Seit den 60er und 70er Jahren hat das wechselseitige Interesse von Psychoanalyse und Sprachwissenschaft die Form intensiverer Forschung angenommen. Zwischen beiden Disziplinen wurden immer mehr Schnittstellen sichtbar. Hierzu gehört sowohl Lacans Re-Lektüre Freuds vor dem Hintergrund Saussures und Jakobsons als auch die hermeneutischen Begründungsversuche der Freudschen Theorie durch Ricœur und Lorenzer. Allerdings werden die Auffassungen Lacans und Lorenzers als extreme Ausbildungen angesehen und dienen verschiedenen Autoren lediglich als Abgrenzungsmarkierungen der eigenen Auffassung. Der Grund hierfür sind die nicht zu vermittelnden Positionen: Für Lacan funktioniert das Unbewußte ‘wie eine Sprache’, während es bei Lorenzer als desymbolisiertes Sinnsystem angesehen wird. Ich folge an dieser Stelle der zweiten Auffassung und seiner systematischen Beschränkung: Dem Unbewußten wird keine Sprachverfügung zugestanden. Ich möchte hier an der Auffassung Freuds festhalten, die die Grenze von Unbewußtem und Bewußtem als Sprachgrenze betrachtet. Zwischen verbalen und nonverbalen Zeichensystemen besteht allein Parallelität in der Darstellungsfunktion. Ein Symptom weist auf eine bestimmte Störung hin, aber das Symptom selbst ist arbiträr.
Um die unbewußten Interaktionsformen präzise zu fassen, muß die sprachlich vermittelte Lebensgeschichte zur Untersuchung herangezogen werden. In der Arbeit werden die diskurs- und gesprächsanalytischen Untersuchungen der linguistischen Forschung mit dem Ablauf der einzelnen Phasen der „Erzählung“ innerhalb der psychoanalytischen Situation verglichen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Institutionelle Bedingungen: Psychoanalyse als Interaktion
- Die Grundregel und ihr Gegenstück
- Wirkung der Grundregel: nonverbale Interaktion in der Übertragung
- Die Phasen der Psychoanalyse
- Phase I: Erstinterview
- Phase II: Grundregelmitteilung - Übertragungssitzung
- Phase III: Übertragungssitzung - Ende
- Erzählen im Alltag - Erzählen in der Psychoanalyse
- Die Funktionen des Erzählens
- Phasen der Erzählung
- Phase I: Vorankündigung
- Phase II: Eröffnung des Erzählraums
- Phase III: Szenische Darstellung
- Phase IV: Exothese des Bewertungsresultats
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Text befasst sich mit dem Zusammenhang zwischen Psychoanalyse und Sprachwissenschaft, insbesondere dem Erzählen in der psychoanalytischen Interaktion. Die Arbeit zielt darauf ab, die institutionellen Bedingungen der Psychoanalyse, die Rolle des Erzählens im Alltag und in der Psychoanalyse sowie die Phasen des Erzählens im psychoanalytischen Kontext zu untersuchen.
- Psychoanalyse und Sprachwissenschaft
- Die Grundregel in der Psychoanalyse
- Erzählen als Mittel der psychoanalytischen Kommunikation
- Phasen des Erzählens in der Psychoanalyse
- Die Bedeutung der Übertragung im psychoanalytischen Prozess
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Die Einleitung führt in die Thematik der psychoanalytischen Erzählforschung ein und beschreibt die Beziehung zwischen Psychoanalyse und Sprachwissenschaft. Die Arbeit greift Freuds Annahme des Unbewußten als nichtsprachliches Sinnsystem auf und erklärt, warum sprachliche Vermittlung für das Verständnis unbewußter Interaktionsformen notwendig ist.
Institutionelle Bedingungen: Psychoanalyse als Interaktion
Dieses Kapitel behandelt die Grundregel der Psychoanalyse und ihre Wirkung auf den Analysanden. Es erläutert, wie die Grundregel zu einem veränderten Umgang mit Sprache und Kommunikation führt und die Übertragungsbeziehung zwischen Analytiker und Analysand beeinflusst. Des Weiteren werden die drei Phasen der Psychoanalyse vorgestellt: Erstinterview, Grundregelmitteilung - Übertragungssitzung und Übertragungssitzung - Ende.
Erzählen im Alltag - Erzählen in der Psychoanalyse
Dieses Kapitel diskutiert die Funktionen des Erzählens im Alltag und in der Psychoanalyse. Es präsentiert ein Phasenmodell der Erzählung, das verschiedene Stufen vom Vorankündigen bis zur Bewertung des erzählten Inhalts umfasst. Die Arbeit zeigt, wie Erzählungen in der Psychoanalyse sowohl als Mittel der Kommunikation als auch als Ausdruck unbewußter Prozesse verstanden werden können.
Schlüsselwörter
Psychoanalyse, Sprachwissenschaft, Erzählen, Interaktion, Grundregel, Übertragung, Phasen der Psychoanalyse, Phasen der Erzählung, unbewußte Interaktionsformen, Lebensgeschichte, sprachliche Vermittlung.
- Arbeit zitieren
- Jana Thiele (Autor:in), 1997, Linguistik und Psychoanalyse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85620