Die Struktur der Sekundarstufe I in Deutschland und an ausgewählten internationalen Beispielen: Frankreich, Großbritannien, Niederlande


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

43 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitende Gedanken

1 Struktur der Sekundarstufe I in Deutschland
1.1 Die deutsche Sekundarstufe I – gibt es die überhaupt?
1.2 Historische Begründungen für fehlende Einheitlichkeit
1.3 Gemeinsamkeiten im deutschen Bildungssystem und auf Ebene der Sekundarstufe I
1.4 Unterschiede im deutschen Bildungssystem auf Ebene der Sekundarstufe II
1.4.1 Schulen mit einem Bildungsgang
1.4.1.1 Hauptschule
1.4.1.2 Realschule
1.4.1.3 Gymnasium
1.4.2 Schulen mit mehreren Bildungsgängen
1.4.2.1 Gesamtschule
1.4.2.2 Mittelschule
1.4.2.3 Sekundarschule
1.4.2.4 Regelschule
1.4.3 Freie Schulen
1.5 Abschließende Übersicht über die Übergangsmöglichkeiten vom Primar- zum Sekundarbereich

2 Struktur der Sekundarstufe I im internationalen Vergleich
2.1 Allgemeines
2.2 Ausgewählte Bildungssysteme
2.2.1 Frankreich
2.2.1.1 Struktur des Bildungssystems
2.2.1.2 Eigene Erfahrungen und Ergänzungen
2.2.2 Großbritannien
2.2.2.1 Struktur des Bildungssystems
2.2.2.2 Eigene Erfahrungen und Ergänzungen
2.2.3 Niederlande
2.2.3.1 Struktur des Bildungssystems
2.2.3.2 Eigene Ergänzungen

3 Die Seminarsitzung – Gedanken, Anregungen und Überlegungen Abschließende Gedanken

Literaturverzeichnis

Einleitende Gedanken

„Übergänge am Anfang und am Ende der Grundschule“ – so die Bezeichnung des Hauptseminars im Wintersemester 2005 / 2006. Dieser Titel klingt recht harmlos, verbirgt aber unheimlich viele Probleme und Krisen für alle am Bildungsprozess Beteiligten. Eltern wünschen sich für ihre Kinder meist eine möglichst hohe Bildungschance, Kinder entscheiden lieber nach Freundschaften, Lehrer sehen sich rechtlichen Klagen ob ihrer Notenvergabe und den damit verbundenen Berechtigungen gegenüber ...

Vielleicht mag dieses Bild ein bisschen düster gezeichnet sein, denn sicherlich gibt es genügend Fälle, in denen der Übergang vom Primar- in den Sekundarbereich I durchaus ohne Probleme und Krisen verläuft. Aber was tut man, wenn sich angesichts des anstehenden Übergangs eine ganze Klasse – über Jahre hinweg mit gutem Sozialgefüge und dicken Freundschaften sowie einem sehr erfahrenen Lehrer ausgestattet – komplett verstreitet, und Kinder nicht mehr miteinander spielen wollen, da sie sich schon vor dem tatsächlichen Übergang in harte Gymnasium-, Realschul- und Hauptschulfronten aufgeteilt haben? Und dies stellt keinesfalls ein trübes Zukunfts- oder Medienbild dar, sondern dies wurde von einer Referentin genau so in einer kleinen, unscheinbaren Dorfschule mitten auf dem mittelfränkischen Jura erlebt - einer Schule, von der man durchaus sagen würde: „Hier ist die Welt noch in Ordnung!“

Im Folgenden möchte diese Arbeit also den Übergang zwischen Primar- und Sekundarbereich I genauer beleuchten. Dies soll zum einen auf nationaler Ebene geschehen, um sich der allgemeinen Gegebenheiten und der daraus resultierenden, sprichwörtlichen Qual der Wahl der Übergangsentscheidung gewahr zu werden.

Zum anderen soll in einem zweiten großen Block der Blick auf das internationale Tableau gelenkt werden, um sowohl mögliche Übergänge wie auch die entsprechenden Strukturen auf der Ebene der Sekundarstufe unserer Nachbarländer Frankreich, Großbritannien und Niederlande zu betrachten. Dieser bildungspolitische Blick soll v.a. für Großbritannien und Frankreich durch eigene Erfahrungsberichte und -einschätzungen der jeweiligen Verfasserinnen ergänzt werden.

