Blinde Flecken - (Re-)Konstruktionen von Vergangenheit in der aktuellen Literatur


Examensarbeit, 2006

139 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Erinnerung und Gedächtnis – Zur (Re-)Konstruktion von Vergangenheit
2.1 Der gesellschaftspolitische Umgang mit der NS-Vergangenheit
2.1.1 Erinnerungsdiskurse in Deutschland
2.1.2 Globalisierung der NS-Vergangenheit
2.2 Das kollektive Gedächtnis
2.2.1 Das kommunikative Gedächtnis
2.2.2 Das kulturelle Gedächtnis
2.3 Zum Verhältnis von Gedächtnis, Literatur und Geschichte

3. (Re-)Konstruktionen von Vergangenheit in aktuellen Prosatexten
3.1 „Am Beispiel meines Bruders“ von Uwe Timm
3.1.1 Uwe Timm - Aufarbeitung deutscher Vergangenheit und eigene Identitätssuche
3.1.2 Die Familie Timm – (Re-)Konstruktion von Vergangenheit durch mündliche Erzählungen
3.1.3 (Re-)Konstruktion von Vergangenheit anhand von Briefen und Tagebucheinträgen
3.1.4 Die Loyalitätsbeziehungen innerhalb der Familie Timm
3.2 „Unscharfe Bilder“ von Ulla Hahn
3.2.1 Das intergenerationelle Gespräch – ein Versuch „blinde Flecken“ zu füllen
3.2.2 Die Wehrmachtsausstellung – kulturelles und kommunikatives Gedächtnis
3.2.3 Hahns Plädoyer für „unscharfe Bilder“
3.3 „Der Verlorene“ von Hans-Ulrich Treichel
3.3.1 Der Ich-Erzähler – Bedrohung der Identität
3.3.2 Die Darstellung der Nachkriegsjahre – Die Dominanz der Vergangenheit in der Gegenwart

4. Zusammenfassung und Ausblick

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

„Die Zukunft der Vergangenheit hat begonnen, und sie wird eine Gegenwart sein, in der uns nicht mehr die Überlebenden zu unserem Geschichtsbewusstsein verhelfen. Wir werden uns selber helfen müssen.“[1] So schilderte der Historiker Norbert Frei im Jahre 2004 die gegenwärtige Situation der Gedenkkultur in Deutschland. Im folgenden Jahr jährte sich der Tag des Kriegsendes am 8. Mai zum 60. Mal und zwei Tage später wurde das „Mahnmal für die ermordeten Juden in Europa“ in Berlin mit einem feierlichen Festakt eröffnet, so dass das Jahr 2005 ganz im Zeichen von Erinnerung und Gedenken stand. Doch gerade dieses Mahnmal hatte zuvor eine Debatte über das Für und Wider veranlasst, die als beispiellos in der deutschen Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Nationalsozialisten gelten kann. Die Kritiker befürchteten, dass mit der Errichtung eines Denkmals in der Hauptstadt der Bundesrepublik ein „Schlussstrich“ unter die Erinnerungsarbeit an den Holocaust gezogen werden könnte, während Befürworter in der Erbauung einen weiteren Schritt zur Anerkennung der deutschen Schuld sahen. Auch wenn an dieser Stelle nicht ausführlich über die ambivalenten (Aus-)Wirkungen von Denkmälern diskutiert werden soll, so lässt sich doch verkürzt subsumieren, dass Mahnmale grundsätzlich die Erinnerung an historische Ereignisse aufrechterhalten sollen, aber gleichzeitig auch die Gefahr in sich tragen, dass durch den symbolischen Akt der Errichtung das erinnerungswürdige bzw. erinnerungsnotwendige Ereignis als „gesühnt“ in das kollektive Bewusstsein eingeht und somit – entgegen der ursprünglichen Absicht – in Vergessenheit gerät. Aus einer weniger komplizierten Perspektive heraus betrachtet, und um auf das Eingangszitat von Norbert Frei zurückzukommen, sind Denkmäler, neben zahlreichen weiteren künstlerisch-ästhetischen Formen, Ausdruck der von ihm angesprochenen „Selbsthilfe“ zur Erstellung unseres Geschichtsbewusstseins. 60 Jahre nach Kriegsende stehen wir an einem Punkt, an dem die Zeitzeugengeneration des Nationalsozialismus und des Holocaust ausstirbt und wir nach Wegen suchen müssen, welche die Erinnerung und das Gedenken an die Verbrechen der Nazis auch an folgende Generationen weitergeben können. Denn „[b]is heute gilt als konstitutiver Bestandteil der nachkriegsdeutschen Erinnerungskultur, dass Auschwitz nicht noch einmal sei“[2].

Da der Nationalsozialismus mit seinen massenverführenden Ideologien und seinen unvergleichbaren Verbrechen am Menschen als das zentrale Ereignis des 20. Jahrhunderts angesehen werden muss, stellt er einen Bruch in der deutschen Erinnerungs- und Gedenkkultur dar. Nach dem 8. Mai 1945 gilt der Zweite Weltkrieg bzw. der Holocaust als das Erinnerungsparadigma schlechthin. Bis heute lassen sich verschiedene Erinnerungsdiskurse feststellen, welche in den 60 Jahren nach Kriegsende nach Möglichkeiten des Gedenkens an die Verbrechen der Nazis suchten. Waren es zunächst generelle Zweifel an der Darstellbarkeit und Erinnerungsfähigkeit, so wurde „[d]ie Infragestellung der Aussagbarkeit und Tradierbarkeit der Shoah [...] [im Laufe der Zeit] abgelöst durch eine Reflexion über die Darstellungsformen und ihre Voraussetzungen und Konsequenzen“[3]. Im Zentrum der Überlegungen steht also nicht mehr die Frage, „ob“ es möglich ist der Verbrechen der Nationalsozialisten zu gedenken, sondern „wie“ man angemessen an sie erinnert. Die Diskussion blieb bzw. bleibt hier nicht nur der Geschichtswissenschaft überlassen. Besonders in den letzten Jahren ist die Erinnerung an den Holocaust bzw. den Zweiten Weltkrieg zu einem umkämpften gesellschaftlich-politischen Gebiet geworden. Auf dem interdisziplinären Terrain bewegen sich u. a. „so verschiedene Fächer wie die Sozialwissenschaften, die Geschichtswissenschaft, Literaturwissenschaft, Philosophie und Psychologie“[4]. Die Liste könnte sicherlich noch erweitert werden.

Gerade die sozialwissenschaftlichen und sozialpsychologischen Forschungen haben im Verlauf der letzten zwei Jahrzehnte neue aufschlussreiche Perspektiven für die Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit gewonnen. In den Blickpunkt des Interesses gerieten vor allem Mehrgenerationenstudien, die sich seit etwa Mitte der achtziger Jahre zuerst mit den Nachkommen der Opfer und später auch mit den Nachkommen der Täter beschäftigten. Auf beiden Seiten konnte festgestellt werden, dass sowohl Kinder der Opfer als auch Kinder der Täter psychisch und/oder physisch unter der Vergangenheit ihrer Eltern leiden können. Die Ergebnisse zeigen, dass nicht nur die Elterngeneration von den Erlebnissen zwischen 1933 und 1945 traumatisiert sein kann, sondern dass auch ihre Kinder Verfolgungsängste haben bzw. Schuldgefühle übernehmen können.[5] Neuere Untersuchungen aus der Sozialpsychologie (vor allem den Analysen der Forschungsgruppe um den Sozialpsychologen Harald Welzer kommt hier große Bedeutung zu) beschäftigen sich mit dem „intergenerationelle[n] Sprechen über die NS-Vergangenheit und den Holocaust“[6]. Bei diesen Studien geht es primär darum, wie Vergangenheit in Familien im Gespräch zwischen den Generationen weitergegeben wird. Welzer bezieht auch die Enkelgeneration in seine Untersuchungen mit ein. Da im Verlauf der Arbeit noch näher auf die Ergebnisse der Untersuchungen eingegangen werden soll, reicht es vorerst festzuhalten, dass in Familiengesprächen eine deutliche Tendenz herrscht Vergangenheit so zu (re-) konstruieren[7], dass alle Familienmitglieder in einem „guten“ Licht erscheinen. So ist es auch nicht sehr verwunderlich, dass in einer Repräsentativumfrage des Jahres 2002, die nach der „Rolle, d[er] Einstellung und d[em] Verhalten [der] eigenen Angehörigen im "Dritten Reich"“[8] fragte, „zwei Drittel aller repräsentativ Befragten das Leid der eigenen Angehörigen im Krieg beton[t]en“[9]. Somit kommt Welzer zu dem Ergebnis, „dass in der Bundesrepublik die offizielle Gedenkkultur und das private Erinnern extrem unterschiedlich ausfallen“[10]. „Während die kollektive Erinnerung den Holocaust und die nationalsozialistischen Verbrechen ins Zentrum stellt, kreist die private Erinnerung der Familien um das Leiden der Angehörigen im Krieg, um mühseliges Überleben in schlechten Zeiten und um die persönliche Integrität in düsterer Zeit […].“[11]

Diese Schlussfolgerung wird durch eine Betrachtung der literarischen Veröffentlichungen der letzten Jahre zum Thema „Nationalsozialismus“/„Zweiter Weltkrieg“ untermauert. Hier zeichnet sich spätestens seit der Veröffentlichung von Winfried Georg Sebalds Poetikvorlesungen zu „Luftkrieg und Literatur“[12] eine Umorientierung von der Darstellung und Verarbeitung der Schuld der Deutschen hin zur Illustration der Rolle der Deutschen als „Opfer des NS-Regimes“[13] ab. So beschäftigt sich die 2002 von Günter Grass veröffentlichte Novelle „Im Krebsgang“[14] mit der Versenkung des KdF-Schiffes „Wilhelm Gustloff“ durch ein russisches U-Boot im Januar 1945. Bei dieser Katastrophe kamen kurz vor Ende des Krieges etwa 9000 Flüchtlinge aus Ostpreußen ums Leben. Ein weiterer Roman, dessen Handlung sich aus dem Untergang der „Wilhelm Gustloff“ heraus entwickelt, wurde im Jahre 2003 von Tanja Dückers veröffentlicht. Dückers verknüpft in „Himmelskörper“[15] geschickt das Sujet von „Flucht und Vertreibung“ mit der Frage nach Schuld und Verstrickung der eigenen (bezogen auf die Hauptperson des Romans) Angehörigen in den Nationalsozialismus. Ebenso um „Flucht und Vertreibung“ geht es in Peter Härtlings „Leben lernen“[16] und Christopher Heins „Landnahme“[17]. Sicherlich gab es auch schon vor Sebalds „Luftkrieg und Literatur“ Autoren, die in ihren Werken auf die „Opferrolle der Deutschen“ eingegangen sind[18], wobei der Opferdiskurs sich nie auf offizieller Ebene durchsetzen konnte. Die Erinnerungskultur der Bundesrepublik Deutschland ließ jahrzehntelang neben dem Holocaust in Bezug auf den „Zweiten Weltkrieg“ keine weiteren Inhalte des kollektiven Gedächtnisses zu. In offiziellen Gedenkakten wurde der Opfer des Holocaust gedacht, das Gedenken an die Leiden der Deutschen als Opfer von Flucht, Vertreibung, Bombenkrieg und Gefangenschaft wurde nahezu ausschließlich der privaten Ebene überlassen. Sicherlich auch um nicht in den Verdacht zu geraten, sich als „Nation der Täter“ von der eigenen Schuld abzukehren und die Leiden der eigenen Bevölkerung mit der Verfolgung und Ermordung von ca. sechs Millionen Juden gleichsetzen zu wollen. Welzer konstatiert jedoch, dass „dieses in der alltäglichen Erinnerung [schon länger] gepflegte Bild [nun] auch Eingang in offiziösere Diskurse bekommen hat, d. h. in die der medialen Öffentlichkeit und in die der intellektuellen Eliten“[19]. Gründe dafür, dass nun auch die „Opferrolle der Deutschen“ in die offizielle Gedenkkultur der Bundesrepublik Einzug gefunden hat und sogar etwas polemisch vom „neuen deutschen Opferdiskurs“[20] gesprochen wird, sind gewiss nicht monokausal zu erklären. Natürlich kommt den Medien bei der Bildung neuer Gedenk- bzw. Erinnerungsparadigmen eine zentrale Rolle zu. So waren es die Mitte der neunziger Jahre einsetzenden Fernsehsendungen des Historikers Guido Knopp, welche „die Leidenserzählungen der Deutschen beiläufig und beinahe unbemerkt wieder in das offizielle Erinnerungsinventar der Bundesrepublik eingeführt haben“[21]. In diesen Sendungen befragte Knopp Zeitzeugen des Nationalsozialismus über ihre Erlebnisse und Erfahrungen während des „Zweiten Weltkrieges“, wobei die „bewegendsten“ Ausschnitte dann in den bekannten Sendungen über „Hitlers Helfer“, „Hitlers Frauen“ etc. als „authentische Geschichtsgeschichten“ ausgewiesen wurden. Auch die Rolle der Literatur darf in diesem Zusammenhang nicht unterschätzt werden. Da Literatur immer auch ein Ausdruck dessen ist, was eine Gesellschaft als Kollektiv bewegt, trägt Literatur in einem großen Maße zur Entstehung „neuer Gedenkkulturen“ bei. Auf der anderen Seite nimmt Literatur auch gesellschaftlich relevante Themen auf, führt dadurch Diskurse weiter und entwickelt neue Perspektiven, wodurch letztlich Gedenk- bzw. Erinnerungskulturen gefestigt werden.

