Der Theorieansatz der Regionalen Ordnungen

Die Konzeptionen von Buzan/Wæver und Lake


Hausarbeit (Hauptseminar), 2006

35 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. DerTheorieansatz der Regionalen Ordnungen im Spiegel der IB-Theorien ..
2.1 Sicherheit in theoretischer Perspektive
2.2 Regionalisierung in theoretischer Perspektive
2.3 Sicherheit und Regionalisierung: Zusammenführung zweier Theorieströmungen

3. Buzan und Wævers Theorieansatz Regionaler Ordnungen
3.1 Regionale Akteure
3.1.1 Die elementare Bedeutung der Staaten
3.1.2 Zur Typologisierung von Staaten
3.1.3 Staaten und Macht
3.2 Interaktion: Vom Freund-Feind-Muster zum „Securitization Move“
3.2.1 Das Muster von Freund- und Feindschaft
3.2.2 Securitization und „Securitization Move“
3.3 Regionale Struktur: Die Region als Regionaler Sicherheitskomplex
3.3.1 Das Prinzip geografischer Ausschließlichkeit
3.3.2 Typologisierung von Sicherheitskomplexen
3.3.3 Strukturaler Wandel und die Rolle externer Mächte

4. Buzan und Wæver in der Diskussion
4.1 Für und wider die geografische Ausschließlichkeit: David Lakes Theorieansatz
4.2 Für und wider Securitization

5. Abschließende Überlegungen

6. Bibliographie

1. Einleitung

Diese Arbeit setzt sich mit dem Thema des Theorieansatzes der Regionalen Ordnungen auseinander. Weltpolitischen Regionen und deren „interner“ politischer Dynamik wird insbesondere seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes verstärkte Aufmerksamkeit in den Internationalen Beziehungen zuteil. Sowohl in der wissenschaftlichen Debatte als auch in der politischen Praxis erfahren regionale Organisationen Aufmerksamkeit. Diese Arbeit setzt sich jedoch nicht zum Ziel, eine einzelne Region und ihre Beschaffenheit als Fallstu­die zu untersuchen. Vielmehr geht es um eine Klärung der Frage, welche theoretischen Überlegungen Erkenntnisse über das Verhalten regionaler Akteure und die Charakteristi­ken weltpolitischer Regionen generell liefern können. Hierbei sind von verschiedenen Au­toren Konzeptionen zu einem Theorieansatz der Regionalen Ordnungen entwickelt wor­den. Hervorzuheben sind die Konzeptionen von Barry Buzan und Ole Wæver,[1][2]von David A. Lake’ und Patrick Morgan[3]sowie von Helmut Hubel, Markus Kaim und Oliver Lemb- cke.[4]Barry Buzan führte den Begriff des Regionalen Sicherheitskomplexes ein und lieferte damit den entscheidenden Beitrag zum Theorieansatz Regionaler Ordnungen,[5]während Ole Wæver wiederum Buzans mannigfaltige Ausgestaltungen komplettierte.[6]Ihre bis dato einmaligen und damit grundlegenden Ausarbeitungen zogen eine Reihe kritischer Replik und diskursiver Weiterentwicklung nach sich. David Lake hat letzteren Ansatz konzeptio­nell entscheidend weiterentwickelt und verdient infolgedessen Beachtung. Da der Umfang der Arbeit zudem begrenzt ist, steht im Zentrum der Untersuchung deshalb der Theoriean­satz von Barry Bu"an und Ole Wæver, dem soll eine kürzere Analyse des Ansatzes von Da­vid A. GaXe folgen.

