Der Roman "Das steinerne Herz" birgt auch noch rund fünfzig Jahre nach der Erstveröffentlichung eine innovative Kraft, die die Lektüre faszinierend macht. Dem Autor gelingt eine anschauliche Darstellung des Zeitgeschehens der 50er Jahre, die den ironisierenden Untertitel „historischer Roman“ voll gerechtfertigt erscheinen läßt. Die Arbeit nähert sich dem Roman von zwei Seiten:
Erstens werden Schmidts poetologische Voraussetzungen betrachtet. Anhand der 1955/56 erschienenen "Berechnungen" wird untersucht, wie Schmidts präzise Wirklichkeitsbeschreibung gelingt. Reinhard Baumgart schreibt, „daß Schmidts Prosa Trümmerstruktur hat“, seine Kunst „Sprengkunst sein“ will. Bewußtseinsvorgänge bilden die Form, die Schmidt als Vorbild seiner modifizierten Schreibweise ansieht. Mit der Formulierung der Prosagrundsätze geht die Analyse der Wahrnehmungsmodi einher; beides kann mit den Begriffen ‘Diskontinuität’ und ‘Partikularität’ beschrieben werden. In Schmidts Prosa werden alltägliche, historische und kognitive Wirklichkeitspartikel so verfugt, daß die Frage aufkommt, wie die „Bedeutung des Unbedeutenden“ entsteht.
Das zweite Kapitel dieser Arbeit, "Themen der Teilung", widmet sich der historisch-politischen Dimension des Romans, sowie der Teilung des Ich-Erzählers in Körper und Geist. Als Verbindendes zwischen den Teilen der Arbeit mag vielleicht die Selbstimagination Schmidts als Landvermesser/Geodät fungieren. Zum einen ist sie ganz wörtlich zu verstehen: Schmidts Erzählerfiguren treten oft nur mit einer Katasterkarte bewaffnet ihre Abenteuer an und frönen ihrer Faszination an der Weltvermessung. Neben dem Raum aber wird historische Zeit vermessen: In wissenschaftlicher Anmutung wird präzise Detailkenntnis eingestreut, und das kontinuierliche Interesse an abstrusen Fakten gibt dem diskontinuierlichen Alltag Halt. Eggers, Schmidts Ich-Erzähler, wird zum politischen Landvermesser, als er in "Das steinerne Herz" im „Jahre 1954 nach Christi“ eine Reise durch das geteilte Deutschland unternimmt, die ihm Anlaß zum Systemvergleich gibt. Schmidt gelingt ein zeittypisches Bild der 50er Jahre: Das Buch ist ein „Herbarium der bundesdeutschen Nachkriegszeit“. Jedoch gehört auch der Blick auf die ostdeutsche Wirklichkeit genauso zu diesem Roman wie die systemübergreifende Dimension: „Die Erfahrung der existentiellen Diskontinuität ist über die desaströsen persönlichen Erfahrungen des Autors hinaus authentisch für die Zeit.“
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Voraussetzungen der Prosa
- 2.1. Wissenschaftliches Paradigma und Präzision
- 2.2. Erinnerung als Grunderfahrung: Diskontinuität und Partikularität
- 2.3. Gegen Handlung
- 3. Themen der Teilung
- 3.1. Kursbestimmung Ost/West
- 3.1.1. Unfreiwillige Selbstkontrolle
- 3.2. GeistKörper: ich/moi
- 3.1. Kursbestimmung Ost/West
- 4. Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit Arno Schmidts Roman „Das steinerne Herz“ und analysiert dessen poetologische Voraussetzungen sowie dessen politische Dimensionen. Sie untersucht, wie Schmidt in den 50er Jahren seine präzise Wirklichkeitsbeschreibung umsetzt und welche Rolle dabei das wissenschaftliche Paradigma spielt.
- Poetische „Berechnungen“ und Schmidts Präzisionsanspruch
- Diskontinuität und Partikularität in Schmidts Prosa
- Die Teilung Deutschlands und die politische Dimension des Romans
- Das geteilte Ich des Erzählers: Geist und Körper
- Schmidts systematische Beschäftigung mit der psychoanalytischen Theorie
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beleuchtet die poetologischen Voraussetzungen von Schmidts Prosa, die sich in den 50er Jahren herausbildeten. Es analysiert Schmidts Präzisionsanspruch und die Bedeutung des wissenschaftlichen Paradigmas für seine Schreibweise.
Das zweite Kapitel befasst sich mit den Themen der Teilung im Roman. Es untersucht, wie Schmidt die politische Dimension des geteilten Deutschlands und die Spaltung des Ich-Erzählers in Geist und Körper darstellt.
Schlüsselwörter
Arno Schmidt, „Das steinerne Herz“, Poetologie, Präzision, wissenschaftliches Paradigma, Diskontinuität, Partikularität, Teilung, Ost/West, GeistKörper, Ich, psychoanalytische Theorie.
- Quote paper
- Jana Thiele (Author), 1997, Arno Schmidts Kursbestimmung in den 50er Jahren, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85590