Angewandte Diskursforschung - Verkaufsgespräche


Bachelorarbeit, 2007

46 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Erkenntnisinteressen, Ansätze und Vorgehensweisen der Angewandten Gesprächsforschung
2.1 Erkenntnisinteressen
2.2 Ansätze
2.3 Vorgehensweisen
2.3.1 Methodologische Prinzipen der Gesprächsforschung
2.3.1.1 Die Sequenzanalyse
2.3.1.2 Die Muster- bzw. Schemaanalyse
2.3.2 Arbeitsweisen der Angewandten Gesprächsforschung
2.4 Untersuchungsbereiche
2.4.1 Linguistische Gesprächselemente
2.4.2 Ebenen der Interaktionskonstitution

3. Zum Forschungsstand von Verkaufsgesprächen als Gegenstand der Angewandten Gesprächsforschung
3.1 Forschungshintergrund und Literaturüberblick
3.2 Kommunikative Grundeigenschaften
3.2.1 Strukturbeschreibung
3.2.2 Die Problematik der Beziehungsarbeit im Direktmarketing
3.2.3 Glaubwürdigkeit

4. Fragestellung

5. Untersuchung
5.1 Methodologie
5.2 Material und Hintergrund
5.3 Versuch einer Phasierung des Gesprächsverlaufs
5.4 Sequenzanalyse
5.5 Systematische Zusammenfassung der Ergebnisse
5.5.1 Allgemeine Ergebnisse
5.5.2 Ergebnisse im Hinblick auf die Fragestellung
5.6 Ansatz zur Problemanalyse

6. Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Kommunikation gehört zu unserem alltäglichen Miteinander. Wir orientieren uns dabei an Normen, die wir innerhalb unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens erlernt und verinnerlicht haben. Somit können wir uns den unterschiedlichsten Situationen und Gesprächspartnern anpassen, ohne dass es uns dabei wirklich bewusst ist. Die Gesprächsanalyse hat sich zur Aufgabe gemacht, gerade das zu analysieren, was für uns Sprecher selbstverständlich erscheint. Dabei sollen regelmäßige Muster herausgearbeitet werden, die sich in unserer Kommunikation wiederfinden und darauf anwenden lassen (vgl. Cameron 2001: 90).

In den letzten Jahren hat das Bewusstsein für Kommunikation als so genannte Schlüsselqualifikation an Bedeutung gewonnen (vgl. Brünner/Fiehler/Kindt 2002: 7). Auch in der Berufswelt rücken sprachliche Fähigkeiten als Ressource zur Realisierung ökonomischer Zwecke immer mehr in den Vordergrund. Damit geht das wachsende Interesse an der Förderung und Optimierung sprachlicher Kompetenzen einher (vgl. Strohner 2002: 15).

Eine Gattung, in der die wirtschaftliche Bedeutung von Kommunikation besonders zum Ausdruck kommt, ist das Verkaufsgespräch. Diese Arbeit beschäftigt sich mit dem Verkaufsgespräch als Diskurstyp, wobei der spezielle Fokus auf „Face to Face“ - Kommunikation im außendienstlichen Direktmarketing liegt. Es soll untersucht werden, inwiefern ein Gespräch von einem Sprecher, in diesem Fall dem Verkäufer als dominantem Gesprächspartner, gelenkt und auf ein gewisses Ziel gesteuert wird. Ferner soll auf die Besonderheiten eingegangen werden, die durch die Gegebenheiten im Direktmarketing zustande kommen.

In einem ersten Schritt wird die Theoriegrundlage erläutert. Diese besteht aus zwei wesentlichen Teilen, zum einen einer Einführung in die Angewandte Diskursforschung an sich, zum anderen soll der spezielle Diskurstyp „Verkaufsgespräch“ näher beleuchtet werden.

Becker-Mrotzek und Meier geben in ihrem Aufsatz „Arbeitsweisen und Standardverfahren der Angewandten Diskursforschung“ einen guten Basisüberblick, weshalb ich diesen als Hauptgrundlage des ersten Theorieteils verwende. Bei der Darstellung der Untersuchungsbereiche werden hauptsächlich die Ebenen der Interaktionskonstitution und Wirklichkeitskonstruktion nach Deppermann erläutert.

