Kulturdefinitionen und Gesellschaftskritik der Moderne


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

27 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Die Kulturtheorie nach Simmel und der Individualismus der Moderne

3. Horkheimers und Adornos Kulturkritik
3.1. Der Mythos Odysseus als Prototyp des aufgeklärten modernen Menschen

4. Fazit: Die kritische Gegenüberstellung von Simmel und Horkheimer bzw. Adorno

5. Literatur/ Quellenangaben

1. Einleitung

Der Begriff Kultur wird in unserer Gegenwart in vielerlei Hinsicht gebraucht. Angefangen von der so genannten Popkultur bis hin zur Unternehmenskultur und schließlich der Kultur des Krieges sind zahlreiche Theorien und Debatten entstanden, die die Komplexität des Begriffes Kultur verdeutlichen. Auf die Frage „Was ist Kultur?“ wurden also zu allen Zeiten unterschiedliche Antworten gefunden. Liest man im Lexikon unter der Rubrik Kultur nach, so findet man da, dass Kultur vom lateinischen cultura stammt und bis ins 18. Jahrhundert vorwiegend als Pflege und Hervorbringung der körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Menschen verstanden wurde. Auch im Kontext mit dem Landbau umschrieb man sie später (Agrikultur): Aus colere, welches bebauen und pflegen, im Sinne eines emsig beschäftigt seins, übersetzt heißt. Nach der klassischen Definition Taylors bezeichnet man Kultur als den Komplex von Kenntnissen, Glaubensvorstellungen, Kunst, Moralauffassung, Recht, Bräuchen und allen anderen Fähigkeiten und Sitten, die der Mensch als Mitglied einer Gesellschaft erworben hat. Kultur wird im abendländlichen Verständnis traditionell im Gegensatz zur Natur gesetzt. Zu unterscheiden ist auch der Begriff der Kultur, der auch im Bezug auf den Alltag und im Bildungsbürgertum lebendig ist. Speziell im deutschen Kultur- und Sprachbereich grenzt man den Begriff der Kultur von dem der Zivilisation und Technik ab, obwohl auch da die Begriffe Kultur und Zivilisation oft synonym genutzt werden. Die Auffassungen über den Begriff Kultur sind regional unterschiedlich ( Bordemann 2003: 377). Zur Frage nach dem Wesen von Kultur gibt es also viele Antworten. Der Ethnologe und Anthropologe Clifford Geertz sieht auch die Kultur als einen geschichtlich übermittelten Komplex von Bedeutungen und Vorstellungen an, die in symbolischer Form zutage treten. Diese Bedeutungen ermöglichen es den Menschen, “ihr Wissen über das Leben und ihre Einstellung zur Welt einander mitzuteilen, zu erhalten und weiterzuentwickeln“ (Geertz 1983:2). Für ihn ist die Kultur ein System gemeinsamer Symbole als Mittel eines öffentlichen gesellschaftlichen Diskurses, der sich in seinen spezifischen kulturellen Formen artikuliert. Diese Formen haben ihre wesentliche Bedeutung darin, dass sie einerseits ein allgemeines Verstehen von Kultur ermöglichen, andererseits auf einen Komplex, oft übereinandergelagerter und ineinander verwobener individueller Vorstellungsstrukturen verweisen.

