Leseprobe
Inhalt
I Vorwort
II Einführung
III Der EuGH als Organ
IV Der EuGH als Verfassungsgericht
V Weitere Aufgaben des EuGH
VI Der EuGH als „Hüter der Rechtsgemeinschaft“
VII Die Klagearten
1. Vertragsverletzungsklage
2. Nichtigkeitsklage
3. Untätigkeitsklage
4. Schadensersatzklage
VIII Vorabentscheidungsverfahren
1. Einheitliche Rechtsauslegung
2. Kontrolle des Sekundären Gemeinschaftsrechts
IX Die Tätigkeit des EuGH in Zahlen
X Forderungen des EuGH
XI Konsequenzen der Forderungen
XII Fazit
XIII Quellen / Literatur
XIV Abkürzungen
I Vorwort
In der vorliegenden Hausarbeit wird der Versuch unternommen, die Funktion und die Bedeutung des Europäischen Gerichtshofes für das Leben in der Gemeinschaft zu beschreiben. Da es sich beim Europäischen Gerichtshof um ein relativ unbekanntes EU-Organ handelt, beginnt die Arbeit mit einer kleinen Einführung. Anschließend wird sowohl die Struktur als auch die Funktion des Gerichtshofes ausführlicher dargestellt.
Einen weiteren Untersuchungsgegenstand bilden die verschiedenen Klage- und Verfahrensarten, für die der Europäische Gerichtshof zuständig ist. Nach einem statistischen Überblick rücken dann die Probleme in den Vordergrund, mit denen der Gerichtshof zu kämpfen hat. Die Arbeit endet schließlich mit einer Begutachtung der erst vor kurzem in Kraft getretenen neuen Verfahrensordnung, die entworfen wurde, um die zuvor angesprochenen Probleme zu minimieren.
Da viel Wert auf Aktualität gelegt wurde, stammt ein Großteil des Quellenmaterials aus dem Internet. Aufbau und Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofes bzw. des Gerichtshofes erster Instanz lässt sich relativ einfach durch eine grafische Übersicht nachvollziehen, die unter http://europa.eu.int/cj/de/pres/comp.htm zu ersehen ist. Eine Liste der verwendeten Abkürzungen befindet sich am Ende der Hausarbeit.
II Einführung
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) ist neben dem Europäischen Parlament, der Kommission, dem Rat und dem Rechnungshof eines der fünf EG-Organe. Die Aufgabe des EuGH ist es, europäisches Recht durch Auslegung und Anwendung zu wahren bzw. zu sichern. Bei der Bewältigung dieser Aufgabe übernimmt der EuGH mehrere Gerichtsfunktionen. Er fungiert als Verfassungsgericht, Verwaltungsgericht, Zivilgericht, Strafgericht, Rechtsmittelgericht und auch als Schiedsgericht. Die Rechtssprechung des EuGH wird durch 15 Richter (jeder Mitgliedstaat entsendet einen Richter) und 9 Generalanwälten sichergestellt (eine gute graphische Übersicht bietet die Internet-Seite http://europa.eu.int/cj/de/pres/comp.htm ).
Seit seiner Gründung im Jahr 1952 stieg die Anzahl der Prozesse kontinuiertlich an, so das im Jahre 1989 das Gericht erster Instanz (GeI) gegründet wurde, um den EuGH zu entlasten. Sitz des Europäischen Gerichtshofes ist Luxemburg, die Amtssprache ist Französisch.
III Der EuGH als Organ
Nach Artikel 7, Absatz 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) ist der EuGH ein Organ der Europäischen Gemeinschaft, das ganz bestimmte Befugnisse hat; die Kompetenzen des EuGH sind durch den EGV bzw. den EUV (Vertrag über die Gründung der Europäischen Union) geregelt:
Die der Gemeinschaft zugewiesenen Aufgaben werden durch folgende Organe wahrgenommen:
- ein Europäisches Parlament,
- einen Rat,
- eine Kommission,
- einen Gerichtshof,
- einen Rechnungshof.
Jedes Organ handelt nach Maßgabe der ihm in diesem Vertrag zugewiesenen Befugnisse.[1]
Der EuGH nimmt eine bedeutende und doch meist unterschätzte Stellung im Gefüge der Europäischen Gemeinschaft ein. Da der EuGH ein unabhängiges Organ der Rechtspflege ist, hat seine Rechtsprechung bindenden Charakter. In Artikel 220 EGV wird die Aufgabe des EuGH dargestellt:
Der Gerichtshof sichert die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung dieses Vertrags.[2]
Mit dem EGV wurden jedem der 5 EG-Organe ganz bestimmte Befugnisse erteilt. Durch die Anwendung des Rechts des EG-Vertrages sorgt der EuGH automatisch für die Sicherstellung (= Wahrung) des Rechts. Er übernimmt so die Kontrollunktion einer klassischen Judikative: Beispielsweise überwacht er die Legaliät von Rechtssetzungsakten der Kommission und des Rates; weiterhin überprüft der EuGH, ob Handlungen der Europäischen Zentralbank und des Europäischen Parlaments mit dem Recht des EGV bzw. des EUV vereinbar sind.
IV Der EuGH als Verfassungsgericht
Wird der EGV oder der EUV durch ein Organ der EG verletzt, kann sich ein Mitgliedstaat oder die Kommission an den EuGH wenden; in diesem Fall fungiert der EuGH als eine Art Verfassungsgericht, da er stets davon ausgeht, „dass die feierliche Proklamierung der in den Verträgen niedergelegten Zielsetzungen eine ernst zu nehmende Verpflichtung und nicht bloß diplomatische Rhetorik darstellt.“[3] Für den Gerichtshof stellen die Gründungsverträge eine Art Verfassungsurkunde dar. Durch Anwendung des EGV bzw. EUV regelt er die Rechte und Pflichten der Organe und sorgt so für eine unabhängige Kontrolle, die durch Artikel 35, Absatz 6 EUV legitimiert ist:
Der Gerichtshof ist für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Rahmenbeschlüsse und Beschlüsse bei Klagen zuständig, die ein Mitgliedstaat oder die Kommission wegen Unzuständigkeit, Verletzung wesentlicher Formvorschriften, Verletzung dieses Vertrages oder einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm oder wegen Ermessensmißbrauchs erhebt.[4]
Durch die Anwendung des Rechts des EGV bzw. des EUV werden jedoch nicht nur die Rechte und Pflichten der Organe untereinander geregelt, sondern auch das Verhältnis zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaft. Der Gerichtshof kontrolliert „innerhalb der ihm im EG-Vertrag zugewiesenen Kompetenzen die Rechtmäßigkeit des Handelns der Organe der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten, soweit es um dessen Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht geht.“[5]
Da das Recht der Gründungsverträge (das sogenannte Primäre Gemeinschaftsrecht) relativ lückenhaft ist, reicht es nicht aus, das Primärrecht einfach nur anzuwenden (Artikel 220 EGV spricht ja nicht nur von der Anwendung sondern auch von der Auslegung des Vertrages). Die Kontrollfunktion, die der EuGH ausübt, reicht also nicht aus; vielmehr muß das Primärrecht zusätzlich noch ausgelegt und somit fortgebildet werden. Der EuGH übernimmt diese Funktion, indem er das Recht der Gründungsverträge interpretiert und nach bestimmten Methoden auslegt (richterliche Rechtsfortbildung). Der Gerichtshof bedient sich dazu mehrerer Auslegungsmethoden, wie z.B. der grammatikalischen, systematischen, teleologischen oder auch historischen Auslegung.
V Weitere Aufgaben des EuGH
Der EuGH ist nicht nur als Verfassungsgericht tätig, sondern in bestimmten Fällen auch als Straf- oder Disziplinargericht, Verwaltungsgericht, Zivilgericht, Schiedesgericht oder auch als Rechtsmittelgericht.
