„Der noch unlängst von manchen Kritikern verspottete Familien- und Generationenroman ist wieder modern.“ So Marcel Reich-Ranicki zum 50. Todestag Thomas Manns über die aktuellen Bedeutung des Familienromans.
In soziologischen Untersuchungen von Gabriele Rosenthal beobachtet diese in der Enkelgeneration ein interessantes Phänomen: „Die Folgen der Vergangenheit werden in Abfolge der Generationen nicht etwa schwächer, sondern sie werden in der dritten Generation sichtbarer: Deutlicher noch als ihre Eltern agieren die Enkel die Folgen der Vergangenheit aus.“
In den Romanen „Es geht uns gut“ von Arno Geiger und „Vienna“ von Eva Menasse, die in der vorliegenden Arbeit genauer untersucht werden sollen, ist allerdings das Schreiben der Enkelgeneration zu beobachten: Bernhard Jahn hält hierzu fest, dass „das Thema der Gedächtnisarbeit nicht mehr jenen zentralen Stellenwert bei der Konstruktion des Textes annimmt, den es noch vor fünf Jahren hatte“ , sondern in den neuen Familienromanen „zeitausgreifend mindestens drei Generationenkonflikte“ vorgestellt werden. Primär ist nicht mehr, so die Arbeitshypothese, die literarische Auflösung des Familiengeheimnisses, sondern primär ist sozusagen „alles andere“ , wie das Verhältnis der Generationen untereinander und die Betrachtung der Art und Weise, wie in den unterschiedlichen Generationen Familienmythen entstehen und welche Auswirkungen sie haben.
Die ausgewählten zwei Bücher eigenen sich deshalb besonders zur gemeinsamen Betrachtung, da sie beide von österreichischen Autoren geschrieben sind und vor dem Hintergrund Wiens die politische Situation darstellen.
Als augenfällige Differenzkategorie bieten sie zwei unterschiedliche familiäre Horizonte: Während bei Geiger zu Zeiten des Nationalsozialismus eine typische Mitläuferfamilie geschildert wird, hat die Familie bei Menasse tendenziell eher einen Opferhintergrund, da der Großvater jüdischer Abstammung ist. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Gedächtnis und Erinnerung
- Einführung zu den Begriffen Erinnerung und Gedächtnis
- Gedächtnisformen
- Das kollektive Gedächtnis
- Das kulturelle Gedächtnis
- Das kommunikative Gedächtnis
- Das Familiengedächtnis
- Konflikt zwischen öffentlichem Gedenken und persönlichem Erinnern
- Erinnern in Familien von Holocaustüberlebenden und Nazi-Tätern
- Generationendiskurs
- Zum Verständnis des Generationenbegriffs
- Generationstypen nach dem Zweiten Weltkrieg
- Die Kriegsgeneration
- Die Zweite Generation
- Die Dritte Generation
- Arno Geiger „Es geht uns gut“
- Erinnerungsdiskurs und Nichterinnerung: Große Geschichte in kleinen Geschichten
- Generationenbeziehungen und -differenzen in der Familie Sterk / Erlach
- Ein Antifamilienroman?
- Eva Menasse „Vienna“
- Manisches Mythologisieren“ – Das Familiengedächtnis und seine Leerstellen
- Identitätssuche im und durch den Familienroman
- Generationskonflikte: Männer- und Frauenrollen in „Vienna“
- Der Erinnerungsdiskurs bei Menasse und Geiger - Auswertung zweier Autoreninterviews
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht die Rolle des Gedächtnisses und der Erinnerung im Familienroman der dritten Generation nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Fokus stehen die Auseinandersetzung mit der Familiengeschichte und die Bewältigung der Vergangenheit im Kontext des Holocaust.
- Das Familiengedächtnis als Ort der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit
- Die Suche nach Identität im Kontext des Holocaust
- Der Einfluss der Familiengeschichte auf die dritte Generation
- Die Rolle von Erinnerungsmedien im Familienroman
- Die Rezeption des Holocaust in der Literatur der dritten Generation
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik des Familienromans der dritten Generation ein und stellt die Relevanz dieser Gattung im Kontext der Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit dar. Das zweite Kapitel beleuchtet den Begriff des Gedächtnisses und der Erinnerung sowie die verschiedenen Formen des Gedächtnisses. Im dritten Kapitel werden die Generationen nach dem Zweiten Weltkrieg und insbesondere die Herausforderungen der dritten Generation in Bezug auf die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit betrachtet. Das vierte und fünfte Kapitel analysieren die Familienromane „Es geht uns gut“ von Arno Geiger und „Vienna“ von Eva Menasse in Bezug auf die oben genannten Themen.
Schlüsselwörter
Familienroman, dritte Generation, Holocaust, Gedächtnis, Erinnerung, Familiengeschichte, Identitätssuche, Generationenkonflikt, Erinnerungsmedien, Vaterbücher.
- Arbeit zitieren
- Catharina Niedermeier (Autor:in), 2007, „Alles andere ist letztlich primär“ - Die Gedächtnisstrukturen im Familienroman der Dritten Generation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85054