Maupassants „La Chevelure“ als Beispiel naturalistischer Novellenschreibung


Seminararbeit, 2004

18 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Begriff des Naturalismus
2.1. Theoretische Wurzeln, Grundideen, Ziele, Merkmale des Naturalismus
2.2. „La Chevelure“ als naturalistisches Beispiel

3. Kennzeichen der Novelle in Bezug auf „La Chevelure“ als 10 Beispiel der Novellenschreibung

4. Fazit

Bibliographie

1. Einleitung

Literaturgeschichtlich betrachtet ist der Naturalismus (1880-1900) die herrschende literarische Bewegung der ersten Phase der III. Republik in Frankreich (1871-1940).

Die Schriftsteller dieser Phase haben kein gutes Verhältnis zu dem sich in den republikanischen Einrichtungen etablierenden Bürgertum und besonders die Naturalisten bringen diese ablehnende Haltung zum Ausdruck. Die politische und finanzielle Manipulation dieser Zeit wird nunmehr offen und freimütig kritisiert.[1]

Guy de Maupassant (1850-1893) gilt als ein Vertreter der Naturalismus und wird somit in einem Atemzug mit diesem Begriff genannt.

Jedoch war er mehr der Schüler Flauberts als Zolas, welcher als der herausragende Vertreter bekannt ist.

Maupassants Werke sind durch Stilmittel und Themen des Naturalismus gekennzeichnet.

Sie befassen sich mit der Grausamkeit der Menschen gegenüber Mitmenschen, mit deren Dummheiten, mit Prostitution, Vergewaltigung, Krieg, als auch mit politischen und psychischen Problemen.

Dabei beschreibt er die Verhältnisse und die Handlungsträger mit genauer Präzision und spiegelt die Wirklichkeit ohne subjektive Beimischung wider.

Die Motivation zum Schreiben derartiger Werke resultiert aus einem Pessimismus, welcher typisch für die Epoche ist und durch seine unheilbare Syphiliserkrankung noch weiter geschärft wurde.[2]

Er verarbeitet seinen Hass gegen den Krieg von 1870, die politischen und finanziellen Missstände seiner Zeit als auch seine aus der Krankheit resultierenden Leiden und Erfahrungen.

Gegenstand dieser Seminararbeit ist die Erläuterung des Begriffs des Naturalismus als auch des Begriffs der Novelle anhand der Ereignisnovelle „La Chevelure“ von Maupassant.

Betrachtet werden die Merkmale des Naturalismus, die Grundgedanken und Ziele, dessen theoretischen Wurzeln, die Rolle des Utilitarismus als auch die Kennzeichen der Novelle, wobei diese Faktoren auf Maupassants „La Chevelure“ bezogen werden und nachvollziehbar erläutert wird, dass es sich dabei um eine naturalistische Novelle handelt.

2. Der Begriff des Naturalismus

2.1. Theoretische Wurzeln, Grundideen, Ziele, Merkmale des Naturalismus

Der Naturalismus ist eine gesamteuropäische literarische Bewegung des späten 19. Jahrhunderts (1880-1900). Er gilt als erste Phase der europäischen Literaturrevolution.

In der Literatur und der Kunst versucht diese Stiltendenz, die Wirklichkeit präzise und ohne subjektive Ansichten oder Stilisierung abzubilden.[3]

Die Natur wird als Erscheinung verstanden, welche der Mensch mit seinen Sinnen erfahren kann. Dementsprechend wird sie genau beschrieben und wiedergegeben.

Es gilt das sog. Ästhetische Prinzip, d.h. die Natur und die menschliche Umgebung werden wirklichkeitsnah (natürlich) abgebildet.

Der Naturalismus ist die Fortsetzung des Realismus (1848-1885), welcher möglichst konkret, analytisch und kritisch beschreibt. Der Realismus und der Naturalismus haben gleiche geistige und soziale Wurzeln, jedoch sehen sich die Naturalisten als radikaler und wollen die Ideen des Realismus zu Ende denken. Daher stammen die Bezeichnungen ‚Radikalisierung des Realismus’ oder ‚Realismus in Angriffstellung’.[4]

Der Naturalismus zeichnet sich aus durch die Darstellung des moralischen und wirtschaftlichen Elends, insbesondere im Kleinbürgertum und Proletariat.