Was also die Interpretation des Kulturbegriffes anlangt, so ist sicherlich eine Kenntnis seiner pluralen Traditionslinien von entscheidender Bedeutung. Die Hinwendung zur Kultur offenbart also den Blick auf die Facetten sozialer Realitäten, die ein transdisziplinäres Verständnis von Kultur und Gesellschaft bedingen. Die Wirklichkeit der facettenreichen sozialen und kulturellen Erscheinungsformen sollte dementsprechend im Plural begriffen werden, nämlich als Wirklichkeiten. Um also die Vielgestaltigkeit als Ausdruck der Möglichkeiten kulturwissenschaftlichen Denkens, die mit soziokulturellen Wirklichkeiten einhergeht, zu reduzieren, beschränke ich mich daher in meiner Hausarbeit auf zwei moderne Kulturtheorien, die ein kritisches Verständnis unserer gegenwärtigen Gesellschaft und ihrer Kultur liefern. Der Kernpunkt dieser Arbeit liegt also in der Fragestellung nach dem Wesen und der sozialen Relevanz von Kultur, anhand der theoretischen Abhandlungen von Georg Simmel, Max Horkheimer und Theodor W. Adorno. Das Buch mit dem Titel: „Culture Club“ von Martin Ludwig Hofmann u.a. bietet auch einen solchen Diskurs zwischen Moderne und Postmoderne. Georg Simmel, ein deutscher Philosoph und Soziologe, leistete wichtige Beiträge zur Kulturphilosophie und gilt als Begründer der „formalen Soziologie“ und der Konfliktsoziologie. Simmel stand in der Tradition der Lebensphilosophie und des Neukantianimus. In einem seiner Hauptwerke, der Philosophie des Geldes, entwickelt Simmel sehr anschaulich und überzeugend die These, dass das Geld immer mehr Einfluss auf die Gesellschaft, die Politik und das Individuum erhält. Die Verbreitung der Geldwirtschaft hat den Menschen zahlreiche Vorteile gebracht, wie die Überwindung des Feudalismus und die Entwicklung moderner Demokratien. Allerdings sei in der Moderne das Geld immer mehr zum Selbstzweck geworden. Sogar das Selbstwertgefühl des Menschen und seine Einstellung zum Leben werden durch das Geld bestimmt (Bordemann 2003: 383-4). Auch sein Werk: „Die Großstädte und das Geistesleben“ hatte in den USA großen Einfluss und zeigte die psychische Entwicklung des Menschen in der Großstadt. Er wurde mit diesem Aufsatz auch zum Begründer der Stadtsoziologie.

Der Sozialphilosoph Max Horkheimer gilt gemeinsam mit Adorno als Protagonist der „Frankfurter Schule“ und als Hauptvertreter der so genannten „kritischen Theorie“. Ihre Arbeiten beschäftigen sich größtenteils mit der Kritik an der bürgerlichen Gesellschaft.

Diese charakterisieren sie als politisch, ökonomisch und ideologisch in sich widersprüchlich. Philosophisch steht Horkheimer für einen metaphysisch begründeten Pessimismus, in der Art, dass nach ihm die menschliche Existenz, neben dem materiell verursachten Leid, ein Leiden sei, dass durch die Natur des Seins selbst begründet ist. 1947 veröffentlichte er gemeinsam mit Theodor W. Adorno die Dialektik der Aufklärung, eines seiner Hauptwerke, dass auch im Folgenden dieser Arbeit von Bedeutung ist.

2. Die Kulturtheorie nach Simmel und der Individualismus der Moderne

Georg Simmel, der am 1. März 1858 geboren und am 28. September 1918 gestorben ist, gilt als Kulturtheoretiker der Moderne, obwohl er die Hoch-Zeit der so genannten klassischen Moderne nicht mehr erlebt hat. Dennoch “kann man ihn tatsächlich ohne Übertreibung als Grundlagentheoretiker dieser Moderne bezeichnen, vielleicht sogar als den [Hervorhebung des Autors] klassischen Theoretiker der Moderne überhaupt“ (Hofmann 2004: 32). Das seine Kulturtheorien bis in unserer Gegenwart von entscheidender Bedeutung sind, lässt sich auch anhand eines Artikels in der Zeitschrift: „Der Spiegel“ vom Jahre 2000 ablesen, in der es hieß, dass “weltweit und quer durch die Disziplinen [...] seine Einsichten inzwischen diskutiert [würden]“ (Hofmann 2004: 31). Als Pionier der Kultursoziologie war es demnach auch kein Wunder, “dass ein Ausbildungszentrum für Computer-Vernetzer mitten im US-Bundesstaat Ohio Simmel zum Namenspatron erwählt hat, dass es in Korea eine Website zu ihm gibt, dass Soziologen in Zürich seine Texte im Internet anbieten“ (Hofmann 2004: 31). Und schließlich: “Wer ihn [Simmel] gelesen hat, sieht die Muster hinter den Tatsachen, die Wechselwirkungen zwischen den Ebenen des Geschehens einfach klarer“ (Hofmann 2004: 31).