In einem letzten Abschnitt möchten wir nur kurz die bis zu diesem Punkt noch nicht eingebrachten Gedanken und Anregungen aus der Seminardiskussion darstellen, um daran anschließend und quasi resümierend unsere eigenen Anmerkungen und Überlegungen in diese Arbeit einfließen zu lassen – soweit dies nicht an vorausgehender Stelle bereits der Fall war.

1 Struktur der Sekundarstufe I in Deutschland

1.1 Die deutsche Sekundarstufe I – gibt es die überhaupt?

Betrachtet man das deutsche Bildungswesen, so fällt schnell auf, dass man keine einheitliche Strukturierung des Sekundarbereichs I vorfindet. Insgesamt kann jedoch festgestellt werden, dass es sich bei den Schulen im Sekundarbereich um allgemein bildende Schulen handelt.[1] Im weiteren Verlauf dieser Arbeit soll deswegen einerseits kurz umrissen werden, worin die Gründe für diese hohe Diversifikation im deutschen Bildungswesen gesehen werden können, andererseits soll aber auch auf einige grundlegende Gemeinsamkeiten verwiesen werden. Auf der Basis dieser beiden Aspekte werden abschließend die Übergangsmöglichkeiten in den Sekundarbereich I genauer beleuchtet.

1.2 Historische Begründungen für fehlende Einheitlichkeit

Im Gegensatz zu unserem direkten Nachbarland Frankreich bestand Deutschland seit je her aus vielen kleinen Staaten, welche auf ihre mehr oder weniger stark ausgeprägte Eigenständigkeit und den daraus resultierenden Rechten pochten. Während beispielsweise der Sonnenkönig Ludwig XIV. das geflügelte Sprichwort „l’état c’est moi“ prägte und dadurch den bis heute geltenden Zentralismus und die damit einhergehende Einheitlichkeit aller öffentlichen Bereiche in Frankreich beschrieb, befand sich Deutschland eigentlich immer in einer Art Kleinstaaterei. Auch im Kaiserreich und der Weimarer Republik erhielt der Föderalismus eine wichtige Stellung. Vor allem jedoch nach dem 2. Weltkrieg erfolgte eine noch wesentlich weitreichendere Aufteilung Deutschlands. Diesmal wurde das Gebiet in Besatzungszonen unterteilt, was gravierende Folgen auch für das Bildungswesen hatte. Jede Besatzungsmacht verfolgte nämlich eine andere Bildungspolitik. Durch das Grundgesetz von 1949 wurde jedoch die „Fortsetzung der traditionellen föderalen Ordnung insbesondere in den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Kultur“[2] festgesetzt. Daraus ließ sich die heute noch bestehende Kulturhoheit der Bundesländer ableiten. Entscheidend für eine vergleichbare Entwicklung der Bildungspolitik in den Bundesländern war u.a. auch die Zusammenschließung der Kultusminister 1948 in der Kultusministerkonferenz.[3] Allerdings werden im Rahmen dieser Konferenz nur sehr allgemeine Richtlinien an die einzelnen Bundesländer weitergegeben, welche ihrerseits einen großen Ausführungs- und Ermessensspielraum zulassen.

Im Einigungsvertrag vom 31.8.1990 wurde schließlich auf eine Herstellung einer gemeinsamen und vergleichbaren Grundstruktur des Bildungswesens für Gesamtdeutschland verwiesen.[4]

1.3 Gemeinsamkeiten im deutschen Bildungssystem und auf Ebene der Sekundarstufe I

Auch wenn aufgrund der Bildungshoheit der Bundesländer das deutsche Bildungssystem und vor allem die Sekundarstufe I sehr unterschiedlich ausgestaltet sind, gibt es dennoch einige Gemeinsamkeiten. So lässt sich das Bildungswesen untergliedern in Elementar-, Primar-, Sekundarbereich und tertiären Bereich. Die konkreten Möglichkeiten, Angebote oder Übergänge unterscheiden sich zwar unter Umständen von Bundesland zu Bundesland; trotzdem werden unter jedem Bereich sich ähnelnde Institutionen zusammengefasst.[5] Auf internationaler Ebene ist dies beispielsweise weniger einheitlich geregelt, zählen hier doch einige in Deutschland unter den Sekundarbereich II eingegliederte berufliche Schulen eher zum postsekundären oder tertiären Bereich.[6]