Als Einführung in die Thematik der Verkaufsgespräche dient ein kurzer Überblick über den Forschungsstand, der die Tendenzen innerhalb der Diskursforschung wiedergeben soll. Hierbei werde ich mich lediglich auf die für diese Arbeit relevante Thematik der „Face to Face“ - Kommunikation beziehen und andere Formen von Verkaufsgesprächen außer Acht lassen. Damit beschränkt sich auch der Literaturüberblick auf die für diese Arbeit zum Thema Verkaufsgespräche verwendete Literatur.

Darauf folgt eine Beschreibung der Struktur und der kommunikativen Eigenschaften von Verkaufsgesprächen einschließlich der Problematik im Bezug auf das Beziehungsmanagement bei diesem speziellen Diskurstyp.

Bevor ich zur Vorstellung und Untersuchung des praktischen Materials übergehe, möchte ich die Fragestellung erläutern, die der Analyse unterliegt. Es folgt die Untersuchung des exemplarischen Verkaufsgesprächs mit anschließender Diskussion. Die Ergebnisse werden systematisch zusammengefasst und im Hinblick auf die Fragestellung untersucht. Mein Fazit schließt einen Ausblick ein, wobei ich meine Beobachtungen als Grundlage für mögliche weiterführende Analysen betrachte. Hierbei soll auch in den Blick genommen werden, inwiefern die analysierten Aspekte Anstoß zur Erstellung eines Trainingskonzepts geben könnten.

2. Erkenntnisinteressen, Ansätze und Vorgehensweisen der Angewandten Gesprächsforschung

2.1 Erkenntnisinteressen

Als Gegenstand der Analyse in der Angewandten Gesprächsforschung dienen hauptsächlich Interaktionen, die innerhalb eines beruflichen bzw. institutionellen Rahmens stattfinden. Das spezielle Erkenntnisinteresse besteht in der Offenlegung von Strukturen und damit der Identifizierung von Regularitäten und wiederkehrenden Mustern. Als Voraussetzung gilt dabei zunächst die Annahme, dass Gespräche grundsätzlich strukturiert verlaufen (vgl. Becker Mrotzek/Meier 2002: 19).

Außerdem steht vor allem die kommunikative Zielsetzung im Interesse der Betrachtung. So wird die Realisierung zugrunde liegender Ziele analysiert, um herauszufinden, inwiefern sie zweckmäßig bzw. problematisch ist. In der Analyse gilt es anhand des empirischen Materials festzustellen, welche Wirkung eine bestimmte Äußerungsrealisierung hat. Das Ergebnis kann dann mit der intendierten Zielsetzung verglichen werden. Auf diese Weise ist es möglich, die optimale Realisierungsform, jedoch lediglich für die Gegebenheiten der konkreten Situation, zu ermittelt (vgl. Knapp 2004: 308). Ziel der Analyse besteht also darin, die Form sprachlicher Handlungen aus den zugrunde liegenden Zwecken zu erklären und zu analysieren (vgl. Pothmann 1997: 16).

2.2 Ansätze

Bezüglich der Gesprächsordnung lassen sich zwei Ansätze unterscheiden (vgl. BeckerMrotzek/Meier 2002: 21-22). Die Gesprächs- und Konversationsanalyse geht davon aus, dass die Verständigung zwischen Gesprächspartnern auf bestimmten Verfahren zur Gesprächsordnung beruht, wie etwa dem gegenseitigen Anzeigen von Handlungen und Initiieren von Folgehandlungen. Die Verständigung wird demnach im Gesprächsverlauf individuell organisiert.

Aus Sicht der funktionalen Pragmatik orientieren sich Sprecher laut BeckerMrotzek / Meier an gesellschaftlich entwickelten Handlungsnormen, die sich in der kommunikativen Praxis bewährt haben. Durch diese Handlungsnormen bietet sich ein Spektrum an verbalen Mitteln, die in bestimmten sich wiederholenden Situationen eingesetzt werden können. Somit entsteht in diesem Ansatz eine Gesprächsordnung nicht nur durch individuelle Verständigungsprozesse, sondern auch durch den Rückbezug auf vorherige Sprechhandlungen.