In der Literatur- bzw. generell in der Medienlandschaft spricht man in den letzten zehn Jahren von einem regelgerechten „Erinnerungsboom“. Plötzlich sind auch Themen von Interesse, die zuvor weniger Berücksichtigung fanden, zumindest auf offizieller Ebene. Im Zusammenhang dieser Arbeit möchte ich von „blinden Flecken“ sprechen, von „Leerstellen im Geschichtsbewusstsein“[22], die nach und nach an die Oberfläche der Erinnerungskultur transformiert werden. Neben den bereits erwähnten Themenkomplexen „Flucht und Vertreibung der Deutschen während des "Zweiten Weltkrieges"“, „Bombardierung der deutschen Städte und das Leid der Zivilbevölkerung“ sowie die „Erfahrungen von Soldaten während der Kriegsgefangenschaft“ sind die „Rolle der Wehrmacht im Regime des Nationalsozialismus“ und die „Erfahrungen der Nachkriegsgeneration in der Zeit des "Wirtschaftswunders"“ zu den „blinden Flecken“ im Geschichtsbewusstsein zu rechnen, welche nun allmählich von der deutschen Erinnerungskultur entdeckt werden. Sicherlich gibt es noch weitere Themen, welche ihre Widerspiegelung nicht im kollektiven Gedächtnis der BRD erfahren oder nur allmählich in den öffentlichen Diskurs geraten. So lassen sich z. B. auch in der Geschichte der beiden getrennten deutschen Staaten „blinde Flecken“ ausmachen. Erinnert sei hier nur an die Thematik der sog. „Luftbrücke“, mit der die Amerikaner und die Briten in den Jahren 1948/1949 den von der sowjetischen Besatzungsmacht abgeschnittenen Teil von West-Berlin mit Lebensmitteln versorgten. Ende 2005 sendete ein privater Fernsehsender einen zweiteiligen Spielfilm zu diesem Thema. Schon Wochen vorher erschienen diverse Zeitschriften und die Regale in den Buchhandlungen waren angefüllt mit mehr oder weniger wissenschaftlichen Abhandlungen zur Blockade des Westteils der heutigen Bundeshauptstadt. Hier scheint das Interesse der Öffentlichkeit jedoch bereits relativ schnell wieder abgenommen zu haben.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich aus literaturwissenschaftlicher Perspektive mit der (Re-)Konstruktion von Vergangenheit. Untersucht werden soll, wie in der aktuellen Literatur[23] „blinde Flecken“ in der Vergangenheit der deutschen Geschichte dargestellt bzw. der Wahrnehmung zugeführt werden. Anhand der Romane „Am Beispiel meines Bruders“[24] von Uwe Timm, „Unscharfe Bilder“[25] von Ulla Hahn und „Der Verlorene“[26] von Hans-Ulrich Treichel werden unterschiedliche thematische Schwerpunkte der jüngsten deutschen Literatur beleuchtet, die die These vom „Paradigmenwechsel in der Erinnerungskultur der Bundesrepublik“[27] untermauern. Ob sie jedoch im Zusammenhang mit der von Welzer konstatierten Transformation der Täter- in eine Opfergesellschaft[28] als Werke betrachtet werden können, welche diesen Prozess befördern, soll am Ende dieser Arbeit hinterfragt werden.

So steht im Zentrum von Uwe Timms Text die Frage nach der Verstrickung des eigenen Bruders, der sich freiwillig zur Waffen-SS meldete, in die Verbrechen der Nationalsozialisten. Da Timm den Text höchst autobiographisch entwirft und seine eigene Person in der Handlung als Familienangehöriger zu erkennen ist, kommt diesem Werk in der aktuellen Literatur ein besonderer Stellenwert zu, denn Timm bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Loyalität zum eigenen Bruder und einem „moralischen Urteil[…]“[29], welches die Schuld des Bruders thematisiert und ihn für seine Taten verurteilt.

Auch in Ulla Hahns Roman „Unscharfe Bilder“ geht es um die Frage nach der Beteiligung von Familienangehörigen an den Verbrechen der Nazis. Hahn greift aber – im Gegensatz zu Timm – auf das aus den sog. „Vaterbüchern“ der siebziger Jahre bekannte Muster des Generationenkonflikts zurück.[30] In „Unscharfe Bilder“ besucht eine junge Lehrerin die „Wehrmachtsausstellung“ und glaubt auf einem Foto ihren Vater zu erkennen. Auf der Suche nach der väterlichen Schuld, vor allem aber nach seinem persönlichen Schuldempfinden, unterzieht sie den Vater ausgiebigen Verhören.

Im Mittelpunkt der kurzen Erzählung „Der Verlorene“ von Hans-Ulrich Treichel steht die Suche nach einem auf der Flucht vor der Roten Armee verloren gegangenen Sohn einer ostpreußischen Bauernfamilie. Im Ostwestfalen der fünfziger Jahre erlebt die Familie mit ihrem zweitgeborenen Sohn (der auch die Erzählerfigur des Romans ist) die „Wirtschaftswunderjahre“, kann sich aber nicht auf die Gegenwart einlassen, weil die Suche nach dem ersten Sohn der Verarbeitung der Vergangenheit entgegensteht.

Bevor die einzelnen Prosatexte analysiert werden und gezeigt wird, wie sie „blinde Flecken“ bzw. „Leerstellen im Geschichtsbewusstsein“ der Leser der Wahrnehmung zuführen bzw. füllen, ist es notwendig einige theoretische Grundlagen zu erarbeiten. Zuerst erachte ich es für sinnvoll einen Überblick über den gesellschaftspolitischen Umgang mit dem Nationalsozialismus bzw. dem Holocaust zu geben, damit die Entwicklung der Erinnerungskultur der Bundesrepublik nach 1945 deutlich wird und der gegenwärtige „status quo“ nachzuvollziehen ist. Hierzu sollen die Erinnerungsdiskurse in Deutschland seit Ende des „Zweiten Weltkrieges“ dargestellt werden. Anschließend werde ich auf die „Globalisierung der NS-Vergangenheit“ eingehen, bevor ich mich verschiedenen Gedächtnistheorien zuwende, die im Laufe der achtziger Jahre den wissenschaftlichen Diskurs um die Verarbeitung der NS-Vergangenheit erweitert haben. Um den theoretischen Teil dieser Arbeit literaturwissenschaftlich abzurunden, erachte ich es als notwendig, abschließend noch kurz auf das Verhältnis von Literatur, Gedächtnis und Geschichtsschreibung einzugehen, da gerade in Bezug auf Literatur, die Vergangenheit (re-)konstruiert bzw. entwirft, immer wieder die Frage nach ihrem Wahrheitsgehalt gestellt wird.

2. Erinnerung und Gedächtnis – Zur (Re-)Konstruktion von Vergangenheit

2.1 Der gesellschaftspolitische Umgang mit der NS-Vergangenheit

Betrachtet man die Auseinandersetzung der Deutschen mit ihrer eigenen Vergangenheit, so muss man sich stets vor Augen halten, dass der öffentliche bzw. offizielle Teil der deutschen Erinnerungsgeschichte von Anfang an generalisiert und somit auch konstruiert war. Dieses wird deutlich, wenn man sich die beiden unterschiedlichen Erinnerungsdiskurse der beiden deutschen Teilstaaten anschaut, welche nach der Wiedervereinigung zusammengeführt werden mussten.[31] So lässt sich feststellen, dass sich die Gedenkkultur in der ehemaligen DDR anfänglich noch mit verschiedenen Opfergruppen des Faschismus – den ermordeten Juden Europas, den Opfern der Überfälle auf Polen und die Sowjetunion sowie den in Deutschland Verfolgten – beschäftigt hat. „[I]m Laufe der Jahre [hat sich dies jedoch] dahingehend verändert, dass vorrangig die Opfer des Überfalls auf die Sowjetunion und die kommunistischen Widerstandskämpfer in Deutschland im Vordergrund“[32] der Erinnerungsdiskurse standen. Verantwortlich für die unterschiedliche Entwicklung der Gedenkkulturen der beiden deutschen Teilstaaten war der sich verschärfende „Kalte Krieg“, in dessen Verlauf sich „die Politik der DDR-Regierung […] mehr und mehr der Erinnerung an den Holocaust entledigt ha[t], sodass in der Reduktion der faschistischen Verbrechen auf die in der Sowjetunion verübten Taten eine Unterdrückung der jüdischen Themen erfolgt [ist], bis schließlich antifaschistischer Widerstand nur noch Kampf gegen den Kapitalismus bedeutet ha[t]“[33]. In der BRD bestimmte der heute meist mit dem Begriff „Holocaust“ bezeichnete Genozid an den europäischen Juden als das zentrale Ereignis des 20. Jahrhunderts über Jahrzehnte hinweg die Gedenkkultur bzw. die Erinnerungsdiskurse.[34] Die Vernichtung der Juden wurde als das – im negativen Sinne – identitätsbildende Moment in der Geschichte der BRD angesehen. In der spezifisch westdeutschen Debatte um die Erinnerung an den Holocaust und den „Zweiten Weltkrieg“ galt die politische Maxime, dass Rechtsstaatlichkeit und Demokratie niemals mehr verloren gehen dürfen. In der heutigen vereinten Bundesrepublik gilt dieser Grundsatz natürlich immer noch.

