Kommt es in parlamentarischen Regierungssystemen zur Präsidentialisierung des Amtes des Regierungschefs?

Ein Vergleich zwischen Großbritannien und Deutschland


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

26 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

Einleitung

Das Konzept der Präsidentialisierung
Kennzeichen präsidentiellen Regierungshandelns
Ursachen der Präsidentialisierung

Das Verhältnis zwischen Regierungschef und Parlament
Der Britische Premierminister und sein Parlament
Der deutsche Bundeskanzler und sein Parlament

Das Verhältnis zwischen Regierungschef und Exekutive
Her Majesty's Government
Die Bundesregierung

Hello Mr. President?

Literatur:

Einleitung

Betrachtet man die letzten Regierungschefs von Großbritannien und Deutschland, Tony Blair und Gerhard Schröder, so haben beide einiges miteinander gemeinsam:

beide sind als Kandidaten einer sozialdemokratischen Partei ins Amt gekommen, nachdem zuvor lange eine konservative Partei regiert hatte. Gemeinsam hatten sie sich aufgemacht, die europäische Sozialdemokratie zu reformieren und sie in der neuen Mitte gefunden[1]. Außerdem sind beide als Regierungschef eines parlamentarischen Regierungssystems durch ihre Amtsführung aufgefallen. Tony Blairs dominanter Regierungsstil und die unter ihm durchgeführte Umstrukturierung der Regierungsbürokratie war nicht nur Thema in der britischen Presse, die ihn für "more of a president than a prime minister[2]" hielt, sondern sein "präsidialer Regierungsstil[3]" wurde auch in Deutschland bemerkt. Auch Gerhard Schröders Regierungsstil wurde von manchen als Anzeichen einer präsidentialisierten Kanzlerschaft gesehen, vor allem aufgrund seiner Medienpräsenz und seiner Vorliebe für Kommissionen und außerparlamentarische Bündnisse[4].

Doch kann man in Großbritannien und Deutschland tatsächlich von einer Präsidentialisierung des Amts des Regierungschefs sprechen, oder schöpften Blair und Schröder nur die ihnen zur Verfügung stehenden Machtressourcen als Regierungschefs voll aus? Um diese Frage zu beantworten, muss zunächst einmal geklärt werden, was der Begriff der Präsidentialisierung genau meint, um danach feststellen zu können, welche Kennzeichen davon in den Regierungssystemen Großbritanniens und Deutschlands und im Handeln der dortigen Regierungschefs zu finden sind. Dies soll durch die Betrachtung der Machtressourcen die den jeweiligen Regierungschefs zur Gestaltung ihres Handelns zur Verfügung stehen, geschehen. Unterschieden wird dabei zwischen den Ressourcen, die aus der Beziehung zwischen Parlament und Regierungschef und denjenigen, die aus der Beziehung zwischen Regierung und Regierungschef hervorgehen. Doch zunächst einmal soll das Konzept der Präsidentialisierung genauer erläutert werden.

Das Konzept der Präsidentialisierung

Das Konzept der Präsidentialisierung umschreibt die Veränderung des Regierungshandelns in Demokratien hin zu de facto präsidentiellem Regierungshandeln, obwohl die formale Struktur des ursprünglichen Regierungssystems beibehalten wird. Man kann auch, vereinfacht ausgedrückt, von einer Machtkonzentration zu Gunsten des Regierungschefs sprechen. Wenn Regierungshandeln also "präsidentieller" wird, wirft dies natürlich die Frage nach den Kennzeichen präsidentiellen Regierungshandelns auf[5]. Um diese zu finden, müssen zunächst die wichtigsten Charakteristika präsidentieller Regierungssysteme betrachtet werden:

Der Regierungschef in einem präsidentiellen System

a) wird direkt gewählt,
b) kann nicht vom Parlament durch ein Misstrauensvotum seines Amtes enthoben werden,
c) ist Kopf der Exekutive, die er alleine ernennt[6].

Natürlich werden durch den Prozess der Präsidentialisierung keinem parlamentarischen Regierungssystem plötzlich oben genannte Charakteristika eigen, aber aus ihnen ergeben sich die Kennzeichen präsidentiellen Regierungshandelns.

Kennzeichen präsidentiellen Regierungshandelns

Präsidentielles Regierungshandeln zeichnet sich vor allem durch die machtvolle Stellung des Regierungschef aus, der ohne größere Einschränkungen regieren kann, weil er aufgrund seiner Patronagemacht die Exekutive dominiert und zudem direkt vom Wahlvolk legitimiert ist. Dies macht ihn allein verantwortlich für die Arbeit der Regierung. Des Weiteren führt die strikte Trennung vom Exekutive und Legislative dazu, dass der Präsident gegenüber seiner Partei eigenständig handeln kann, weil er nicht auf das Vertrauen einer Regierungsmehrheit angewiesen ist. Aus der Direktwahl des Präsidenten folgt außerdem eine Fokussierung des Wahlkampfes auf die Person der Kandidaten[7].

Um zu untersuchen, ob man von einer Präsidentialisierung des Amts des Regierungschefs in einem Regierungssystem sprechen kann, haben Poguntke und Webb zum einen zwischen den Ebenen der Exekutive, der Partei und der Wählerschaft unterschieden und folgende Indikatoren festgelegt:

Exekutivebene:

1. Verlagerung von Macht innerhalb der Exekutive zu Gunsten des Regierungschefs.
2. Zunehmende Autonomie des Regierungschefs gegenüber seiner Partei.

Parteiebene:

3. Verlagerung von Macht innerhalb der Partei zu Gunsten des Regierungschefs.
4. Zunehmende Autonomie des Regierungschefs gegenüber den Machtträgern innerhalb der Partei.

Wählerebene:

5. Zunehmende Personalisierung der Medienberichterstattung auf Regierungschef (bzw. Kandidaten).
6. Zunehmend personalisierte Wahlkämpfe.
7. Zunehmende Auswirkung der Personalisierung auf das Wählerverhalten[8].

Diese Indikatoren sprechen für die Präsidentialisierung des Amts des Regierungschefs in einem Regierungssystem, wobei die Indikatoren auf Wählerebene schwierig zu interpretieren sind, da die Indikatoren von der Persönlichkeit des Kandidaten und den politischen Begleitumständen abhängig und deshalb oftmals instabil sind[9].

Ursachen der Präsidentialisierung

Neben dem politischen Kontext und der Persönlichkeit des Regierungschefs gibt es weitere strukturelle Faktoren, die zu Präsidentialisierung führen können. So führt beispielsweise die Internationalisierung der Politik dazu, dass immer mehr politische Probleme zwischen Regierungen auf globaler Ebene verhandelt werden und nationale Parlamente oder Kabinette beim Entscheidungsfindungsprozess außen vor bleiben. Außerdem bringt die Zunahme der Aufgaben für den Staat eine größere Komplexität der Verwaltung und Bürokratie mit sich. Dies hat zur Folge, dass zum einen der Regierungschef Macht bei sich bündelt, da er die einzelnen Politikbereiche koordinieren muss und zum anderen die Verantwortlichkeit von Kabinetten durch eine größere Zahl von bilateralen Kontakten zwischen Regierungschef und den einzelnen Ressortchefs untergraben wird[10]. Ein weiterer Grund, der zu Präsidentialisierung führt, ist der Wandel der Kommunikationsmöglichkeiten in den letzten vierzig Jahren. Regierungschefs können sich heute der modernen Massenmedien bedienen, um so andere Akteure der Exekutive zu umgehen und ihre eigene politische Programmatik durchzusetzen. Auch die Erosion von traditionellen sozialen Konfliktlinien führen zur Fokussierung auf die Programmatik des Regierungschefs, da Parteien ihre soziale Bindung an bestimmte Wählergruppen verloren haben und so die Person des Kandidaten für das Amt des Regierungschefs für die Wählerschaft an Bedeutung gewinnt[11].

Das Verhältnis zwischen Regierungschef und Parlament

Konstituierendes Merkmal parlamentarischer Regierungssysteme ist die Abberufbarkeit der Regierung durch das Parlament und die wiederum daraus folgende Abhängigkeit der Regierung vom Parlament[12]. Aus der Beziehung zwischen Regierung und Parlament ergeben sich deshalb auf der einen Seite Machtressourcen für das Handeln des Regierungschefs und auf der anderen Seite Einschränkungen für das Regierungshandelns durch das Parlament. In Deutschland und Großbritannien stellt sich diese Beziehung aufgrund zahlreicher Unterschiede in der Struktur der Regierungssysteme allerdings verschieden dar.

Der Britische Premierminister und sein Parlament

Das Mehrheitswahlrecht in Großbritannien führt faktisch zu einem Zwei-Parteien-System im Unterhaus. Durch das first past the post -System, bei dem pro Wahlkreis nur der Kandidat mit den meisten Stimmen gewählt wird, kommt es einer Konzentration der Sitze bei zwei großen Parteien und die relative Mehrheit der Stimmen führt zu einer absoluten Mehrheit der Sitze für eine Partei[13]. Daraus ergibt sich eine eindeutige Aufteilung des Unterhauses in Regierungsmehrheit und Opposition. Eine formelle Wahl des Premierministers oder eine parlamentarische Bestätigung der Regierung durch das Parlament findet nicht statt. Vielmehr wird zum Regierungschef ernannt, wer Mitglied im Parlament, genauer im Unterhaus, ist und Vorsitzender der stärksten Fraktion im Unterhaus. Der Monarch, das formelle Staatsoberhaupt, folgt dieser Konvention. Das britische Staatsoberhaupt hat fast ausschließlich repräsentative und symbolische Funktion und schränkt den Handlungsspielraum des Premiers somit nicht ein. Der Premierminister ist also durch die Rückbindung an seine Partei von der Unterstützung des Parlaments abhängig. In der Praxis wird das Parlament aber oftmals von der Regierung dominiert. Denn der Regierungschef kann durch die Regierungsfraktion die Parlamentsmehrheit politisch lenken und kontrolliert bei gegebener Unterstützung durch die eigene Parte sowohl Exekutive als auch Legislative. Eine Tatsache, die ihn mächtiger macht als den US-Präsidenten, der um Mehrheiten im Parlament immer aufs Neue kämpfen muss[14].