Des Weiteren beginnt die Schullaufbahn seit der Weimarer Republik „mit einer vierjährigen Schulstufe, an die sich die Schulformen des Sekundarbereichs anschließen.“[7] Alleine in den Bundesländern Berlin und Brandenburg erfolgt dieses so genannte Gabelungsprinzip erst nach 6 Jahren gemeinsamer Grundschule. Damit ist Deutschland im internationalen Vergleich eines der wenigen Länder, welches bereits nach vier Jahren diese für den weiteren individuellen Bildungsweg entscheidende Selektion verfolgt. Trotz warnender Hinweise diesbezüglich scheint der bildungspolitische Trend diesen frühen Übergang voll zu unterstützen.[8]

Darüber hinaus unterscheiden die meisten Bundesländer im Sekundarbereich I zwischen Haupt-, Realschule und Gymnasium[9] mit ihren entsprechenden Bildungsabschlüssen. Einzelne Länder haben zur Entschärfung des Übergangs eine Förder- oder Orientierungsstufe eingerichtet, welche die Schullaufbahnentscheidung weitere zwei Jahre nach hinten verschiebt. Hierzu zählen beispielsweise Hessen, Niedersachsen, Bremen und Sachsen- Anhalt. Letztere haben sich 1997 zu einer schulformunabhängigen Ausrichtung der Orientierungsstufe entschieden.[10] Diese Sonderformen sollen im Rahmen dieser Ausarbeitung jedoch nicht weiter vertieft werden, da sich eine eigene Gruppe auf diesen Themenkomplex spezialisiert hat. In der Mehrheit der Bundesländer gibt es mittlerweile auch eine Gesamtschule. Zudem haben einige Bundesländer so genannte „Schulen besonderer Art“ gegründet. Dazu aber später mehr unter dem Punkt „Schulen mit mehreren Bildungsgängen“.

Eine weitere Gemeinsamkeit aller Bildungseinrichtungen im Sekundarbereich I liegt in den Grundsätzen der allgemeinen Grundbildung, individuellen Schwerpunktsetzung sowie der leistungsgerechten Förderung. Gemäß einer Vereinbarung der Kultusministerkonferenz vom März 1993 (Fassung vom September 1996) ist für die Schularten und Bildungsgänge der Sekundarstufe I wünschenswert:

- „die Förderung der geistigen, seelischen und körperlichen Gesamtentwicklung der Schüler, Erziehung zur Selbstständigkeit und Entscheidungsfähigkeit sowie zu personaler, sozialer und politischer Verantwortung,
- die Sicherung eines Unterrichts, der sich am Erkenntnisstand der Wissenschaft orientiert sowie in Gestaltung und Anforderungen die altersgemäße Verständnisfähigkeit der Schüler berücksichtigt,
- eine schrittweise zunehmende Schwerpunktsetzung, die individuelle Fähigkeiten und Neigungen der Schüler aufgreift,
- die Sicherung einer Durchlässigkeit, die nach einer Phase der Orientierung auch Möglichkeiten für einen Wechsel des Bildungsgangs eröffnet.“[11]

Aus dieser Vereinbarung lassen sich zugleich die zwei Hauptforderungen wie auch -probleme des selektiven Übergangs ablesen. Zum einen geht es nämlich darum, dass „die Voraussetzungen der Schüler/innen und die Anforderungen der Schule zueinander ‚ passen’.[12] Zum anderen muss aber auch die Anschlussfähigkeit der Bildungsprozesse gesichert bleiben[13] (vgl. beispielsweise Vereinbarung 2 => Anpassung an den Schüler; Vereinbarung 3 => schrittweise; Vereinbarung 4 => Durchlässigkeit und Eröffnung von Wechseln).