Es wurde deutlich, dass bei der Herausbildung von Gedenkkulturen und der Entwicklung von Erinnerungsdiskursen politische und gesellschaftliche Faktoren eine tragende Rolle spielen. Sie konstruieren und generalisieren das kollektive Gedächtnis einer Nation. „Gesellschaft [und Politik] leg[en] die Bezugsrahmen und Deutungsmuster für die Vergangenheit immer neu fest, indem sie darüber entscheiden, wie und was von der Vergangenheit zur Sprache gebracht wird.“[35] Diese Bezugsrahmen unterliegen jedoch einer ständigen Veränderung, die von inneren und äußeren Einflüssen abhängt. „Als wichtigste sind hier zu nennen: [...] sozial: der Generationenwechsel innerhalb einer Gesellschaft, [...] außenpolitisch: die Beziehung zu anderen Staaten wie Israel, Polen oder den USA, die selbst Opfer deutscher Aggression und Vernichtungsgewalt geworden sind, sowie [...] innenpolitisch: der Wechsel des politischen Systems, wie er z.B. mit der Wiedervereinigung eintrat.“[36] Doch nicht nur Gesellschaft und Politik kommen bei der Bildung von Erinnerungsdiskursen eine entscheidende Rolle zu. Auch der Einfluss der Massenmedien auf die Konstitution von Gedenkkulturen kann in der Postmoderne nicht unterschätzt werden. So stellt Sybille Krämer heraus, dass „Medien […] nicht einfach Botschaften [übertragen], sondern […] eine Wirkkraft [entfalten], welche die Modalitäten unseres Denkens, Wahrnehmens, Erinnerns und Kommunizierens prägt“[37]. Anders ausgedrückt: Medien fungieren nicht als neutrale Träger von erinnerungsrelevanten Informationen, sie konstruieren bzw. interpretieren diese bereits für uns. Daher ist die Aufteilung in „Erinnerungsdiskurse in Deutschland“ und „Globalisierung der NS-Vergangenheit“, welche ich im Folgenden vornehme, kritisch betrachtet nicht haltbar. Erinnerung ist heutzutage „multimedial inszeniert[…]“ und durch die „oberflächlich effektive Integration der Shoah in verschiedene nationale Kulturen geprägt“[38]. Die Erinnerungsdiskurse in Deutschland seit den neunziger Jahren lassen sich jedoch ohne die Globalisierung des Gedenkens an den Holocaust, welche Folge einer massenmedialen Auf- und Verarbeitung der Verbrechen der Nazis war, gar nicht erfassen. Somit ist die „Globalisierung der NS-Vergangenheit“ als eine Phase des Holocaust-Diskurses in der BRD anzusehen. Nicht zuletzt aus Gründen der Übersichtlichkeit widme ich der „Globalisierung der NS-Vergangenheit“ in der vorliegenden Arbeit ein eigenes Kapitel, jedoch erachte ich die separate Behandlung primär wegen der herausragenden Bedeutung der multimedialen Erfassung des Themenkomplexes „Holocaust/Zweiter Weltkrieg“ und ihrer Auswirkungen auf die Erinnerungskultur in Deutschland als sinnvoll.

2.1.1 Erinnerungsdiskurse in Deutschland

Zweifelsohne kann man die Phasen des Holocaust-Diskurses, also die Frage nach der Art und Weise, wie man sich mit den Verbrechen der Nationalsozialisten während der zwölf Jahre zwischen 1933 und 1945 auseinander zu setzen habe, nicht in starre Abschnitte einteilen. Die Übergänge zwischen den einzelnen Phasen sind vielmehr fließend. Trotzdem lassen sich mehrere Argumentationsstränge erkennen, welche die Erinnerungskultur prägten.

Gleich nach Ende des 2. Weltkrieges „war es vor allen Dingen Stabilität, [...] [welche] die Menschen [sich] in den vom Krieg betroffenen Ländern wünschten“[39]. Dieser Wunsch stand natürlich in einem extremen Gegensatz zu der Auseinandersetzung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus. So war Thomas Mann, der das Ende des Krieges im Exil in Kalifornien erlebte, einer der wenigen, der sich direkt mit dem Ausmaß des Holocaust auseinander setzte. Bereits am 27. April 1945 notierte er in sein Tagebuch: „Abends im >Time Magazine< über den Horror der deutschen Konzentrationslager. Wird in Deutschland die ungeheuere Schande empfunden werden?“[40] Sicherlich war man sich in Deutschland den Verbrechen an den Juden bewusst, nur wurde das Thema quasi unausgesprochen zum Tabu erklärt. Auch „gab es genug von jenen, die nichts wissen, nichts hören und nichts glauben wollten“[41]. So muss festgehalten werden, dass „der Holocaust zunächst gar nicht das entscheidende Ereignis der Epoche des Nationalsozialismus war, auf das sich die Deutschen bezogen, wenn sie sich mit dieser Epoche auseinandersetzten“[42]. Bereits in der Bewertung des 8. Mai 1945 durch die Zeitzeugen kommt die ambivalente Haltung der Deutschen zur nationalsozialistischen Vergangenheit zum Ausdruck. So wurde im Zusammenhang mit dem Tag der „bedingungslosen Kapitulation“ des Nationalsozialismus entweder von „Befreiung“ oder von „Niederlage“ gesprochen. „Wer von Befreiung sprach, verstand sich als Opfer, wer von Niederlage sprach, hielt seine Loyalität zum besiegten Regime aufrecht.“[43] In den ersten Nachkriegsjahren ging es auf gesellschaftspolitischer Ebene in Anbetracht der vollständigen Niederlage in erster Linie um die Bildung einer neuen nationalen Identität. Diese musste gegen die Erfahrungen des Nationalsozialismus und des Holocausts gebildet werden.[44] Direkt nach Kriegsende unternahmen die Siegermächte den Versuch die deutsche Bevölkerung durch Konfrontation mit den begangenen Verbrechen zur Anerkennung ihrer Verstrickung und Schuld zu bringen. So „zwangen die Alliierten die deutsche Zivilbevölkerung, daß auch sie sich ansehen sollte, was sich an Grauen in den Lagern vor ihren Städten abgespielt hat[te]“[45]. Die Bilder der „Besichtigung“ der Konzentrationslager z.B. in Dachau und Weimar durch die Bevölkerung dieser Städte wurden einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht, jedoch erwies sich diese Art der „alliierten Konfrontationspolitik“ als wenig erfolgreich. Aleida Assmann weist überzeugend nach, dass die Veröffentlichung der Bilder aus den befreiten Konzentrationslagern im Zusammenhang mit der sog. „Kollektivschuldthese“[46] die Auseinandersetzung der Deutschen mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und speziell mit dem Holocaust über Jahrzehnte hinweg blockierte.[47]

Wie Levy und Sznaider in ihrem Buch über den Holocaust bemerken, war es allerdings auch nicht zuletzt dadurch schwierig über die Vernichtung der europäischen Juden zu sprechen, da es an einem „kognitiven Rahmen“ fehlte, der z.B. die heutige Holocaust-Erinnerung ermöglicht.[48] Zu diesem zählt u.a. ein eigenes Wort, denn der Name „Holocaust“ für den Genozid an den Juden wurde erst mit der Ausstrahlung der amerikanischen Fernsehsendung „Holocaust“ Anfang 1979 im WDR populär. Ebenso stand die Tatsache, dass den Verbrechen an den Juden zunächst keine gesonderte Stellung im gesamten Kriegszusammenhang eingeräumt wurde, einer Auseinandersetzung im Wege. „Die Vernichtung der Juden [wurde] als Teil des Kriegsgeschehens verstanden.“[49] Augenscheinlicher Beweis für diese Haltung sind die „Nürnberger Prozesse“, die bereits im November 1945 begannen, in denen die alliierten Siegermächte 24 Hauptkriegsverbrecher, unter ihnen u.a. auch Hermann Göring und Rudolf Heß, juristisch zur Verantwortung ziehen wollten. Bei diesen Prozessen „spielte die Vernichtung der Juden nur eine untergeordnete Rolle. Sie war dem allgemeinen Begriff der »Kriegsverbrechen« untergeordnet.“[50] Es dürfte deutlich geworden sein, dass auch die Siegermächte ihren Teil dazu beigetragen haben, dass die unmittelbare Nachkriegszeit und die 50er Jahre als Phase des „aktiven Beschweigens“[51] bezeichnet werden können. Der Holocaust war zwar durchaus im Bewusstsein der Bevölkerung, jedoch wurde durch gewisse Mechanismen eine Distanzierung vom Geschehenen unternommen. Zu diesen Distanzierungsmechanismen gehört auch der zur Gründungszeit der Bundesrepublik aufkommende sog. „Philosemitismus“[52], welcher quasi einer pragmatischen Umkehrung des Antisemitismus gleichkommt. Plötzlich wurde sowohl im gesellschaftlich-öffentlichen wie auch im politischen Diskurs ein positives Verhältnis zu den Juden mit dem Hinweis auf ihre großen kulturellen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Leistungen artikuliert. Ebenfalls trug zur „politischen und kulturellen Tabuisierung der Judenverfolgung“[53] die Universalisierung der Opfer bei. Zu den Opfern des Krieges zählten schließlich u.a. auch die deutsche Zivilbevölkerung und die Heimatvertriebenen. Letztlich waren die Juden nur „noch“ eine von mehreren Opfergruppen und somit bestand eine zentrale Strategie, sich der Verantwortung und den negativen Konsequenzen der Holocausterinnerung zu entziehen darin, eine Äquivalenz zwischen deutschen Opfern und den Opfern der Deutschen herzustellen. Nicht zuletzt Konrad Adenauer war es, der die Universalisierung der Opfer als politisches Moment einsetzte, wobei es ihm jedoch wohl kaum um die Verdrängung des Holocaust ging. In seiner Antrittsrede als Kanzler im Jahre 1949 löste er die Erinnerung an den Holocaust aus ihrem spezifisch deutschen Kontext mit dem Ziel, die BRD in die europäische Völkerfamilie einzubinden, die „zum Frieden in Europa und in der Welt“ beitragen sollte.[54]

Die erste Phase des Holocaust-Diskurses, welche die unmittelbare Nachkriegszeit und die Gründungsjahre der BRD umfasst, ist durch das „kollektive Beschweigen der Naziverbrechen“ gekennzeichnet, welches „zur Gründungsgeschichte der neuen westdeutschen Demokratie“[55] gehörte. Eine neue deutsche Identität konnte nur durch dadurch geformt werden, dass der Holocaust beiseite geschoben wurde und man sich gesellschaftspolitisch auf eine „Nicht-Thematisierung“ einigte. So konnten in der Ära Adenauer auch größere Teile der Eliten des Nazisystems in die neue Republik integriert werden, welches sich als „erfolgreiche politische Strategie“ zur Staatsgründung erwies.[56]

Im Bereich der Literatur der Nachkriegsjahre löste Theodor W. Adorno mit seinem 1951 publizierten Diktum „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“ eine literaturtheoretische Debatte aus.[57] Auch wenn Adorno selbst die radikale These durch eine Art Widerruf 1966 entkräftete, so kam „die deutsche Nachkriegsliteratur [...] von Beginn an schwer um die Einsicht herum, daß über Auschwitz zu schreiben fast unmöglich, aber anders zu reden gleichwohl nicht einfach zu haben war“[58]. Somit beschäftigten sich die literaturtheoretischen Debatten der 50er Jahre zwar durchaus mit der Frage, wie der Holocaust literarisch darzustellen sei, Romane oder Gedichte, die sich mit dem Massenmord befassten, blieben jedoch die Ausnahme.

