Venedig im Zentrum einer mittelalterlichen Weltwirtschaft


Seminararbeit, 2006

44 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt:

1.Einleitung
1.1. Gab es eine mittelalterliche Weltwirtschaft?

2. Der Aufstieg Venedig zur Groß- und Handelsmacht

3. Die institutionellen Rahmenbedingungen Venedigs auf dem Weg zum Handelszentrum
3.1. Das Münzsystem
3.2. Bankwesen und Bargeldlose Zahlungen
3.2.1. Regelung von Zinssätzen
3.3. Personelle Organisation des Überseehandels
3.3.1. Kartelle und Verbände
3.4. Schiffsbau und Flottenpolitik des venezianischen Löwen

4. Venedig und der Orienthandel
4.1. Ägyptens ökonomische Entwicklung als Handelsplatz seit dem 3. Kreuzzug
4.2. Entwicklung der Handelsbeziehungen zwischen Venedig und Ägypten zur Zeit des dritten Kreuzzuges
4.3. Die institutionellen Rahmenbedingungen in Alexandria
4.4. Warentransfer zwischen Alexandria und Venedig
4.5. Der Handelsplatz Palästina und die Rolle Venedigs während der Kreuzzüge im Heiligen Land
4.6. Die ökonomische Grundlagen, die Bedeutung und Entwicklung des Heiligen Landes als Handelsplatz für Venedig
4.7. Ausbau der Rahmenbedingungen
4.8. Die Wiederaufnahme des Baumwollhandels mit Palästina im Spätmittelalter
4.9. Das Aufblühen des Baumwollhandels

5. Zusammenfassung:

Literaturverzeichnis:

1.Einleitung

In aktuellen wissenschaftlichen Diskursen über das Leben im Mittelalter wird oft angenommen, dass der Warenhandel meist in einem sehr begrenzten Wirtschaftsraum durchgeführt wurde. Aus der Sicht der Volkswirtschaftslehre und Teilen der Wirtschaftsgeschichte wird die mittelalterliche Wirtschaft als Feudalwirtschaft charakterisiert, in der der Warentransfer regional begrenzt und in Tauschgeschäfte abgewickelt wurde. Dieser Sichtweise auf die mittelalterliche Wirtschaft liegt das Paradigma zugrunde, wonach die ökonomische Entwicklung von der antiken Hauswirtschaft über die Jahrhunderte hinweg exponentiell zunahm. Am Ende dieser Entwicklung steht die moderne Weltwirtschaft.[1]

Folgt man diesem Ansatz, so bildeten die norditalienischen Seestädte, allen voran Venedig, eine regionale und kulturelle Ausnahme und ihre Handelsbeziehungen mit Afrika und Asien waren im Vergleich zum Rest der europäischen Wirtschaft im Mittelalter nur von marginaler Bedeutung gewesen.

Geht man jedoch, wie Fritz Rörig schon 1932 in seinem Aufsatz[2], davon aus, dass es eine Weltwirtschaft im Mittelalter gab, dann eröffnet sich eine vollkommen neue Perspektive auf die Entwicklung der Lagunenstadt. Der plötzliche Aufstieg Venedigs wäre kein lokales Phänomen mehr, sondern nur ein Teil einer gewerblichen Entwicklung, die in der ganzen damaligen bekannten Welt zu einem Aufblühen des Handels führte.

Die folgende Arbeit soll am Beispiel des Aufstiegs Venedigs[3] über die mögliche Existenz einer mittelalterlichen Weltwirtschaft Aufschluss geben. Das besondere Augenmerk ruht hierbei auf den institutionellen Rahmenbedingungen[4] der Lagunenstadt und Ihrer Position im Handel mit dem Orient[5].

1.1. Gab es eine mittelalterliche Weltwirtschaft?

Bezüglich der Wirtschaftsform im Mittelalter besteht in der Literatur ein kontroverser Diskurs. Einige Ökonomen und Wirtschaftshistoriker gehen davon aus, dass sich die „Weltwirtschaft“ in der Moderne stufenweise in der Abfolge „geschlossener Hauswirtschaft“, „Stadtwirtschaft“ und schließlich über die „Volkwirtschaft“ entwickelt hätte. Demnach sei im Mittelalter „Stadtwirtschaft“ betrieben worden.[6] Die Befürworter dieser These sind der Ansicht, die mittelalterliche Stadt sei in der Lage ihre Bedürfnisse aus eigener Kraft zu befriedigen. Dies bedeutet, dass sämtliche für eine Stadt und ihre Bewohner benötigten Rohstoffe, Fertigwaren, Produktionsmittel, Humankapital, Know-how, etc. in der Stadt oder zumindest um sie herum vorhanden gewesen sein müssten. Bezüglich des Handels gehen sie davon aus, dass lediglich Luxuswaren importiert und exportiert worden seien, die ein äußerst geringer Anteil der Bevölkerung, nämlich der wohlhabende Adel, käuflich erwerben konnte. Da zum einen lediglich Luxusgüter gehandelt wurden und zum anderen eine verschwindend geringe Anteil der Bevölkerung in die „außerstadtliche“ Wirtschaft involviert war, dürfe nicht von einer „Weltwirtschaft“ gesprochen werden.

Diese These wird von vielen ihrer Gegner, darunter auch Fritz Rörig, der bereits im Jahre 1932 in einem Aufsatz[7] von der Existenz einer „mittelalterlichen Weltwirtschaft“ ausgeht, falsifiziert.

Das Abendland des Mittelalters versuchte stets die ihm bekannte Welt in seine Wirtschaft zu integrieren.[8] Folgt man der Reiseroute Marco Polos (1254-1325), dem venezianischen Kaufmann und Weltreisenden, der im Verlauf dieser Röhrigs Arbeit einen Schwerpunkt einnimmt, so sollte eine Falsifikation dieser These Rörigs äußerst schwer fallen. Gehandelt wurde über Afrika, den Orient bis hin nach Indien und China.[9] Diese Regionen der Erde machten im Mittelalter die gesamte bekannte Welt aus.

Das Handeln über Grenzen von verschiedenen Herrschaftsräumen hinaus war stets unmittelbar von vorherrschenden politischen Verhältnissen abhängig. So galten zu der Zeit die Türken als Wirtschaftsbarriere für die christlichen Kaufleute aus dem Abendland, so dass diese gezwungen waren Seewegen nach Indien zu suchen.[10]

Die historische Existenz einer mittelalterlichen Weltwirtschaft veranschaulicht Rörig unter anderem anhand der Tuchproduktion. Grundsätzlich war es nicht möglich die Vertreter aller verschiedenen Gewerbe in der Stadt zu beherbergen - man bedenke die geringe Anzahl der Bewohner der Städte. Sieht man im Falle der Tuchproduktion von allem hierfür Benötigtem, außer Arbeitskräften, ab so würde festgestellt werden, dass allein für die Tuchproduktion eine derart hohe Anzahl von Arbeitskräften benötigen würde, welche einer mittelalterliche Stadt nicht zur Verfügung stand.

In Europa existierte damals schon in der Tuchproduktion so etwas wie eine „Spezialisierung“. Tuch mit höherwertiger Qualität wurde im Westen und Tuch von minderer Qualität im Osten, produziert. Ein reger Handel ist nicht nur innerhalb Europas zu rekonstruieren. Höherwertiges Tuch wurde aus Flandern nach Frankreich und Florenz verkauft, von wo es aus weiter in den Orient exportiert wurde. Auch Tuch minderer Qualität wurde überregional gehandelt. So wurde zum Beispiel polnisches Tuch minderer Qualität im Osten aber auch in Konstanz und Venedig gehandelt.[11]

Die für die Tuchproduktion in Flandern benötigten Rohstoffe belegen einen hohen überregionalen –um nicht zu sagen weltweiten- Mobilitätsgrad von Ressourcen und Produkten. Für die Tuchproduktion wurde Wolle aus England, später auch aus Spanien verarbeitet. Pottasche, die aus der Ostsee gewonnen wurde, für die Vorbereitung des Tuchs stammte aus Danzig. Waid, aus Erfurt, wurde für das Färben genutzt. Für die Haltbarkeit und den Glanz der Farbe benötigte man Alaun aus Nordwestafrika, Ägypten und Kleinasien (Alexandria, Aleppo, Konstantinopel). Alaun wurde überwiegend in Barcelona, Venedig und Genua eingefahren.[12]

Anhand des Exempels der Tuchproduktion und seines Vertriebes wird die hohe Intensität der „globalen“ wirtschaftlichen Integration deutlich. Eine über Staaten bzw. in diesem Fall über Stadtstaaten hinweg existierende Arbeitsteilung und Mobilität von Ressourcen, Produkten und Produktionsmitteln weisen auch die hansischen Wirtschaftstätigkeiten auf.

Generell kann behauptet werden, dass die Händler die Träger der Weltwirtschaft waren.[13] Sie handelten über Grenzen verschiedenster Herrschafts- und Kulturräume hinweg. Fürsten erteilten Privilegien, die im Interesse der Kaufleute waren. Die finanzielle Abhängigkeit der Fürsten nutzten die Kaufleute im eigenen Interesse. Händler aus einem „Wirtschaftraum“ bzw. einer Stadt handelten mit Händlern aus einem anderen Wirtschaftsraum bzw. einer anderen Stadt. Es waren also „Milieus“, die wirtschaftlich interagierten und nicht die Städte als Hoheiten. Die mittelalterliche Stadt wird aufgrund ihrer gegebenen Autonomie als „Stadtstaat“ bezeichnet. So kann durchaus behauptet werden dass im Mittelalter Wirtschaft „transstaatlich“, wenn nicht sogar „transnational“, betrieben wurde. Denn Nationen, wie wir sie heute definieren, existierten im Mittelalter nicht. Auch gab es damals, wie heute, Wirtschaftzentren und -mächte, Brügge, Venedig und Alexandria. In diesen und noch vielen weiteren Städten konzentrierte sich der überregionale Handel.

2. Der Aufstieg Venedig zur Groß- und Handelsmacht

Bis zu Beginn des fünften Jahrhunderts existierte die heutige italienische Lagunenstadt, welche sich im Mittelalter zu einer Seemacht entwickelte, noch nicht. Die Lagune wurde für eine Besiedelung gemieden, da ihre Lage und Witterungsbedingungen als äußerst ungünstig galten.[14]

Über die Entstehungszeit Venedigs existieren viele Legenden. Die genaue Entstehungszeit der Stadt kann nicht festgelegt werden. Es ist jedoch anzunehmen, dass die erste nennenswerte Besiedlung der Lagune im fünften Jahrhundert begann. Zu diesem Zeitpunkt sie als Fluchtziel vor der Invasion der Hunnen in Norditalien genutzt.

Durch den Fischfang und die Gewinnung von Salz, welches als wichtiges Tauschgut für die Lagunenbewohner galt, wurde der Lebensunterhalt gesichert. Die Invasion dauerte nicht lange an, sodass die meisten Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehrten. Longworth stellt in diesem Zusammenhang fest, dass die Anzahl der Bewohner der Lagune, welche zumeist „Fischer, Schiffer und Salinenarbeiter“[15] waren, dennoch stieg, sodass sich eine soziale und politische Ordnung bildete, welche als „primitive Demokratie“[16] bezeichnet werden kann.[17] Dies hielt jedoch lediglich ein Jahrhundert. Im Jahre 568 okkupierten die Langobarden den einen Großteil Norditaliens. Diese Invasion wurde Ursache einer erneuten Fluchtwelle der Norditaliener in die Lagune. Auch nach dieser Invasion ist die Mehrheit der Flüchtlinge in ihre Heimat zurückgekehrt. Jedoch haben die Einwanderer, die in der Lagune sesshaft wurden, die bisherige Gesellschaftsstruktur der Lagune maßgeblich verändert. Nun unterschied man in Venedig zwischen Vornehmen, Mittleren und Geringen Bürgern. Vermutlich ist diese Unterteilung in Ständen bzw. Schichten durch die eingewanderten Aristokraten eingeführt worden. Doch als größeres Problem erwies sich die politische Diskrepanz zweier großer Parteien. Die eine Partei orientierte sich nach Rom und die andere nach Byzanz. Einige Chronisten behaupten, dass die Venezianer ihre gänzliche Unabhängigkeit wünschten. Die Konflikte zwischen diesen Interessensgruppen führte häufig zu Blutvergießen. Jedoch ohne Erfolg, da Venedig in Zukunft weder durch Rom noch durch Byzanz kontrolliert werden sollte.[18] Ein erster wichtiger Schritt Venedigs zur Entwicklung zur Seemacht war der Aachener Friedensvertrag zwischen Byzanz und den Franken werden. Der 814 ratifizierte Vertrag sicherte Venedigs Rechte über das Umland zu und sah ihre Zugehörigkeit zum byzantinischen Hoheitsbereich vor. Ferner erhielt Venedig Handelsprivilegien durch die Franken, welche einen relativ freien Handel auf dem Festland vorsahen. Hierfür sollten jährlich 36 Pfund Silber an den fränkischen Kaiser entrichtet werden. Durch diesen Friedensvertrag erhielt Venedig zwar nicht ihre Unabhängigkeit, jedoch wurde sie zu einer wichtigen Handelsverbindung zwischen Byzanz und den Franken. Die angehende Seemacht wusste diese Verbindungen gut auszunutzen. Auf dem Festland konnte sie nun frei handeln und über Byzanz hatte sie Zugang zu den östlichen Häfen, mit denen sie später einen regen Handel trieb. Ihre wichtigsten Tauschgüter waren zunächst Fisch und – vor allem – Salz. Dies wurde gegen andere Güter getauscht, um sie in anderen Märkten wieder gewinnbringend einzusetzen.[19]

Trotz der ökonomischen Fortschritte verblieb Venedig nach wie vor politisch in byzantinischer Oberhoheit, wovon sich die Venezianer loszulösen versuchten. Dieser Angelegenheit sowie der Verständigung mit den Franken, die das italienische Festland beherrschten, widmete sich während seiner Regierungszeit (836-864) der Doge Petrus Trandenicus.

Jedoch war der Doge zunächst gehalten, Gefahren, die die Sicherheit der Venezianer gefährdeten, abzuwehren. Die Kroaten, welche sich auf der Balkaninsel angesiedelt hatten und bis an die Küste Norddalmatiens vorgedrungen waren, standen Venedig feindlich gegenüber. Im Jahre 839 schloss der Doge mit ihnen Frieden. Unmittelbar danach widmete er sich dem nächsten bestehenden Problem: Slawische Gruppen hatten sich um die Mündung und im Flusstal der Narenta und auf den vor der Küste vorgelagerten Inseln angesiedelt. Die Narentaner überfielen in räuberischen Zügen die in der Adria auftauchenden venezianischen Schiffe und plünderten sie aus. Es gelang dem Dogen jedoch Vereinbarungen mit den Narentaner zu treffen, die eine gefahrlose Durchfahrt der venezianischen Schiffe sicherten.[20]

Das erfolgreiche Abwehren der dargelegten Gefahren durch die Venezianer imponierte den Franken dermaßen, dass ihr Kaiser Lothar I. am 22.11.840 mit ihnen rechtliche und handelspolitische Vereinbarungen traf.[21] Unter anderem sicherten die Verträge den Venezianern das freie Handeln in dem gesamten Königreich zu, wobei im Gegenzug Angehörige des Königreichs über See frei handeln durften. Wichtiger als die Einzelheiten des ratifizierten Vertrages ist, dass der Doge durch das Königreich als ein unabhängiger „Verhandlungspartner“ anerkannt wird. Der Doge, der durch den venezianischen Klerus und Adel zum Oberhaupt Venedigs gewählt worden war, war somit praktisch kein Provinzialbeamter Byzanz´ mehr, sondern ein unabhängiger Herrscher, der ohne die Zuschaltung dritter Mächte Vereinbarungen bezüglich der politischen Belange Venedigs treffen konnte. Dies bedeutete zugleich die Anerkennung der Selbstständigkeit Venedigs. Auch in Zukunft hielt Venedig geschickt an diesem Vertragsverhältnis mit dem benachbarten Königreich fest, jedoch ohne sich ihm unterzuordnen.