Darüber hinaus wäre die Funktion des Sekundarbereichs I zu nennen. Alle Bildungsgänge dieses Bereiches zeichnen sich nämlich durch ihre Vorbereitungsfunktion auf die Bildungsgänge des Sekundarbereichs II aus, welcher seinerseits zu beruflichen Qualifikationen oder Berechtigungen für den Hochschulbereich führt.[14]

Zuletzt kann abschließend angeführt werden, dass der Sekundarbereich I eine Altersgruppe von Schülern zwischen circa 10 und 16 Jahren umfasst. Die angesprochene Altersgruppe unterliegt auf alle Fälle noch der Schulpflicht.[15] Allerdings ist zu bedenken, dass sich diese Alterskohorte durch Zurückstellungen, „Sitzenbleiben“ und durch eine Flexibilisierung des Einschulungsalters weiter aufweichen wird.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Insgesamt lässt sich das System also wie folgt darstellen. Auch die im Punkt 1.4 beschriebenen Unterschiede v.a. bezüglich der Bildungseinrichtungen lassen sich an diesem Schaubild gut ablesen.[16]

1.4 Unterschiede im deutschen Bildungssystem auf Ebene der Sekundarstufe II

Beim genauen Blick auf die bisher beschriebenen Gemeinsamkeiten wird schnell evident, dass sich diese lediglich auf allgemeine Rahmenbedingungen des Bildungswesens wie auch der Sekundarstufe beziehen. Betrachtet man nämlich die konkreten Arten von Bildungseinrichtigen auf Ebene der Sekundarstufe I, ergibt sich sogleich eine Diversifikation an Möglichkeiten. Dabei fällt auf, dass die Angebote der einzelnen Bundesländer teils stark voneinander abweichen. Deswegen soll die folgende Zusammenschau keinesfalls absolute Vollständigkeit beanspruchen; vielmehr sollen einige Schularten in Rücksicht auf den Rahmen dieser Arbeit als weitere Alternativen lediglich genannt werden.

1.4.1 Schulen mit einem Bildungsgang

Unter den Schulen mit einem Bildungsgang sind all diejenigen Schulen zu verstehen, in welchen der gesamte Unterricht auf nur einen einzigen Bildungsabschluss bezogen ist.[17] Insofern handelt es sich also um die typischen Sekundarstufenschulen – Hauptschule, Realschule und Gymnasium. Sie sollen im Weiteren genauer charakterisiert werden.

Auch für diese Schularten sind die oben genannten Grundsätze der KMK verbindlich. Eine allgemeine Grundbildung wird von allen drei Bildungseinrichtungen erreicht. Allerdings ist diese von Schulart zu Schulart immer expliziter und umfassender ausgebaut. Auch eine individuelle Schwerpunktsetzung soll den Schüler/innen ermöglicht werden. Auf jeder Einrichtung stehen den Schüler/innen nämlich sowohl verschiedene Wahlkurse wie auch Zweige zur Verfügung (z.B. Gymnasium: neusprachlich, mathematisch- naturwissenschaftlich, musisch usw.), in welchen die individuellen Interessen und Begabungen durchaus vertieft werden können. Alleine mit der leistungsgerechten Förderung sieht es weniger gut aus. Grundsätzlich erfolgt die Selektion auf die einzelnen Schularten leistungsdifferenziert. Danach gibt es lediglich die Möglichkeit des Überspringens für besonders begabte Schüler/innen bzw. das „Sitzenbleiben“ oder gar Zurücktreten an eine andere Schulart. Dieser Wechsel zwischen den Schularten ist leider nur von oben nach unten gängig. Eine Umkehrung und Flexibilisierung samt höherer Durchlässigkeit wäre wünschenswert.

1.4.1.1 Hauptschule

Die Hauptschule vermittelt ihren Schülern eine grundlegende allgemeine Bildung, welche u.a. die Fächer Deutsch, Mathematik, eine Fremdsprache (zumeist Englisch), Physik / Chemie, Biologie (in Bayern als PCB zusammengefasst), Erdkunde, Geschichte, Sozialkunde (in Bayern als GSE zusammengefasst), Arbeitslehre, Musik, Kunst, Sport, Religion sowie in manchen Ländern – darunter Bayern – Haushalts- und Wirtschaftslehre bzw. andere arbeitspraktische Fächer umfasst.[18] Vor allem zwischen den zuletzt genannten Fächern kann von den Schüler/innen gewählt werden.