2.3 Vorgehensweisen

Das wesentliche Merkmal der angewandten Gesprächsforschung besteht darin, dass authentische Kommunikationsereignisse als Grundlage zur Analyse dienen. Es werden also keine rein theoretischen Beschreibungssysteme entworfen, die dann auf praktische Beispiele angewandt werden.

Vielmehr werden für die Untersuchung Kategorien entwickelt, die sich aus den Gesprächsausschnitten ableiten lassen. Hierdurch unterscheidet sich die Angewandte Gesprächsforschung deutlich von der Dialoggrammatik, in der analytisch deduktiv gearbeitet und das Material lediglich als Verifikationsinstrument genutzt wird (vgl. Pothmann 1997: 21).

Die Vorgehensweise auf dem Weg zur Erkenntnisgewinnung besteht aus mehreren Schritten. Zunächst setzt die Flüchtigkeit mündlicher Kommunikation voraus, dass Diskurse aufgezeichnet und verschriftlicht werden. Anhand des Transkriptionsverfahrens können hierbei nicht nur der inhaltliche Verlauf, sondern auch detaillierte Informationen im Bezug auf Intonation, Sprecherwechsel, Pausen etc. wiedergegeben werden. Die eigentliche Analysearbeit beginnt mit der Beobachtung des Materials. Im Hinblick auf den Anspruch einer induktiven Arbeitsweise in der angewandten Gesprächsforschung stellen Becker-Mrotzek / Meier an dieser Stelle die Voreingenommenheit durch vorhandenes Theoriewissen als Problem dar. Gleichermaßen bezeichnen sie dieses jedoch auch als wichtige Orientierungshilfe (vgl. Becker Mrotzek/Meier 2002: 23). Es gilt also, trotz Theoriekenntnis eine gewisse Offenheit gegenüber dem Material zu bewahren.

Die regelmäßigen, sich wiederholenden Phänomene müssen erkannt und gesammelt werden. Sie können Aufschluss im Hinblick auf strukturelle Gesprächsmuster geben. Wurden derartige Muster identifiziert, besteht ein weiterer Analyseschritt darin, festzustellen, wie sie zustande kamen und wie sie zu interpretieren sind.

2.3.1 Methodologische Prinzipen der Gesprächsforschung

Für die Analyse des Materials erklären Becker-Mrotzek / Meier zwei Standardverfahren, die in der angewandten Gesprächsforschung benutzt werden (vgl. Becker Mrotzek/Meier 2002: 25-35). Wichtig ist, dass die Reihenfolge der einzelnen Analyseschritte innerhalb der Untersuchung variabel ist, da sie sich am Material orientiert.

2.3.1.1 Die Sequenzanalyse

Ein Standardverfahren ist die Sequenzanalyse (vgl. Becker Mrotzek/Meier 2002: 25- 29). Im Gespräch folgen Äußerungen nicht einfach hintereinander, die einzelnen Turns sind vielmehr kommunikativ funktional miteinander verknüpft. Dabei können sie im Gesprächszusammenhang auf ihre Responsivität bzw. Non-Responsivität untersucht werden. Dieses Prinzip basiert auf der Annahme, dass Gesprächsteilnehmer grundsätzlich versuchen, sich kooperativ zu verhalten und das Gleiche auch von ihrem Gegenüber erwarten. Bei Brinker und Sager wird der Begriff „Responsivität“ folgendermaßen erklärt:

„Der Angesprochene erfüllt alle Erwartungen und Verpflichtungen, die mit der initiierten Sprecheräußerung verbunden sind. So gibt er z.B. auf eine Frage eine sog. echte Antwort.“ (Brinker/Sager 2001: 71).

Der Begriff „Non-Responsivität“ bezeichnet im Gegenzug ein Verhalten, bei dem der Gesprächspartner nicht die von ihm erwarteten Obligationen erfüllt. Eine dritte Form der Reaktion stellt die Teil-Responsivität dar, bei der der Sprecher zwar Bereitschaft zeigt, auf das Gesagte zu reagieren, dabei aber nur teilweise die Erwartungen erfüllt (vgl. Brinker/Sager 2001: 73).

