Föderalismus in der Weimarer Reichsverfassung und im Grundgesetz - ein Vergleich


Hausarbeit, 2004

20 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Gliederung

1 Einleitung

2 Die Genese der Weimarer Reichsverfassung
2.1 Der Föderalismus des Kaiserreichs
2.2 Das Ende des Kaiserreichs und die Ausarbeitung der WRV

3 Die WRV und ihre föderativen Regelungen
3.1 Die Beziehung zwischen Reich und Ländern
3.2 Die Kompetenzaufteilung zwischen Reich und Ländern
3.2.1 Gesetzgebungskompetenzen
3.2.2 Kompetenzverteilung bei Finanzen und Verwaltung
3.2.3 Gegenseitige Einflussrechte

4 Die Entstehung des Grundgesetzes
4.1 Legitimation und Souveränität der Gliedstaaten
4.2 Legitimation und Souveränität des Gesamtstaates
4.3 Beurteilung der Legitimation der föderativen Ordnung der Bundesrepublik

5 Die föderative Ordnung des Grundgesetzes vor dem Hintergrund des Scheiterns der Weimarer Reichsverfassung
5.1 Die Beziehung zwischen Bund und Ländern
5.2 Die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern
5.2.1 Gesetzgebungskompetenzen
5.2.2 Kompetenzverteilung bei Verwaltung und Finanzen
5.2.3 Gegenseitige Einflussrechte

6 Bibliographie

1 Einleitung

Ein direkter „materieller“ Vergleich der föderalen Ordnung in der Weimarer Reichsverfassung (WRV) und im Grundgesetz (GG) erscheint genauso schwierig und problematisch wie ein qualitativer Vergleich der beiden Verfassungen überhaupt, da die Entstehungsgeschichte eine jeweils sehr unterschiedliche ist:

Für die WRV gilt, dass sie mit einer verfassungsmäßigen Rückständigkeit brach und als erste deutsche Verfassung herrschaftskonstituierenden Charakter hatte. Mit dem substanziell neuen Element der Volkssouveränität ging unter diesen Bedingungen fast zwangsläufig die Abkehr von der alten föderativen Ordnung des Kaiserreichs einher. Die Einbeziehung von bundesstaatlichen Elementen in den verfassungsmäßigen Rekonstruktionsprozess musste „trotz der auch in den Ländern erfolgten Umstürze als ein geradezu konservatives Element gesehen werden“, heißt es bei Lengemann[1]. Dennoch konnten „Machtteilungsinstrumente im Umgestaltungsprozess wirksam werden und damit auch im Gegensatz zu gerade von Liberalen vertretenen unitarischen Tendenzen strukturkonservierend wirken“ .

Der Weimarer Föderalismus war ein Kompromiss[2] zwischen Kontinuität und Erneuerung, er blieb mit Spannungen beladen und gehörte zu den bis 1933 am meisten diskutierten Verfassungsfragen. Winkler stellt fest: „Im Endergebnis war das Reich unitarischer, als es die Föderalisten, und föderalistischer, als es die Unitarier gewünscht hatten“[3].

Das Grundgesetz indes ist unter völlig anderen historischen Bedingungen zustande gekommen. Die „äußeren Zwänge“ waren durch die totale militärische und moralische Niederlage und den kompletten Zusammenbruch des Hitler-Reiches ungleich größer als die Zwänge des Versailler Vertrages für die Weimarer Republik. Die Frage der Territorialität, die der Frage der föderativen Ordnung naturgemäß vorgelagert ist, ist 1945 existentieller als sie es 1918[4] war. Analog zum Zerfall der territorialen Integrität verläuft der Verlust an Souveränität. Die reduzierte Souveränität[5] hatte für die zukünftige föderative Ordnung unter zwei Gesichtspunkten Bedeutung: hinsichtlich der Legitimation der Einzelstaaten und des Gesamtstaats sowie in Bezug auf die Frage des Fortbestands der Staatlichkeit nach 1945 (siehe Kap.4). Obwohl es mit der Niederlage 1945 zu einem Neubeginn auf allen Ebenen kommen musste, konnten die Väter des Grundgesetzes auf den Erfahrungen einer volkssouveränen Verfassung aufbauen: die Grundprinzipien der WRV werden übernommen, auf Defizite wird reagiert. Grimm analysiert:

„Das Grundgesetz lebt aus der Reaktion auf die vermeintlichen oder wirklichen Defizite der Weimarer Verfassung. Ohne die Weimarer Verfassung kann es nicht verstanden werden. Dabei muß man aber beachten, dass das Grundgesetz in allen seinen Grundprinzipien mit der Weimarer Verfassung identisch ist. Republik, Demokratie, Rechtsstaat, Sozialstaat, Bundesstaat waren die Grundprinzipien der Weimarer Verfassung, wie sie die Grundprinzipien des Grundgesetzes sind“.[6]

Die föderativen Ordnungen von GG und WRV müssen folgerichtig vor dem jeweiligen historischen Hintergrund beurteilt werden: Welche föderalen Strukturen waren schon vorhanden? Wie viel Föderalismus war möglich – wie viel Föderalismus war gewollt? Welche waren die unitaristischen – welche die föderalistischen Kräfte? Föderalismus – das wird deutlich – ist ein sehr dynamisches Gestaltungsprinzip des Staates. Nyman bezeichnet Föderalismus als „Zwischenform oder Synthese von Unitarismus einerseits und Partikularismus andererseits. Während der Unitarismus zentralistisch arbeitet und der Partikularismus den zentrifugalen Kräften freien Spielraum gewährt, kann man den Föderalismus als ein Integrationsprinzip betrachten“[7].

In dieser Arbeit wird der Begriff des Föderalismus, wie in der aktuellen Auslegung üblich, als Betonung der Wahrung von Eigenständigkeit des Einzelstaates gegenüber dem Zentralstaat verwendet, analog dazu „föderal“ (Zustand) und „föderalistisch“ (Föderalismus einfordernde Konnotation). In Abgrenzung davon werden „föderativ“ und „föderative Ordnung“ als neutralere Begriffe des Ordnungsprinzips verwendet.

2 Die Genese der Weimarer Reichsverfassung

2.1 Der Föderalismus des Kaiserreichs

Das 1918 untergegangene Deutsche Kaiserreich war ein monarchistischer Bundesstaat mit starken Ländern. Charakteristisch für die Stärke der Einzelstaaten war die Unantastbarkeit ihres Gebietsstandes, ihre verfassungsmäßige Existenzgarantie und die für das Reich sehr ungünstige Finanzverfassung[8]. Der Bundesrat als Vertretung der Mitgliedstaaten war neben dem Kaiser das oberste und stärkste Reichsorgan. Trotzdem wies die Bundesebene einen strukturellen Defekt hinsichtlich ihrer föderalen Gestalt auf. De facto war nur der preußische Staat stark gegenüber dem Reich, nicht zuletzt wegen der Personalunion in den wichtigsten Ämtern. Das Deutsche Reich war ein Bundesstaat von Preußens Gnaden und letztlich ja auch eine preußische Schöpfung. Die Reichsebene diente vor allem auch als Machtbalance zwischen Preußen und den anderen Einzelstaaten. Das größte Problem aber der bundesstaatlichen Ordnung des Kaiserreichs war der Dualismus von Preußen und Reich. Ein Problem, das erst durch den sogenannten Preußenschlag[9] zwar nicht gelöst, aber doch schließlich beendet wird.

In der Konsequenz war seit dem Herbst 1918 jede Bestrebung, einen Staat auf Volkssouveränität zu gründen, automatisch eine solche, die unitaristisch ausgerichtet war (gegen bündnischen Föderalismus) und Preußens hegemoniale Stellung brechen wollte. Die föderale Idee war durch ihre damalige Kompatibilität mit der autoritären Staatsorganisation diskreditiert. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass mit dem Zusammenbruch des Kaiserreichs die kleineren feudalen Landesregierungen ihre Macht nicht behaupten konnten.[10]