In der Normalform umfasst die Hauptschule die Klassen 5 bis 9 und reicht somit bis zur Erfüllung der Vollzeitschulpflicht. In Berlin, Bremen, Nordrhein- Westfalen und Sachsen- Anhalt reicht die Schulpflicht jedoch bis zur einschließlich 10. Klasse, weswegen in diesen

Ländern auch die Hauptschule diesen Umfang aufweist.[19]

Nach einem erfolgreichen Abschluss der 9. bzw. 10. Klasse wird in der Regel der Hauptschulabschluss erworben. Durch eine gesonderte Prüfung kann der Qualifizierte Hauptschulabschluss erreicht werden. Alleine in Sachsen muss auch für den Hauptschulabschluss eine Leistungsfeststellung erfolgen.[20] Der Hauptschulabschluss ermöglicht den Absolventen weitere allgemeine und berufliche Qualifikationen.[21]

In einigen Bundesländern gibt es darüber hinaus die Möglichkeit, ein freiwilliges 10. Schuljahr an die Hauptschule anzuschließen, um dadurch einen Mittleren Schulabschluss zu erhalten.[22] In diesem Zusammenhang möchte ich gesondert auf den in Bayern vorhandenen M- Zug, auch M- Klasse oder –Kurs genannt, verweisen. Mir erscheint dies besonders wichtig, da wir als zukünftige Lehrer/innen mit beratender Funktion für Eltern und Schüler uns meiner Ansicht nach mit den Gegebenheiten in unserem Bundesland besonders gut auskennen sollten. Unter dem M- Zug versteht man einen seit dem Schuljahr 1999 / 2000 eingeführten, vierjährigen Bildungsgang, „der in eigenen Klassen und Kursen (M- Klassen und M- Kursen) zum mittleren Schulabschluss führt.“[23] Er beginnt mit der Jahrgangsstufe 7 (= M 7) und endet mit der M 10. In dünner besiedelten Gegenden Bayerns ist zum Besuch des M- Zugs durchaus mit Schulwechseln bzw. einzelnen Kursen an zu Verbunden zusammengeschlossenen Hauptschulen zu rechnen.

Besucht werden kann der M- Zweig ab der 7. Klasse von all denjenigen Hauptschülern, welche ab dem Zwischenzeugnis der 6. Klasse (oder später) in Deutsch, Mathematik und Englisch einen Notendurchschnitt von mindestens 2,33 erreichen. In allen anderen Fällen können entsprechende Anträge in Zusammenarbeit von Lehrer und Eltern der Lehrerkonferenz zur Abstimmung vorgelegt werden.[24] In dieser Abstimmung geben die unterrichtenden Lehrer/innen ein Votum ab, welchem dann eine Abstimmung der gesamten Konferenz folgt. In diesem Votum beschreiben die unterrichtenden Lehrer, v.a. aber der Klassenlehrer, beispielsweise das Arbeits- und Sozialverhalten wie auch die eigene persönliche Einschätzung über die Eignung und Fähigkeiten des Schülers / der Schülerin.

Während des Besuchs des M- Zugs können neben einem Abschluss, welcher mit der Mittleren Reife gleichwertig ist und nach der 10. Klasse durch eine entsprechende Prüfung abgelegt wird, auch die beiden anderen Abschlüsse der Hauptschule erreicht werden, sprich der Hauptschulabschluss durch erfolgreiches Bestehen der 9. Klasse wie auch der Qualifizierte Hauptschulabschluss durch die Teilnahme an einer gesonderten Leistungsfeststellung. Die Vorteile dieses mittleren Abschlusses sind aber vollkommen evident: Neben einer qualifizierten Berufsausbildung erhalten die Schüler/innen ebenso die Möglichkeit zum Besuch der Fachoberschule oder – nach abgeschlossener Berufsausbildung - der Berufsoberschule, durch welche letztlich sogar Hochschulzulassungen erreicht werden können. Letztlich bietet dieser Schulabschluss auch die Laufbahn eines Fach- oder Förderlehrers. Folgende Graphik soll dies nochmals genauer darstellen.[25]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Insgesamt klingt diese Lösung sehr vielversprechend. Auch ein Erfahrungsbericht eines Schülers des M- Zugs an einer Hauptschule im Landkreis Würzburg bestätigt dies. Der Schüler war nach wenig Erfolg von der Realschule auf den M- Zweig der entsprechenden Hauptschule gewechselt, was er selbst als „faire Chance“ empfand. Zudem erklärte er, dass das Lernen v.a. auch durch einen festen Klassenlehrer als Ansprechpartner wesentlich motivierender sei.[26] Und auch die Schulleiterin der betreffenden Schule sprach sich sehr positiv über den M- Zug an ihrer Schule aus. Ihrer Erfahrung nach seien vor allem Eltern von Rückkehrern aus dem Gymnasium oder der Realschule sehr froh über die Möglichkeiten, welche der M- Zug ihren Kindern biete.[27]