Von einem direkten Vergleich der Ansätze, gegliedert nach jeweiligen Elementen (Variab­len) in matrix- oder querschnittähnlicher Form wird abgesehen, da der Rahmen dieser Ar­beit begrenzt ist. Dennoch sollen der Erörterung beider Ansätze in den folgenden Kapiteln die gleichen Leitfragen zugrunde liegen: Wie erklären sie die Entstehung von Regionalen Systemen? Auf welche Akteure gehen sie insbesondere ein, welche systematischen und strukturellen Überlegungen stellen sie an? Dem üblichen Pfad der wissenschaftlichen Er­kenntnisgewinnung folgend, ist zuerst eine Einordnung dieses Theorieansatzes in die The­oriedebatten der Internationalen Beziehungen vorzunehmen.[7]

Zur Bearbeitung der Leitfragen erscheint nachstehende Methodik sinnvoll: Bassam Tibi verfasst eine Vorgehensweise zur Bestimmung weltpolitischer regionaler Systeme, die als Raster auf beide Ansätze gelegt werden könnte.[8]Diese Methode besteht im Wesentlichen aus einem Dreischritt: Zunächst gilt geografische Nähe als notwendige Bedingung für eine Region, um überhaupt die Existenz und folglich die Konstellation des regionalen Systems tiefer zu ergründen. Ein zweiter Schritt sieht eine Systematisierung der mitwirkenden regi­onalen wie globalen, staatlichen wie nicht-staatlichen Akteure vor. Abschließend kann er­klärt werden, nach welchen Interaktionsmustern die Akteure in Beziehung zueinander ste­hen. Diese Vorgehensweise verschafft den nötigen Einblick in die Ausgestaltung der Grundannahmen und Definitionsgebilde der Konzeptionen und typologisiert zudem neut­ral das regionale Zusammenspiel verschiedener Akteure. Geografische Nähe gilt nach der Lesart von David Lake zwar als notwendige, jedoch nicht als hinreichende Bedingung zum Erfassen eines regionalen Systems. Somit wird Tibis methodologische Chronologie im hie­sigen Fall unvollständig angewendet, denn ein System besteht aus interagierenden Teilen und der daraus resultierenden Struktur.[9]Der Unterschied ist merklich, versteht man in die­ser Reihenfolge nämlich die Ergründung eines Systems - hier des regionalen - als abhängige Variable dieser „Stellschrauben“. Insofern wird Tibis Methode in abgewandelter Reihenfol­ge Anwendung finden. Die Autoren selbst wählen auf recht unterschiedliche Weise eigene Gliederungen ihres Vorgehens. Im folgenden Kapitel wird erst einmal die disziplinäre Ein­ordnung der Theorieansätze vorgenommen.

2. Der Theorieansatz der Regionalen Ordnungen im Spiegel der IB- Theorien

Kein geringerer als Karl Popper wies seinerzeit darauf hin - und prägte damit die bekannte, nahezu klassische Metapher -, dass eine Theorie ein „Netz sei, das wir auswerfen, um die ,Welt’ einzufangen“, sie zu rationalisieren und zu erklären.[10]Dringt man weiter auf das Spezialgebiet der politikwissenschaftlichen Teildisziplin der Internationalen Beziehungen vor, so entpuppt sich das Netz’, das ausgeworfen werden sollte, zunächst als ein disziplinä­rer ,Fallstrick’, als ein verwirrendes, in den 1970er bis 1990er Jahren intra-disziplinär ent­standenes Gebilde von bis zu 20 ausdifferenzierten theoretischen Konzepten, Ansätzen und Teiltheorien.[11]Nun spiegelt diese Vielzahl von Theorien mehrere Dilemmata wider: Zum einen werden sozialwissenschaftliche Theorien im Vergleich zu den Naturwissen­schaften darin benachteiligt, dass sie alte Erkenntnisse nicht bewahren und um weitere Aspekte („Paradigmen“) anreichern mögen, sondern über den Weg neuerlicher Grundan­nahmen ganzheitliche Theoriegebilde entwerfen, die sich folglich konkurrierend gegenü­berstehen.[12]Des Weiteren gelingt es keinem Ansatz, die komplexen, oftmals multikausalen Zusammenhänge der Weltpolitik vollständig zu erklären. Es bedarf bei Verwendung eines theoretischen Ansatzes daher stets der komplementären Einbindung mindestens eines wei­teren („Theorie-Mix“). Einen hervorzuhebenden Versuch, letzterem Dilemma zu begegnen und das oben genannte „theoretische Gestrüpp zu entwirren“,[13]hat die von Hedley Bull und Martin Wight maßgeblich geprägte Englische Schule unternommen, indem sie die Theorien der Internationalen Beziehungen in drei Denktraditionen unterteilt - die realisti­sche, die internationalistische (oder Grotianische) und die universalistische (bzw. Kantiani- sche) Tradition -, deren drei Elemente, Konflikt, Kooperation und transnationale Verbin­dungen das internationale System beinhaltet.[14]In einem späteren Zusammenhang wird noch auf die Englische Schule zu verweisen sein.