2.2 Das Ende des Kaiserreichs und die Ausarbeitung der WRV

Die Vorfestlegung Eberts und des Rates der Volksbeauftragten auf eine grundlegende Revision des Föderalismus des Kaiserreichs wird deutlich an der frühen Beauftragung des linksliberalen Preuß mit der Ausarbeitung einer Verfassung[11]. Nach dessen Vorstellung sollte die föderative Ordnung des Reichs von Grund auf neu gestaltet werden. An die Stelle der Gliedsaaten sollten 16 Gebiete mit der Reichsgewalt untergeordneten Befugnissen treten. Gegen Preuß‘ Idee des dezentralisierten Einheitsstaats[12] mit Ländern nur als „höchstpotenzierte Selbstverwaltungs-Einheiten“[13] regte sich aber bald Widerstand im Rat der Volksbeauftragten selbst und bei den Ländervertretern, die schon am 25.11.18 die Bildung einer Ländervertretung durchgesetzt hatten. Auch die Revolutionen in den Einzelstaaten hatten diese selbst ja nicht beseitigt. Die Arbeiter- und Soldatenräte hatten sich vielmehr in der vorgegebenen staatlichen Gliederung konstituiert, um die Länderbürokratien unter Kontrolle zu bringen. Die neu gebildeten Regierungen waren aber stark genug, die Berücksichtigung ihrer Interessen in der neuen Reichsverfassung durchzusetzen[14]. Separatistische Bemühungen allerdings, wie etwa im Rheinland oder das Projekt einer Donauföderation, hatten keine wirklichen Aussichten auf Erfolg.

Der Verfassungsentwurf von Hugo Preuß hatte sich in seiner Grundausrichtung schon so weit durchgesetzt und im „Gesetz zur vorläufigen Ordnung der Staatsgewalt“ vom 10.2.19 Eingang gefunden, dass die Aussprache in der Nationalversammlung nur noch ein „Nachhall“[15] blieb. Immerhin gelang der Länderkommission und dem Staatenausschuss der Nationalversammlung eine Reföderalisierung des Verfassungsentwurfs, insbesondere durch die Einführung eines Reichsrates als Vertretung der Länderregierungen, dessen Einflussmöglichkeit auf gesamtstaatliche Regelungen gegenüber der Bismarck’chen Verfassung allerdings erheblich zurückgedrängt war. Die übermäßig starke Stellung des Reichspräsidenten in der WRV ist dazu gewissermaßen komplementär. Ebert und der Mehrheit der Sozialdemokratie ging es darum, „einen breiten gesellschaftlichen Konsens für die Demokratisierungspolitik herzustellen“[16]. Durch die Direktwahl des Reichspräsidenten hatte dieser neben seiner verfassungsmäßig herausragenden Stellung („Ersatzkaiser“) auch noch eine sehr große Legitimation und unitarisierende Kraft, vor allem, weil diesem Organ in der krisengeschüttelten Weimarer Republik fatalerweise am meisten die Lösung der Probleme zugetraut wurde. Dabei ist die Konzeption dieses Organs eher selbst ein demokratietheoretischer Defekt[17]. Ein echter Föderalismus wäre mit einer solchen präsidialen Machtkonzentration (§48 WRV) unvereinbar gewesen. Es leuchtet allerdings ein, dass die starke Stellung des Reichspräsidenten geradezu als demokratischer Gegenentwurf zur Hohenzollern – Monarchie verstanden wurde. So begrüßte der – drei Tage später, am 14.2.19 - zum Präsidenten der Nationalversammlung gewählte Konstantin Fehrenbach (Zentrum) den frisch (am 11.2.19) zum vorläufigen Reichspräsidenten gewählten Ebert mit den Worten:

„Meine Damen und Herren!. Zum erstenmal hat sich das deutsche Volk ein Oberhaupt aus freier Selbstbestimmung gegeben. Der neue Reichspräsident ist der Erkorene der großen Mehrheit des deutschen Volkes. Die einzige Quelle seines Rechtes ist der Wille des Volkes, auf ihm allein beruht die Macht und die Würde seiner Stellung. Verschwunden ist der Vormund aus ererbtem Recht. An seiner Stelle steht der selbstgewählte Führer. Wir dürfen gewiß sein, dass der neue Reichspräsident jedem Versuch, an die Stelle des Willens der Volksmehrheit die gewalttätige Diktatur einer Minderheit zu setzen, mit aller Macht entgegentreten wird. Die Demokratie wird in ihm einen starken Hort haben.“[18]

[...]