Georg Simmel wuchs in einer gut bürgerlichen Kaufmannsfamilie auf. Nach dem Tode seines Vaters, als Simmel 16 Jahre alt war, verfügte er durch seinen Vormund über ein beachtliches Vermögen, “das die Grundlage der späteren freien intellektuellen Tätigkeit Simmels darstellt“ (Hofmann 2004: 33). Nach seinem Studium der Philosophie, Völkerpsychologie und Geschichte in Berlin, erlebte er einen recht steinigen akademischen Werdegang, ehe er letztendlich zum Professor ernannt wurde.

Betrachtet man Simmels Werke oberflächlich, so sieht man Fragmente von Essays, die in einem sinnvollen Kontext zusammengebracht werden müssen. Erst ein genaueres Hinsehen lässt die Unterteilung dieser Werke in einzelne Perioden und Gliederungen zu, um schließlich die Ordnung des Gesamtwerkes zu erkennen. Diese Ordnungen jedoch bedeuten, “dass Gliederungen und Periodisierungen Methoden der Sinnerzeugung sind“ (Hofmann 2004: 34).

Das Resultat daraus ist dann eine neue Ordnung, nachdem man Periodisierungen vorgenommen hat, etwa im Sinne Michel Foucaults Frage bei jedem Gliederungsversuch, der hierzu Folgendes schrieb: “Auf welchem >Tisch<, gemäß welchem Raum an Identitäten, Ähnlichkeiten, Analogien haben wir die Gewohnheit gewonnen, so viele verschiedene und ähnliche Dinge einzuteilen? Denn: Nichts ist tastender, nichts ist empirischer (wenigstens dem Anschein nach) als die Einrichtung einer Ordnung unter den Dingen“ (Hofmann 2004: 35). Eine genaue Periodisierung der Simmel´schen Werke ist die klassische Einteilung in ein Früh-, Haupt- und Spätwerk. Das Frühwerk charakterisiert eher einen Pragmatismus, der mit der Evolutionstheorie und Psychologie einhergeht. Mit anderen Worten definiert Simmel hierbei die Kultur im Frühwerk evolutionstheoretisch, “die in ihren konkreten Objektivierungen das Ergebnis eines Interaktionsprozesses subjektiver vitaler Emotionen sei“ (Hofmann 2004: 35). Erst mit seinem Hauptwerk der so genannten „Philosophie des Geldes“ werden soziologische Fragestellungen und Themen sichtbar, die letztendlich Simmel als Kulturtheoretiker der Moderne kennzeichneten. Die lebensphilosophischen Gesichtspunkte, die nun die dritte und letzte Phase charakterisieren, sind die „Lebensanschauungen“ und die „Philosophische Kultur“, in der auch metaphysische Einflüsse zum Tragen kommen. Innerhalb dieser Periodisierung kristallisieren sich jedoch im Wesentlichen zwei zentrale Argumente heraus, “um Simmels gesamtes Werk zu erschließen“ (Hofmann 2004:36). Das eine Argument bezieht sich auf die Grundlegung der Soziologie als neue Kulturwissenschaft, während das andere Argument sozusagen als das Herzstück seiner Theorie der Moderne gilt: Es ist die Darstellung der modernen Formen der Individualisierung in der Gesellschaft. Im Hinblick auf die Entstehung der damals neuen Kulturwissenschaft Soziologie schrieb Simmel: “Sie [die Soziologie] verfährt mit den Ergebnissen der Geschichtsforschung, der Anthropologie, der Statistik, der Psychologie wie mit Halbprodukten; sie wendet sich nicht unmittelbar an das primitive Material, das andere Wissenschaften bearbeiten, sondern, als Wissenschaft sozusagen zweiter Potenz, schafft sie neue Synthesen aus dem, was für jene schon Synthese ist. In ihrem jetzigen Zustand gibt sie nur einen neuen Standpunkt für die Betrachtung bekannter Tatsachen“ (Hofmann 2004: 37). Simmels Intension für die Soziologie besteht darin, dass die Gesellschaft als Ganzes eben nicht die kleinsten Teile innerhalb des Systems, also