Zudem hat der Rahmen des Untersuchungsgegenstandes der IB-Theorien - das internatio­nale System - in den letzten Jahrzehnten in seiner realen Ausprägung hochgradig an Kom­plexität gewonnen, was die Etablierung weiterer theoretischer Paradigmen begünstigte. So haben das Ende des Ost-West-Konfliktes und die darauf folgenden Abrüstungsbemühun­gen das militärisch-traditionelle, ,enge’ Verständnis von Sicherheit als der Abwesenheit von zwischenstaatlichem Krieg aufgeweicht, wie die Etablierung von Begriffen wie ,compre- hensive’, ,soft’ und ,human security’ - vor allem in europäischen Denkschulen - verdeut­licht.[15]Kleinere Konflikte und ethnische Kriege, wie im Kosovo, haben den wissenschaftli­chen Fokus auf neue Debatten um Sicherheitsbegriffe gelenkt, die bis dato von der Bedro­hung eines globalen Krieges überlagert wurden. Mit den Terroranschlägen des 11. Septem­ber 2001 auf die USA verschob sich das Interesse zusehends auf Probleme neuer, „asym­metrischer“ Kriegsführung[16]gegen nicht-staatliche Akteure sowie auf innerstaatliche und transnationale Konfliktherde.

2.1 Sicherheit in theoretischerPerspektive

Dem Bedürfnis an Erklärung dieser weltpolitischen Veränderungen folgend, entstand wäh­rend der 1990er Jahre eine Reihe von fruchtbaren Forschungsansätzen, die das klassische neorealistische Verständnis von Sicherheit und von Sicherheitsbedrohungen hinterfragen. Eine der bekanntesten Debatten ist wohl die zwischen Realisten und Konstruktivsten.[17]Der sicherheitspolitische Diskurs reiht sich an zwei Kernfragen auf: Für wen ist Sicherheit herzustellen und woher rührt die Bedrohung?[18]

Das Machtstreben der Staaten bewahrt nach Auffassung der Realisten ihre Sicherheit.[19]Der neorealistische Theorieansatz erfasst die Weltpolitik als Beziehungssystem von Staaten.[20]Somit entwickelt der Neorealismus die Denkweise der Realisten weiter und fügt die Struk­tur des internationalen Systems als Analyseebene den Überlegungen hinzu. Damit bringt er die Frage der Machtverteilung ins Spiel.[21]Da sie, die Staaten, sich über die konfliktreichen Konsequenzen ihres Handelns, das zum Sicherheitsdilemma führt, bewusst sind, können sie durch Kooperation jenes verringern oder gar vermeiden. Sie tragen auf diesem zu ihrer Sicherheit über Kooperation und Verflechtung bei, argumentiert der Institutionalismus.[22]Der Konstruktivismus wiederum hinterfragt, wie Akteure - und hierunter versteht er ne- ben den Staaten auch Individuen und gesellschaftliche Kollektive - mit den Problemen umgehen.[23]Zudem werden Sicherheitsbedrohungen wesentlich facettenreicher betrachtet als im herkömmlichen militärischen Sinn. Dies zeigt, wie die Ansichten darüber variieren können, für welche Akteure Sicherheit relevant sein kann und wirft zugleich die Frage nach der zweiten Unterscheidung auf. Sie ist anhand der Quellen der Sicherheitsbedrohungen auszumachen. Hier haben sich Überlegungen etabliert, Bedrohung nach harter und weicher Sicherheit („hard“ und „soft security“) differenzieren zu können. Als harte Sicherheitsfak­toren gelten rein militärische Bedrohungen. Ihre Abwehr hat der traditionelle Sicherheits­begriff zum Inhalt. Weiche Sicherheitsfaktoren sind eher nicht-militärischer oder indirekt militärischer Natur.[24]Sie finden im erweiterten Sicherheitsbegriff Berücksichtigung.[25]Neuere Forschungsansätze gehen beiden oben formulierten analytischen Fragen nach. Sie reihen sich in die IB-Theorien ein als „the study of threat, use, and control of military force”[26]und werden gegenüber den etablierten Großtheorien der Internationalen Bezie­hungen als Sicherheits- bzw. Strategische Studien („Security Studies“)[27]abgegrenzt. Je nach Anschauung gelten sie in der Politikwissenschaft zunehmend als eigenständig etablierte Disziplin neben den Internationalen Beziehungen.[28]In ihrem Vorgehen, Sicherheit und Sicherheitsbedrohungen erklären zu wollen, erweitern sie entweder den Begriff der Sicher­heit und der Sicherheitsakteure - und tragen damit dem vermehrten Gebrauch von Sicher­heit in der politischen Sprache Rechnung -, sie versuchen, das Handeln der Sicherheitsak­teure ursächlich zu erklären oder sie fügen unterhalb des internationalen Levels, auf den sich die meisten Großtheorien beziehen, weitere Analyseebenen ein. In erster Linie kamen Impulse aus dem Bereich der europäischen Sicherheitstheorien, insbesondere aus den drei nachstehenden Denkschulen:[29]„Aberystwyth“ („Critical Security Studies“, CSS), „Paris“ (Didier Bigo’s Bourdieu-inspirierte historische Soziologie) und „Kopenhagen“ sind die geografischen Namenspatrone dieser Ansätze.

CSS-Vertreter, wie Keith Krause, Michael C. Williams oder Ken Booth, argumentieren, dass die IB-Theorie vermeiden sollte, die Welt ausschließlich durch die Linse des Staates zu betrachten.[30]Die Aberystwyth-Schule erweitert und emanzipiert das Konzept der Sicher­heit und untersucht seine Kernelemente mithilfe soziologischer Ansätze, d.h. die soziale Konstruktion von Bedrohungen und die Beziehungen zwischen dem Selbst und anderen.[31]Die Pariser Schule sieht interne wie externe Sicherheitselemente funktional verschmelzen durch miteinander kooperierende Sicherheitsbürokratien unterschiedlicher Politikfelder. Damit einher geht eine Aufweichung des klassischen Sicherheitsbegriffs. Organisiertes Verbrechen, Terrorismus und Migration als existentielle Bedrohung der Gemeinschaft bzw. des Staates wird mit dem Label der Sicherheit versehen.[32]Die Kopenhagener Schule hinge­gen, repräsentiert durch Ole Wæver, Barry Buzan und Jaap de Wilde, verfolgt ein enges bzw. traditionelles Verständnis von Sicherheit als Überleben („survival“). Die Kernelemen­te sind „Securitization“, Sektoren und regionale Sicherheitskomplexe.[33]