Ebenso beschreibt er die Situation der Ausgestoßenen in den Großstädten und verarbeitet ohne Verschönerung Krankheit, Armut, Verbrechen usw.[5]

Der Fortschrittsoptimismus des Bürgertums und die doppelte Moral als auch Gleichgültigkeit und die gesellschaftlichen Probleme der wachsenden Industriegesellschaft betreffend werden kritisiert.

So erhoffen sich die Naturalisten konkrete Verbesserungsvorschläge zur Beseitigung sozialer Missstände und wollen Mitleid für das herrschende Elend hervorrufen.

Sie legen die Verantwortung für die Situation des Proletariats in die Hände der Gesellschaft.

Sie beschäftigten sich mit den Bereichen, die vom Bürgertum in der Regel verdrängt wurden: die soziale Frage, Exzesse der Großstadt, Kriminalität, Alkoholismus, Geschlechtskrankheiten, sowie die Verlogenheit der Reichen, die Not der Armen und die Zerrüttung von Ehe und Familie. Sie wenden sich dem Triebhaften und dem Hässlichen zu, dem Niederen und den Geistesgestörten.

Die theoretischen Wurzeln des Naturalismus liegen in Comtes Philosophie des Positivismus (ca. 1860-1865)[6], der Physiologie (sog. Experimentalmedizin) C.Bernards[7], der Evolutionstheorie Ch. Darwins[8], der Vererbungslehre Prosper Lucas’[9] und insbesondere der Milieutheorie H. Taines.[10]

Die Naturalisten bezeichneten die Realität als ‚Leben’, ‚Wahrheit’, ‚Natur’ und folgten den Theorien des französischen Historikers uns Philosophen Hippolyte Taine (1828-1893). Dieser entwickelte eine Theorie, die sog. Milieutheorie, die besagt, dass der Mensch determiniert sei durch Vererbung (race), Milieu (milieu) und die historische Situation (moment). Danach ist die Entwicklung eines Menschen vorbestimmt durch seine Herkunft, seine Umgebung und das gegenwärtige Geschehen.[11]

Der Dichter versteht sich demzufolge als Naturwissenschaftler, welcher versucht, die Natur des Menschen mit naturwissenschaftlichen Mitteln als Resultat dieser Faktoren zu erklären.

Er strebt nach Objektivität und naturgetreuer Wiedergabe der Wirklichkeit der Umgebung des Menschen und ihm selbst, indem er mit höchster Präzision beobachtet und analysiert.

Die Tätigkeit des Schriftstellers definiert sich aus ‚analyse’, ‚enqu E te’, ‚étude’, und ‚recherche’. Mit pessimistischer und gesellschaftskritischer Einstellung geht der Naturalist seiner Aufgabe als ‚observateur’ und ‚expérimentateur’ nach.[12]

Wie bereits erwähnt wurzelt der Naturalismus auch in der positivistischen Philosophie Auguste Comtes (1798-1857). Diese ist die weltanschauliche Grundlage für den Naturalismus.

Comte vertraute nicht auf Spekulationen, sondern führte Experimente und Beobachtungen durch und kam somit zur sog. Positiven Methode der Analyse.

Es handelt sich dabei um die Philosophie des Gegebenen, des Tatsächlichen, Unbezweifelbaren.[13]

Er unterscheidet zwischen dem Wirklichen und dem Künstlichen, trennt das Nützliche vom Unnützen, stellt die Gewissheit dem Unentschiedenen gegenüber und trennt die Präzision von der Undeutlichkeit. Die positivistische Philosophie greift sich aus diesen Unterscheidungen das für sie einzig wesentliche heraus: das Wirkliche, das Nützliche, das Gewisse und die Präzision.

Die Positivisten vertrauen allein auf Erfahrungen und lehnen jegliche Metaphysik ab, da diese mit ihrer Frage nach dem ‚Warum’ theoretisch unmöglich und praktisch ohne Nutzen sei.[14]

Sie vertreten die Ansicht, dass das Gegebene objektiv erkennbar sei. Dieser Gedanke der Objektivität spiegelt sich im Naturalismus wider.

Neben dem Positivismus, dessen Erkenntnisse den Naturalismus prägen, ist der Utilitarismus zu erwähnen.

Die meisten Vertreter dieser Philosophie waren Naturalisten.

