Das beständige Erinnern an den Weltkrieg, den Böll selbst als Soldat vom ersten bis zum letzten Tag miterlebt hatte, und die immer wieder ausgesprochenen Mahnungen haben ihm den Titel eines Moralisten eingebracht. In Erinnerung geblieben sind aber auch sein gesellschaftskritisches Engagement, sein wiederholtes Einmischen in brisante politische Themen und seine, auf der eigenen Biographie wurzelnde und im literarischen Werk mitgeteilte, pazifistische Einstellung. Doch gerade in den letzten Jahren wurden zunehmend, wenn auch keine Gegen-, so doch zumindest kritische Stimmen vernehmlich, die ein anderes Licht auf das Werk Bölls und die darin vertretenen Aussagen über den Krieg werfen. Zu nennen wäre hier vor allem der Münchner Essayist und Kritiker Maxim Biller, der unter anderem in seinem prämierten Aufsatz „Unschuld mit Grünspan“ auf eine besondere Auffälligkeit aufmerksam macht: viele derjenigen Autoren, die in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg bekannt wurden, sind Angehörige der Wehrmacht gewesen. Dieser Umstand fände jedoch keinen Niederschlag in ihrem Werk; es fehlten persönliche Schuldeingeständnisse der Schriftsteller sowohl in ihren Texten als auch in ihren öffentlichen Äußerungen, und mehr noch: die von ihnen präsentierten Soldatenfiguren würden meist als Opfer dargestellt. Fragen nach ihrer militärischen Vergangenheit wurden von den Autoren mitunter umgangen und verschleiert, bestimmte Aspekte bewusst verschwiegen, wie es auch der kürzlich entbrannte Streit um Günter Grass' Mitgliedschaft in der Waffen-SS verdeutlicht. Es scheint so zu sein, dass es unter deutschen Nachkriegsautoren eine engere biographische Verstrickung mit dem Dritten Reich gab, als es ihre Werke vermuten lassen würden, und dass diese Kriegsbiographien möglicherweise ein Grund dafür sind, dass die Soldatenfiguren so häufig als Opfer erscheinen.
In dieser Magisterarbeit soll es aber nicht primär um die Biographie Bölls gehen, sondern es soll untersucht werden, inwieweit die Aussagen von Maxim Biller zutreffend sind. Mehrere Fragen sollen demnach beantwortet werden: Wie stellt Heinrich Böll den Krieg dar, wie präsentiert er dessen Protagonisten, die Soldaten? Werden sie tatsächlich, wie Biller behauptet, ausschließlich passiv und gedrängt in eine Opferrolle präsentiert? Welche Leerstellen, Auslassungen und weiße Flecken im thematischen Kontext 'Krieg' lassen sich feststellen?
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Kriegsprosa nach 1945: Über den Umgang mit der Vergangenheit
- Krieg fürs Vaterland: Soldaten im moralischen Dilemma
- Krieg ohne Ursache: die Ausblendung des historischen Hintergrunds
- Heinrich Böll - Schriftsteller und „,Moralist“
- Heinrich Böll als politischer und engagierter Schriftsteller
- Zum Verhältnis von Realität und Wirklichkeit
- Gestaltungselemente in Bölls Werk
- Gut/Böse, Büffel / Lämmer: binäre Charaktere
- Erinnerung versus Vergessen
- Von der Unmöglichkeit der Liebe
- Das Ideal des Anders-Seins
- Im Zentrum des Interesses: die Provinz
- Deutsche Nachkriegsliteratur: ein Lückentext
- Kriegsdarstellung und Soldatenfiguren
- Das Vermächtnis (1948/1982)
- Der Zug war pünktlich (1949)
- Wo warst du, Adam? (1951)
- Zusammenfassung
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Magisterarbeit untersucht, inwieweit die Aussagen von Maxim Biller über die Darstellung von Krieg und Soldatenfiguren in der Nachkriegsliteratur auf Heinrich Bölls Werk zutreffen. Der Fokus liegt dabei auf Bölls Frühwerk, insbesondere auf den Texten „Das Vermächtnis“, „Der Zug war pünktlich“ und „Wo warst du, Adam?“.
- Analyse der Kriegsdarstellung in Bölls Werk
- Untersuchung der Darstellung von Soldatenfiguren
- Identifizierung von Leerstellen und Auslassungen in Bezug auf den Krieg
- Bewertung der Aussagekraft von Bölls Texten im Kontext der deutschen Nachkriegsliteratur
- Zusammenhang zwischen Bölls eigener Kriegsbiografie und seinen literarischen Aussagen
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel befasst sich mit der Rolle des Zweiten Weltkriegs in der deutschen Nachkriegsliteratur und analysiert verschiedene Ansätze in der Darstellung des Krieges in Erzählungen und Romanen. Im zweiten Kapitel wird Heinrich Böll als Schriftsteller vorgestellt, mit besonderem Augenmerk auf sein Selbstverständnis als Autor und die charakteristischen Elemente seines Werkes. Im dritten Kapitel werden die kritischen Positionen von Maxim Biller und Ernestine Schlant im Hinblick auf die Behandlung des Holocaust in der deutschen Nachkriegsliteratur beleuchtet. Das vierte Kapitel analysiert die Soldatenfiguren in Bölls Texten „Das Vermächtnis“, „Der Zug war pünktlich“ und „Wo warst du, Adam?“, um ihre Darstellung von Krieg und deren Einstellungen zu Nationalsozialismus, Krieg und Kriegsverbrechen zu untersuchen.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den Themen Krieg, Soldatenfiguren, Nachkriegsliteratur, Heinrich Böll, Kriegserfahrung, Moral, Schuld, Vergangenheit, Erinnerung, Vergessen, deutsche Nachkriegsgesellschaft, literarische Darstellung von Krieg, Maxim Biller, Ernestine Schlant, „Das Vermächtnis“, „Der Zug war pünktlich“, „Wo warst du, Adam?“.
- Arbeit zitieren
- Sebastian Körtels (Autor:in), 2006, Krieg und Soldatenfiguren in der Nachkriegsprosa Heinrich Bölls, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/85994