Auch meine eigenen Erfahrungen bezüglich dieses M- Zugs waren sehr positiv. Am Ende des Referendariats konnten wir mit unserem Seminar einen Vormittag lang eine Abschlussklasse des M- Zweigs der Hauptschule Weißenburg besuchen. Wir waren alle sehr angetan von der konzentrierten und engagierten Mitarbeit der Schüler/innen wie auch von der hohen Komplexität des geforderten Unterrichts- und Prüfungsstoffes. Die entsprechende Lehrkraft teilte uns jedoch mit, dass der Abschluss des M- Zugs bei Bewerbungen um einen Ausbildungsplatz leider keineswegs mit einem Realschulabschluss gleichgesetzt wird.

1.4.1.2 Realschule

Die Realschule vermittelt eine erweiterte allgemeine Bildung und umfasst seit einem gescheiterten Volksbegehren 2000 in Bayern als R 6 die Klassen 5 bis 10. Dies ist in den meisten Bundesländern so, abgesehen von denjenigen mit fest eingerichteter Orientierungsstufe bzw. sechsjähriger Grundschule. In manchen Bundesländern gibt es allerdings keine eigenständige Realschule. Dort ist sie in Schulen mit mehreren Bildungsgängen verankert. Auf den entsprechenden Gliederungspunkt 1.4.2 dieser Arbeit sei hiermit verwiesen. Dies ist u.a. in Sachsen und Thüringen der Fall.[28] Weitere Bundesländer sind aus der abschließenden Übergangsübersicht unter 1.5 zu erschließen.

Der Unterricht erfolgt an der Realschule in den Fächern Deutsch, einer Fremdsprache (in der Regel Englisch), Mathematik, Physik, Chemie, Biologie, Erkunde, Geschichte, Politik, Musik, Kunst, Sport und Religionslehre. Ab der 7. Klasse setzt zusätzlich Unterricht im Wahlpflichtbereich (z.B. kaufmännisch, technisch, sozial usw.) ein. „Entsprechend den individuellen Neigungen und Fähigkeiten können die Schüler im Wahlpflichtbereich bestimmte Pflichtfächer verstärken oder neue Fächer wählen“[29], wozu beispielsweise auch eine zweite Fremdsprache gehören kann.

Durch die Mittlere Reife erhalten die Realschüler/innen nach einer abgelegten und bestandenen Prüfung am Ende der 10. Klasse die Möglichkeit, die Fachoberschule (FOS) zu besuchen oder berufsqualifizierende Abschlüsse zu erwerben. Unter bestimmten Bedingungen verweist die Literatur auch auf die Möglichkeit, die gymnasiale Oberstufe zu besuchen.[30] Leider werden die Rahmenbedingungen hierzu nicht erwähnt. Durch den Besuch der Fachoberschule und einer abschließenden Prüfung nach Klasse 12 wird die Fachhochschulberechtigung erworben. Zudem kann nach absolvierter Berufsausbildung auch die Berufsoberschule (BOS) mit Hinführung zur Allgemeinen Hochschulreife gewählt werden. Ebenso stehen Kollegs oder Abendgymnasien zur Verfügung zum Erreichen dieser Abschlüsse. Allerdings sollte erwähnt werden, dass diese Wege trotz all ihrer Chancen Umwege sind, welche mehr Zeit und teils auch großes Engagement und Willen den Absolventen abverlangen.

1.4.1.3 Gymnasium

Das Gymnasium zielt auf eine vertiefte allgemeine Bildung und ist der einzige Bildungsgang, der Sekundarbereich I und II zusammenfasst. In seiner Normalform umfasst das Gymnasium mittlerweile die Klassen 5 bis 12. Auch Bayern schloss sich mit der noch teils heftig umstrittenen G 8 im Schuljahr 2004 / 2005 dieser Verkürzung des Bildungsgangs an. Eine Unterschriftenaktion zum Herbeiführen eines Volksbegehrens scheiterte. In manchen Bundsländern, die noch an der 13- jährigen Form festhalten, gibt es die verkürzte Form als Wahlangebot und / oder als Schulversuch.[31]

Als Abschluss erhalten die Schüler/innen nach abgelegter Prüfung die Allgemeine Hochschulreife. In manchen Bundesländern wird diese Prüfung zentral vom zuständigen Ministerium gestellt (z.B. Bayern); in manchen Bundesländern wählt die besuchte Schule Abiturprüfungen aus (z.B. Nordrhein- Westfalen).