Die utilitaristische Philosophie sieht eine Handlung als moralisch gut an, wenn sie sich an dem Nutzen oder Streben nach Glückseligkeit orientiert, wobei nicht nach dem Nutzen des Einzelnen gestrebt wird, sondern vielmehr nach dem größten Nutzen für die größtmögliche Anzahl von Menschen.[15]

Das sog. Nützlichkeitsprinzip besagt also, dass jedes Verhalten, welches allen von ihm Betroffenen das größte Glück erzeugt oder dieses fördert, objektiv richtig und ethisch gut ist und im Umkehrschluss, dass jenes Verhalten ethisch verwerflich ist, welches die Glückseligkeit mindert oder menschliches Leid zur Folge hat.[16]

Der Nutzen dient folglich als Kriterium für moralische Beurteilungen.

Den Naturalisten wurde häufig vorgeworfen, den sog. naturalistischen Fehlschluss zu begehen. So wurde ihnen angelastet, falsch zu schlussfolgern von dem, was ist, auf das, was sein soll, d.h. sie begründeten etwas damit, dass es so sein soll, weil es so ist.[17]

Dies widersprach jedoch dem Hauptmerkmal des Naturalismus, da dieser die Entwicklung eines Menschen als bereits determiniert definierte und sie insbesondere begründete mit der Milieutheorie Taines, d.h. die Naturalisten zogen Rückschlüsse auf ‚race’, ‚milieu’, und ‚moment’ und verwendeten diese zur Begründung.

Neben diesem Grundgedanken der Milieutheorie und den bisher erwähnten Grundzügen des Naturalismus entstand weiterhin eine völlig neue Erzähltechnik in der naturalistischen Prosa: der Sekundenstil. Das Ziel dieser Technik besteht in der präzisen Wiedergabe der Realität, indem Sekunde für Sekunde Raum und Zeit geschildert werden. Die Wirklichkeit wird fotografisch und phonografisch exakt wiedergegeben.

Vorwiegend werden die personale Erzählweise als auch Dialoge genutzt. Die Dialoge werden exakt dargestellt mit allen Wörtern, Wortfetzen, Pausen, Dialekten, mit Grammatikfehlern, Alltagssprache und Jargon.

[...]


[1] Grimm, Jürgen (Hrg.) : Französische Literaturgeschichte. 4.Auflage, Stuttgart; Weimar: Verlag J.B. Metzler 1999.

[2] Metzler, 1999.

[3] www.literaturwelt.com/epochen/natural.html (07.09.04)

[4] www.ni.schule.de/~pohl/literatur/epochen/natural.htm (07.09.04)

[5] www.ni.schule.de/~pohl/literatur/epochen/natural.htm (07.09.04)

[6] weiterführende Literatur: Comte: Le Cours de philosphie positive, (6 Bände, 1830-1842).

[7] weiterführende Literatur: Bernard: Introduction a l’étude de la médicine expérimentale (1865).

[8] weiterführende Literatur: Holz; Sandkühler: Dialektik5. Darwin und die Evolutionstheorie, Köln: Pahl- Rugenstein Verlag 1982.

[9] weiterführende Literatur: Dr. Prosper Lucas: Traité philosophique et physiologique de l’hérédité naturelle dans les états de santé et de maladie du système nerveux (1850).

[10] weiterführende Literatur: Marcard, Kurt: Taines Milieutheorie im Zusammenhang mit ihren erkenntnistheoretischen Grundlagen, Diss. Kiel: 1910

[11] www.literaturwelt.com/epochen/natural.html (07.09.04)

[12] Zola: Le roman expérimental.

[13] www.literaturwelt.com/epochen/natural.html (07.09.04)

[14] www.literaturwelt.com/epochen/natural.html (07.09.04)

[15] www.medialine.focus.de/PM1D/PM1DB/PM1BDF/pm1dbf.htm?snr=1852 (17.09.04)

[16] Vgl. Vossenkuhl: Sidwicks Utilitarismus in Gähde; Schrader: Der klassische Utilitarismus. Einflüsse- Entwicklungen- Folgen, Berlin: Akademie Verlag 1992, 135.

[17] www.medialine.focus.de/PM1D/PM1DB/PM1BDF/pm1dbf.htm?snr=1852 (17.09.04)

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Maupassants „La Chevelure“ als Beispiel naturalistischer Novellenschreibung
Hochschule
Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
18
Katalognummer
V86746
ISBN (eBook)
9783638047210
ISBN (Buch)
9783638943598
Dateigröße
708 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Maupassants, Chevelure“, Beispiel, Novellenschreibung
Arbeit zitieren
Anja Waschow (Autor:in), 2004, Maupassants „La Chevelure“ als Beispiel naturalistischer Novellenschreibung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86746

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Maupassants „La Chevelure“ als Beispiel naturalistischer Novellenschreibung



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden