Der Einsatz lyrischer Texte im Unterricht 'Deutsch als Fremdsprache' am Beispiel von Erich Kästners "Sachliche Romanze"


Hausarbeit, 2005

25 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Literatur im Fremdsprachenunterricht
2.1. Der Einsatz literarischer Texte im Unterricht DaF
2.2. Didaktische Ansätze
2.3. Lyrische Texte als eine spezielle Textsorte im Unterricht DaF

3. Unterrichtsbeispiel

4. Ausblick

Literatur

Materialienanhang

1. Einleitung

Welche Bedeutung Literatur im Unterricht Deutsch als Fremdsprache (DaF) in der heutigen Zeit beigemessen wird, lässt ein Durchblättern der einschlägigen Lehrwerke wie „Themen aktuell“ oder „Tangram“ aus dem Hueber-Verlag erkennen. Dem Argument eines streng funktional-pragmatisch ausgerichteten Ansatzes des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts folgend, dass ein Gedicht beim Lösen einer U-Bahn-Fahrkarte nicht hilft, spielen literarische Texte in den erwähnten Lehrwerken keine Rolle. Dabei bieten sich gerade diese Textsorten für die Verwendung im kommunikativen Unterricht DaF an, da sie authentisch sind und auf Grund ihrer Mehrdeutigkeit Anlass für echte Kommunikationssituationen bieten.

In dieser Arbeit soll jedoch nicht den Ursachen für die Diskrepanz zwischen den Inhalten der Lehrwerke und den Forderungen einer sich seit den 80er Jahren im Bereich DaF entwickelnden Literaturdidaktik nachgegangen werden, sondern es sollen nach einem kurzen Überblick über die Veränderungen der Funktionsbestimmung von Literatur im Unterricht DaF die verschiedenen Argumente zur Legitimierung des Einsatzes literarischer Texte aufgezeigt und Beispiele methodischer Ansätze für die Unterrichtsgestaltung an einem Liebesgedicht von Erich Kästner dargestellt werden.

Für die Ausführungen konnte auf zahlreiche Veröffentlichungen zurückgegriffen werden, in denen einerseits das Spezifische einer fremdsprachlichen Literaturdidaktik diskutiert sowie analysiert und anderseits konkrete Unterrichtsvorschläge unterbreitet werden. Besonders zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang die Beiträge des Goethe-Instituts. Mitte der 80er Jahre gab das Goethe-Institut München anlässlich eines Seminars zu diesem Thema die Aufsatzsammlungen Literarische Texte in der Unterrichtspraxis[1] heraus. Im gleichen Jahr organisierte das Goethe House New York eine Werkstatt, deren Beiträge in dem Band Literarische Texte im kommunikativen Fremdsprachenunterricht[2] erschienen. Ein seit den 80er Jahren kontinuierliches Interesse an dieser Thematik beweisen ein 2002 publizierter Band der Reihe Theorie und Praxis. Österreichische Beiträge zu Deutsch als Fremdsprache[3] sowie der Artikel von Swantje Ehlers im 2001 herausgegebenen 2. Band des internationalen Handbuchs für Deutsch als Fremdsprache[4]. Auf die praktischen Hinweise, die Ehlers für den Umgang mit literarischen Texten gibt[5], konnte in dieser Arbeit kaum Bezug genommen werden, weil sie sich auf narrative Texte bezieht und für lyrische, die hier im Vordergrund stehen sollen, eine andere Herangehensweise postuliert, aber nicht ausführt. Für die Ausführungen speziell zur Behandlung lyrischer Texte im Unterricht DaF wurde auf die Sammlung des Lektorats Deutsch als Fremdsprache der Universität Göttingen[6] und auf Rainer Kußlers Deutsche Lyrik als fremde Lyrik[7] zurückgegriffen. Der Schwerpunkt Kußlers liegt allerdings auf der Vermittlung von Texten mit interkulturellen und landeskundlichen Bezügen, ein Ansatz, der für das in dieser Arbeit präsentierte Gedicht und für den Unterrichtsentwurf nur begrenzt relevant ist.

Grundsätzlich lassen sich in der Fachliteratur drei verschiedene Ansätze unterscheiden, wie literarische Texte im Unterricht DaF genutzt werden sollten. Einerseits werden literarische Texte Spracherwerbszielen untergeordnet. Andererseits wird versucht, den Eigenwert dieser Textsorten zu betonen und diesbezüglich Lehr- und Lernziele zu formulieren, die „sowohl dem ästhetischen Charakter literarischer Texte als auch ihrer Erkenntnisfunktion, Wissen über fremde Wirklichkeiten zu erlangen, gerecht zu werden versuchen.“[8] Für diesen Ansatz sei besonders auf die Ausführungen von Lothar Bredella[9] hingewiesen, auf die im Laufe dieser Arbeit noch Bezug genommen wird. Der dritte Ansatz, vertreten vor allem durch Kußler, betont die interkulturelle Seite der Literaturvermittlung.

2. Literatur im Fremdsprachenunterricht

2.1. Der Einsatz literarischer Texte im Unterricht DaF

In der „präkommunikativen Phase“ des Fremdsprachenunterrichts, vor allem in Bezug auf die „Grammatik-Übersetzungs-Methode“ hatte die Verwendung von literarischen Texten das klar definierte Ziel, einen kanonisierten Überblick über die Literatur der Zielsprache als Ausdruck der Kultur des Landes zu geben. Aus diesem Grund diente der Sprachunterricht auf Anfängerniveau vor allem der Vorbereitung auf die Lektüre der fremdsprachigen Literatur. Bereits die „audio-linguale Methode“ führte diesen Zugang als anti-utilitaristisch vor, und spätestens die Entwicklung des kommunikativen Ansatzes seit den 70er Jahren ließ „diese Funktionsbestimmung der Literatur [...] anachronistisch erscheinen.“[10]

In den 80er Jahren erfolgte eine Neubestimmung der Rolle und Bedeutung von literarischen Texten im Unterricht DaF. Von großer Bedeutung für diese Entwicklung war die Rezeptionsästhetik, die sich abgrenzte von einer traditionellen Literaturdidaktik, die Texte zum Exerzierfeld für Sprachübungen und Verfahren der Textanalyse machte. Stattdessen wurde der Leser in den Mittelpunkt gerückt. In der Rezeptionsästhetik wird davon ausgegangen, dass die Bedeutung eines literarischen Texts erst durch den Leser erzeugt wird. Er bringt sein Vorwissen in den Verstehensprozess ein, stellt Beziehungen her und baut eine Erwartungshaltung auf, die er im Laufe des Rezeption bestätigt findet oder modifizieren bzw. korrigieren muss. Der Text, damit letztlich der Autor dessen, und der Rezipient treten mit jeweils ihrer Sozialisation und ihrem Weltwissen in einen Dialog. Der Leser kann nur zu einem Textverständnis gelangen, wenn er die Leerstellen, ein Charakteristikum literarischer Texte, vervollständigt. Das Verstehen wird somit als ein „konstruktiver Prozess der Sinnbildung“[11] begriffen und ist ein Teil eines Gesamtprozesses, den Ehlers als das Lesen schlechthin versteht und der sich „in einer Bandbreite von anfänglichen Wahrnehmungsprozessen über die Analyse von Wörtern und Sätzen bis zum Textverstehen“[12] erstreckt. Sinnkonstituierende Tätigkeiten können durch den Leser allerdings nur vollzogen werden, wenn der Inhalt des Textes verstanden und lexikalische, syntaktische sowie grammatikalische Verständnisprobleme behoben wurden sind.[13]

Ausgehend von dem Ansatz der Rezeptionsästhetik sollte es sich bei der Beschäftigung mit Literatur im Unterricht DaF somit weniger um ein Vorgehen im literaturwissenschaftlichen Sinne handeln, sondern um ein Miteinander-ins-Gespräch-Kommen von Text und Leser. Das bedeutet, dass „Literatur in diesem Lernkontext [...] in erster Linie intellektuell anregen, ästhetisches Vergnügen bereiten sowie affektives Empfinden ansprechen“[14] soll.

Damit sind bereits einige Argumente für die Legitimierung des Einsatzes literarischer Texte im Unterricht DaF aufgeführt.

Die Lust am Lesen kann einen weiteren Motivationsfaktor darstellen, wenn die Lerner positive Erfahrungen mit der muttersprachlichen Literatur gemacht haben. In vielen Fällen kann der fremdsprachliche Literaturunterricht an diese Kenntnisse anknüpfen. Literarische Texte verlangen eine „produktive Rezeption“ und eine aktive Rolle des Lesers. Auf Grund ihrer Mehrdeutigkeit tragen sie im Zusammenhang mit der Artikulation des Leseverstehens zur Realisierung des kommunikativen Ansatzes im Fremdsprachenunterricht bei. Die Lerner müssen im Zuge einer Textinterpretation Ansichten äußern, Lesarten vorstellen, begründen und vertreten bzw. differenzieren und andere Leseeindrücke verstehen. Solche Lese- und Reflexionsprozesse, die kognitive Leistungen wie Textverständnis verlangen, erweitern die Fremdsprachenkompetenz qualitativ. Literarische Texte im Fremdsprachenunterricht verbreitern nicht nur das Repertoire der Textsorten, sondern sie können „durch die Vielfalt ihrer sprachlichen Ausdrucksformen und –mittel zu einer Bereicherung des eigenen fremdsprachlichen Sprachempfindens und Ausdrucksvermögens beitragen.“[15]

Laut Bredella eignen sich literarische Texte des weiteren für den Unterricht DaF, weil sie in der Regel kein spezielles Sachwissen verlangen, sondern vor allem unser lebensweltliches Wissen ansprechen.[16] Diesem Argument ist entgegenzuhalten, dass zahlreiche literarische Texte landeskundliches und kulturspezifisches Vorwissen voraussetzen.

Makowski fasst in seinem Beitrag über Standortfragen der Literaturdidaktik im Unterricht DaF die Einsatzmöglichkeiten wie folgt zusammen:

„- Strategien des Leseverstehens: Dimensionen des Verstehensprozesses;
- authentische Landeskunde;
- authentische Corpora für morphologische/ lexikalische oder idiomatische Phänomene der Sprache;
- Exemplaria für literaturhistorische Fragen;
- Exemplaria für literaturtheoretische Fragen (gattungs- und formspezifische Ansätze);
- Sprechimpulse im kommunikativen Unterricht;
- Schreibimpulse im kommunikativen Unterricht“[17]

Welche Rolle literarische Texte im Unterricht in Bezug auf Makowskis Einsatzmöglichkeiten spielen können, hängt von der konkreten Aufgabenstellung im Unterricht ab.

„[Die] Art der Aufgabenstellung und die [...] Umsetzung in einer konkreten Unterrichtssituation, entscheiden darüber, ob wirksame Lernprozesse stattfinden können oder nicht.“[18] Krenn zeigt in seinen Ausführungen über Literatur in der Fremdsprache verschiedene Faktoren auf, welche die Aufgabenstellungen lernwirksam erscheinen lassen. Erstens ist es wichtig, dass die Aufgabenstellung von den Lernern als signifikant und relevant für den eigenen Lernprozess bewertet werden kann. So haben laut Krenn literarische Texte das Potenzial, innere Motivation auszulösen. „Literarische Texte können spannend sein, sie können ‚Betroffenheit’ auslösen, ‚Identifikationsangebote’ enthalten, Gefühlsreaktionen auslösen, ‚neue Welten erschließen’, sie können ‚Kulturlernen’ ermöglichen, usw. Die ‚offene Textstruktur’, die Tatsache also, dass literarische Texte sehr stark implizite Textinformationen transportieren, die vom Leser oder der Leserin erst erschlossen werden muss, kann als zusätzlicher Stimulus, als ‚Herausforderung’ auf manche Lernende motivierend wirken.“[19] Ob das Potenzial literarischer Texte für den Unterricht ausgeschöpft werden kann, hängt davon ab, ob der Adressaten-, Situations- und Erfahrungsbezug bei der Textauswahl beachtet wurde, denn auch nicht literarische Textsorten können die intellektuellen und emotionalen Fähigkeiten der Lerner ansprechen.

Des weiteren sollte die Aufgabenstellung die mitteilungsbezogene Kommunikation im Fremdsprachenunterricht fördern. Der Antrieb für den Spracherwerb ist der Wunsch, mit Personen des Landes der Zielsprache zu kommunizieren. Literarische Texte können wie bereits erwähnt auf Grund ihrer Leerstellen Sprechanlässe bieten.[20] Ein weiterer Faktor für die Aufgabenstellung sollte die Lenkung der „Aufmerksamkeit der Lernenden auf relevante sprachliche Phänomene“ sowie die Präsentation „relevante[r] lexikalische[r] Einheiten“ sein.[21] Die Gehirnforschung hat darauf hingewiesen, dass relevante Lexik besser im Langzeitgedächtnis gespeichert wird, wenn sie mehrfach kodiert und möglichst mit persönlichen Erfahrungen in Verbindung gebracht wird. Mittels literarischer Texte können relevante Lexeme präsentiert, eingeübt oder wiederholt werden. Dazu müssen allerdings Texte ausgewählt werden, die den Lernern nur mit einer sinnvollen Menge neuer Lexik konfrontieren. Zudem bedarf es Aufgabenstellungen, die Möglichkeiten bieten, diese neuen lexikalischen Einheiten anzuwenden, um sie im Langzeitgedächtnis speichern zu können. Krenn schlägt dazu Phasen des intensiven Lesens vor, wobei eine solche Aufgabenstellung auch eine Bearbeitung des Textes implizieren kann.[22]

[...]