2.2Regionalisietung in theotetischetPetspektive

Betrachtet man die Entwicklung seit den späten 1980er Jahren, verstärkt durch das Ende des Ost-West-Konfliktes (1989/ 90), so lässt sich neben der Debatte um Sicherheitsbegriffe eine zweite Dimension erkennen, dem sich die Theorien der Internationalen Beziehungen widmen: Anzahl, Umfang und Vielseitigkeit regionalistischer Formen haben im Vergleich zur ,ersten Welle des Regionalismus’ in den 1960ern zugenommen; es gibt eine große Vari­ationsbreite des Institutionalisierungsgrades von Regionen. Bestehende regionale Organisa­tionen wurden gestärkt, neue sind entstanden. Der Regionalismus ist somit ein elementarer Bestandteil der Debatte über die neue Weltordnung nach dem Ost-West-Konflikt gewor­den.[34]Zunächst gibt es Unklarheiten, was unter dem Begriff der Regionen und dem des Regionalismus zu verstehen ist. Nur soviel stand fest: Im Kalten Krieg wurden die interna­tionalen Organisationen, z.B. die Vereinten Nationen (United Nations, UN) und die beste­henden Regionalvereinbarungen, dem Ost-West-Antagonismus untergeordnet. Louise Fawcett argumentiert sogar, sie wurden geschaffen, um den Interessen der Supermächte zu dienen.[35]Der Realismus konnte zwar die Formen der regionalen Zusammenschlüsse mit den Annahmen der internationalen Anarchie und der hegemonialen Stabilität[36]erklären, aber er hatte keine Antworten auf die zunehmende Kooperation und Verflechtung, vor allem in Westeuropa. Hier sind neoliberale und neoinstitutionalistische Theorien maßge­bend. Genannt seien der von Ernst Haas entwickelte Neofunktionalismus und die von Keohane und Nye etablierte Interdependenztheorie sowie der spätere Neo- Institutionalismus.[37]Allerdings widmen sie sich Regionen mit einem bestimmten Grad der Kooperation und Institutionalisierung. Ihre Grundannahme besteht bereits darin, dass Staaten und Interessengruppen fortschreitende Kooperation und Verflechtung als rational und funktional betrachten. Diesen Theorien gelingt es nicht, Regionen und Regionalisie­rungstendenzen unterhalb dieser grundlegenden Schwelle zu untersuchen und damit das Zustandekommen regionaler Kooperation unter dem Blickwinkel elementarer Sicherheit zu erklären.

Zahlreiche Theorien befassen sich mit Begriffen wie Region, Regionalisierung und Regio­nalismus, Regionale Identität und Verbundenheit, zwischenstaatliche Kooperation und Integration.[38]Nur wenigen ist es bislang gelungen, einen wesentliche Begriffe umfassenden, ganzheitlichen Ansatz zum Phänomen der Bedeutungszunahme von regionalen Subsyste­men aufzuzeigen und ihre Eigendynamiken - selbst unter Einbezug der globalen Ordnung - ursächlich zu erklären.[39]

2.3 Sicherheit und Regionalisierung: Zusammenführung zweier Theorie­strömungen

An dieses Defizit knüpfen die Konzeptionen des Theorieansatzes Regionaler Ordnungen an. Wie später noch zu zeigen sein wird, wenden sie sich beiden zentralen Dimensionen zu. Ihnen gelingt es, das Entstehen von Regionen mit Rückgriff auf den Diskurs um Sicher- heitsbegriffe und Sicherheitsbedrohungen zu verknüpfen.[40] Sie bedienen sich - ähnlich der Englischen Schule - bestimmter Grundannahmen und Elemente verschiedener Großtheo­rien bzw. werben für deren komplementären, an empirischen Belangen orientierten Ein­satz. Buzan und Wæver argumentieren selbst, dass ihr Theorieansatz grundlegende Ele­mente der neorealistischen und globalistischen Großtheorien enthält; er gibt aber einer niedrigeren, der regionalen Ebene den analytischen Vorzug.[41]

3. Buzan und Wævers Theorieansatz Regionaler Ordnungen

Buzan und Wæver versuchen, sowohl über eine Erweiterung des Sicherheitsbegriffes als auch über die Einführung eines Levels unterhalb der internationalen Ebenen ihren Theo­rieansatz zu gestalten.[42] Die Wurzeln ihres Ansatzes zu einer Theorie der Regionalen Ord­nungen, dem Theorieansatz des Regionalen Sicherheitskomplexes,[43] werden von Barry Bu­zan 1983 mit seinem Werk „People, States and Fear“[44] begründet und in einer etliche Jahre später erscheinenden Monographie grundlegend erweitert.[45]