Um die Responsivität von Gesprächsschritten untersuchen zu können, muss klar sein, dass jeder Gesprächsschritt eine kommunikative Handlungsfunktion beinhaltet. Brinker und Sager unterscheiden zwischen initiativen Handlungstypen (z.B. Fragen, Aufforderungen, Vorwürfen, Bitten usw.) und reaktiven Handlungstypen (z.B. Antworten, Rechtfertigungen, Entschuldigungen, Danksagungen usw.). Letztere werden durch die initiativen Äußerungen bedingt und dadurch auf bestimmte Handlungsalternativen beschränkt (vgl. Brinker/Sager 2001: 81).

Cameron spricht in diesem Zusammenhang von benachbarten Äußerungspaaren (engl. adjacency pairs), bei denen die zweite Äußerung funktional von der Ersten abhängig ist (Cameron 2001: 96). Die zweite Äußerung wird sozusagen durch die Erste erwartbar. Dieses Prinzip der Abhängigkeit in Paarsequenzen bezeichnet man als konditionelle Relevanz.

Im Sinne des Kooperationsprinzips muss also auf die erste Äußerung Bezug genommen werden. Dass dies nicht immer unmittelbar geschehen muss, wird beispielsweise durch so genannte Einschubsequenzen, wie Zwischen- oder Gegenfragen, deutlich:

(1) 1 Gast: „Einen Whiskey-Cola bitte.“
2 Bedienung: „Wie alt bist du?“
3 Gast: „Achtzehn.“
4 Bedienung: „Okay, kommt sofort!“

In diesem Beispiel benötigt die Bedienung zunächst eine Antwort auf die Gegenfrage in Zeile zwei, um auf die Anfrage des Gastes zu reagieren.

Ähnlich funktionieren so genannte Präsequenzen. Dabei müssen zunächst einmal die Voraussetzungen für eine zukünftige Sprechhandlung geklärt werden.

(2) „Hast du heute Abend schon was vor?“

Es ist zunächst eine Antwort auf die vorgeschobene Frage nötig, um eine Einladung äußern zu können (vgl. Becker Mrotzek/Meier 2002: 27).

2.3.1.2 Die Muster-bzw. Schemaanalyse

Als ein zweites Standardverfahren nennen Becker-Mrotzek / Meier die Analyse großräumiger Strukturen (vgl. Becker Mrotzek/Meier 2002: 29-35). Die Anforderungen, die sich an die Sprecher stellen, bestehen nicht nur darin, den Gesprächsverlauf lokal zu organisieren und sich ihrem Gesprächspartner gegenüber kooperativ zu zeigen. Besonders in beruflichen Kontexten geht es vor allem darum, in einem Gespräch auch komplexere kommunikative Aufgaben zu bewältigen. So unterliegt beispielsweise einem Verkaufsgespräch die Aushandlung eines Kaufvertrages als kommunikative Aufgabe. Jede Art von Aufgabe bringt laut BeckerMrotzeck / Meier immer wiederkehrende Anforderungen an die Beteiligten mit sich. Ferner müssen Teilaufgaben erledigt werden. Bei dem Beispiel des Verkaufsgesprächs besteht eine Teilaufgabe darin, den Kunden zu überzeugen.

Für die Bewältigung wiederkehrender kommunikativer Aufgaben haben sich mit der Zeit mehr oder weniger feste Strukturen entwickelt. Es gibt also Muster bzw. Schemata, die den Verlauf eines Gesprächs regeln. Laut Becker-Mrotzek / Meier sind für die Analyse nicht nur die Muster bedeutsam, sondern auch das Wissen der Sprecher/innen über derartige Standardformen. Das Musterwissen ist jedoch eher unbewusst und intuitiv. So führt das Abweichen vom Muster zu Kommunikationsproblemen (vgl. Becker Mrotzek/Meier 2002: 30).

Für die Analyse kommunikativer Großformen stellen Becker-Mrotzek / Meier die Muster- bzw. Schemaanalyse vor. Die Schwierigkeit, die sich daraus ergibt, zugrunde liegende Muster an oberflächlichen sprachlichen Äußerungsformen zu erkennen, vergleichen Becker-Mrotzek und Meier bildlich mit dem Verhältnis vom Kochrezept zum Menü.