Die 60er Jahre bilden einen entscheidenden Wendepunkt im Umgang mit der Holocausterinnerung. Mit dem Heranwachsen der zweiten Generation, welche „ihr eigenes Konzept kollektiver Identität in der kritischen Auseinandersetzung mit der Generation ihrer Väter und Mütter entwickeln“[59] musste, kam Kritik an der bisherigen Form der „Vergangenheitsbewältigung“ auf. So wurde die Verhandlung über die nationalsozialistische Vergangenheit nicht mehr ausschließlich den offiziellen Institutionen und den Politikern überlassen, „sondern [...] allgemein zu einem Gegenstand aktiven Fragens, Forschens und Lernens“[60], welcher sich auf familialer, juristischer und historischer Ebene zunehmend etablierte.

Für die wachsende Aufmerksamkeit gegenüber dem Holocaust war zunächst eine Reihe von Gerichtsprozessen verantwortlich, in denen es jeweils um die individuelle Zuweisung von Schuld (im juristischen Sinn) an der Vernichtung der Juden ging. Als erster Prozess dieser Art ging der 1961 in Jerusalem geführte Eichmann-Prozess in die Geschichte ein. Der Prozess gegen den Mann, der sich für die Deportation von Millionen von Juden in die Vernichtungslager verantworten musste, wurde von großer Aufmerksamkeit geprägt. „In vielerlei Hinsicht war dieses für die Öffentlichkeit inszenierte Medienereignis eine erste umfassende Konfrontation mit der Systematik der Massenvernichtung.“[61]

Noch ausschlaggebender für die veränderte Erinnerungskultur in Deutschland dürfte jedoch der „Frankfurter Auschwitz-Prozess“ gewesen sein, da dieser schließlich im Land der Täter geführt wurde. Dieser Prozess gegen 22 Personen, die in Auschwitz tätig waren, dauerte fast zwei Jahre und wurde medial sehr stark begleitet. Besonders für die Nachkriegsgeneration zählt „die gerichtliche Aufarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialismus zu einem prägenden politischen Ereignis“[62]. Eben diese Nachkriegsgeneration war es dann auch, welche die Universalisierung der Opfer aufhob und die „Opfer der Deutschen in den Mittelpunkt der Erinnerungslandschaft“ stellte, während in den Nachkriegsjahren - wie zuvor bereits erwähnt - eher die deutschen Opfer diesen Platz einnahmen.[63] Es muss allerdings erwähnt werden, dass es der Nachkriegsgeneration weniger um die Verschiebung der Opferperspektive ging, vielmehr sollte die Elterngeneration kritisiert werden, die sich immer noch der Vergangenheit verweigerte. Diese Auseinandersetzung gipfelte letztlich in der Studentenrevolte von 1968. So stellt Brigitte Rauschenbach heraus, dass es 1968 „im Westen der nachkriegsdeutschen Republiken zu einer Art Kulturbruch mit der Vergangenheit [kommt], durch den sich im Streit mit der Generation der Eltern deren Vergangenheit in der Vordergrund drängt“[64]. Die sog. „68-er-Generation“ übte strikte moralische Kritik an dem Verhalten der eigenen Eltern während des NS-Regimes, aber auch an der Art und Weise der „Vergangenheitsbewältigung“. Doch nicht nur der gesellschaftliche Diskurs über die Auseinandersetzung mit dem Holocaust veränderte sich in den sechziger und siebziger Jahren. Auch auf politischer Ebene spielte der Holocaust zunehmend eine wichtige Rolle. 15 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges stand die Politik in Deutschland vor einer zentralen verfassungsrechtlichen Frage. Im Jahre 1960 verjährte nämlich nach damaligem Recht die strafrechtliche Verfolgung wegen Mordes. Da somit drohte, dass zahlreiche NS-Verbrecher sich der Verantwortung entziehen und ihrer Strafe entgehen würden, kam es in den Jahren 1960, 1965, 1969 und 1979 zu den sog. „Verjährungsdebatten“, welche wiederum dazu beitrugen, dass „die Verbrechen der Nazis einer breiten Öffentlichkeit bekannt [...]“[65] gemacht wurden. Allerdings wurde durch die Debatten auch deutlich, dass die deutsche Justiz während der fünfziger Jahre bei der Verurteilung der Nazis nicht hinreichend Erfolg gehabt hatte. Dass man sich immer bewusster über das Ausmaß der Verbrechen wurde, zeigt besonders die letzte Verjährungsdebatte im Jahre 1979. „Diesmal ging es nicht mehr um eine Verlängerung der Frist, sondern um die Abschaffung der Verjährung für Verbrechen während der Nazi-Zeit schlechthin.“[66]

Die zweite Phase des Holocaust-Diskurses umfasst also grob die 60er und 70er Jahre und ist durch die allmählich zunehmende Auseinandersetzung mit der Vergangenheit gekennzeichnet, welche sich auch auf literarischer Ebene durchsetzte. So entstehen zum ersten Mal Dramen bzw. Dokumentarstücke, welche die nationalsozialistischen Täter (namentlich) angreifen.[67] Die markantesten Beispiele hierfür sind Rolf Hochhuths Drama „Der Stellvertreter“[68], das Dokumentarstück „Die Ermittlung“[69] von Peter Weiss, oder Kipphardts „Bruder Eichmann“[70], welches zwar erst 1981 veröffentlicht wurde, aber bereits 1968 fertiggestellt war. Auch lassen sich zunehmend Werke ausmachen, welche sich mit der Schuldthematik der „ersten Generation“ befassen. So beschäftigt sich z.B. Martin Walser 1965 anlässlich der Auschwitz-Prozesse in seinem Aufsatz „Unser Auschwitz“[71] mit der Schuld der gesamten deutschen Gesellschaft. Ebenso thematisiert Christa Wolf in ihrem Roman „Kindheitsmuster“[72] von 1976 die Schuldfrage und die Notwendigkeit der historischen Erinnerung. Auch in den sog. „Vater-Büchern“ der 1970er Jahre werden von der „zweiten Generation“ Fragen nach der Verstrickung der Zeitzeugengeneration in das NS-Regime gestellt, wobei auch die eigene „Identitäts-Verunsicherung der ‚Täter-Kinder’“[73] zum Ausdruck gebracht wird.

Ein erneuter Wandel der Erinnerungskultur ist zu Beginn der achtziger Jahre zu verzeichnen. So war bereits „[s]eit dem Ende der siebziger Jahre [...] in der Bundesrepublik ein verstärktes öffentliches Interesse an Geschichte“[74] festzustellen, welches dazu führte, dass dem Nationalsozialismus bzw. dem Holocaust eine verstärkte mediale Aufmerksamkeit zuteil wurde. Einen entscheidenden Beitrag zur Aufarbeitung der NS-Verbrechen lieferte - wie bereits oben kurz erwähnt - die amerikanische TV-Serie „Holocaust“, die im Januar 1979 auch in Deutschland ausgestrahlt wurde. Bei diesem Medienereignis standen nun erstmals auch die Opfer des Holocaust im Mittelpunkt, war es schließlich bei den Berichterstattungen der großen Prozesse immer hauptsächlich um die Täter gegangen. Da es sich bei der Miniserie um „die fiktionale Geschichte einer Opferfamilie“ handelte, gab es durchaus auch Stimmen, welche die Sendung „zu amerikanisch“, die Familie Weiss „zu unjüdisch“ fanden.[75] In Deutschland war die Serie, ebenso wie in den USA, ein großer Erfolg. Nicht nur wurde der Name der Sendung als Ausdruck für die Vernichtung der Juden während des Zweiten Weltkrieges in den allgemeinen Sprachgebrauch übernommen, ebenso wurde nun auch öffentlich über die „Versäumnisse der deutschen Vergangenheitsbewältigung“[76] diskutiert. Anlässlich des 25. Jahrestages der Erstausstrahlung der Serie in Deutschland resümiert die Zeitung „Stuttgarter Nachrichten“ Anfang des Jahres 2004 über die Wirkung der Sendung: „Nach Jahrzehnten des Verdrängens und Verschweigens befasste sich die ganze Nation mit den Schrecken der NS-Diktatur und der Vernichtung der Juden.“[77] Letztlich führte die Ausstrahlung der Fernsehserie zu einem „Paradigmenwechsel“ in der deutschen Gedenkkultur und zu einer „Vielfalt heterogener Konzepte“, von denen der „politische[...] ‚Normalisierungs’-Diskurs mit seiner Privilegierung des schlichten ‚Vergessens’ ebenso wie [die] verstärkte wissenschaftliche Erforschung des Holocaust“ zu den beiden bedeutendsten Aspekten zählen.[78] Dadurch, dass die Ermordung der europäischen Juden währen des „Zweiten Weltkrieges“ in den achtziger Jahren zunehmend interdisziplinär erforscht wurde, rückten nun auch neuere Gedächtniskonzepte und -theorien[79] in den Blickpunkt des Interesses. Diese Konzepte berücksichtigten in erster Linie die These, dass man ca. vierzig Jahre nach Kriegsende an einer „Epochenschwelle in der kollektiven Erinnerung“ stand, an der die unmittelbaren Erinnerungen der Zeitzeugen von der sozial und institutionell ausdifferenzierten Erinnerung der Nachgeborenen abgelöst wurde.[80] So entstanden in den Literatur- und Kulturwissenschaften „zahllose Studien zu Mnemotechnik und ‚memoria’, zu jenem ‚kollektiven Gedächtnis’ von Künsten und Institutionen, das man nicht mehr als Speicher vorgängiger Fakten, sondern als einen Konstruktions-Apparat für solche Daten [verstand]“[81]. In Zusammenhang mit diesen Arbeiten war nun plötzlich auch die Frage nach dem Wahrheitsgehalt und der Verlässlichkeit von individuellen Erinnerungen von Interesse. Der erzählenden Literatur kam in dieser Diskussion allerdings zunächst keine bedeutende Rolle zu. Vielmehr standen in den achtziger Jahren andere Medien im Mittelpunkt der Erinnerungsdiskurse. So war es Claude Lanzmanns Film „Shoah“, der im Jahre 1985 der Diskussion um die adäquate Darstellung der nationalsozialistischen Judenvernichtung neue Impulse verlieh, indem Lanzmann „den Zeugen zum einzig ‚authentischen’ Referenten einer radikal mimetischen Darstellung [auf]wertet[e]“[82], was schließlich mit den Erkenntnissen der neuen Gedächtniskonzepte – wie oben ja bereits erläutert – im Widerspruch stand.

Entscheidend für die Veränderung der Erinnerungskultur und des gesellschaftspolitischen Klimas in der BRD war neben den skizzierten neuen Impulsen der Wissenschaften und der Medien der sog. „Historikerstreit“ Mitte der achtziger Jahre. In dieser von Historikern und Soziologen geführten Kontroverse ging es um die Einordnung des Holocausts in ein identitätsstiftendes Geschichtsbild der Bundesrepublik. So wurden auf Thesen laut, dass das deutsche „Identitätsdefizit vor allem das Resultat der Zwänge [war], die die Erinnerung an den Holocaust auferlegte“[83]. In erster Linie war es der Historiker Ernst Nolte, der es ablehnte den Holocaust als etwas spezifisch Deutsches bzw. als etwas Einmaliges zu betrachten. Er stellte die Kriegspolitik in einen vergleichenden Kontext mit dem Stalinismus und wollte somit die Bedeutung des Holocaust für das deutsche Selbstverständnis minimalisieren. Als schärfster Kritiker erwies sich der Soziologe Jürgen Habermas, der die Gefahr sah, dass die deutsche Schuld und ihre Anerkennung durch die Thesen Noltes heruntergespielt werde.[84]

Diese Debatte in den Jahren 1986/87 kann als Startpunkt für Kontroversen über die Frage, wie zukünftig mit der Erinnerung an den Holocaust umgegangen werden soll, angesehen werden, die in Deutschland in regelmäßigen Abständen bis heute geführt werden.