Zum Sekundarbereich I zählen die Jahrgänge 5 bis 9/ 10. In ihnen werden die Fächer Deutsch, mindestens zwei Fremdsprachen, Mathematik, Physik, Chemie, Biologie, Erdkunde, Geschichte, Politik (in Bayern Sozialkunde genannt), Musik, Kunst, Sport und Religionslehre erteilt.[32]

In der Mehrzahl der Bundesländer erfolgt der Übergang in den Sekundarbereich II bei mindestens ausreichenden Leistungen in allen versetzungsrelevanten Fächern. Manchmal muss hierzu jedoch eine gesonderte Prüfung absolviert werden.[33]

1.4.2 Schulen mit mehreren Bildungsgängen

Schulen mit mehreren Bildungsgängen sind je nach Bundesland sehr unterschiedlich organisiert. An diesen Schulen kann der Unterricht entweder in abschlussbezogenen Klassen erteilt werden oder in leistungsbezogenen Klassen mit mindestens zwei verschiedenen Anspruchsebenen.

Die wohl bekannteste Schulart mit mehreren Bildungsgängen ist die Gesamtschule; aber es gibt seit einigen Jahren auch neue Schularten, die je nach Land, in denen die Bildungsgänge der Hauptschule und der Realschule pädagogisch und organisatorisch zusammengefasst werden, unterschiedlich bezeichnet werden, z.B. Mittelschule, Regelschule, Sekundarschule, Integrierte Haupt- und Realschule, Verbundene Haupt- und Realschule, Regionale Schule, Erweiterte Realschule.

Im Folgenden soll zunächst die Gesamtschule mit ihrem geschichtlichen Hintergrund, dem strukturellen Aufbau und ihren Besonderheiten beschrieben werden. Im Anschluss daran wird kurz auf die Schularten eingegangen, die ab 1990 neu geschaffen wurden.

Die Gesamtschule

„Die Gesamtschulidee selbst wurde zu Beginn des 20.Jahrhunderts von Schulreformern wie P. Österreich oder J. Tews sowie vor allem P. Petersen, R. Steiner und P. Geheeb verfochten“.[34]

Der Höhepunkt der Gesamtschuldiskussion fand sich im Nachkriegsdeutschland in Ostdeutschland zur DDR- Zeit und in Westdeutschland zur Zeit der großen Schulreform zwischen 1965 und 1975. 1964 wurden Gesamtschulen in Berlin, Hessen, Bremen und Nordrhein-Westfalen gegründet. Die Bund- Länder- Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung veranlasste 1970 Modellversuche zur Gesamtschule, die 1982 abgeschlossen wurden.

In der DDR waren staatsideologische Gründe maßgeblich. In den Jahren zwischen 1965 und 1975 wurden am gegliederten Schulsystem vor allem die hohen Sitzenbleiberquoten, die Selektionsverfahren und die äußerst schwierige Revidierbarkeit einmal getroffener Schullaufbahnentscheidungen kritisiert. Zudem wurde die unzureichende Nutzung und Förderung des Begabungspotenzials vor allem der bildungsferneren sozialen Schichten in der Gesellschaft bemängelt, zumal Begabung und Intelligenz als lernbar betrachtet wurden.

Heutzutage gibt es in der Mehrzahl aller Bundesländer Gesamtschulen, in vielen davon aber nur in sehr geringer Zahl, z.B. in Bayern. Die größte Anzahl an Gesamtschulen findet sich in Berlin, Hessen und Nordrhein-Westfalen.

Gegenüber anderen europäischen Schulsystemen mit Gesamtschulen zeigt sich ein Modernitätsrückstand der deutschen Schule.[35]

[...]


[1] Vgl. http://www.bildungsserver.de/zeigen.html?seite=559, 24.11.2005.

[2] Jonen, G. / Eckhardt, Th.: Das Bildungswesen in der Bundesrepublik Deutschland 2003. Darstellung der Kompetenzen, Strukturen und bildungspolitischen Entwicklungen für den Informationsaustausch in Europa. Auszug. Hg. vom Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland. Bonn: 2005 (pdf), S. 25. (künftig zitiert: Jonen / Eckhardt, S. )

[3] Vgl. ebd.

[4] Vgl. ebd., S. 14.

[5] Vgl. ebd., S. 29.

[6] Vgl. Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kulturminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (Hg.): Schule in Deutschland. Zahlen, Fakten, Analysen. Analyseband zur Dokumentation. Schüler, Klassen, Lehrer und Absolventen der Schulen. Bonn: 2002 (= Statistische Veröffentlichungen der Kultusministerkonferenz; Nr. 161) (pdf), S. 33. (künftig zitiert: Schule in Deutschland, S. )

[7] Faust, G.: Übergänge in den Sekundarbereich. In: Handbuch Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik. 2. Auflage. Hg. von Wolfgang Einsiedler u.a. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2005, S. 291. (künftig zitiert: Faust, Übergänge, S. )

[8] Ebd., S. 293.

[9] Vgl. Jonen / Eckhardt, S. 30.

[10] Vgl. Faust, Übergänge, S. 293.

[11] http://www.eurydice.org/Eurybase/accueil_eurybase.html, 27.10.2005. -> Germany -> 5.4.1 Sekundarstufe I (künftig zitiert: Eurybase, Land z.B. Germany, Oberpunkt z.B. 5.4.1 Sekundarstufe I)

[12] Faust, Übergänge, S. 292.

[13] Vgl. ebd.

[14] Vgl. Eurybase, Germany, 5.5 Arten von Bildungseinrichtungen.

[15] Vgl. ebd.

[16] Eurybase, Germany, 2.4 Aufbau des Bildungssystems und Struktur der Bildungsgänge.

[17] Vgl. Eurybase, Germany, 5.5.1 Sekundarstufe I / Schulen mit einem Bildungsgang im Sekundarbereich I.

[18] Vgl. ebd.

[19] Vgl. Schule in Deutschland, S. 35.

[20] Vgl. Eurybase, Germany, 5.5.1 Sekundarstufe I/ Schulen mit mehreren Bildungsgängen im Sekundarbereich I.

[21] Vgl. Schule in Deutschland, S. 35.

[22] Vgl. Eurybase, Germany, 5.5.1 Sekundarstufe I /Schulen mit einem Bildungsgang im Sekundarbereich I.

[23] Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (Hg.): Neu an der Hauptschule: Der M- Zug. Mittlere- Reife- Zug von der 7. bis zu 10. Klasse. Bildungsoffensive Bayern. Für die Zukunft unserer Kinder. München: 2000. (pdf) (künftig zitiert: Faltblatt M- Zug)

[24] Vgl. ebd.

[25] Ebd.

[26] Vgl. Wenzel, K.: Nachgefragt I. Faire Chance. In: Bayerische Schule. Hg. vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband e.V. Heft 11 / 12 2005, S. 28.

[27] Vgl. Wenzel, K.: Nachgefragt II. System der Angst. In: Bayerische Schule. Hg. vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband e.V. Heft 11 / 12 2005, S. 28.

[28] Vgl. Schule in Deutschland, S. 35.

[29] Eurybase, Germany, 5.5.1 Sekundarstufe I / Schulen mit einem Bildungsgang im Sekundarbereich I.

[30] Vgl. Schule in Deutschland, S. 35.

[31] Vgl. Eurybase, Germany, 5.5.1 Sekundarstufe I/ Schulen mit einem Bildungsgang im Sekundarbereich I.

[32] Vgl. ebd.

[33] Vgl. ebd.

[34] Wiater, W.: Theorie der Schule. Donauwörth: Auer 2002, S. 81. (künftig zitiert: Wiater, 2002, S. ).

[35] Vgl. Wiater, 2002, S.81.

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Details

Titel
Die Struktur der Sekundarstufe I in Deutschland und an ausgewählten internationalen Beispielen: Frankreich, Großbritannien, Niederlande
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Veranstaltung
Übergänge am Anfang und am Ende der Grundschule (HS)
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
43
Katalognummer
V84277
ISBN (eBook)
9783638002523
Dateigröße
3657 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Struktur, Sekundarstufe, Deutschland, Beispielen, Frankreich, Großbritannien, Niederlande, Anfang, Ende, Grundschule
Arbeit zitieren
Andrea Schlafke (Autor:in), 2006, Die Struktur der Sekundarstufe I in Deutschland und an ausgewählten internationalen Beispielen: Frankreich, Großbritannien, Niederlande, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84277

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