In der Literatur- bzw. generell in der Medienlandschaft spricht man in den letzten zehn Jahren von einem regelgerechten „Erinnerungsboom“. Plötzlich sind auch Themen von Interesse, die zuvor weniger Berücksichtigung fanden, zumindest auf offizieller Ebene. Im Zusammenhang dieser Arbeit möchte ich von „blinden Flecken“ sprechen, von Leerstellen im Geschichtsbewusstsein, die nach und nach an die Oberfläche der Erinnerungskultur transformiert werden. Neben den Themenkomplexen „Flucht und Vertreibung der Deutschen während des "Zweiten Weltkrieges"“, „Bombardierung der deutschen Städte und das Leid der Zivilbevölkerung“ sowie die „Erfahrungen von Soldaten während der Kriegsgefangenschaft“ sind die „Rolle der Wehrmacht im Regime des Nationalsozialismus“ und die „Erfahrungen der Nachkriegsgeneration in der Zeit des "Wirtschaftswunders"“ zu den „blinden Flecken“ im Geschichtsbewusstsein zu rechnen, welche nun allmählich von der deutschen Erinnerungskultur entdeckt werden.
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich aus literaturwissenschaftlicher Perspektive mit der (Re-)Konstruktion von Vergangenheit. Untersucht werden soll, wie in der aktuellen Literatur (der älteste der untersuchten Romane stammt von 1998) „blinde Flecken“ in der Vergangenheit der deutschen Geschichte dargestellt bzw. der Wahrnehmung zugeführt werden. Anhand der Romane „Am Beispiel meines Bruders“ von Uwe Timm, „Unscharfe Bilder“ von Ulla Hahn und „Der Verlorene“ von Hans-Ulrich Treichel werden unterschiedliche thematische Schwerpunkte der jüngsten deutschen Literatur beleuchtet, die die These vom „Paradigmenwechsel in der Erinnerungskultur der Bundesrepublik“ (aufgestellt vom Sozial- und Kulturwissenschaftler Harald Welzer) untermauern. Ob sie jedoch im Zusammenhang mit der Transformation der Täter- in eine Opfergesellschaft als Werke betrachtet werden können, welche diesen Prozess befördern, soll am Ende dieser Arbeit hinterfragt werden.
Bevor die einzelnen Prosatexte analysiert werden und gezeigt wird, wie sie „blinde Flecken“ bzw. „Leerstellen im Geschichtsbewusstsein“ der Leser der Wahrnehmung zuführen bzw. füllen, ist es notwendig einige theoretische Grundlagen (Erinnerungskultur der Bundesrepublik nach 1945; „Globalisierung der NS-Vergangenheit“; Gedächtnistheorien; Verhältnis von Literatur, Gedächtnis und Geschichtsschreibung).
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Erinnerung und Gedächtnis – Zur (Re-)Konstruktion von Vergangenheit
- 2.1 Der gesellschaftspolitische Umgang mit der NS-Vergangenheit
- 2.1.1 Erinnerungsdiskurse in Deutschland
- 2.1.2 Globalisierung der NS-Vergangenheit
- 2.2 Das kollektive Gedächtnis
- 2.2.1 Das kommunikative Gedächtnis
- 2.2.2 Das kulturelle Gedächtnis
- 2.3 Zum Verhältnis von Gedächtnis, Literatur und Geschichte
- 3. (Re-)Konstruktionen von Vergangenheit in aktuellen Prosatexten
- 3.1 „Am Beispiel meines Bruders\" von Uwe Timm
- 3.1.1 Uwe Timm - Aufarbeitung deutscher Vergangenheit und eigene Identitätssuche
- 3.1.2 Die Familie Timm - (Re-)Konstruktion von Vergangenheit durch mündliche Erzählungen
- 3.1.3 (Re-)Konstruktion von Vergangenheit anhand von Briefen und Tagebucheinträgen
- 3.1.4 Die Loyalitätsbeziehungen innerhalb der Familie Timm
- 3.2,,Unscharfe Bilder“ von Ulla Hahn
- 3.2.1 Das intergenerationelle Gespräch – ein Versuch,,blinde Flecken\" zu füllen
- 3.2.2 Die Wehrmachtsausstellung - kulturelles und kommunikatives Gedächtnis
- 3.2.3 Hahns Plädoyer für „,unscharfe Bilder”
- 3.3,,Der Verlorene“ von Hans-Ulrich Treichel
- 3.3.1 Der Ich-Erzähler – Bedrohung der Identität
- 3.3.2 Die Darstellung der Nachkriegsjahre – Die Dominanz der Vergangenheit in der Gegenwart
- 4. Zusammenfassung und Ausblick
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Hausarbeit untersucht die (Re-)Konstruktion von Vergangenheit in der aktuellen Literatur. Sie beleuchtet die Bedeutung von Erinnerung und Gedächtnis im Kontext der deutschen Vergangenheit, insbesondere im Hinblick auf die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit. Die Arbeit analysiert ausgewählte literarische Texte, die sich mit dem Thema der Vergangenheit auseinandersetzen und die vielschichtigen Aspekte der Erinnerungskultur thematisieren.
- Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in der deutschen Gesellschaft
- Die Rolle von Erinnerung und Gedächtnis in der Literatur
- Die (Re-)Konstruktion von Vergangenheit in aktuellen Prosatexten
- Das Verhältnis von individueller und kollektiver Erinnerung
- Die Bedeutung der Vergangenheit für die Gegenwart und die Zukunft
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema der Arbeit ein und stellt die Relevanz von Erinnerung und Gedächtnis im Kontext der deutschen Vergangenheit dar. Kapitel 2 beschäftigt sich mit den theoretischen Grundlagen der (Re-)Konstruktion von Vergangenheit, wobei die Themen Erinnerung, Gedächtnis und der gesellschaftliche Umgang mit der NS-Vergangenheit behandelt werden. In Kapitel 3 werden ausgewählte aktuelle Prosatexte analysiert, die sich mit der (Re-)Konstruktion von Vergangenheit auseinandersetzen. Hier werden die spezifischen Strategien der jeweiligen Autoren hinsichtlich der Darstellung der Vergangenheit und deren Auswirkungen auf die Gegenwart beleuchtet. Die Arbeit endet mit einer Zusammenfassung der gewonnenen Erkenntnisse und einem Ausblick auf weiterführende Forschungsmöglichkeiten.
Schlüsselwörter
Die zentralen Themen der Arbeit sind Erinnerung, Gedächtnis, (Re-)Konstruktion von Vergangenheit, NS-Vergangenheit, deutsche Erinnerungskultur, Literaturanalyse, aktuelle Prosatexte, intergenerationelle Kommunikation, kollektives Gedächtnis, individuelle Identität, Schuld und Verantwortung.
- Arbeit zitieren
- Sebastian Janzen (Autor:in), 2006, Blinde Flecken - (Re-)Konstruktionen von Vergangenheit in der aktuellen Literatur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86612