2.1.2 Globalisierung der NS-Vergangenheit

Die neunziger Jahre sind letztlich geprägt von einer „neuen Erinnerungskultur“, womit die „Auflösung der Trennung von privatem und öffentlichem Gedächtnis“ gemeint ist.[85] Die privaten bzw. persönlichen Erinnerungen an den Holocaust werden nun thematisiert. Als Ursache hierfür ist die Tatsache anzusehen, dass ca. ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende die Zeitzeugen von NS-Regime und Holocaust allmählich aussterben. Somit kann „[d]ie Erinnerungsflut der [neunziger Jahre als] ein letzter Versuch [angesehen werden], soviel wie möglich von den Erinnerungen dieser Generation bekannt zu machen“[86]. Hier liefert gerade die Literatur entscheidende Beiträge. Zahlreiche Romane oder auch Autobiographien erschienen in den neunziger Jahren, welche die unmittelbaren Erfahrungen der Zeitzeugen literarisch verarbeiteten. Als Beispiele seien die Autobiographie von Sarah Kofman[87], einer französischen Philosophin, die kurz nach Erscheinen des Buches den Freitod wählte, oder auch Ruth Klügers „weiter leben“[88] genannt.

Als ein weiterer wichtiger Einschnitt in der deutschen Erinnerungskultur ist der Zusammenbruch des sozialistischen Systems in Osteuropa am Ende der achtziger Jahre anzusehen, welcher auch als Endpunkt der Nachkriegszeit in Europa interpretiert wird.[89] Die in diesem Zusammenhang stehende „Wiedervereinigung“ der beiden deutschen Teilstaaten im Jahre 1989 „führte [...] zur Wiederaufnahme der Kontinuitätsfäden nationaler Geschichte“[90]. In Anbetracht der neuen Situation standen plötzlich Fragen der nationalen Identität und der Rolle des vereinten Deutschlands in Europa im Mittelpunkt des gesellschaftspolitischen Interesses. Aus konservativem Lager wurden nun erneut Stimmen laut, welche die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen als „Hemmschuh“ bei der neuen Bestimmung der Position der Bundesrepublik im europäischen Kontext ansahen. Sie waren der Ansicht, dass die fortwährende Betonung des Holocausts als „das deutsche Verbrechen schlechthin“ der Entfaltung eines „positive[n] Verhältnis[ses] zur eigenen Geschichte“[91] und somit auch der Bildung einer auf positivem Nationalbewusstsein basierenden Identität entgegenstehe. Zunächst „blieb ein breiter Widerstand gegen diese konservativen Revisionsversuche weitgehend aus“, wobei in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre „[d]ie Debatten um die Ausstellung ‚Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944’[92] und um das Buch von Daniel J. Goldhagen ‚Hitlers willige Vollstrecker’[93] [als] geschichtspolitische Niederlagen für die konservativen Bemühungen“[94] angesehen werden können. Beide Debatten verliefen sehr emotionalisiert, wobei der Grund für die breite Resonanz in der ähnlichen inhaltlichen Orientierung zu suchen ist. Thema des Buches und auch der Ausstellung war nämlich die breite Beteiligung der deutschen Bevölkerung am Holocaust. Sowohl Buch als auch Ausstellung zeigten, dass die Massenmorde „nicht mehr einer engen und festumrissenen Gruppe von Tätern, etwa der SS, zugeordnet werden [konnten], sondern [dass] die Beteiligung Tausender“[95] nötig war, um dieses Verbrechen an der Menschheit durchzuführen. Im Sinne einer „Normalisierung der Vergangenheit“, die von konservativer Seite angestrebt wurde, waren die Debatten ein Rückschlag. Stellt man die am 11. Oktober 1998 in der Frankfurter Pauluskirche gehaltene Friedenspreisrede des Schriftstellers Martin Walser und die sich an ihr entzündende sog. „Walser-Bubis-Debatte“ in direkten Zusammenhang mit der Goldhagen-Debatte und der Auseinandersetzung um die „Wehrmachtsausstellung“ kann man Walsers Rede als „Kontrapunkt gegen die Thematisierung deutscher Schuld“[96] interpretieren. Walser forderte die Debatte um die Schuldverstrickung großer Teile der Bevölkerung zu beenden und die Frage nach der individuellen, persönlichen Verstrickung nicht länger öffentlich zu thematisieren. Entgegen der häufig vorgenommenen Fehlinterpretation der Rede, welche ja schließlich die „Walser-Bubis-Debatte“ erst ausgelöst hatte, war [n]icht der Schlußstrich unter die Erinnerung [...] seine Forderung, sondern die Verlagerung der Erinnerung ins private Gewissen der Individuen“[97]. Ohne die angerissenen Debatten nun ins Detail weiter auszuführen, kann man feststellen, dass die Erinnerung an Nationalsozialismus und Holocaust im Verlauf der neunziger Jahre zunehmend politisch instrumentalisiert wurde. Als negatives Beispiel auf innenpolitischer Ebene ist hier der Versuch des damaligen FDP-Politikers Jürgen W. Möllemann zu sehen, der im Anschluss an die „Walser-Bubis-Debatte“ das „sich neu artikulierende Ressentiment gegen Jüdinnen und Juden, das im kollektiven Unbewussten weit verbreitet ist“[98] politisch nutzbar machen wollte. Ein weiterer Aspekt dieser Entwicklung ist die von Levy und Sznaider sog. „Universalisierung des Bösen“, womit „[d]ie von den Massenmedien geförderte“ Transformation des Holocausts „zum Modell für ‚Gut und Böse’, ‚Schuld und Unschuld’“[99] gemeint ist. Nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems in Osteuropa und dem Ende des „Kalten Krieges“ wurde der Holocaust als negativer Bezugspunkt einer globalen „moralischen Leitschnur“ etabliert, welche politische und militärische Interventionen legitimierte. Als Beispiel ist hier die deutsche Beteiligung an Kampfeinsätzen im ehemaligen Jugoslawien zu sehen, immerhin der erste militärische Einsatz deutscher Truppen seit dem Ende des „Zweiten Weltkrieges“. „War es bis zur Mitte der neunziger Jahre die NS-Vergangenheit, die gegen eine deutsche Beteiligung an Kampfeinsätzen angeführt wurde, so drehte sich diese Argumentation anlässlich des Krieges gegen Jugoslawien 1999 vollständig um.“[100] Die rot-grüne Regierung argumentierte nun damit, dass gerade wegen Auschwitz eine Beteiligung am militärischen Einsatz für die Menschenrechte unumgänglich sei. Die Teilnahme an einem vor allem von außenpolitischen und strategischen Interessen geleiteten Krieg wurde durch die deutsche Verantwortung für bzw. seit dem Holocaust gerechtfertigt.[101] Da die „Universalisierung des Holocaust“ nationenübergreifend festzustellen war, kann man auch von der „Globalisierung“ der Erinnerung an die Shoah sprechen. Als wichtige Voraussetzung der „Globalisierung“ ist die „Amerikanisierung des Holocaust“ anzusehen. In diesem Zusammenhang spielen die Medien eine entscheidende Rolle. So „transformiert die amerikanische Medienlandschaft den Holocaust in ein konsumierbares Produkt[...], welches allgemeine Menschenrechte zu einem politisch relevanten Begriff im Bewusstsein der an dieser neuen Erinnerungs[kultur] teilnehmenden Menschen werden läßt“[102]. So nahm sich z.B. auch Hollywood des Themas „Holocaust“ an. Der Steven Spielberg – Film „Schindlers Liste“ sorgte dafür, dass die Auseinandersetzung mit dem Holocaust für viele Menschen auch Teil der Freizeitgestaltung wurde. So ist es seit spätestens Mitte der neunziger Jahre „nicht mehr die historische Zunft, [...] die Hauptlieferantin des Wissens über den Holocaust“ ist, sondern statt dessen fungieren „Fernsehen, Kino, Schriftsteller und Zeitungen“[103] als Vermittler des Verständnisses des Holocausts. In Zusammenhang mit der „Amerikanisierung des Holocaust“ und der medialen Darstellung von mehr oder weniger fiktiven Einzelschicksalen in Filmen öffnete sich auch die Literatur allmählich einer stärker subjektzentrierten Betrachtung der deutschen Vergangenheit. Neben den bereits weiter oben angesprochenen Autobiographien sind hier z.B. auch die Romane „Der Vorleser“[104] von Bernhard Schlink, „Die schöne Frau“[105] von Judith Kuckart und Marcel Beyers „Flughunde“[106] zu nennen.

Die aktuelle Situation der deutschen Erinnerungskultur soll an dieser Stelle nicht angerissen werden, da sie bei der Analyse der Romane im Hauptteil dieser Arbeit als gesellschaftspolitischer Kontext mit einfließen wird. Außerdem verweise ich hier auf die Einleitung zu dieser Arbeit, welche bereits die entscheidenden Pole der gegenwärtigen Diskurse aufgezeigt hat.

2.2 Das kollektive Gedächtnis

Um „[v]ergangene Zeit vorstellbar zu machen […] bedarf es der Erinnerung und des Erzählens“[107]. Diese Grundannahme über die Vermittlung von Vergangenheit lässt sich auch im Zusammenhang mit den soeben vorgestellten Erinnerungsdiskursen der Bundesrepublik sehr deutlich illustrieren. Ohne die narrative Verfasstheit der Diskurse ließen diese sich nicht vermitteln. Während die narrative Seite der (Re-)Konstruktion von Vergangenheit im Kapitel 2.3 näher beleuchtet werden wird, soll an dieser Stelle auf die kulturwissenschaftlichen Forschungen zum Themenkomplex „Erinnerung und Gedächtnis“ eingegangen werden, welche besonders am Ende der achtziger und während der frühen neunziger Jahre durch zahlreiche „neue“ Konzepte die Diskussion um die Erinnerungspraxis belebt haben. Bis heute ist diese „und deren Reflexion […] zu einem gesamtkulturellen, interdisziplinären und internationalen Phänomen geworden“[108]. Dieser Bedeutungszuwachs für Phänomene der Erinnerung und des Gedächtnisses ist in einer sich immer rascher wandelnden Welt nicht verwunderlich, „ist doch die Wahrnehmung und Interpretation der eigenen Vergangenheit und der Wir-Gruppe, zu der man gehört, der Ausgangspunkt für individuelle und kollektive Identitätsentwürfe und dafür, für welche Handlungen man sich in der Gegenwart entscheidet – mit Blick auf die Zukunft“[109]. Die Folge dieses „memory-Boom“ ist eine „Vielzahl von Begriffen und Konzepten“, welche sowohl deutliche Unterschiede als auch zahlreiche Ähnlichkeiten aufweisen.[110] Es würde den Rahmen dieser Arbeit überschreiten auf die diversen Gedächtniskonzepte im Einzelnen einzugehen, daher will ich mich hier auf das im deutschsprachigen Raum wirkungsvollste und meistdiskutierte Konzept des „kulturellen Gedächtnisses“ von Aleida und Jan Assmann beschränken, welches auch im internationalen Vergleich das am besten ausgearbeitete ist.[111] In diesem Konzept unterscheiden Aleida und Jan Assmann zwischen zwei „Gedächtnis-Rahmen“, dem sog. „kommunikativen Gedächtnis“ auf der einen und dem sog. „kulturellen Gedächtnis“ auf der anderen Seite. Als übergeordneter Begriff für diese beiden „Basis-Register“ dient das Konzept des „kollektiven Gedächtnisses“, welches nun im Folgenden zunächst kurz erläutert werden soll.[112]