[1] Literarische Texte in der Unterrichtspraxis, Seminarbericht, Band 1-3, Goethe-Institut München 1984.

[2] Heid, Manfred (Hrsg.): Literarische Texte im kommunikativen Fremdsprachenunterricht, Beiträge eines Werkstattgesprächs des Goethe House New York September 1984, München 1985.

[3] Theorie und Praxis. Österreichische Beiträge zu Deutsch als Fremdsprache in Österreich, 6 (2002).

[4] Ehlers, Swantje: Literarische Texte im Deutschunterricht, in: Helbig, Gerhard; Götze, Lutz; Henrici, Gert; Krumm, Hans-Jürgen: Deutsch als Fremdsprache. Ein internationales Handbuch, 2. Halbband, Berlin/ New York 2001, S. 1334-1346.

[5] Siehe dazu u.a.: Ehlers, Swantje: Lesen als Verstehen. Zum Verstehen fremdsprachlicher literarischer Texte und zu ihrer Didaktik, Fernstudieneinheit 2, Berlin/ München/ Wien/Zürich/ New York 2003.

[6] Prisma. Begegnungen mit Deutschland in deutschsprachiger Gegenwartsliteratur. Literarische Texte für den Unterricht DaF, zusammengestellt von Gisela Tütken, Materialien Deutsch als Fremdsprache, Heft 60, Regensburg 2002.

[7] Kußler, Rainer: Deutsche Lyrik als fremde Lyrik. Zur Sprachbehandlung lyrischer Texte im fremdsprachlichen Deutschunterricht, München 1981.

[8] Ehlers 2001, S. 1335, Sp.1.

[9] Bredella, Lothar: Die Struktur der Interaktion und das Verstehen literarischer Texte im Unterricht, in: DfU, 52 (1979), S. 37-50; Derselbe: Literarische Texte im Fremdsprachenunterricht. Gründe und Methoden, in: Heid, Manfred (Hrsg.): Literarische Texte im kommunikativen Fremdsprachenunterricht, Beiträge eines Werkstattgesprächs des Goethe House New York September 1984, München 1985

[10] Krenn, Wilfried: Garnierung oder Hauptgericht? Überlegungen zum Einsatz literarischer Kurztexte im Unterricht Deutsch als Fremdsprache, in: Theorie und Praxis. Österreichische Beiträge zu Deutsch als Fremdsprache in Österreich, 6 (2002), S. 19.

[11] Ehlers 2001, S. 1335, Sp.2.

[12] Ebenda, S. 1340, Sp.2.

[13] Vgl.: Bredella 1985, S. 355.

[14] Prisma, S. VIII.

[15] Ebenda.

[16] Bredella 1985, S. 367.

[17] Makowski, Matthias: Standortfragen der Literaturdidaktik im Unterricht Deutsch als Fremdsprache, in: Zielsprache Deutsch 27, 3 (1996), S. 140-143, hier S.: 141.

[18] Krenn 2002, S. 24.

[19] Ebenda, S. 25.

[20] Vgl.: Ebenda, S. 26.

[21] Ebenda, S. 26.

[22] Vgl.: Ebenda, S. 27.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Der Einsatz lyrischer Texte im Unterricht 'Deutsch als Fremdsprache' am Beispiel von Erich Kästners "Sachliche Romanze"
Hochschule
Universität Potsdam  (Germanistisches Institut)
Veranstaltung
Arbeit mit literarischen Texten im Unterricht DaF
Note
1,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
25
Katalognummer
V85381
ISBN (eBook)
9783638012881
ISBN (Buch)
9783638916554
Dateigröße
539 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Einsatz, Texte, Unterricht, Deutsch, Fremdsprache, Beispiel, Erich, Kästners, Sachliche, Romanze, Arbeit, Texten, Unterricht
Arbeit zitieren
Katja Warchold (Autor:in), 2005, Der Einsatz lyrischer Texte im Unterricht 'Deutsch als Fremdsprache' am Beispiel von Erich Kästners "Sachliche Romanze", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85381

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