Leseprobe
Inhalt
1 Einleitung
2 Opposition und Bildlichkeit
3 Das Aufbruchmotiv
4 Fazit
Literaturangaben
1. Inhaltsangabe
In Günter Kunerts Parabel „Vor einer Reise“ geht es um Aufbruchgedanken eines lyrischen Ichs. Es stellt fest, dass es sowohl mit seiner eigenen als auch mit der allgemeinen Situation der Gesellschaft unzufrieden ist (Satz 1,2,4) und erkennt, dass sich in seinem Leben dringend etwas ändern muss, anderen falls hätte das für sich selber fatale Konsequenzen. (Satz 3,4)
Persönliche Angaben über das Geschlecht, Alter oder die Herkunft des lyrischen Ichs gehen aus dem Text nicht hervor.
Nachdem das lyrische Ich in den ersten vier Sätzen seinen Unmut über seine persönliche Situation zum Ausdruck bringt, erklärt es im weiteren Verlauf, wodurch dieser Unmut überhaupt erst entsteht. In einer Metapher, in der das lyrische Ich sich selber mit Splittern „des selben Holze(s), aus dem des Christoph Kolumbus Schiffe geschnitzt waren“ vergleicht, klagt es einerseits die Gesellschaft, welche es mit den Zweiflern an Kopernikus und Galileis Theorie vergleicht, eines Stillstandes an und drückt andererseits seine eigene Sehnsucht nach Fortschritt und Modernisierung aus. (Satz 5) Diese Metapher wird im abschließenden sechsten Satz noch erweitert. Nun betont das lyrische Ich, dass derjenige, „der nicht ist wie sie“ – die Zweifler und Ungläubigen, „sondern Kommandeur eines eigenen Gedankengeschwaders“ ist, die Möglichkeit hat, noch alle unentdeckten Geheimnisse der Wirklichkeit unserer Welt zu entdecken.
2. Opposition und Bildlichkeit
Um die Bildlichkeit des Aufbruchmotivs hervorzuheben, seien hier die Schlagwörter in ihrer Chronologie aufgeführt und gedeutet.
Im ersten Satz drückt das lyrische Ich den Wunsch einer Suche nach einem Besitz, der bisher immer abwesend war, aus. Dieses wiederholt es in derselben Art und Weise, indem es im zweiten Satz den Wunsch äußert, einen Ort aufzusuchen, an dem es noch nie war und im dritten Satz, etwas zu „tun, was bisher unverrichtet geblieben“ ist.
Zunächst erscheinen diese Sätze trivial. Bekannter Weise will jeder Mensch immer das, was er nie besessen hat und auch dort hin, wo er noch nie war. Auch die daraus folgenden Konsequenzen fallen zunächst in diese Trivialität. Erst im Kontext mit den Metaphern im fünften und sechsten Satz wird die Mehrdeutigkeit dieser trivialen Feststellungen sichtbar. Bezieht man die Äußerungen der ersten vier Sätze auf den Fortschritt oder auch Stillstand in der Gesellschaft, so ergibt sich ein ganz neuer Sinn.
So wird nun die Suche nach der Abwesenheit von etwas nie Besessenem konkret zur Suche nach dem Fortschritt und der Modernisierung, die bis dato noch abwesend waren. Das lyrische Ich hat diese scheinbar zu seinen Lebzeiten noch nicht kennen gelernt, scheint sie aber durch Erzählungen von Früher zu kennen, als es noch einen laufenden Fortschritt gab, der aber nun zum Stillstand gekommen ist.
Der Wunsch danach irgendwo hin zu kommen, wo das lyrische Ich noch nie war, ist nun nicht mehr örtlich begrenzt, sondern viel mehr zeitlich und situativ. Die ersten beiden Sätze lassen sich nun konkret als einen Wunsch deuten, in ein neues Zeitalter aufzubrechen. Aber auch der Wusch nach der eigenen, persönlichen Weiterentwicklung steckt hier mit drin. Denn wer konkrete Pläne für die eigene Zukunft hat, will irgendwann einmal irgendwo hin oder irgendwo ankommen. Sei es nun der Wunsch nach beruflicher Beförderung oder auch danach eine Familie zugründen. Im Volksmund wird diese persönliche Weiterentwicklung artikuliert als „Ich will dort hin.“
Auch der folgende dritte Satz wird nun konkret. Das lyrische Ich muss etwas tun was bisher unverrichtet geblieben ist. Es muss einen Neuanfang wagen.
Auch die Metapher, das lyrische Ich sei wie ein Holzsplitter der Schiffe des Kolumbus, wird so eindeutig. Kolumbus war der Entdecker einer neuen Welt. Doch die eigentliche Größe, die Kolumbus Entdeckung ausgemacht hat, war und ist nach wie vor so gigantisch, dass das lyrische Ich, welches daran teilhaben will, im direkten Größenvergleich dazu nur einen Splitter des Holzes ausmacht.
Als Splitter dieses Holzes empfindet das lyrische Ich zum einen Neugier auf die neue Zeit in der neuen Welt und zum anderem aber auch Hass auf den alten Stillstand, den es hier als „ausgefahrene Spuren“ und „breitgetretene Wege“ tituliert. Die Verantwortlichen für diesen Stillstand benennt es als diejenigen, die „nicht glauben wollen, die Erde dreht sich“. Hier spielt das lyrische Ich auf die Folgen der Entdeckungen des heliozentrischen Weltbildes an, welche Nikolaus Kopernikus den Spott der Fachwissenschaft, Kirche und Gesellschaft einbrachten und bei Galileo Galilei letztendlich auch zum Tod durch die Inquisition führte.
Im letzten Satz betont das lyrische Ich, dass der „Kommandeur eines eigenen Gedankengeschwaders“ – jemand, der nicht zweifelt, sondern offen ist für neue Ideen und diese auch einzuordnen weiß – im Gegensatz zu den Verantwortlichen des Stillstandes, die Möglichkeit besitzt, entgegen aller Vernunft ferne Sonnensysteme, Galaxien, Ideen und Wahrheiten zu entdecken und zu erkennen.
Über Metaphern und Vergleiche wird wiederholt der Wunsch nach einem neuem, besserem Leben geäußert. Dieses bessere Leben wird hier konkret durch Fortschritt und Modernisierung gekennzeichnet.
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