Als ersten Schritt zur Erarbeitung des Begriffes des „kollektiven Gedächtnisses“ ist es sinnvoll „Erinnern als ein[en] Prozess, Erinnerungen als dessen Ergebnis und Gedächtnis als eine Fähigkeit oder eine veränderliche Struktur [, welche] allerdings unbeobachtbar[113][114] ist, anzusehen. Hinzu kommt die Grundannahme von der Konstruiertheit menschlicher Sinnwelten und Erinnerungen, welche sowohl als grundlegende Voraussetzung für die „Erfindung“ des „kollektiven Gedächtnisses“, als auch als Erkenntnisobjekt der ersten Studien in diesem Bereich gilt. Auch wenn die Namensgebung für dieses kulturelle Phänomen erst in den 1920er Jahren durch den französischen Soziologen Maurice Halbwachs[115] entwickelt wurde, so lässt es sich genau genommen bis weit in die Antike verfolgen.[116] Halbwachs war es jedoch, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der wissenschaftlichen Erforschung und Beschäftigung des „kollektiven Gedächtnisses“ begann. Als zentraler Aspekt der Theorie Halbwachs’ wird die These von der sozialen Bedingtheit des Gedächtnisses angesehen.[117] Entgegen den Gedächtnistheorien von Halbwachs’ Zeitgenossen Henri Bergson, Sigmund Freud und Marc Bloch, welche Erinnerung als subjektiven, individuellen Akt verstehen, sieht Halbwachs in „jede[r] noch so persönliche[n] Erinnerung eine mémoire collective, ein kollektives Phänomen“[118]. Er ist der Ansicht, dass ein Individuum ohne seine soziale Involviertheit in eine Gesellschaft kein Gedächtnis hätte. Kommunikation mit anderen Menschen gilt für Halbwachs als notwendiges Element zur Erinnerungsfähigkeit. Dadurch, dass der französische Soziologe in weiteren Studien den Begriff des „mémoire collective“ auf den Bereich kultureller Überlieferung und Traditionsbildung[119] ausgeweitet hat, kann man zusammenfassen, dass Halbwachs zwei „grundlegende (und grundverschiedene) Konzepte von kollektivem Gedächtnis“[120] entwickelte. Auf der einen Seite bezeichnet der Terminus das „organische[…] Gedächtnis des Individuums, das sich im Horizont eines soziokulturellen Umfeldes herausbildet“. Auf der anderen Seite ist unter kollektivem Gedächtnis „der durch Interaktion, Kommunikation, Medien und Institutionen innerhalb von sozialen Gruppen und Kulturgemeinschaften erfolgende Bezug auf Vergangenes“ zu verstehen. Für sein Konzept erntete Halbwachs jedoch zunächst scharfe Kritik. In der Nachkriegszeit gerieten Halbwachs’ Theorien in Vergessenheit, wobei sie in den achtziger Jahren „wiederentdeckt“ und kritisch weiterentwickelt wurden. Astrid Erll verweist auf die herausragende Bedeutung von Halbwachs’ Gedächtniskonzept, indem sie herausstellt, dass [h]eute […] kein theoretischer Entwurf des kollektiven Gedächtnisses ohne einen Rekurs auf den Soziologen aus[kommt]“[121]. Jedoch muss auch festgehalten werden, dass der Begriff des kollektiven Gedächtnisses im Verständnis von Halbwachs auch heute noch stark diskutiert wird.[122] Eine wirklich end- und gemeingültige Definition kann man auch heute nicht geben. So bezeichnet Joachim Garbe „[d]ie Sinngebung, die Deutung des Vergangenen, an der Historiker, Schriftsteller aber auch bildende Künstler, Journalisten, Filmemacher und natürlich Politiker beteiligt sind,“[123] als kollektives Gedächtnis. Während Garbe in seiner Definition die kulturelle (und die soziale) Dimension des kollektiven Gedächtnisses deutlich herausstellt, so vertritt Astrid Erll eine sehr weite Auslegung des Begriffes. Sie bemerkt, dass „es sich bei dem »kollektiven Gedächtnis« um einen Sammelbegriff [handelt], unter dessen Dach eine Vielzahl von kulturellen, sozialen, psychischen und biologischen Phänomenen subsumiert werden können: Tradition, historisches Bewusstsein, Archiv, Kanon, Denkmäler, Rituale der Kommemoration, Kommunikation im familiären Kreis, Lebenserfahrung und neuronale Netzwerke“[124]. Letztlich vereint Erll in ihrer Definition alle möglichen Ausprägungen des Verhältnisses von Kultur und Gedächtnis. Obwohl viele Kritiker befürchten, dass der Begriff des kollektiven Gedächtnisses durch eine so weite Definition überdehnt wird, so muss auch auf die Vorteile dieser Begriffsbestimmung hingewiesen werden. Dadurch, dass „all jene Vorgänge organischer, medialer und institutioneller Art, denen Bedeutung bei der wechselseitigen Beeinflussung von Vergangenem und Gegenwärtigem in soziokulturellen Kontexten zukommt“[125] unter einem Oberbegriff zusammengeführt werden, können „neue Problemzusammenhänge sichtbar [werden], wo man bisher nur Disparates wahrgenommen hat“[126].

2.2.1 Das kommunikative Gedächtnis

Wie bereits weiter oben erwähnt haben Aleida und Jan Assmann Ende der achtziger Jahre das Halbwachs’sche Konzept vom „kollektiven Gedächtnis“ differenziert und für den deutschsprachigen Raum ein Theoriekonstrukt geschaffen, welches disziplinübergreifend ein gemeinsames Forschungsfeld eröffnete, in dem so unterschiedliche Fächer wie die Geschichtswissenschaft, die Altertumswissenschaft, die Religionswissenschaft, die Kunstgeschichte, die Literaturwissenschaft oder auch die Soziologie ein gemeinsames Erkenntnisinteresse anstreben.[127] Mit diesem Konzept wurde erstmals die „Verbindung von Kultur und Gedächtnis systematisch, begrifflich differenziert und theoretisch fundiert aufgezeigt“, wobei die Theorie „[v]or allem durch die Akzentuierung des Zusammenhangs von kultureller Erinnerung, kollektiver Identitätsbildung und politischer Legitimierung“[128] einen Vorteil gegenüber anderen Gedächtniskonzepten zu verzeichnen hat. In ihrem kulturwissenschaftlichen Gedächtniskonzept vom kulturellen Gedächtnis unterteilen die Assmanns das sog. „kollektive Gedächtnis“ in zwei „Basis-Register“, welche sie als „kommunikatives“ und als „kulturelles Gedächtnis“[129] bezeichnen. Diese Teilung in zwei Erinnerungsmodi basiert auf der Feststellung, „dass zwischen einem kollektiven Gedächtnis, das auf Alltagskommunikation basiert, und einem kollektiven Gedächtnis, das sich auf symbolträchtige kulturelle Objektivationen stützt, ein qualitativer Unterschied besteht“[130]. In seinem 1992 erschienenen Buch „Das kulturelle Gedächtnis“ stellt Jan Assmann die zentralen Merkmale der zwei „Gedächtnis-Rahmen“ etwas überpointiert gegenüber.[131] Er zeigt, dass sich Inhalte, Formen, Medien, Zeitstruktur und Träger der beiden Erinnerungsmodi fundamental unterscheiden. So kann für eine Begriffsbestimmung des „kommunikativen Gedächtnisses“ festgehalten werden, dass es informell und wenig geformt durch Alltagsinteraktion entsteht, die Geschichtserfahrungen zum Inhalt hat, die der Mensch mit seinen Zeitgenossen teilt und sich daher immer nur auf einen begrenzten, „mitwandernden“ Zeithorizont von ca. 80 bis 100 Jahren[132] bezieht. Da die Träger des kommunikativen Gedächtnisses die Zeitzeugen einer Erinnerungsgemeinschaft sind, erfahren die Inhalte dieses „Gedächtnis-Rahmens“ keine feste Bedeutungszuschreibung und sind daher veränderlich. Wenn die Träger, die es verkörperten, gestorben sind, weicht das Gedächtnis einem „neuen“ Gedächtnis. Folgt man Jan Assmann, so gehört das kommunikative Gedächtnis zum Gegenstandsbereich der „Oral History“[133], „eine[m] Zweig[…] der Geschichtsforschung, [der] nicht auf üblichen Schriftzeugnissen des Historikers beruht, sondern ausschließlich auf Erinnerungen, die in mündlichen Befragungen erhoben wurden“[134]. Auch hat das kommunikative Gedächtnis in der Assmann’schen Theorie zunächst nicht so eine differenzierte Theoretisierung erfahren wie das kulturelle Gedächtnis. Die neueren Studien zum kommunikativen Gedächtnis von Harald Welzer haben diese Theoretisierung aus sozialpsychologischer Perspektive zwar nachgeholt, beziehen sich aber letztlich nur auf „das [kommunikativ geprägte] individuelle autobiographische Gedächtnis“[135]. Welzer zeigt hier u. a., dass sich die eigene Vergangenheit aus dem Blickwinkel unterschiedlicher Gegenwarten jeweils neu konstruiert. Dasselbe Erlebnis, z. B. das erste Rendezvous, wird beim wiederholten Erzählen immer neu aktualisiert. So werden die einzelnen Details meist gut erinnert, je nach Zuhörer werden sie adressatenbezogen vom Erzähler gewichtet. Zu unterschiedlichen „Versionen“ (oder aktualisierten Deutungsvarianten der Vergangenheit) beim wiederholten Erzählen ein und desselben Ereignisses kann es jedoch auch durch eine Verschiebung des Interpretationshorizontes des Erzählers kommen. So misst dieser z. B. einer Trennung von einer Lebenspartnerin im Abstand von einigen Jahren nicht mehr so viel Gewicht bei wie kurz nach Auflösung der Partnerschaft. Welzer zieht dann auch letztlich den Schluss, dass eine „Autobiographie als situationsunabhängige, asoziale »wirklich« gelebte Lebensgeschichte […] nichts als eine Fiktion [ist]; in der autobiographischen Praxis selbst realisiert sie sich nur als jeweils zuhörerorientierte Version, als aktuell angemessene Montage lebensgeschichtlicher Erinnerung“[136].