Trandenicus beabsichtigte ein Verhältnis mit Byzanz aufzubauen, das dem mit dem Westreich vergleichbar war. Unabhängigkeit galt hierbei als oberstes Ziel. Spätestens nachdem Venedig während der Regierungszeit Trandenicus´ eine eigne Kriegsflotte aufgebaut hatte und somit in einem weiteren Aspekt Unabhängigkeit von Byzanz errungen hat, war dem Ostreich klar, dass die faktische Oberhoheit über Venedig nicht mehr haltbar war.[22] Dies wurde jedoch vor dem Hintergrund der byzantinischen Diplomatie noch nicht offen zugegeben.

Insofern ist die Regierungspolitik des Dogen Petrus Trandenicus für die Geschichte Venedigs von großer Bedeutung, als das diese für die Grundsätze der nach ihm folgenden venezianischen Autoritäten quasi bestimmend war. Hauptziele Venedigs wurden in Zukunft „Unabhängigkeit von den führenden Mächten in Ost und West, Gewinnung bzw. Erhaltung der Vorherrschaft in der Adria, Offenhaltung der Handelswege und Ausbau der eigenen Machtgrundlagen“.[23] Die Kriegsflotte kristallisierte sich als Garant dieses Bestrebens. So war Venedig 992 bereit Byzanz im Falle von Angriffen auf Unteritalien, welche zum Ostreich gehörte, mit ihrer Kriegs- und Transportflotte Hilfe zu leisten. Dafür verlangte Venedig von Byzanz den Schutz seiner Kaufleute und ihrer Schiffsladungen vor willkürlichen und überhöhten Abgaben.[24] Auch fast 90 Jahre danach rief Byzanz die Venezianer für den Kampf gegen die Normannen um Hilfe. Wie zuvor blieb Venedig Byzanz treue. Die Treue ließ sich Venedig - wie bisher gewohnt – gut entlohnen. Fortan sollten die venezianischen Kaufleute überall im byzantinischen Reich mit allen, ohne jegliche Abgaben zu zahlen, handeln dürfen.[25] Jedoch wurde den Angehörigen des Reichs der Handel über Venedig hinaus nicht gestattet. Durch diesen Vertrag erhielten die Venezianer das Monopol für den Warenumschlag.[26] Der Warenumschlag wurde in den nächsten Jahrhunderten wie folgt praktiziert: Aus Westeuropa anreisende Kaufleute wurden zur Unterkunft in den Fondaco dei Tedeschi, dessen Idee aus Ägypten stammte, wo diese Art von Unterkünften seit langem bereits existierten, gezwungen. Das waren für fremde Kaufleute vorgesehene Wohngebäude, die sich in der Nähe der Rialtobrücke im Geschäftszentrum befanden. Nach dem Deponieren der Waren, wurden diese einer Kontrolle unterzogen. Nach dem späteren Verkauf der Waren, mussten sie dem erwirtschafteten Erlös venezianische Waren kaufen. Der direkte Handel durch venezianische Kaufleute mit Westeuropa war verboten. Wollte man in Venedig vorhandene Waren kaufen, musste man selbst anreisen. Ferner musste der gesamte Handelsverkehr, der durch den venezianischen Herrschaftsraum floss, über den Hafen Venedigs abgewickelt werden.[27]

Wie auch im späteren Verlauf der Geschichte Venedigs an vielen Stellen, wie beispielsweise den Kreuzzügen, deutlich wird, waren die wirtschaftlichen Interessen der venezianischen Politik stets von höchster Priorität.

Während der Jahrhunderte, in den Venedigs zur Großmacht aufstieg, war der Stadtstaat nicht nur um Unabhängigkeit bemüht, sondern auch um ein gutes Verhältnis zum Ost- und Westreich. Venedig vermied es mit großer Gewandtheit, die Oberhoheit dritter Mächte anzuerkennen. Vielmehr kooperierten Venezianer als faktisch unabhängiger Stadtstaat mit jeder Macht, von der sie sich wirtschaftlichen Profit versprachen. Nicht zuletzt aufgrund seiner geschickten und zum Teil skrupellosen Politik gelang Venedig eine zügige wirtschaftliche Entwicklung. Der Bau eigener Handels- und Kriegsschiffe bedeutete für Venedig, neben der faktischen Unabhängigkeit von dem byzantinischen Reich, die Erschließung neuer Herrschafts- und Handelsräume. Von Salz- und Fischhändlern entwickelten sich die Lagunenbewohner zu einer Großmacht, die mit sämtlichen, auf dem „Weltmarkt“ verfügbaren Waren, wie Seide, Gewürze, Baumwollstoffe und Sklaven, von Westeuropa über das Mittelmeer bis zum Orient, Indien und China handelte.

Venedig erlangte am Ende des 14. Jahrhunderts nach erfolgreichen kriegerischen Auseinandersetzungen und politischer Gewandtheit die Vormachtstellung im Mittelmeerraum und spielte fortan eine zentrale Rolle im Weltwirtschaftssystem. Ganz Westeuropa, der Mittelmeerraum und Konstantinopel waren bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts von Venedig abhängig.[28]

3. Die institutionellen Rahmenbedingungen Venedigs auf dem Weg zum Handelszentrum

Jede Wirtschaftsordnung beruht auf gesellschaftsspezifischen Institutionen. Im Sinne der „Neuen Institutionenökonomik“ versteht man unter Institutionen sanktionsbewehrte Regeln, (Gesetze, Verträge, ethische und moralische Normen, Bräuche ect.), die die Handlungsmöglichkeiten der Akteure in der Gesellschaft einschränken und das Verhalten der Wirtschaftssubjekte innerhalb des Regelgebäudes beeinflussen.[29] Weitere wichtige Aspekte in der „Neuen Institutionenökonomik“ sind die Transaktionskosten, also die Kosten die bei der Anbahnung, dem Abschluss und der Kontrolle von Verträgen anfallen. Dabei handelt es sich um Opportunitätskosten, die durch den entgangenen Nutzen der nächstbesten Handlungsmöglichkeit anfallen. Transaktionskosten fallen für den Nachfrager schon bei Beschaffung von Informationen an. Auf der Suche nach einem Anbieter muss er Zeit investieren um Preise zu vergleichen und Qualität des Gutes zu prüfen. Die gleiche Zeit müssen Anbieter und Nachfrager aufwenden, um den Vertrag zu formulieren. Und schließlich muss der Vertrag eventuell gegenüber einem vertragsbrüchigen Partner durchgesetzt werden.[30]

Dadurch dass Institutionen maßgeblich das Verhalten der Akteure in einer Gesellschaft beeinflussen, tragen sie entscheidend zu der Höhe der Transaktionskosten bei. Das Vertrauen in die institutionellen Rahmenbedingungen und die Durchsetzung von Eigentumsrechten und Vertragssicherheit kann wiederum zu Anreizen für neue Unternehmungen der Akteure führen. Die Gesamtheit, der Institutionen die für das wirtschaftliche Handeln der Akteure relevant sind und die Gesamtheit aller Verhaltensregelmäßigkeiten der Akteure auf der Grundlage der institutionellen Rahmenbedingungen einer Gesellschaft werden aus institutionsökonomischer Sicht als Wirtschaftsordnung bezeichnet.[31]

Die Nachfolgenden Ausführungen sollen einen Überblick der institutionellen Rahmenbedingungen Venedigs auf dem Weg zum Handelszentrum geben, angefangen beim Münzsystem übers Bankwesen bis zur personellen Organisation des Überseehandels und den Schiffsbau.

3.1. Das Münzsystem

Die Institution Geld bzw. Goldwährung existierte bereits im 9. Jahrhundert im italienischen Mittelmeerraum. Während dieses Jahrhunderts sind Grundstückeinkäufe in Amalfi, einem Teil Venedigs, belegt, die mit Goldmünzen bezahlt worden sind, jedoch nicht mit einer Währung des Mittelmeerraumes.[32]

Zwischen dem 11. und 13. Jh. kam es zu einer allmählichen Festigung der Institution Geld. Im italienischen Mittelmeerraum wurden zunächst Silbermünzen geprägt. Bis zu der Prägung eigener Goldmünzen wurden Darlehen in byzantinischen Goldstücken vereinbart. Es wurde überwiegend Tauschhandel betrieben.[33]