„Obwohl dem Essen ein bestimmtes Rezept zugrunde liegt, lassen die Speisen nicht unbedingt die Zutaten oder die erforderlichen Zubereitungsschritte an der Oberfläche erkennen.“ (Becker Mrotzek/Meier 2002: 31).

Die Ausgangsbasis muss darin bestehen, die zugrunde liegenden Muster zu identifizieren. Ein weiterer Schritt beinhaltet die Einteilung in erkennbare Phasen, die sich etwa durch Sprecherwechsel, Pausen, inhaltliche Wechsel etc. erkennen lassen. In der Detailanalyse kann das theoretische Hintergrundwissen, beispielsweise durch die beschriebene Sequenzanalyse, angewendet werden. Als einen wichtigen Analysepunkt führen Becker-Mrotzek / Meier ferner die Betrachtung mentaler Prozesse als wichtigen Analysepunkt an. Dieser richtet sich an die Frage, welche kognitiven Prozesse von den Handelnden gefordert sind, um eine Äußerung verstehen und darauf reagieren zu können. Anhand der Analyseergebnisse kann dann in minimaler Weise die Abfolgelogik rekonstruiert und durch eine anschließende Musterprüfung bestätigt werden (vgl. Becker Mrotzek/Meier 2002: 33-34).

2.3.2 Arbeitsweisen der Angewandten Gesprächsforschung

Die Arbeitsweise der Angewandten Gesprächsforschung zielt also grundsätzlich darauf ab, Strukturen im Material zu erkennen und dabei Regularitäten und wiederkehrende Muster festzuhalten. Die beschriebenen methodologischen Prinzipien gelten dabei grundsätzlich für jegliche Form der Gesprächsanalyse.

Die Angewandte Gesprächsforschung beschäftigt sich nicht nur mit der alltäglichen Kommunikation, sondern auch oder vor allem mit der Kommunikation in beruflichen und institutionellen Bereichen. So behandeln gesprächsanalytische Untersuchungen die kommunikativen Besonderheiten in verschiedenen Institutionen wie Schule, Politik, Medien etc. und Diskurstypen wie dem Arzt-Patienten-Gespräch, der Kommunikation in der Altenpflege, der Wirtschaft, Verwaltung etc.. Dabei beziehen sich die Ergebnisse nicht nur auf Eigenschaften der unterschiedlichen Gattungen, sondern auch auf die lokalen Aufgaben, die sich daraus ergeben (vgl. Brünner/Fiehler/Kindt 2002: 7-8).

Wie schon bei der Formulierung der Erkenntnisinteressen erwähnt, sind aus Sicht der Angewandten Gesprächsforschung die Konsequenzen identifizierter Muster und Handlungsformen zu untersuchen. Hiermit wird ein Anwendungsbezug geschaffen, wobei die Offenlegung struktureller Probleme häufig der Ausgangspunkt für den Entwurf von Handlungsoptionen sowie Kommunikationsoptimierung ist.

Bei der Problemanalyse stellen Becker-Mrotzek / Meier zwei Perspektiven vor: zum einen die Analyse der Funktionalität, eine eher übergeordnete und gesellschaftlich-funktionelle Perspektive, zum anderen die Qualitätsanalyse, die sich am Verlauf des Gesprächs orientiert und dabei die Qualität der Praxis untersucht (vgl. Becker Mrotzek/Meier 2002: 37).

Untersuchungen bezüglich der Funktionalität betreffen die kommunikativen Widersprüchlichkeiten in Institutionen. Zu dieser Analyse gehört auch, dass die Aufgaben der Institution dargestellt werden, um dann zu prüfen, ob die kommunikative Praxis diesen Aufgaben gerecht wird. Häufig sind kommunikative Probleme institutionell bedingt. Becker-Mrotzek / Meier zeigen ein Paradoxon auf:

„Indem sich die Beteiligten institutionskonform verhalten, verfehlen sie zugleich den institutionellen Zweck.“ (Becker Mrotzek/Meier 2002: 38).

Als Beispiel nennen Becker-Mrotzek / Meier medizinische Gespräche, in denen eine patientenorientierte Beschwerdenschilderung aus Zeitmangel nicht möglich ist. Eine Änderung des kommunikativen Verhaltens wäre in diesem Falle zwecklos, da die Probleme institutionell verankert sind (vgl. Becker Mrotzek/Meier 2002: 37-38).

