Bürger- und Gelehrtenschulen bestand, eine Aufgliederung, die heute noch in der Trennung der Schüler in Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien Bestand hat (vgl. Boenicke, 2004b). In den letzten 200 Jahren wurde immer wieder versucht, dieses Dreigliedrigkeit zu reformieren. Dies scheiterte jedoch jedes Mal aus politischen und anderen Gründen. Dass Änderungen dieses traditionellen Systems erfolgreich sein können, zeigt das Beispiel Finnland, dessen Bildungswesen ursprünglich aus einer Übernahme des deutschen bestand und seit den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts radikal verändert wurde (vgl. Kahl, 2002a).

Begründet war das mehrgliedrige Bildungswesen im 18. Jahrhundert durch das Bestreben, auch Mitgliedern der unteren Schichten der damaligen Ständegesellschaft durch Selektion anhand des Kriteriums Leistung den Zugang zu Bildung und damit zu einem höheren sozialen Status zu ermöglichen. Der erbliche Adel sollte damit durch einen Bildungsadel ersetzt werden. Die Auffassung, dass es Aufgabe des Bürgers sei, zum Wohl und Erhaltung der Gesellschaft beizutragen, führte zur Manifestierung des selektiven Schulsystems, da noch im 19.Jahrhundert eine Vielzahl an niedrig qualifizierten Arbeitskräften benötigt wurde. Um dies zu erreichen, produzierte das selektive Schulsystem jener Zeit bewusst „Bildungsverlierer“, die den Anforderungen eines höheren Bildungsweges nicht genügten (vgl. Boenicke, 2004a und 2004b).

Auch nach Wegfall dieses Bedarfs wurde diese Aufteilung in verschiedene Bildungszweige - trotz ständigen Wandels der Anforderungen in Gesellschaft und Wirtschaft - in seinen Grundzügen bewahrt.

In der jüngeren Geschichte, vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, war das deutsche Schulsystem von mehreren Versuchen geprägt, die alten Strukturen der Selektion zu verändern, ohne sie jedoch in ihrer Gesamtheit in Frage zu stellen.

Ein Beispiel hierfür ist die Einführung von Gesamtschulen im deutschen Schulsystem, die jedoch nicht das Ende des dreigliedrigen Schulsystems bedeutete. Stattdessen bildete diese Schulform parallel dazu ein viertes Glied.

Gesamtschule bedeutet in Deutschland jedoch nicht, dass es sich hier um ein Unterrichten aller Schüler auf gleichem Niveau handelt. In der Praxis zeigte sich vielmehr, dass innerhalb von Gesamtschulen, die mehrere Leistungsniveaus in einer Schule parallel beherbergten, Selektion in viel stärkerem Maß als im vergleichbaren dreigliedrigen Schulsystem betrieben wurde. Bezüglich ihrer Durchlässigkeit ist die Gesamtschule ebenso wie das bisherige Schulsystem meist nach unten gerichtet. Dies bedeutet, dass eine Vielzahl der Schüler sich aufgrund ihrer Zensuren in der Zugehörigkeit zu einem Bildungszweig verschlechtern, während nur wenige den Aufstieg auf ein höheres Leistungsniveau erreichen.

Zeigen lässt sich dies anhand einer Studie, die in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts an hessischen Schulen mit zweijähriger Förderstufe im 5. und 6. Schuljahr durchgeführt wurde (vgl. Geißler/ Krenzer/ Rang, 1967). Durch die Einrichtung dieser Förderstufe wurde der Übergang an eine nach Leistung getrennte Schulform um zwei Jahre verzögert und die Schüler wurden innerhalb einer Schule in einigen Fächern in verschiedene Gruppen mit unterschiedlich hohem Leistungsniveau eingeteilt. Hier zeigte sich jedoch ebenfalls die Problematik, dass viele Schüler in einzelnen Fächern in Kurse mit niedrigeren Leistungsanforderungen herabgestuft wurden, während es nur wenigen Schülern gelang, aus Kursen mit niedrigerem in solche mit höherem Leistungsniveau eingeordnet zu werden. Dies wurde oftmals damit begründet, dass die Gefahr bestand, dass Schüler nach einer Aufstufung oft den Anschluss an das Niveau eines Kurses nicht fänden (vgl. Geißler et al., 1967). Die ursprünglich auf starke Durchlässigkeit – und zwar auf- und absteigend – angelegte Förderstufe erreichte ihre Wirkung hier also nur zum Teil. Positive Effekte der Einrichtung der Förderstufe waren, dass die Schüler durch zu hohe Beanspruchung durch ein zu hohes Leistungsniveau nicht auf eine andere Schule wechseln mussten und der Unterricht im gemeinsamen Klassenverband sich über sechs anstatt wie in der traditionellen Grundschule über vier Jahre erstreckte. Außerdem war die frühe Selektion nach lediglich vier Grundschuljahren um zwei Jahre hinausgezögert, was auch so genannten Reife verzögerten Kindern die Chance auf den Besuch einer Schule mit höherem Bildungsweg zugestand.