Das britische Parlament verfügt zwar über eine zweite Kammer, das Oberhaus, aber ihr Einfluss auf die Gesetzgebung ist nur gering, da sie lediglich über ein aufschiebendes Veto verfügt, allerdings nicht bei Haushaltsgesetzen. Somit spielt das Oberhaus keine bedeutende politische Rolle, da es den Handlungsspielraum der Regierung nicht nennenswert einschränken kann[15].

Um sich die Unterstützung der Regierungsmehrheit im Parlament zu sichern, stehen der Regierung verschiedene Mittel zur Verfügung. Zunächst einmal sitzen mehr als 80 Minister der Regierung im Unterhaus, und mehr als 20 Minister im Oberhaus, so dass sich die Regierung von vornherein auf die payroll vote, d.h. die Stimmen derer, die ihr Gehalt von der Regierung erhalten, verlassen kann. Zählt man noch die unbezahlten Mitarbeiter der Minister, beispielsweise parlamentarische Privatsekretäre, dazu, verfügt die Regierung über mehr als ein Drittel der Stimmen im Parlament. Außerdem herrscht im britischen Parlament eine strenge Fraktionsdisziplin, deren Einhaltung durch die Whips[16] gewährleistet wird. Sie sorgen dafür, dass die Abgeordneten ihrer Fraktion bei allen wichtigen Abstimmungen anwesend sind und es somit bei stabilen Mehrheiten im Parlament bleibt. Die Whips der Regierung verfügen sogar über ein eigenes Büro in der Downing Street und der Chief Whip ist gleichzeitig der Bevollmächtigte des Premierministers im Parlament, indem er die Anliegen der Abgeordneten an die Fraktionsführer weiterleitet und den Premierminister über die Stimmung bei den Hinterbänklern informiert[17]. Besonders innerhalb der Regierungsmehrheit ist der Anreiz, der Fraktionsdisziplin zu gehorchen groß, da notorische Abweichler auf keinen Fall mit einem Regierungsamt rechnen können[18]. Es wird also deutlich, dass die Regierung durch die Fraktionsdisziplin ein mächtiges Mittel zur Durchsetzung ihrer Politik hat und durch das Parlament kaum eingeschränkt wird. Dazu kommt, dass die Unterscheidung zwischen government bills, die von Ministern eingebracht werden, und private member bills, deren Einbringung komplizierten Regeln zu folgen hat, außerdem Gesetzesinitiativen aus dem Parlament heraus erschwert und so Dominanz der Regierung gegenüber dem Parlament weiter verstärkt wird. Daher verwundert es nicht, wenn mehr als 90% der beschlossenen Gesetze von der Regierung stammen.

[...]


[1]"Wir sind die neuen Radikalen", in: Spiegel 44/1999, 160-166.

[2] vgl. Peter Ridell, 2003.

[3]"Möglichst elegant kontern", in: Spiegel 2/2000, 24.

[4] vgl. Lütjen / Walter 2000.

[5] Poguntke / Webb 2005: 4.

[6] Sartori, 19972: 84.

[7] Poguntke/Webb 2005: 5.

[8] Webb / Poguntke 2005: 338-339.

[9] Poguntke / Webb 2005: 10.

[10] Peters / Rhodes / Wright 2000: 8-9.

[11] Poguntke/Webb 2005: 13-17.

[12] Steffani 1979: 39.

[13] Lehner / Widmaier 2002: 88.

[14] Jones / Kavanagh / Moran / 20066: 354-356.

[15] Hartmann 20052: 75.

[16] dt. „Einpeitscher“.

[17] Jones / Kavanagh / Moran / 20066: 420.

[18] Hartmann 20052: 74.

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Kommt es in parlamentarischen Regierungssystemen zur Präsidentialisierung des Amtes des Regierungschefs?
Untertitel
Ein Vergleich zwischen Großbritannien und Deutschland
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (IPW)
Note
1,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
26
Katalognummer
V86183
ISBN (eBook)
9783638016445
ISBN (Buch)
9783638917940
Dateigröße
468 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kommt, Regierungssystemen, Präsidentialisierung, Amtes, Regierungschefs, Vergleichende Regierungslegre
Arbeit zitieren
Eva-Maria Griese (Autor:in), 2007, Kommt es in parlamentarischen Regierungssystemen zur Präsidentialisierung des Amtes des Regierungschefs?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86183

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