die soziale Interaktion der Individuen untereinander, regele, sondern umgekehrt, dass die kleinsten Teile das Ganze bestimmen. Aus den Teilergebnissen anderer Wissenschaftsdisziplinen würde man, laut Simmel, das Ganze begreifen, durch welches man ein tieferes Verständnis für die Gesellschaft bekäme. Im Gegensatz zur marxistischen Kulturauffassung, die im Sinne eines Überbaus von einem höheren Gesetz sozialer Entwicklungen spricht, argumentiert Simmel in seiner so genannten Makro-Kritik, dass dieses höhere Gesetz, “das die Bewegungen >>der kleinsten Zeile<< regele, also die Bewegungen des schier unüberschaubaren Geflechts sozialer Wechselwirkungen“ (Hofmann 2004: 37), nicht existiere. Aus dieser Sicht bestehe also selbst das einzelne Individuum, genauso wie die Gesellschaft, aus einer Vielzahl von „Teilen“. Das Individuum bis ins „letzte Atom“ aufzuschlüsseln, sei deshalb nach Simmel ein Irrweg. In seiner so genannten Mikro-Kritik, in der das einzelne Individuum im Vordergrund steht, führt Simmel aus, dass das Individuum also selbst das Produkt aus einer „Vielheit“ ist. Man müsse den Einzelnen “als Kreuzungs- und Durchgangspunkt verschiedenster Einflüsse“ (Hofmann 2004: 38) betrachten, wobei das Produkt oder die Summe durch quantitative Faktoren sich zu einer Einheit addieren lassen. Aufgrund dieser zweifachen Kritik sind für ihn die Bezeichnungen Gesellschaft und Individuum als Grundbegriffe für die Soziologie fehl am Platz. Vielmehr müsse man als Schlüsselbegriff für diese Sozialwissenschaft von einer Interaktion sprechen oder, wie Simmel sich ausdrückt, von einer sozialen Wechselwirkung der Individuen untereinander. Simmel beschrieb es folgendermaßen: “Soll es also eine Wissenschaft geben, deren Gegenstand die Gesellschaft und nichts anderes ist, so kann sie nur diese Wechselwirkungen, diese Arten und Formen der Vergesellschaftung untersuchen wollen“ (Hofmann 2004: 38). Dementsprechend ist also der Begriff der Gesellschaft nichts anderes als “der Name für die Summe dieser Wechselwirkungen“ (Hofmann 2004: 38). Im Hinblick dazu ist für ihn auch die Gesellschaft an sich ein qualitativ variabler Begriff, d.h. kein einheitlich feststehender, “sondern ein gradueller Begriff, von dem auch ein Mehr oder Weniger anwendbar ist, je nach der größeren Zahl und Innigkeit der zwischen den gegebenen Personen bestehenden Wechselwirkungen“ (Hofmann 2004: 38). Ein Mehr oder Weniger bedeutet einerseits die Anzahl der Gesellschaftsmitglieder untereinander, andererseits die Art und Weise, wie sie soziale Wechselwirkungen miteinander pflegen. Denn man kann von einem Mehr oder Weniger an Gesellschaft deswegen sprechen, je nachdem im welchem Ausmaß eine Innigkeit, d.h. eine emotionale Bindung, zwischen den Personen besteht und wie sie miteinander umgehen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Kulturdefinitionen und Gesellschaftskritik der Moderne
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Europäische Ethnologie)
Veranstaltung
Cultural turns
Note
2,3
Autor
Jahr
2007
Seiten
27
Katalognummer
V86587
ISBN (eBook)
9783638011785
ISBN (Buch)
9783638923415
Dateigröße
437 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kulturdefinitionen, Gesellschaftskritik, Moderne, Cultural
Arbeit zitieren
Volker Petzold (Autor:in), 2007, Kulturdefinitionen und Gesellschaftskritik der Moderne , München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86587

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