Doch nicht nur die Arbeiten zum „autobiographischen Gedächtnis“ zählen zum Gegenstandsbereich des kommunikativen Gedächtnisses, sondern auch neuere Studien zum „Familien- und Generationengedächtnis“. So untersuchte Angela Keppler die Kommunikation über Vergangenheit innerhalb von Familien.[137] Sie stellt heraus, dass „sich das kollektive Gedächtnis einer Familie nicht einfach aus inhaltlich geteilten Erinnerungen, sondern vielmehr aus gemeinsamen kommunikativen Akten der Erinnerung bildet“[138]. Die Ergebnisse einer Mehrgenerationenstudie zur Tradierung von Geschichtsbewusstsein werden von Harald Welzer, Sabine Moller und Karoline Tschuggnall in dem Buch „Opa war kein Nazi“[139] vorgestellt. „Als ein zentraler Bereich des ‚kommunikativen Gedächtnisses’ […], dessen mitwandernder Zeithorizont durch die Möglichkeit der mündlichen Überlieferung gebildet und begrenzt wird, umfasst das Familiengedächtnis eben die drei, gelegentlich vier gleichzeitig lebenden Generationen.“[140] Bei der intergenerationellen Kommunikation, welche Welzer und seinen Mitarbeiterinnen durch Interviews, in denen Großeltern, Eltern und Enkel jeweils nach der Methode der »Stillen Post« dieselbe Geschichte erzählen sollten, orientiert sich die Erinnerung an die Vergangenheit an aktuellen Sinnbedürfnissen der Erzählenden.[141] Als zentrales Ergebnis der Studie kann die Erkenntnis gelten, dass besonders in der Enkelgeneration eine starke Tendenz herrschte, die Geschichten der Großeltern so abzuändern, dass diese (und deren Handeln während des „Zweiten Weltkrieges“) letztlich als moralisch integer beurteilt werden können. Dieser Effekt resultiert letztlich aus der spezifischen Struktur innerfamiliärer Tradierung der NS-Geschichte. „Die Geschichten der Zeitzeugen-Generation zeichnen sich durch zahlreiche Leerstellen aus, die vom Zuhörer mit eigenen Vorstellungen und Assoziationen gefüllt werden müssen.“[142] Die Zeitzeugen-Generation arbeitet im Familiengespräch also häufig, bewusst oder unbewusst, mit nur andeutenden „blinden Flecken“ in ihren Erzählungen von der Zeit des „Dritten Reiches“, die besonders von der Enkelgeneration „positiv“ interpretiert werden. „Die Tendenz zur Heroisierung der Großelterngeneration zeigt in aller Deutlichkeit die gar nicht zu überschätzende Wirkung, die von Loyalitätsbindungen an geliebte Menschen auf das Geschichtsbewußtsein und auf die jeweiligen Vergangenheitskonstruktionen ausgehen.“[143] Die Arbeiten zum Familien- und Generationengedächtnis sollen an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden, da zentrale Aspekte bei der Analyse der Prosatexte im Hauptteil dieser Arbeit näher erläutert werden (vgl. vor allem Kap. 3.1.4).

[...]


[1] Frei, Norbert: Gefühlte Geschichte. 2004. Online unter: http://www.zeit.de/2004/44/kriegsende?page=all

[2] Welzer, Harald: Von der Täter- zur Opfergesellschaft: Zum Umbau der deutschen Erinnerungskultur. In: Erler, Hans (Hrsg.): Erinnern und Verstehen. Der Völkermord an den Juden im politischen Gedächtnis der Deutschen. Frankfurt am Main und New York 2003. S. 100 – 106. Hier: S. 100. Im Folgenden zitiert als: Welzer (2003).

[3] Berg, Nicolas, Jens Jochimsen und Bernd Stiegler (Hrsg.): Shoah. Formen der Erinnerung. Geschichte, Philosophie, Literatur, Kunst. München 1996. S. 7.

[4] Erll, Astrid: Kollektives Gedächtnis und Erinnerungskulturen. Stuttgart/Weimar 2005. Vorwort.

[5] Vgl. hierzu u. a.: Bar-On, Dan: Die Last des Schweigens. Gespräche mit Kindern von Nazi-Tätern. Frankfurt am Main/New York 1993.; Faimberg, Haydée: Das Ineinanderrücken der Generationen. Zur Genealogie gewisser Identifizierungen. In: Jahrbuch der Psychoanalyse. Bd. 20 (1988). S. 114 – 144.; Kestenberg, Judith S.: Neue Gedanken zur Transposition. Klinische, therapeutische und entwicklungsbedingte Betrachtungen. In: Jahrbuch der Psychoanalyse 24 (1989). S. 163 – 187.; Rosenthal, Gabriele (Hrsg.): Der Holocaust im Leben von drei Generationen. Familien von Überlebenden der Shoah und von Nazi-Tätern. Gießen 1999.; von Westernhagen, Dörte: Die Kinder der Täter. Das 3. Reich und die Generation danach. München 1987.

[6] Welzer, Harald: Familiengedächtnis. Zum Verhältnis von familialer Tradierung und Aufklärung über Geschichte. In: Jahrbuch für Pädagogik 2003. S. 155 – 171. Im Folgenden zitiert als: Welzer (2003a).

[7] Ich möchte bereits an dieser Stelle darauf hinweisen, dass ein aus der Retrospektive vorgenommener Akt der Darstellung von Vergangenheit immer konstruktive Elemente (Wertungen, Deutungen etc.) enthält. Bei dem Bezug auf Vergangenheit vermischen sich als Rekonstruktion und Konstruktion, so dass ich es innerhalb dieser Arbeit für sinnvoll erachte von (Re-)Konstruktion zu sprechen. Gerade im Hauptteil dieser Arbeit soll dieses deutlich machen, dass ich mir darüber bewusst bin, dass die literarische Beschäftigung mit Vergangenheit immer als Konstruktion angesehen werden muss. Auch wenn sie versucht – wie im Falle Uwe Timms – sich der Vergangenheit größtmöglich anzunähern. (Vgl. auch Kap. 2.3).

[8] Welzer (2003a). S. 165.

[9] Welzer (2003a). S. 166.

[10] Welzer (2003a). S. 166.

[11] Welzer, Harald: Schön unscharf. Über die Konjunktur der Familien- und Generationenromane. In: Mittelweg 36 (2004), Heft 1 (Beilage: Literatur). S. 53 – 64. Hier: S. 53.

[12] Sebald, Winfried Georg: Luftkrieg und Literatur. München 1999.

[13] An dieser Stelle sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Autor dieser Arbeit die „Deutschen als Opfer“ nicht auf eine Ebene mit den Opfern des Holocaust bzw. anderen Verfolgten und Ermordeten des Nationalsozialismus stellt. Die Unvergleichbarkeit dieser Opferkategorien soll nicht in Frage gestellt werden.

[14] Grass, Günter: Im Krebsgang. Göttingen 2002.

[15] Dückers, Tanja: Himmelskörper. Berlin 2003.

[16] Härtling, Peter: Leben lernen. Erinnerungen. Köln 2003.

[17] Hein, Christoph: Landnahme. Roman. Frankfurt am Main 2004.

[18] Erinnert sei hier nur an Autoren wie Siegfried Lenz, Arno Surminski, Hans Erich Nossack oder an die früheren Werke von Günter Grass.

[19] Welzer (2003). S. 103.

[20] Salzborn, Samuel: Opfer, Tabu, Kollektivschuld. Über Motive deutscher Obsession. In: Klundt, Michael, Samuel Salzborn, Marc Schwietring und Gerd Wiegel (Hrsg.): Erinnern, verdrängen, vergessen. Geschichtspolitische Wege ins 21. Jahrhundert. Gießen 2003. S. 17 – 41. Hier: S. 19.

[21] Welzer (2003). S. 103.

[22] In Anlehnung an Jürgen Müller-Hohagen, der die Begrifflichkeit im Zusammenhang mit psychoanalytischen Untersuchungen verwendet. Vgl.: Müller-Hohagen, Jürgen: Über blinde Stellen im Geschichtsbewußtsein. In: Rüsen, Jörn und Jürgen Straub (Hrsg.): Erinnerung, Geschichte, Identität. Frankfurt am Main 1998. S. 307 – 329.

[23] Der älteste Roman ist im Jahre 1998 erschienen.

[24] Timm, Uwe: Am Beispiel meines Bruders. Köln 2003.

[25] Hahn, Ulla: Unscharfe Bilder. Roman. München 2003.

[26] Treichel, Hans-Ulrich: Der Verlorene. Frankfurt am Main 1998.

[27] Welzer (2004). S. 54.

[28] Vgl.: Welzer (2003).

[29] Welzer (2004). S. 59.

[30] Der Generationenbegriff ist zwar äußerst problematisch, da in der wissenschaftlichen Literatur unterschiedliche Einteilungen zu finden sind, dennoch im Rahmen dieser Arbeit produktiv einzusetzen. Als 1. Generation sehe ich die Kriegsgeneration an. Die 2. Generation setze ich mit der sog. „68-er-Generation“ gleich. Die Angehörigen der 2. Generation sind folglich während bzw. kurz nach Kriegsende geboren worden. Die 3. Generation ist schließlich die „Enkelgeneration der Kriegsgeneration“.

[31] Vgl. hierzu: Herf, Jeffrey: Zweierlei Erinnerung. Die NS-Vergangenheit im geteilten Deutschland. Berlin 1998.

[32] Garbe, Joachim: Deutsche Geschichte in deutschen Geschichten der neunziger Jahre. Würzburg 2002. S. 134.

[33] Garbe (2002). S. 134.

[34] Ich weise an dieser Stelle darauf hin, dass ich im Folgenden die Entwicklung der „Vergangenheitsdiskurse der BRD“ auch als „Phasen des Holocaust-Diskurses“ bezeichnen werde. Dieses liegt an der bereits erwähnten zentralen Stellung des „Holocausts“ in der westdeutschen Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit.

[35] Assmann, Aleida: Persönliche Erinnerung und kollektives Gedächtnis in Deutschland nach 1945. In: Erler, Hans (Hrsg.): Erinnern und Verstehen. Der Völkermord an den Juden im politischen Gedächtnis der Deutschen. Frankfurt am Main/New York 2003. S. 126 – 138. Hier: S. 130.

[36] Assmann (2003). S. 130.

[37] Krämer, Sybille: Was haben Medien, der Computer und die Realität miteinander zu tun? In: Krämer, Sybille (Hrsg.): Medien – Computer – Realität. Wirklichkeitsvorstellungen und Neue Medien. Frankfurt am Main 1998. S. 9 – 26. Hier: S. 14f..

[38] Blasberg, Cornelia: Geschichte als Palimpsest. Schreiben und Lesen über die „Kinder der Täter“. In: DVjs 76, 3 (2002). S. 464 – 495. Hier: S. 489.

[39] Levy, Daniel und Natan Sznaider,: Erinnerungen im globalen Zeitalter. Der Holocaust. Frankfurt a. M. 2001. S. 67.

[40] Hage, Volker: Der lange Schatten der Tat. Holocaust-Romane der Nachgeborenen. In: Hage, Volker: Propheten im eigenen Land. München 1999. S. 297.

[41] Hage (1999). S. 298.

[42] Rüsen, Jörn: Holocaust, Erinnerung, Identität. Drei Formen generationeller Praktiken des Erinnerns. In: Welzer, Harald (Hrsg.): Das soziale Gedächtnis. Geschichte, Erinnerung, Tradierung. Hamburg 2001. S. 243 – 259. Hier: S. 243.

[43] Assmann, Aleida: 1945 – Der blinde Fleck der deutschen Erinnerungsgeschichte. In: Assmann, Aleida und Ute Frevert (Hrsg.): Geschichtsvergessenheit, Geschichtsversessenheit. Vom Umgang mit deutschen Vergangenheiten nach 1945. Stuttgart 1999. S. 97 – 139. Hier: S. 98.

[44] Vgl.: Rüsen (2001). S. 245.

[45] Lauer, Gerhard: Erinnerungsverhandlungen. Kollektives Gedächtnis und Literatur fünfzig Jahre nach der Vernichtung der europäischen Juden. In: DVjs 74, Sonderheft (1999). S. 215 – 249. Hier: S. 220.

