Es ist kaum möglich Poesie einseitig zu lesen und zu interpretieren, ohne eine
Reihe von schwierigen Fragen und semantischen Zweideutigkeiten zu provozieren.
Noch weniger anwendbar wäre der eindeutige Zugang zu der poetischen Sprache
von Atanas Dalčev. Das philosophische Potential dieser Sprache erlaubt keine
verklemmten Antworten und Zugehörigkeit in die üblichen Denkpraktiken. Mit jeder
erneuten Lesung ergänzt sich mein Blickpunkt zu dieser Poesie, so als ob er in der
„Spiegelwelt“ von Dalčev kristallisiert, die von gegensätzlichen Werten und sich
gegenseitig wiederspiegelnden Eigenschaften besteht. In die Visionen der reinen
Gegenständlichkeit oder der modernen existentiellen Ideen eingesponnen, für die
grobe, barbarische Sprache oder der Erschaffung eines neuen symbolischen
Models, konstruiert die Poesie von Dalčev die Entstehung einer neuen
Weltanschauung. Die radikale Beständigkeit, in der der Poet in seinem Anderssein
besteht, gibt uns die Möglichkeit über eine andere Position in den globalen Fragen
des menschlichen Daseins in der Welt, über die Einsamkeit und über den Lauf des
Lebens nachzudenken. Zweifellos ist die Dichtung von Dalčev eine neue Erscheinung im bulgarischen
Literaturprozess. Sie hat ästhetische, philosophische, sowie soziale Gründe. Die
ästhetische Veränderung von der ersten Hälfte der 20 Jahre des vorigen Jh.
charakterisiert sich mit Mehraspektischen und schwierigen gegenseitiger
Beeinflussung zwischen dem schon aussterbenden Symbolismus und den
anfänglichen antisymbolistischen Strömungen. Auf dem Prinzip der Abschiebung der
Tradition und unvermeidlichen Vererbung, formiert sich ein völlig unterschiedliches
poetisches Modell, mit einer neuen Darstellung und einem neuem Arsenal in den
künstlerischen Mitteln. Es transformiert die alten Sichtweisen und die Beziehungen
zum Verlauf des Daseins, situiert den Menschen in der Welt auf eine unbekannte
Weise, gibt neue Paradigmen für die Feststellung der menschlichen Identität vor. Das Werk von Dalčev ist eine der ersten post- und antisymbolistischen
Erscheinungen in der bulgarischen Literatur. Seine erste Gedichte veröffentlichte
Dalčev als Mitglied des literarischen Kreises „Strelec“ in Sofia, der sich für eine
europäisch geprägte, nationale Kultur einsetzte.
Inhaltsverzeichnis
- EINLEITUNG
- 1.1. Die Dichtung von Dalčev - eine neue Erscheinung im bulgarischen Literaturprozess.
- DER ERSTE GEDICHTSBAND,,PROZOREC\".
- DAS SEHEN.
- DIE WELT DER GEGENSTÄNDE
- DAS LYRISCHE SUBJEKT BEI DALČEV
- SCHWEIGEN, VERFREMDUNG UND AUBENSEITERLICHKEIT.
- DIE STIMME UND DAS VERSTUMMEN.
- DIE FUNKTION DES BUCHS
- DIE TÜREN BEI DALČEV
- DAS FENSTER IN DEN WERKEN VON DALČEV
- ,,ČOWEKÅT BE SÅTWOREN OT KAL\".
- DIE WELT DER KINDHEIT
- DIE ÜBERSCHREITUNG DER GRENZE.
- DAS GEDICHT „KNIGITE\" UND DIE TRAURIGKEIT.
- DASEIN - NICHTDASEIN
- ZEICHEN DES ABSOLUTEN ZERFALLS.
- FAZIT UND SCHLUSSWORT
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit analysiert die Poesie von Atanas Dalčev, einem bedeutenden Vertreter der bulgarischen Postavantgarde der 1960er Jahre, und untersucht, wie er die etablierten Konventionen des symbolistischen Gedichtswandels überwindet. Die Arbeit konzentriert sich auf die Entpsychologisierung des lyrischen Ichs und seine Darstellung als Mensch-Automat, wobei Zurückgezogenheit, Schweigen und Entfremdung als zentrale Aspekte der poetischen Darstellung hervorgehoben werden.
- Die Entstehung eines neuen poetischen Modells und die Verwerfung des Symbolismus
- Die Abwendung von der introvertierten Betrachtung der eigenen Seele und der Fokus auf die Welt der Dinge
- Die Rolle von Schweigen, Entfremdung und Außenseiterlichkeit in der Poetik von Dalčev
- Die Veränderung der sprachlichen Mittel und die Verwendung einer nüchterneren, alltagsnahen Sprache
- Die Darstellung des lyrischen Ichs als Mensch-Automat, das durch die Betrachtung der Welt durch Gegenstände eine neue Form der Identität findet
Zusammenfassung der Kapitel
- Die Einleitung stellt die Poesie von Atanas Dalčev als eine neue Erscheinung im bulgarischen Literaturprozess vor und hebt die ästhetischen, philosophischen und sozialen Aspekte seines Werkes hervor.
- Das Kapitel über den ersten Gedichtband „Prozorec“ analysiert Dalčevs Abkehr vom symbolistischen Stil und seine Hinwendung zu einer nüchterneren, alltagsnahen Sprache.
- Im Kapitel „Das Sehen“ wird die zentrale Rolle des Sehens und der Betrachtung der Dinge in Dalčevs Poesie beleuchtet, sowie die Suche nach der „ungewöhnlichen Bedeutung des Gewöhnlichen“.
- Das Kapitel „Die Welt der Gegenstände“ beschreibt, wie Dalčev die Welt der Gegenstände als Ausgangspunkt für die Gestaltung seiner Poesie nutzt und wie diese Gegenstände als Spiegelbild des lyrischen Ichs fungieren.
- Das Kapitel „Das lyrische Subjekt bei Dalčev“ untersucht die Darstellung des lyrischen Ichs als Mensch-Automat, dessen Identität durch Zurückgezogenheit, Schweigen und Entfremdung geprägt ist.
Schlüsselwörter
Postavantgarde, bulgarische Literatur, Atanas Dalčev, Symbolismus, Entpsychologisierung, lyrisches Ich, Mensch-Automat, Zurückgezogenheit, Schweigen, Entfremdung, Alltagswelt, Sprache, Kunst, Philosophie, Existenz.
- Arbeit zitieren
- M.A. Diana Koch (Autor:in), 2003, Die bulgarische Postavantgarde der 60-er Jahre, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86445