Als aufsteigende Handelsmacht sah Venedig sich in wirtschaftspolitischer Hinsicht gezwungen, ein einheitliches und stabiles Münzsystem zu schaffen, um nicht zuletzt eine diesbezügliche Unabhängigkeit des Staates zu erlangen. Am Ende des 12. Jahrhunderts begann Venedig eigene Groschen zu prägen. Im Jahre 1204 ließ der Doge Enrico Danoldo zur Finanzierung des vierten Kreuzzuges, an dem sich Venedig aus ökonomischem Interesse beteiligte, den großen Silberpfennig „grosso“ mit einem Gewicht von 2,18 Gramm prägen.[34] Neben dem Grosso verfügten die Venezianer über kleine Silberpfennige mit geringerem Silbergehalt. Diese Münzen dienten lediglich dem Einzelhandel in Venedig als Zahlungsmittel.[35] In Oberitalien prägte zunächst Genua, im Jahre 1250 gefolgt von Florenz, eigene Goldmünzen, die als Standardwährung Oberitaliens galten. Erst im Jahre 1284 prägte Venedig erstmals eigene Goldmünzen. Dem florentinischen „Fioro“ entsprechend betrug das Gewicht des venezianischen Gold-Dukaten, inklusive des Goldgehaltes, 3,56 Gramm. Über 500 Jahre – bis zur Auflösung des venezianischen Staates – konnte der Wert der Gold-Dukaten konstant stabil gehalten werden.[36] Administrativ ordnete die Signoria zur Mitte des 14. Jahrhunderts den Übergang von der Silber- zur Goldwährung an. Sie erklärte den Golddukaten zum verbindlichen Zahlungsmittel im Wert von 24 Silberpfennigen „Grossi“. Trotz dieser Verfügung wurde der Grossi weiterhin als Zahlungsmittel verwendet, was sich aufgrund der fortwährenden Balancierung des Nenn- und Marktwertes beider Währung nicht als problematisch erwies.[37]

[...]


[1] Borchardt, K.: Globalisierung in historischer Perspektive. Bayrische Akademie der Wissenschaften, philosophisch-historische Klasse, Sitzungsberichte, Jahrgang 2001, Heft 2. München 2001.

[2] Rörig, F.: Mittelalterliche Weltwirtschaft: Blüte und Ende einer Weltwirtschaftsperiode, in ders., Wirtschaftskräfte im Mittelalter. Abhandlungen zur Stadt- und Hansegeschichte, 2. Aufl. Wien u. a.: 1971, S. 351-391.

[3] Die Grundlegende Literatur zu Venedig: Hellmann, H.: Grundzüge der Geschichte Venedigs. Darmstadt 1976. Karbe, L. C.: Venedig oder die Macht der Phantasie: die Serenissima – ein Modell für Europa. München 1995. Lane, F. C.: Seerepublik Venedig. München 1980. Longworth, Philip: Aufstieg und Fall der Republik Venedig. Wiesbaden 1976. Maus, H.; Mondfeld W. z.: Alles Gold gehört Venedig: die Weltmacht in der Lagune. München 1978. Rösch, G.: Venedig. Geschichte einer Seerepublik, Stuttgart 2000. Schaube, A.: Handelsgeschichte der romanischen Völker des Mittelmeergebiets bis zum Ende der Kreuzzüge, München, Berlin 1906. Zwiedineck, Hans v. Südenhorst: Venedig als Weltmacht und Weltstadt. Zweite Aufl. Bielefeld 1906.

[4] Zu den allgemeinen Definitionen der Institutionenökonomik und der Wirtschaftspolitik: Richter, R., Furubotn, E.: Neue Institutionenökonomik, Eine Einführung und kritische Würdigung. Tübingen 1996. Streit, W.: Theorie der Wirtschaftspolitik. Düsseldorf 2000. Speziell auf Venedig: siehe die Literatur in der Anmerkung 3.