[46] Gemeint ist der Vorwurf der Alliierten an die Deutschen, dass sie in ihrer Gesamtheit als deutsches Volk schuldig geworden sind und in der gesamten Weltöffentlichkeit verurteilt werden. Die These ist jedoch heute sehr umstritten, da es z. B. nirgends ein Schriftstück gibt, welches den Vorwurf seitens der Alliierten amtlich festhält.

[47] Vgl.: Assmann (1999). S. 116 – 139.

[48] Vgl. auch im Folgenden: Levy und Sznaider (2001). S. 68 f.

[49] Levy und Sznaider (2001). S. 68.

[50] Levy und Sznaider (2001). S. 68.

[51] Vgl.: Levy und Sznaider (2001). S. 67.

[52] Levy und Sznaider (2001). S. 83.

[53] Levy und Sznaider (2001). S. 84.

[54] vgl.: Levy und Sznaider (2001). S. 87.

[55] Rüsen (2001). S. 248.

[56] Vgl.: Rüsen (2001). S. 247 ff.

[57] übernommen aus: Heidelberger-Leonard, Irene: Ruth Klüger. weiter leben. Eine Jugend. München 1996. (Oldenbourg-Interpretationen; Bd. 81). S. 22.

[58] Hage (1999). S. 301.

[59] Rüsen (2001). S. 251.

[60] Assmann (2003). S. 135.

[61] Levy und Sznaider (2001). S. 110.

[62] Levy und Sznaider (2001). S. 113.

[63] vgl.: Levy und Sznaider (2001). S. 113.

[64] Rauschenbach, Brigitte: Politik der Erinnerung. In: Rüsen, Jörn und Straub, Jürgen (Hrsg.): Die dunkle Spur der Vergangenheit. Frankfurt a. M. 1998. S. 363.

[65] vgl.: Levy und Sznaider (2001). S.118.

[66] Levy und Sznaider (2001). S. 120.

[67] Vgl.: Blasberg (2002). S. 478.

[68] Hochhuth, Rolf: Der Stellvertreter. Schauspiel. Hamburg 1963.

[69] Weiss, Peter: Die Ermittlung. Oratorium in 11 Gesängen. Frankfurt am Main 1965.

[70] Kipphardt, Heinar: Bruder Eichmann. Schauspiel. Hamburg 1981.

[71] Walser, Martin: Unser Auschwitz. In: Enzensberger, Hans Magnus (Hrsg.): Kursbuch Nr. 1. Hamburg 1965. S. 189 – 200.

[72] Wolf, Christa: Kindheitsmuster. Roman. Darmstadt u.a. 1977.

[73] Blasberg (2002). S. 483.

[74] Klundt, Michael, Samuel Salzborn, Marc Schwietring und Gerd Wiegel (Hrsg.): Erinnern, verdrängen, vergessen. Geschichtspolitische Wege ins 21. Jahrhundert. Gießen 2003. Einleitung. S. 7 – 15. Hier: S. 8.

[75] vgl.: Levy und Sznaider (2001). S. 131.

[76] Levy und Sznaider (2001). S. 133.

[77] Autor unbekannt: Vor 25 Jahren. „Holocaust“ rüttelt die Nation auf. 2004.

Online unter: http://www.stuttgarter-nachrichten.de/stn/page/detail.php/589834?_seite=1

[78] Blasberg (2002). S. 485.

[79] Auf die Gedächtniskonzepte vom „kollektiven Gedächtnis“, vom „kommunikativen Gedächtnis“ und vom „kulturellen Gedächtnis“ wird im Punkt 2.2 dieser Arbeit ausführlich eingegangen.

[80] Vgl.: Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München 1992. S. 12.

[81] Blasberg (2002). S. 486.

[82] Blasberg (2002). S. 486.

[83] Vgl. auch im Folgenden: Levy und Sznaider (2001). S. 136f.

[84] Vgl. ausführlich zum „Historikerstreit“: Garbe (2002). S. 39 – 46.

[85] vgl.: Levy und Sznaider (2001). S. 151.

[86] Levy und Sznaider (2001). S. 152.

[87] Kofman, Sarah: Rue Ordener, Rue Labat. Paris 1994.

[88] Klüger, Ruth: weiter leben. Eine Jugend. Göttingen 1992.

[89] Vgl.: Klotz, Johannes und Gerd Wiegel (Hrsg.): Geistige Brandstiftung. Die neue Sprache der Berliner Republik. Berlin 2001. S. 23.

[90] Diner, Dan: Abschied vom Westen. Deutschland redivivus. In: Diner, Dan: Der Krieg der Erinnerungen und die Ordnung der Welt. Berlin 1991. S. 54 – 80. Hier: S. 54.

[91] Klundt, Salzborn, Schwietring und Wiegel (2003). S. 10.

[92] Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 3.2.3 dieser Arbeit.

[93] Goldhagen, Daniel J.: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust. Berlin 1996.

[94] Klundt, Salzborn, Schwietring und Wiegel (2003). S. 13.

[95] Klotz und Wiegel (2001). S. 26.

[96] Klotz und Wiegel (2001). S. 26 f.

[97] Klotz und Wiegel (2001). S. 27.

[98] Klundt, Salzborn, Schwietring und Wiegel (2003). S. 15.

[99] Vgl. auch im Folgenden: Levy und Sznaider (2001). S. 149 ff..

[100] Klotz und Wiegel (2001). S. 43.

[101] Zu den „Universalisierungsmechanismen“, die vor und während des Golfkrieges wirkten, vergleiche ausführlich: Diner (1991). S. 54 – 80.

[102] Levy und Sznaider (2001). S. 150.

[103] Levy und Sznaider (2001). S. 152.

[104] Schlink, Bernhard: Der Vorleser. Roman. Zürich 1995.

[105] Kuckart, Judith: Die schöne Frau. Roman. Frankfurt am Main 1994.

[106] Beyer, Marcel: Flughunde. Roman. Frankfurt am Main 1995.

[107] Garbe (2002). S. 9.

[108] Erll (2005). S. 1.

[109] Welzer, Harald: Das soziale Gedächtnis. In: Welzer, Harald (Hrsg.): Das soziale Gedächtnis. Geschichte, Erinnerung, Tradierung. Hamburg 2001. S. 9 – 21. Hier: S. 11.

[110] Vgl. auch im Folgenden: Erll (2005). S. 5.

[111] Vgl.: Erll (2005). S. 13.

[112] Zur ausführlichen Beschäftigung mit „kollektivem“, „kommunikativem“ und „kulturellem Gedächtnis“, aber auch mit weiteren Gedächtnis- bzw. Erinnerungstheorien verweise ich auf den fundierten Einführungsband von Astrid Erll, der hier unter Erll (2005) schon häufiger zitiert wurde.

[113] Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass empirische Forschungen (z. B. Welzers Studien zum Familiengedächtnis) Erinnerungsakte von Individuen oder Kollektiven in ganze konkreten soziokulturellen Kontexten untersuchen und somit auch Aussagen über die Wesensart der Gedächtnis-Kategorien machen können.

[114] Vgl. auch im Folgenden: Erll (2005). S. 7.

[115] Vgl. hier u.a.: Halbwachs, Maurice: Das kollektive Gedächtnis. Frankfurt am Main 1995 (orig.: La mémoire collective. Paris 1950).

[116] Vgl. hierzu: Assmann (1992).

[117] Vgl.: Halbwachs, Maurice: Das Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen. Frankfurt am Main 1985 (orig.: Les cadres sociaux de la mémoire. Paris 1925).

[118] Erll (2005). S. 14.

[119] In der Terminologie von Aleida und Jan Assmann wird in dieser Hinsicht heute vom „kulturellen Gedächtnis“ gesprochen. Vgl.: Kap. 2.2.2.

[120] Erll (2005). S. 14. Vgl. auch im Folgenden: Erll (2005). S. 14 f.

[121] Erll (2005). S. 14.

[122] Ich verweise zur Kritik an der begrifflichen Bestimmung des „kollektiven Gedächtnisses“ erneut auf Erll (2005), besonders S. 95 – 112.

[123] Garbe (2002). S. 12.

[124] Erll (2005). S. 98.

[125] Erll (2005). S. 5f.

[126] Assmann, Aleida: Gedächtnis als Leitbegriff der Kulturwissenschaften. In: Musner, Lutz und Gotthart Wunberg (Hrsg.): Kulturwissenschaften: Forschung – Praxis – Positionen. Wien 2002. S. 27 – 45. Hier: S. 40.

[127] Vgl.: Erll (2005). S. 27.

[128] Erll (2005). S. 27.

[129] Der eigentliche Untersuchungsgegenstand von Aleida und Jan Assmann war bzw. ist das „kulturelle Gedächtnis“, daher haben sie auch ihrer Theorie diesen Namen gegeben. Zum Gedächtnis-Rahmen des „kulturellen Gedächtnis“ vergleiche Kapitel 2.2.2 dieser Arbeit.

[130] Erll (2005). S. 27.

[131] Vgl. auch im Folgenden: Assmann (1992). S. 48 – 66; besonders die Tabelle auf S. 56. und Erll (2005). S. 112 ff.

[132] Der Zeithorizont bezieht sich in der Assmann’schen Theorie auf drei bis vier Generationen. Vgl.: Assmann (1992). S. 50.

[133] Zur genaueren Beschreibung der Untersuchungsmethode und des Interessenbereichs der „Oral History“ vgl.: Erll (2005). S. 50 f.

[134] Assmann (1992). S. 51.

[135] Welzer, Harald: Das kommunikative Gedächtnis. Eine Theorie der Erinnerung. München 2002. S. 193.

[136] Welzer (2002). S. 199. Welzer meint hier die „mündlich verfasste Autobiographie“ ,z. B. im Zuge eines Interviews etc.. Inwieweit diese Erkenntnisse auch in den Bereich der Literatur übertragen werden können, wird im Kapitel 2.3 und bei der Analyse der Romane von Interesse sein.

[137] Keppler, Angela: Tischgespräche. Über Formen kommunikativer Vergemeinschaftung in Familien. Frankfurt am Main 1994.

[138] Keppler, Angela: Soziale Formen individuellen Erinnerns. Die kommunikative Tradierung von (Familien-)Geschichte. In: Welzer (2001). S. 137 – 159. Hier: S. 155.

[139] Welzer, Harald, Sabine Moller und Karoline Tschuggnall: Opa war kein Nazi. Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis. Frankfurt am Main 2002.

[140] Steffens, Gerd: Familiengedächtnis, Didaktik und Geschichtspolitik. Zu zwei neuen Studien über den Umgang mit dem Holocaust in Deutschland und den USA. In: Jahrbuch für Pädagogik 2003. S. 173 – 183. Hier: S. 173.

[141] Vgl.: Erll (2005). S. 51.

[142] Steffens (2003). S. 174.

[143] Welzer, Moller und Tschuggnall (2002). S. 64.

Ende der Leseprobe aus 139 Seiten

Details

Titel
Blinde Flecken - (Re-)Konstruktionen von Vergangenheit in der aktuellen Literatur
Hochschule
Universität Münster
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
139
Katalognummer
V86612
ISBN (eBook)
9783638003858
ISBN (Buch)
9783638911467
Dateigröße
1002 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Blinde, Flecken, Vergangenheit, Literatur
Arbeit zitieren
Sebastian Janzen (Autor:in), 2006, Blinde Flecken - (Re-)Konstruktionen von Vergangenheit in der aktuellen Literatur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86612

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