[1] Weimarer Verfassung, S.13.

[2] Vgl. Gusy, Die WRV, 224.

[3] Weimar, S.100.

[4] Die Weimarer Republik hatte es mit Gebietsverlusten und separatistischen Tendenzen zu tun. Der Gebietsverlust allerdings war verhältnismäßig kleiner als 1945 – vor allem kam es nicht wie hier zu einer Aufteilung in zwei getrennte Hoheitsbereiche.

[5] Vgl.. Nyman, Föderalismus, 42.

[6] Weimarer Verfassung, S.22.

[7] Föderalismus, 5.

[8] Vgl. Reuter, Föderalismus, S. 182: Das Reich als „Kostgänger“ der Einzelstaaten.

[9] Nach dem Art.48,1 konnte der Reichspräsident ein Land auch ohne gerichtliche Hilfe unter Einsatz von Militär zu einem verfassungstreuen Verhalten anhalten (sog. Reichsexekution) – am 20.7.32 wird durch von Papen der preußische Machtapparat durch das Reich besetzt.

[10] Lengemann beschreibt den ausgehöhlten weltfernen Zustand der kleinen Monarchien spöttisch : Der monarchische Glanz als solcher war die raison-d’être ihres So-Seins (Die Weimarer Verfassung , 7).

[11] Der Staatsrechtler Hugo Preuß wird bereits am 15.11.18 ins Reichsamt des Inneren berufen.

[12] Vgl. Boldt, Die WRV, 48.

[13] Preuß, Denkschrift , in: Ritter , 335.

[14] Vgl. Boldt, Die WRV, 48.

[15] Vgl. Lengemann, Die Weimarer Verfassung, 7.

[16] Vgl. Mühlhausen, Friedrich Ebert, 19.

[17] Lengemann hebt das problematische Demokratieverständnis der Väter der WRV hervor, die ein „Gleichgewicht“ exekutiver und legislativer Gewalt forderten, analog zu der Auffassung, die Regierung sei das „Gegenüber“ des Parlaments, nicht dessen „mit exekutivischer Kompetenz ausgestattete Spitze“. (Die WRV, 8,9)

[18] Bei Tormin, S. 93 und 94.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Föderalismus in der Weimarer Reichsverfassung und im Grundgesetz - ein Vergleich
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für Politik- und Sozialwissenschaften)
Veranstaltung
Das Grundgesetz als Reaktion auf die Erfahrungen mit der Weimarer Reichsverfassung – Ein Verfassungsvergleich
Note
2,3
Autor
Jahr
2004
Seiten
20
Katalognummer
V84755
ISBN (eBook)
9783638012416
Dateigröße
460 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Mit der Föderalismusreform scheint es seit Jahren nicht recht voranzugehen. Zu unterschiedlich scheinen die grundsätzlichen Auffassungen vom Verhältnis des Bundes zu den Ländern. Es bleibt also genügend Zeit für einen langen und vielleicht inspirierenden Blick zurück .... "eine im großen und ganzen recht gut gelungene Darstellung der föderalen Verhältnisse in der Weimarer Reichsverfassung und im Grundgesetz, wobei positiv hervorzuheben ist, dass der Verfasser auch die jeweiligen politischen Implikationen der verschiedenen Föderalismus-Systeme zur Sprache bringt" (Prof. Preuß)
Schlagworte
Föderalismus, Weimarer, Reichsverfassung, Grundgesetz, Vergleich, Grundgesetz, Reaktion, Erfahrungen, Weimarer, Reichsverfassung, Verfassungsvergleich
Arbeit zitieren
Bernhard Nitschke (Autor:in), 2004, Föderalismus in der Weimarer Reichsverfassung und im Grundgesetz - ein Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84755

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