[5] Grundlegend für die Sicht auf den Orienthandel ist das Werk von Schaube, A., Handelsgeschichte der romanischen Völker des Mittelmeergebiets bis zum Ende der Kreuzzüge, München, Berlin 1906. Und Runicam, S.: Geschichte der Kreuzzüge, München 1962. Speziell für den Handel in Ägypten und Palästina sind folgende Bücher und Aufsätze verwand worden: Labib: Handelsgeschichte Ägyptens im Spätmittelalter (1171-1517), VSWG, Beiheft 46, Wiesbaden 1965. Rösch, G.: Der Handel Ägyptens mit dem Abendland, in: Venedig und die Weltwirtschaft, Herg. Stromer von, W., Stuttgart 1999, S. 234 – 255. Favrean – Lile, Marie – Luise: Der Fernhandel und die Auswanderung der Italiener ins Heilige Land, in: Venedig und die Weltwirtschaft, Herg. Stromer von, Wolfgang, Stuttgart 1999, S. 203 -233. Ashtor, E: Europäischer Handel im spätmittelalterlichen Palästina. In: Fischer, W.; Schneider, J. (Hg.): Das Heilige Land im Mittelalter: Begegnungsraum zwischen Orient und Okzident. Neustadt an der Aisch 1982. S. 107 – 126.

[6] Vgl. Borchardt, K.: Globalisierung in historischer Perspektive. Bayrische Akademie der Wissenschaften, philosophisch-historische Klasse –Sitzungsberichte - Jahrgang 2001, Heft 2. München 2001, S. 16.

[7] Vgl. Rörig, F.: Mittelalterliche Weltwirtschaft. Wien, Köln, Graz: 1971, S. 353

[8] Vgl. ebd.

[9] Favier, J.: Gold und Gewürze. Der Aufstieg des Kaufmanns im Mittelalter, aus dem franz. übers. von Schmid, R., Hamburg 1992. S. 68 ff.

[10] Vgl. Rörig, S. 354 f.

[11] Vgl. Rörig, S. 356 ff.

[12] Vgl. Ders., S. 359ff.

[13] Vgl. Ders., S. 376

[14] Vgl. Longworth, Philip Aufstieg und Fall der Republik Venedig, Wiesbaden 1976, S. 12.

[15] Vgl. Longworth, S. 17.

[16] Vgl. Ders., S. 13.

[17] Vgl. ebd.

[18] Vgl. Longworth, S. 19 f.

[19] Vgl. Ders., S. 26 f.

[20] Vgl. Hellmann, M.: Grundzüge der Geschichte Venedigs. Darmstadt 1976, S. 13 ff.

[21] Vgl. ebd.

[22] Vgl. Ders., S. 16.

[23] Vgl. Hellmann, M., S. 17.

[24] Vgl. Ders., S. 27.

[25] Vgl. Ders., S. 46.

[26] Vgl. Ders., S. 54.

[27] Vgl. Braudel, Fernad, Sozialgeschichte des 15.-18. Jahrhunderts, München 1986, S. 132 f.

[28] Vgl. Braudel, Sozialgeschichte, S. 112.

[29] Richter, Rudolf, Furubotn, Eirik, Neue Institutionenökonomik, Eine Einführung und kritische Würdigung. Tübingen 1996. S.7

[30] Vgl. Richter, Furubotn, S. 57.

[31] Vgl. Streit, Wolfgang, Theorie der Wirtschaftspolitik. Düsseldorf 2000, S. 27f..

[32] Vgl. Braudel, Sozialgeschichte, S. 112.

[33] Vgl. Braudel, Sozialgeschichte, S. 114.

[34] Vgl. Karbe, L. C.: Venedig oder die Macht der Phantasie: die Serenissima – ein Modell für Europa, München 1995, S. 58.

[35] Vgl. Lane, F. C.: Seerepublik Venedig, München 1980, S. 229.

[36] Vgl. Karbe, S. 58f.

[37] Vgl. ebd.

Ende der Leseprobe aus 44 Seiten

Details

Titel
Venedig im Zentrum einer mittelalterlichen Weltwirtschaft
Hochschule
Universität Bielefeld  (Fakultät für Geschichtswissenschaften, Philosophie und Theologie)
Veranstaltung
Weltwirtschaft im Mittelalter und der Frühen Neuzeit
Note
1,7
Autor
Jahr
2006
Seiten
44
Katalognummer
V84768
ISBN (eBook)
9783638015394
ISBN (Buch)
9783638918336
Dateigröße
593 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eine gut formulierte und theoriegeleitete Arbeit.
Schlagworte
Venedig, Zentrum, Weltwirtschaft, Mittelalter, Frühen, Neuzeit
Arbeit zitieren
Sven Rolf (Autor:in), 2006, Venedig im Zentrum einer mittelalterlichen Weltwirtschaft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/84768

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