Diese letzte Studie zielt ab auf die Entwicklung eines neuen “framework for security stu­dies” und entsteht vor dem Hintergrund der Debatte um Sicherheitsstudien zwischen den oben erwähnten traditionalists und wideners.[46] Die Autoren fokussieren auf die regionale Ebe­ne und definieren Regionen als einen speziellen Typ eines territorial gebundenen Subsys­tems. Es ist das Anliegen der Autoren, sich von der ,klassischen’ Buzan’schen Theoriekon­zeption weg zu bewegen, welche regionale Subsysteme als Analyseobjekt per se verstand, vorwiegend auf den Staat als zentralen Akteur und zentrale Einheit einer Region setzte und ausschließlich nationale Sicherheit als Ziel eines Komplexes berücksichtigte.

[...]


[1] Vgl. Barry Buzan und Ole Wæver, Regions and Powers. The Structure of International Security, Cam­bridge 2003, vor allem Kapitel 1 bis 3, S. 6-89.

[2] Vgl. David A. Lake, Regional Orders. A Systems Approach, in: ders. und Patrick M. Morgan (Hrsg.), Regional Orders. Building Security in a New World, Pennsylvania 1997, S. 45-67.

[3] Vgl. Patrick Morgan, Regional Security Complexes and Regional Orders, in: David A. Lake und ders. (Hrsg), Regional Orders. Building Security in a New World, Pennsylvania 1997, S. 20-42.

[4] Vgl. Helmut Hubel, Markus Kaim und Oliver Lembcke, Pax Americana im Nahen Osten. Eine Studie zur Transformation regionaler Ordnungen, Baden-Baden 2000.

[5] Vgl. Barry Buzan, People, States and Fear, An Agenda for International Security Studies in the post­Cold War Era, 2. Aufl., New York 1991, vor allem Kapitel 5 “Regional Security”, S. 186-229.

[6] Ole Wæver, Identity, Migration and the New Security Agenda in Europe, London 1993, spricht in seiner Dissertation erstmalig vom Prozess der Securitization, der in späteren gemeinsamen Werken von Buzan und Wæver et.al. beachtlichen Einfluss gewinnt.

[7] Keineswegs soll bei der Hinführung zum Thema ein zu großer Bogen geschlagen werden. Da es sich jedoch um eine rein theoretische Abhandlung ohne empirische Anschlussgedanken handelt, kann nicht ausgespart werden, der bekannten Abfolge von theoretischer Grundlage und empirischer Ausführung in diesem Fall den Schritt grundsätzlicher, metatheoretischer Einordnung voranzustellen.

[8] Vgl. Bassam Tibis Kapitel zur Theorie regionaler Subsysteme in ders., Konfliktregion Naher Osten. Regionale Eigendynamik und Großmachtinteressen, 2., erw. Aufl., München 1991, S. 44.

[9] Vgl. Kenneth Waltz, Theory of International Politics, Reading, MA 1979.

[10] Vgl. Karl Popper, Logik der Forschung, 6. Auflage, Tübingen 1976, S. 31.

[11] Vgl. Reinhard Meyers, Theorien der Internationalen Beziehungen, in: Wichard Woyke, Handwörterbuch Internationale Politik, Opladen/Bonn 2000, S. 416-448, hier S. 417. Die Aufzählung stammt von Helga Haftendorn; vgl. dazu dies., Theorien der Internationalen Beziehungen, in: Wichard Woyke, Handwör­terbuch Internationale Politik, Bonn 1990, S. 480-494, hier S. 480ff.; Ursula Lehmkuhl hingegen klassifi­ziert „lediglich“ zehn Großtheorien, vgl. dies., Theorien Internationaler Politik, München 1996.

[12] Vgl. dazu Helmut Hubel, Weltpolitische Konflikte. Eine Einführung, Baden-Baden 2005 S. 22.

[13] Vgl. Helmut Hubel, Weltpolitische Konflikte, op. cit., S. 24.