Bei der Qualitätsanalyse verhält es sich hingegen so, dass nicht die zugrunde liegenden Muster in Frage gestellt werden, sondern vielmehr untersucht wird, ob die Beteiligten die Muster angemessen umsetzen. Es wird also die Effizienz der Praxis geprüft. Ein Analysepunkt bezieht sich hier beispielsweise auf die Realisierung der zeitlichen Abfolge. So kann etwa geprüft werden, ob eine sprachliche Handlung zu früh oder zu spät getätigt wird (vgl. Becker Mrotzek/Meier 2002: 39-40).

Die Untersuchung struktureller Verständigungsprobleme bildet die Schnittstelle zur kommunikativen Praxis. Das gewonnene Wissen wird als Grundlage für Fortbildungskonzepte, wie etwa Kommunikationsberatung, -training oder Coaching genutzt. Becker-Mrotzek und Brünner sprechen von der Professionalisierung der kommunikativen Praxis in beruflich-institutionellen Zusammenhängen (vgl. Becker Mrotzek/Brünner 2002: 36). Eine Verbesserung der Diskursfähigkeit wird dadurch erreicht, dass auf der Basis diskursanalytischer Untersuchungen ein Bewusstsein für die Funktion von Sprache im Berufsalltag geschaffen wird. Die Beteiligten sollen für ihr sprachliches Handeln sensibilisiert werden und dieses bewusster wahrnehmen. Daneben geht es bei Becker-Mrotzek und Brünner auch um selbstreflexive Kompetenz, wobei möglicherweise traditionell verfestigte Muster in Frage gestellt und bei Bedarf verändert werden sollen. Ein wichtiger Teil betrifft ferner die Verbesserung der Institutionskompetenz. Wie bereits in der Darstellung der Funktionalitätsanalyse angesprochen, kommen viele Kommunikationsprobleme durch institutionelle Rahmenbedingungen zustande. Daher ist es wichtig, die Strukturen in Institutionen zu beleuchten (vgl. Becker- Mrotzek/Brünner: 36-37).

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Angewandte Gesprächsforschung in der Praxis ein Bewusstsein für kommunikative Vorgänge schafft. Dabei sollen nicht nur Probleme behandelt, sondern auch Handlungsspielräume erkannt und produktiv genutzt werden (vgl. Becker-Morotzek/Brünner 2002: 37). Zur Erweiterung des Handlungsrepertoires ist damit sowohl die Analyse problematischer Strukturen, als auch die Betrachtung gelungener Kommunikationsstrategien von Bedeutung (vgl. Strohner 2002:31).

2.4 Untersuchungsbereiche

2.4.1 Linguistische Gesprächselemente

Neben den Gesprächssequenzen und ihren Zusammensetzungen zu Gesprächsmustern lassen sich auch kleinere Einheiten und linguistische Grundelemente untersuchen.

So kann beispielsweise die Höreraktivität durch so genanntes back-channeling behaviour näher betrachtet werden. Aus der alltäglichen Praxis sind uns hierbei mehrere Formen von Hörersignalen geläufig: der Gebrauch von Partikeln (ja, hm, na ja etc.), Stellungnahmen und Verständnisbekundungen in Form von Kurzäußerungen (ja genau, stimmt, richtig, achso, verstehe) oder auch nonverbale Zeichen wie Kopfnicken, Kopfschütteln und Blickkontakt. Der Sprecher selbst kann solch ein Rückmeldeverhalten beispielsweise durch Zwischenfragen auch selbst initiieren (z.B. oder nicht? nicht wahr?) (vgl. Brinker/Sager 2001: 57).

Bei den Back-channel Prozessen handelt es sich also um eine Gesprächsteilnahme, die keinen Sprecherwechsel zur Folge hat. Darüber hinaus ist es interessant zu untersuchen, wie der Sprecherwechsel organisiert ist, etwa durch Fremd- oder Selbstzuweisung (vgl. Brinker / Sager 2001: 60). Cameron hält in ihren Ausführungen fest, dass das Rederecht stets neu verhandelt wird. Dies geschieht immer im Laufe einer Konversation als Ergebnis des Gesagten und ist nicht durch einen vorgefertigten Handlungsplan der Gesprächsteilnehmer im Vorfeld festgelegt (vgl. Cameron 2001: 90).

Nichtsdestotrotz lassen sich einige regelmäßige Muster festhalten. Cameron verweist hierbei auf Sacks (1978). Er geht davon aus, dass die Teilnehmer eines Gesprächs in der Lage sind, einzelne Gesprächseinheiten (turn constructional units, TCU) zu erkennen und deren Ende als möglichen Einstiegspunkt für einen Sprecherwechsel zu identifizieren (turn transition relevance place, TTP).

Dies beinhaltet jedoch auch, dass Sprecher ihre Gesprächsbeiträge strukturieren und für den Hörer als eine Einheit kenntlich machen müssen. Als so genannte Gliederungssignale können neben parasprachlichen Mitteln wie Prosodie und Sprechpausen auch konkrete sprachliche Ausdrücke dienen, z.B. und, aber, und so weiter (vgl. Brinker Sager 2001: 66).

2.4.2 Ebenen der Interaktionskonstitution

Laut Deppermann besteht die Interaktion aus verschiedenen Ebenen, die in der Analyse untersucht werden können. Er macht jedoch deutlich, dass diese Ebenen von den Interaktionspartnern nicht separat behandelt werden. Ereignisse auf einer Ebene haben stets auch Auswirkungen auf einen anderen Bereich, weshalb die Analyse immer alle Ebenen in den Blick nehmen sollte (Deppermann 1995: 42).

Die folgenden Beschreibungen der Interaktionskonstitution basieren auf den Ausführungen Deppermanns in seinem Aufsatz zur Praxis der Gesprächsanalyse (1995: 42-54).

Eine Ebene behandelt die Interaktionsbeteiligung und damit die Frage „Wer spricht zu wem?“. Dies ist bereits bei Interaktionen mit lediglich zwei Sprechern nicht immer unkompliziert.

„Der Standardfall ‘eine Sprecherin spricht für sich selbst mit ihren eigenen Worten, von deren Geltung sie selbst überzeugt ist, zu einer Adressatin, für die diese Mitteilung ausschließlich bestimmt ist’ gilt allzu oft nicht.“ (Deppermann 1995:43).

Deppermann macht damit deutlich, dass man nicht immer für sich als Person, sondern nicht selten stellvertretend für eine Gruppe oder Abwesende spricht oder beispielsweise andere Positionen durch Imitation oder Ironie einnimmt.

Als eine weitere Ebene führt Deppermann die Gesprächsorganisation an, also die Einordnung der Beiträge in einen geordneten zeitlichen Zusammenhang und die Organisation des Sprecherwechsels. Ein Gespräch lässt sich grundsätzlich in drei Teile gliedern: Die Eröffnungsphase, die Kernphase und die Beendigungsphase (Brinker/Sager 2001: 94). Dabei sind besonders die Eröffnungs- und die Beendigungsphase durch Gruß- und Abschiedsformeln stark ritualisiert. Je nach Art des Gesprächs lassen sich weitere Phasen herausstellen. Ferner geht es in der Gesprächsorganisation um die Weitergabe von Kontextualisierungshinweisen, beispielsweise, wenn man plant, ein Gespräch zu beenden (Vorbeendigungsphasen wie „Ich muss jetzt langsam gehen“) oder eine geplante Handlung ankündigen möchte (z.B. Ankündigungen wie „Stell dir vor, was mir heute passiert ist“). Auch die Absicherung des wechselseitigen Verständnisses, etwa durch aktives Zuhören, ist ein wichtiger Teil der Gesprächsorganisation (vgl. Deppermann 1995: 44-45).

Eine dritte Ebene betrifft Thema und Inhalt der Interaktion. Dabei macht Deppermann deutlich, dass sowohl das Hintergrundwissen der Beteiligten als auch der prozessuale Charakter in der Interaktion eine Rolle spielen. Letzteres meint, dass sich Interpretationen und Bedeutungen erst im Gesprächsverlauf erschließen, es werden Bezüge zu vorangegangenen und zukünftigen Äußerungen geschaffen.

Eine andere Ebene bezieht sich auf den Handlungscharakter von Gesprächen. Diese Ebene ähnelt den dargestellten großräumigen Strukturen und betrifft den kommunikativen Zweck, welcher der Interaktion unterliegt.

