In der folgenden Arbeit soll mit der theoretischen Schrift „National-
Judenthum“, verfasst vom Wiener Oberrabbiner Moritz Güdemann, eine
ablehnende Erwiderung auf den national-jüdischen Gedanken untersucht
werden. Es soll geklärt werden, welche Gegenargumente angeführt werden,
wie Güdemann der Ideologie des politischen Zionismus entgegentritt und ob
die Schrift damit auch überzeugen kann. Die Quelle soll deswegen im Kontext
der Zeit, der Tätigkeiten Güdemanns als Gelehrter und auch in Hinblick auf
Herzls „Judenstaat“ betrachtet werden.
Eine Untersuchung in dieser Weise findet in der verwendeten Sekundärliteratur
nicht statt, es können jedoch viele Hinweise zu Güdemanns Haltung
aus den Aufsätzen von Mordechai Eliav oder Harry Zohn für die Analyse
verwendet werden. Weitere Literatur, wie die von Victor Karady und Ruth Burstyn, wird herangezogen, um den Zionismus in Europa näher zu erläutern.
Die Monographie von Adolf Gaisbauer ist aufgrund des Schwerpunktes auf die
Entwicklungen in Österreich für die Arbeit von besonderem Interesse. In seiner
Einleitung finden sich zahlreiche Informationen zur Entfaltung des Zionismus in
Wien.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Ausgangspunkte für die Bearbeitung der Streitschrift Güdemanns
2.1 Der aufkommende Zionismus im ausgehenden 19. Jahrhundert Europas
2.2 Das Wirken Moritz Güdemanns
3. Güdemanns Haltung dem politischen Zionismus gegenüber
3.1 Die Kerngedanken der Abhandlung „National-Judenthum“
3.2 Die Beurteilung der Aussagen Güdemanns
4. Schlussbetrachtung
5. Quellen und Literatur
5.1 Quellen
5.2 Literatur
1. Einleitung
Das 19. Jahrhundert wurde geprägt durch große technische, wirtschaftliche und auch soziale Veränderungen. Eine ganz prägnante Haltung, die sich in Europa in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts herauskristallisiert, ist der wachsende Nationalismus, der die Politik und die Volksmassen ergreift. Auch die Juden bekommen diesen neuen Wind zu spüren, der das „[…]übersteigerte, kämpferische und intolerante Vertreten des nationalen Gedankens“[1] der einzelnen Völker mit sich brachte. Der sich dadurch verstärkende Antisemitismus, der die Juden als nicht zur Nation gehörig ansah, drängte das europäische Judentum mehr denn je dazu einen Ausweg aus der so genannten Judennot zu finden. Der Zionismus war eine mögliche Antwort auf dieses Problem, doch fanden seine Ideen zu erst nur wenig Zuspruch.
In der folgenden Arbeit soll mit der theoretischen Schrift „National-Judenthum“, verfasst vom Wiener Oberrabbiner Moritz Güdemann[2], eine ablehnende Erwiderung auf den national-jüdischen Gedanken untersucht werden. Es soll geklärt werden, welche Gegenargumente angeführt werden, wie Güdemann der Ideologie des politischen Zionismus entgegentritt und ob die Schrift damit auch überzeugen kann. Die Quelle soll deswegen im Kontext der Zeit, der Tätigkeiten Güdemanns als Gelehrter und auch in Hinblick auf Herzls „Judenstaat“[3] betrachtet werden.
Eine Untersuchung in dieser Weise findet in der verwendeten Sekundär-literatur nicht statt, es können jedoch viele Hinweise zu Güdemanns Haltung aus den Aufsätzen von Mordechai Eliav[4] oder Harry Zohn[5] für die Analyse verwendet werden. Weitere Literatur, wie die von Victor Karady[6] und Ruth Burstyn[7], wird herangezogen, um den Zionismus in Europa näher zu erläutern. Die Monographie von Adolf Gaisbauer ist aufgrund des Schwerpunktes auf die Entwicklungen in Österreich für die Arbeit von besonderem Interesse. In seiner Einleitung finden sich zahlreiche Informationen zur Entfaltung des Zionismus in Wien.[8]
2. Ausgangspunkte für die Bearbeitung der Streitschrift Güdemanns
Bevor sich diese Arbeit eingehend mit der theoretischen Schrift „National-Judenthum“ auseinandersetzt, soll in diesem einführenden Kapitel zum einen die zionistische Bewegung mit ihrer Entwicklung, ihren Kennzeichen und ihren Zielen und zum anderen einige biographische Stationen Moritz Güdemanns näher betrachtet werden. Diese Ausführungen sind Grundlagen für die folgende Untersuchung der Quelle.
2.1 Der aufkommende Zionismus im ausgehenden
19. Jahrhundert Europas
Im 18. und 19. Jahrhundert sind in West- und auch Osteuropa umfangreiche Assimilationsbemühungen seitens der Juden festzustellen. Die Folge dieser Anpassung war die Verdrängung religiöser und kultureller Traditionen des Judentums, wie beispielsweise auch des Hebräischen. Die jüdische Herkunft trat letztendlich nicht nur für die Umwelt in den Hintergrund, sondern auch für die Juden selbst. Hinzu kam zu dieser Zeit eine schrittweise Erlangung von Rechten, die zur vollständigen Gleichberechtigung der Juden in den einzelnen Nationen führen sollte.[9]
Diese Hoffnung auf eine Emanzipation und vollständige Integration in die Gesellschaft wurde im letzten Viertel des Jahrhunderts je zerstört. Neben dem bis dato vornehmlich religiös und ökonomisch motivierten Judenhass tritt ab 1875 in Deutschland und auch Österreich der rassistische Antisemitismus in der Politik mit in den Vordergrund. Ein weiterer Schlag gegen die Integration der Juden erfolgte mit den zahlreichen Pogromen in Osteuropa, v. a. in Russland, in den Jahren 1881 und 1882. Die Flüchtlingsströme aus Osteuropa trafen zu dieser Zeit und in den folgenden Jahren in vielen westeuropäischen Ländern ein.[10]
Die Juden reagierten auf unterschiedliche Art und Weise auf den vermehrten Antisemitismus und die blutigen Verfolgungen in Russland. Einige verstärkten ihre Assimilationsbemühungen und es kam vermehrt zu Konversionen zum Christentum, welche als Rettung vor dem zunehmenden Judenhass angesehen wurden. Diejenigen glaubten auch daran, dass der Antisemitismus lediglich eine vorübergehende Welle sei, die sich bald wieder beruhigte.[11]
Ein Großteil allerdings sah die Assimilation als gescheitert an und wollte neue Wege gehen, die ein geschlossenes Auftreten gegen die Antisemiten vorsahen. Die bedeutendste und folgenreichste Reaktion dieser Art war der Zionismus. Die Zionsidee hat in der jüdischen Geschichte und Kultur eine lange Tradition, die vor allem in Osteuropa, wo die Juden weniger assimiliert waren und sich deshalb auch kaum von ihrer Religion und Kultur distanzierten, fester Bestandteil der Gedankenwelt blieb. Die Grundmotive sind die „Rückkehr“ und das „Volk Israel“, die sich in den Rückkehrgebeten der zumeist orthodoxen Juden wieder finden. Unter diesen Vorraussetzungen konnte sich in Russland die erste zionistische Vereinigung, die „Chowewe Zion“, gründen. Vor allem jüdische Studenten trugen diese Ideen an die deutschen und österreichischen Universitäten, wo sich bald ähnliche Vereinigungen gründeten. Nathan Birnbaum war einer der Ersten, der den Begriff Zionismus prägte und als national-jüdische Bewegung verstand. Neben die bisherigen Grundideen traten nun zwei weitere Elemente, die bei Leon Pinsker[12] besonders deutlich zu Tage traten. Zum einen löste sich der Zionismus von der Vorstellung eine jüdische Nation zwingend in Palästina gründen zu müssen und zum anderen wird der Nationalismus in den Mittelpunkt der Zielsetzung gerückt. Das jüdische Volk müsse sich demnach zu einer jüdischen Nation zusammenfinden. Der Zionismus, wie er sich zu dieser Zeit vor allem in Wien entwickelt, ist nicht mehr bloße Rekonstruktion eines traditionell religiös-kulturellen Verhältnisses sondern wird zur spezifischen Lösung eines konkreten Problems: Die Gründung eines jüdischen Staates ist notwendig um den Vertriebenen eine Heimat zu geben und sogar um das Judentum „[…]als ein nationales“[13] zu retten.
Unabhängig von dieser Entwicklung erscheint 1896 „Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage“ von Theodor Herzl. Der in Wien lebende Journalist soll damit zum eigentlichen Begründer des politischen Zionismus werden und mit ihm als Leitfigur ändert sich auch der innere Aufbau der zionistischen Bewegung, die sich von einzelnen europäischen Vereinen zu einer gesamten politischen Bewegung formiert.[14]
Herzl definiert die so genannte Judenfrage so: Sie existiert überall da, „[…] wo Juden in merklicher Anzahl leben […]; durch unser Erscheinen entsteht dann die Verfolgung.“[15] Die einzige Lösung für diese Frage sei Herzls Ansicht nach der politische Weg der Staatsgründung. Er lässt in seiner Schrift allerdings offen, ob die zukünftige jüdische Nation zwingend in Palästina gegründet werden muss. Detailliert wird die Realisierung der Emigration besprochen und wie der Staat organisiert sein soll.[16] Es wird hier also nicht nur ein Problem thematisiert und Denkanstöße in Richtung einer Lösung gegeben, sondern Herzl hat konkrete Vorstellungen zur Gründung eines jüdischen Staates und ihre praktische Umsetzung.
Der „Judenstaat“ rief heftige Reaktion in der jüdischen Welt hervor, die von begeisterter Zustimmung, vor allem bei den zionistischen Studentenverbänden, bis zu überwiegend heftigster Ablehnung, vorwiegend bei konservativen bzw. orthodoxen Juden hervorgerufen, reichten.
[...]
[1] Wörterbuch Geschichte, hrsg. v. Konrad Fuchs und Heribert Raab, 12.Aufl., München 2001, S.543/544.
[2] Güdemann, Moritz: National-Judenthum, Leipzig/Wien 1897
[3] Herzl, Theodor: Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage, Leipzig/Wien 1896.
[4] Eliav, Mordechai: Herzl und der Zionismus aus der Sicht Moritz Güdemanns, in: Bulletin des Leo Beck Instituts, NF, Nr.56/57 (1980), S.135-159.
[5] Zohn, Harry: Die Rezeption Herzls in der jüdischen Umwelt, in: Leser, Norbert (Hg.): Theodor Herzl und das Wien des Fin de siècle, Wien u.a. 1987, S.97-112.
[6] Karady, Victor: Gewalterfahrung und Utopie. Die Juden in der europäischen Moderne, Frankfurt a. M. 1999
[7] Burstyn, Ruth: Zionismus in Wien von seinen Anfängen (1882) bis zum Auftreten Theodor Herzls (1896), in: Kairos, NF, Nr. 30/31 (1988/89), S. 105-119.
[8] Gaisbauer, Adolf: Davidstern und Doppeladler: Zionismus und jüdischer Nationalismus in Österreich 1882-1918, Graz u.a. 1988.
[9] Karady 1999, S.174 und Gaisbauer 1988, S.13
[10] Burstyn 1988, S.105 und Gaisbauer 1988, S.13
[11] Gaisbauer 1988, S.21-23
[12] Leon Pinsker arbeitete mit Nathan Birnbaum zusammen und verfasste die Schrift „Auto-Emancipation“, in der er die genannten neuen Denkanstöße gab.
[13] Gaisbauer 1988, S.35
[14] Burstyn 1988, S.118
[15] Herzl, Theodor: Der Judenstaat, in: Dr. Bloch’s Österreichische Wochenschrift, Nr.8 (1896), S.146.
[16] Herzl, Theodor: Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage, Leipzig/Wien 1896
- Arbeit zitieren
- Nelli Winter (Autor:in), 2007, Reaktion auf den politischen Zionismus: Moritz Güdemanns „National-Judenthum“, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84253
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