[14] Vgl. zur Englischen Schule vor allem Hedley Bull, The Anarchical Society. A Study of Order in World Politics, 2. Aufl., New York 1995, besonders S. 22-50; und Martin Wight, International Theory. The Three Traditions, Leicester/ London 1991, besonders S. 7-24.

[15] Vgl. Helmut Hubel, Human Security in Eastern Europe, unpublished manuscript, 2006.

[16] Vgl. Herfried Münkler, Die neuen Kriege, Reinbek 2002, vor allem S. 48ff.

[17] Vgl. Michael C. Williams, Words, Images, Enemies: Securitization and International Politics, in: Interna­tional Studies Quarterly 47 (2003) 4, S. 511-531, hier S. 511; und vgl. zur Debatte den Richtungsweisen­den Artikel von Alexander Wendt, Anarchy is What States Make of It, in: International Organization 46 (1992) 2, S. 391-425; und weiterführend die Debatte zwischen Wendt und Realisten wie John Mearshei- mer: Alexander Wendt, Constructing International Politics, in: International Security 20 (1995) 1, S. 71­81 und John Mearsheimer, A Realist Reply, in: International Security 20 (1995) 1, S. 82-93, sowie Ale­xander Wendt, Social Theory of International Politics, Cambridge, MA 1999.

[18] Vgl. Roland Paris, Human Security. Paradigm Shift or Hot Air?, in: International Security 26 (2001) 1, S. 87-102.

[19] Vgl. Hans Morgenthau, Politics among Nations. The Struggle for Power and Peace, New York 1948.

[20] Vgl. Kenneth Waltz, Waltz, Kenneth, Theory of International Politics, Reading, MA 1979.

[21] Vgl. Kenneth Waltz, Theory of International Politics, op. cit.

[22] Vgl. Helga Haftendorn et al. (Hrsg.), Imperfect Unions. Security Organizations over Time and Space, Oxford 1999.

[23] Vgl. Alexander Wendt, Anarchy is What States Make of It, op. cit.

[24] Vgl. die Einleitung in Joseph S. Nye, The Paradox of American Power, 3. Aufl., Oxford 2002.

[25] Vgl. zur Debatte von „Traditionalists v. Wideners“ Ole Wæver, Securitisation: Taking Stock of a Re­search Programme in Security Studies, Montreal 2003 (unveröffentlichtes Papier zur International Stud­ies Association 2003).

[26] Stephen Walt, The Origins of Alliances, Boulder 1991, 212f.

[27] Zum besseren Verständnis werden im Folgenden die englischen Originalbegriffe den deutschen Über­setzungen in Klammern nachgeordnet eingefügt.

[28] Vgl. Keith Krause und Michael C. Williams, Broadening the Agenda of Security Studies: Politics and Methods, in: Mershon International Studies Review 40 (1996), S. 229-254, hier vor allem S. 230f.

[29] Vgl. dazu Ole Wæver, Aberystwyth, Paris, Copenhagen. New ‘Schools’ in Security Theory and Their Origins between Core and Periphery, Montreal 2004, S. 2.

[30] Vgl. Ken Booth, Critical Explorations, in: ders. (Hrsg.), Critical Security Studies and World Politics. London 2005, S. 1-19.

[31] Vgl. Wæver, Aberystwyth, Paris, Copenhagen, op. cit., S. 7f.

[32] Vgl. ebd., S. 10f.

[33] Vgl. ebd., S. 8ff.

[34] Vgl. Louise Fawcett und Andrew Hurrell (Hrsg.), Regionalism in World Politics. Regional Organization and International Order, Oxford 1995, S. 7.

[35] Vgl. Louise Fawcett, Regionalism in Historical Perspective, in: Fawcett und Hurrell (Hrsg.), Regionalism in World Politics, op. cit., S. 9-36, hier S. 15.

[36] Vgl. Stephen Krasner, State Power and the Structure of International Trade, in: World Politics 28 (1976) 3, S. 317-347; und vgl. Robert O. Keohane, After Hegemony. Cooperation and Discord in the World Political Economy, Princeton 1984, S. 34ff.

[37] Zum Neofunktionalismus vgl. Ernst B. Haas, The Uniting of Europe. Political, Social, and Economic Forces, Stanford 1968; vgl. zur Interdependenztheorie Robert O. Keohane und Joseph S. Nye, Power and Interdependence. World Politics in Transition, 3. Aufl., New York 2001; sowie zum Neo- Institutionalismus Robert O. Keohane, International Institutions and State Power. Essays in Interna­tional Relations Theorie, Boulder, Col. 1989.

[38] Vgl. Andrew Hurrell, Regionalism in Theoretical Perspective, in: Fawcett und Hurrell (Hrsg.), op. cit., S. 48ff.

[39] Vgl. Hurrell, ebd. Erste, grundlegende Überlegungen zu einer „Theorie regionaler Subsysteme“ stam­men aus dem Jahr 1958 von Leonard Binder, die seitdem stetig weiterentwickelt wurde. Vgl. Leonard Binder, The Middle East as a Subordinate International System, in: World Politics 10 (1958) 3, 408-429; vgl. auch William R. Thompson, The Regional Subsystem. A Conceptual Explication and a Propositio­nal Inventory, in: International Studies Quarterly 17 (1973), S. 87-117, der knapp zwei Jahrzehnte nach Binder die Fülle von insgesamt 21 (!) Theorien regionaler (Sub-) Systeme belegt.

[40] Lake und Morgan verweisen in ihrem Einführungskapitel beispielsweise deutlich auf den „New Regiona­lism in Security Affairs“. Vgl. Lake und Morgan, Regional Orders, op. cit., S. 3-19.

[41] Vgl. Buzan und Wæver, Regions and Powers, op. cit., S. 11, und vgl. Andrew Hurrell, Regionalism in Theoretical Perspective, op. cit., S. 53-58.

[42] Vgl. dazu erneut Keith Krause und Michael C. Williams, Broadening the Agenda of Security: Politics and Methods, op. cit., S. 249.

[43] Im Englischen wird dezidiert auf eine Theorie des Regionalen Sicherheitskomplexes („Regional Security Complex Theory“) verwiesen. Da es sich um eine Konzeption zum Theorieansatz Regionaler Ordnun­gen handelt, kann im deutschen Sprachgebrauch von einer Konzeption oder von einem eigenständigen Theorieansat" gesprochen werden. In dieser Arbeit wird sich letzterem Gebrauch angeschlossen.

[44] Vgl. den originalen Titel der ersten Auflage von Barry Buzan, People, States and Fear. The National Security Problem in International Relations, Brighton 1983. Im Weiteren wird durchgehend auf die 2. Auflage: People, States and Fear, An Agenda for International Security Studies in the post-Cold War Era, 2. Aufl., New York 1991, verwiesen.

[45] Vgl. Barry Buzan, Ole Wæver und Jaap de Wilde, Security. A New Framework for Analysis. Boulder, Col./London 1998, welches zusammen mit Buzans und Wævers „Regions and Powers“ (op. cit.) und Buzans „People, States and Fear“ (op. cit.) als Grundlage dieser Arbeit verwendet wird.

[46] Buzan/ Wæver/ de Wilde, op. cit., S. 9.

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Details

Titel
Der Theorieansatz der Regionalen Ordnungen
Untertitel
Die Konzeptionen von Buzan/Wæver und Lake
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Der Sicherheitskomplex am Arabisch-Persischen Golf
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
35
Katalognummer
V86677
ISBN (eBook)
9783638027021
ISBN (Buch)
9783656567783
Dateigröße
632 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eine hervorragende Arbeit, deren wissenschaftliche Qualität besticht. Sie verdiente weitergehende Untersuchungen, die in einer Examensarbeit münden könnten.
Schlagworte
Theorieansatz, Regionalen, Ordnungen, Sicherheitskomplex, Arabisch-Persischen, Golf
Arbeit zitieren
Matthias Heise (Autor:in), 2006, Der Theorieansatz der Regionalen Ordnungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86677

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