Ferner ist die Beziehung zwischen den Gesprächsteilnehmern Teil der Interaktionskonstitution. Laut Deppermann beruht diese auf dem kommunikativen Umgang miteinander. Die Beziehung zueinander wird selten selbst thematisiert, sie manifestiert sich in der Beziehungsgestaltung im Gespräch. Überdies ist sie nicht statisch, sondern kann sich durchaus innerhalb des Gespräches verändern. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein Verkäufer im Gespräch auf eine persönliche Ebene wechselt und mit seinem Kunden über ein gemeinsames Thema wie Familie, Interessen oder Gewohnheiten redet.

Deppermann nennt einige Dimensionen, die für die Beziehungsgestaltung im Gespräch von Bedeutung sind. Dazu zählen Vertrautheit bzw. Distanz, Sympathie bzw. Antipathie, Kompetitivität bzw. Kooperation sowie Macht (Symmetrie bzw. Asymmetrie).

Identität und Selbstdarstellung stellen eine weitere wichtige Ebene dar. Deppermann konstatiert, dass es sich im Gespräch um situierte Identitäten handelt. Er bezeichnet sie als „wesentlich rationale, prozessual entstehende und interaktiv geschaffene Gestalt“ (Deppermann 1995: 52). Folglich wird die Identität erst von den Gesprächspartnern ausgehandelt und kann ohne Partneraktivität gar nicht existieren. So bedarf die Funktion eines Verkäufers auch eines Kunden, um in dieser Rolle überhaupt agieren zu können. Laut Deppermann kann jede Äußerung zu einem Identitätsbild beitragen. Er zählt beispielsweise die Wahl des sprachlichen Registers, die Art und Intensität emotionaler Beteiligung oder die Art der Gesprächskooperation als Teile der Identitätskonstruktion. Identität und Selbstdarstellung sind auch im Hinblick auf die vorherige Ebene der Beziehung ein entscheidender Faktor.

Als letzte Ebene führt Deppermann die Modalität an, in der es grob gefasst um die Gesprächsatmosphäre und die Art und Weise des Gesagten geht. Modalitäten und Modalitätsveränderungen sieht Deppermann als Spiegelbild der Beziehung, also der Art, wie die Beteiligten momentan zueinander stehen.

Eng verbunden mit den Ebenen der Interaktionskonstitution sind Deppermanns methodologische Folgerungen bezüglich der Wirklichkeitskonstruktion im Gespräch. Seiner Ansicht nach ist die gemeinsame Wirklichkeit in einem Gespräch nicht einfach vorhanden, sondern muss von den Gesprächsteilnehmern situationsabhängig hergestellt werden. Zur Beschreibung der verschiedenen Vorgänge, die dabei eine Rolle spielen, stellt er fünf Ebenen heraus. Diese können bei der Analyse als methodische Hilfestellung dienlich sein. Die Darstellung dieser Ebenen basiert abermals auf den Ausführungen von Deppermann (1997: 24-38).

Die erste Untersuchungsebene bezeichnet Deppermann als Konstitutivität:. Bei der Herstellung einer gemeinsamen Wirklichkeit begegnen die Gesprächsteilnehmer verschiedenen Aufgaben, die es zu bewältigen gilt. Folgende Unterpunkte schreibt der der Konstitutivität zu:

(1) Kategorisierung: Dem Sprecher bieten sich unendlich viele Möglichkeiten, ein und dieselbe Proposition auszudrücken. Hierbei muss er entscheiden, welche Informationen im Gesprächskontext relevant sind.

[...]

Ende der Leseprobe aus 46 Seiten

Details

Titel
Angewandte Diskursforschung - Verkaufsgespräche
Hochschule
Universität Siegen
Note
1,5
Autor
Jahr
2007
Seiten
46
Katalognummer
V85139
ISBN (eBook)
9783638896382
ISBN (Buch)
9783638896399
Dateigröße
1775 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Angewandte, Diskursforschung, Verkaufsgespräche
Arbeit zitieren
Dorothee Müller (Autor:in), 2007, Angewandte Diskursforschung - Verkaufsgespräche, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85139

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