Die Funktion als Straf- oder Disziplinargericht wird durch Artikel 213 EGV (Absatz 2) deutlich, durch den der Gerichtshof unter bestimmten Umständen in die Lage versetzt wird, Kommissionmitglieder zu entheben: So kann der EuGH auf Antrag des Rates oder der Kommission „das Mitglied [... ] seines Amtes entheben oder ihm seine Ruhegehaltsansprüche oder andere an ihrer Stelle gewährte Vergünstigungen aberkennen.“[6]
Andererseits kann der EuGH aber auch als Verwaltungsgericht in Erscheinung treten, da natürliche oder juristische Personen das Recht haben, gegen Maßnahmen der Gemeinschaften bei dem EuGH zu klagen, sofern sie unmittelbar und direkt von den zu beklagenden Maßnahmen betroffen sind. Für diese Art von Klagen ist im ersten Rechtszug (genauso wie bei Beamtenklagen) seit seiner Gründung der GeI zuständig. Wird eine Entscheidung des GeI angefochten, fungiert der EuGH als diejenige Instanz, bei der Rechtsmittel eingelegt werden (Rechtsmittelgericht).
Bei grobem Fehlverhalten auf Seiten der Gemeinschaftsorgane (etwa bei fehlerhaften Rechtssetzungsakten) oder von einzelnen Gemeinschaftsbediensteten (Individualfehler), kann die Gemeinschaft auf Schadensersatz verklagt werden. In solch einem Fall übernimmt der EuGH die Aufgaben eines Zivilgerichtes. Stellt der EuGH im Rahmen einer Schadensersatzklage Haftungsansprüche fest, regelt er die Höhe und Art der Ansprüche.
Schließlich können europäische Organe den EuGH in Ausnahmefällen ersuchen, einen bestimmten gemeinschaftlichen Konflikt zu schlichten – der EuGH fungiert somit zusätzlich noch als Schiedsgericht.
VI Der EuGH als „Hüter der Rechtsgemeinschaft“
Durch seine integrationsfreundlichen Entscheidungen hat sich der EuGH zu einem wichtigen Integrationsfaktor für die Gemeinschaft entwickelt. Ihm ist es zu verdanken, das die EG de facto eine einheitliche Rechtsgemeinschaft darstellt. Da sich die EG zur Verwirklichung ihrer Ziele „einzig und allein auf die Macht des Rechts stützt“[7] und weder eine eigene Polizei- noch Militärgewalt hat, ist sie auf den EuGH als zentrale Gerichtsbarkeit, die eine klare Rechtseinheit überhaupt erst garantieren kann, angewiesen. Wenn das Handeln der Gemeinschaftsmitglieder nicht im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht stehen würde, könnte die EG in der heutigen Form nicht existieren: „Keine Europäische Integration ohne Rechtsgemeinschaft; keine Rechtsgemeinschaft ohne Rechtseinheit; keine Rechtseinheit ohne zentrale Gerichtsbarkeit.“[8]
[...]
[1] Läufer, Thomas (Hrsg.): Vertrag von Amsterdam. Texte des EU-Vertrages und des EG-Vertrages.
Bonn: Europa Union Verlag 1999,
[2] Läufer 1999,
[3] Iglesias, Gil Carlos Rodríguez: Ein Eckpfeiler der Integration. Der Gerichtshof der Gemeinschaften
und die institutionelle Reform der Europäischen Union. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom
3.Mai 2000,
[4] Läufer 1999,
[5] Koenig, Christian und Haratsch, Andreas: Einführung in das Europarecht. Tübingen: Mohr 1996,
[6] Läufer 1999,
[7] Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften; „Rechtsprechung für Europa“:
http://europa.eu.int/cj/de/pres/jeu.htm
[8] Hirsch, Günther: Der Europäische Gerichtshof – Das unbekannte Wesen. Heidelberg: Müller 1997
(= Schriftenreihe / Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe, Heft 229),