Insgesamt lässt sich sagen, dass, gerade in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, zwar viele Versuche unternommen wurden, die traditionelle Dreigliedrigkeit im deutschen Schulwesen zu durchbrechen, dies doch – meist bedingt durch politische Gegebenheiten – entweder scheiterte oder die entstandenen Schulen in der Öffentlichkeit wenig Beachtung fanden. Besonders die Einführung einer Gesamtschule nach dem vierten Grundschuljahr war nicht effektiv, da sie die traditionellen Formen Hauptschule, Realschule und Gymnasium nicht ablöste, sondern parallel dazu bestand. Das dreigliedrige Schulsystem wurde als nicht zu einem gemeinsamen Bildungsweg reformiert, stattdessen wurde ein vierter Zweig hinzugefügt, sieht man von der Einrichtung Sonderschule für lernverzögerte und - behinderte Kinder ab, die oftmals neben den bestehenden Schulformen als fünftes Glied bezeichnet wird (vgl. Kahl, 2002b). Gesamtschule wurden auch nicht flächendeckend eingeführt, sondern fristeten in vielen Bundesländern ein Schattendasein als Versuchsschulen (vgl. Herrlitz, 2003).

3. Ist Selektion im Schulsystem noch zeitgemäß?

Zu dieser Problematik findet sich viel Literatur. Besonders seit Bekannt werden der Ergebnisse der PISA-Studie im Jahr 2002, in der das deutsche selektive Schulsystem im Vergleich mit anderen nicht-selektiven Schulsystemen - vor allem jenen in anderen westlichen Demokratien – bedeutend schlechter abschnitt, sind verstärkt Diskussionen über Sinn und Unsinn von Selektion im Bildungssystem entbrannt (vgl. Boenicke, 2004a). Hierbei ist zuerst das Verständnis einer guten Schülerleistung zu klären. Während in der Vergangenheit Schule vom Leistungsverständnis, das sich messbar in Noten ausdrückte, geprägt war, gelten heute „verständnisorientiertes Lernen, die Fähigkeit mit neuartigen Problemen außerhalb von Lösungsroutinen umzugehen, sinnvolles Sozialverhalten und die Fähigkeit zur Selbstregulation“ (Boenicke, 2004a, 10) als erstrebenswerte Schülerleistungen. Dem widerspricht jedoch das selektive Schulsystem, welches auf Leistung und Drill ausgerichtet ist und dessen Benotungen den Weg zu Berufs- und Weiterbildungschancen entweder eröffnen oder verschließen.

3.1. Entstehung und Manifestierung des dreigliedrigen Schulsystems

„Bildungssysteme repräsentieren in unserer Kulturgeschichte die höchste Entfaltung des Bemühens zur Gestaltung der Humanentwicklung.“ (Fend/ Stöckli, 1997, 1). Vor diesem Hintergrund ist es unerlässlich, sich auch die Gestaltung der Bildungssysteme in der deutschen Geschichte anzusehen, die sich seit der Entstehung der ersten Schulen in Deutschland ab Anfang des 12. Jahrhunderts über die Einführung der allgemeinen Schulpflicht durch in Preußen Anfang des 18. Jahrhunderts (vgl. www.preussen-chronik.de/_/episoden/002390_jsp.html) bis in die heutige Zeit ständig gewandelt haben. Besonders interessiert in diesem Zusammenhang die Geschichte des selektiven Schulsystems, das bis zum heutigen Tag existiert.

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Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Selektionsproblematik im deutschen Schulsystem
Hochschule
Universität des Saarlandes  (Erziehungswissenschaft)
Veranstaltung
Begleitseminar Persönlichkeitsentwicklung und Erziehung
Note
2,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
22
Katalognummer
V83814
ISBN (eBook)
9783638001151
ISBN (Buch)
9783638910736
Dateigröße
451 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Selektionsproblematik, Schulsystem, Begleitseminar, Persönlichkeitsentwicklung, Erziehung
Arbeit zitieren
Frank Bodesohn (Autor:in), 2006, Selektionsproblematik im deutschen Schulsystem, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/83814

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