"Haody – ein Weckruf an euch alle,
damit die, die noch schlafen, aufstehen,
wir, eure Brüder, sind von weither gekommen
und klopfen an eure Tür.
Haody – euch allen,
damit wir mit euch das Wenige,
was wir mitbrachten, teilen können,
es handelt sich nicht um große Reden,
nicht um lange Ansprachen,
es handelt sich um Lieder aus unserem Land.
Wir sind eine Gruppe
und wir kamen, euch das „vakisaova“ zu bringen.
Seid ihr da?
[…]
Haody –
damit die, die noch schlafen, aufstehen,
wir, eure Brüder, sind von weither gekommen
und klopfen an eure Tür."
Der vorliegende Liedtext stammt von dem madegassischen Sänger Paul Bert Rahasimanana, besser bekannt unter dem Namen „Rossy“. Dieser mitreißende Weckruf soll Ausgangspunkt für einige Fragen sein, wesentliche Charakteristika der modernen Musik der „Großen Insel“ herauszuarbeiten und in einen sozialhistorischen Kontext zu stellen. Ein umfassender Überblick kann und soll dabei nicht gegeben werden: Der eingenommene Spielraum wäre dem Umfang der vorliegenden Arbeit unangemessen. Stattdessen werden exemplarisch die Lieder des Sängers Rossy durchleuchtet und in der Entwicklung der madegassischen Musik positioniert. Schließlich erhebt Rossy in dem eingangs zitierten Liedtext den Anspruch, seinen Brüdern Lieder aus dem eigenen Land und das „vakisaova“ zu bringen. Dem Versuch, sich dem vollen Bedeutungsumfang der Intention Rossys Lieder zu nähern, ist es deshalb dienlich, sich zunächst den „Liedern des Landes“ und dem „vakisaova“ zu widmen.
Erst nach einem Streifzug durch die Musiklandschaft Madagaskars und mit dem Hintergrundwissen über gesellschaftlich bedingte musikalische Erscheinungen in derselben können Rossys Lieder eingehender analysiert werden. „Haody“ – „Weckruf“, überschreibt Rossy sein Lied. Die Überlegung, wer schläft, wer aufgeweckt werden soll und vor allem warum, lässt den Blick auf die politische Situation Madagaskars wandern, zu den Problemen, die Rossy in seinen Texten beschäftigen. Hier stehen die vielfältigen musikalischen Bewegungen ab 1970 im Vordergrund, die „Epoche der Entfremdung“, wie sie der Liedermacher Tselonina bezeichnet. Aus ihr ergibt sich unmittelbar die Frage nach nationaler Identität in der madegassischen Musik, nach ihren Wurzeln und Zweigen, nach ihrem Wachsen und Werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Haody: Ein Weckruf als Vorwort
2. Ein Blick in die Musiklandschaft Madagaskars
2. 1 Allgemeine Charakteristika
2. 2 Regionen und Stile
2. 3 Die Musik als Identitätsstifter im Dienst des Sozialgefüges
3. Rossy: Bote eines neuen Selbstbewusstseins
3. 1 Eine kurze biographische Einleitung
3. 2 „[…] damit ein neuer Morgen anbricht“: eine Analyse der Liedtexte Rossys
3. 3 Musikalische Mittel zur nationalen Missionierung
3. 4 Die Epoche der Entfremdung: Zum Politischer Kontext der 1970er
4. Sehnsucht und Stolz: Eine musikalische Identitätssuche
5. Literaturverzeichnis
LP- und CD-Beilagen:
Internet:
6. Diskographie
1. Haody: Ein Weckruf als Vorwort
Haody[1] – ein Weckruf an euch alle,
damit die, die noch schlafen, aufstehen,
wir, eure Brüder, sind von weither gekommen
und klopfen an eure Tür.
Haody – euch allen,
damit wir mit euch das Wenige,
was wir mitbrachten, teilen können,
es handelt sich nicht um große Reden,
nicht um lange Ansprachen,
es handelt sich um Lieder aus unserem Land.
Wir sind eine Gruppe
und wir kamen, euch das „vakisaova“[2] zu bringen.
Seid ihr da?
[…]
Haody –
damit die, die noch schlafen, aufstehen,
wir, eure Brüder, sind von weither gekommen
und klopfen an eure Tür.[3]
Der vorliegende Liedtext stammt von dem madegassischen Sänger Paul Bert Rahasimanana, besser bekannt unter dem Namen „Rossy“. Dieser mitreißende Weckruf soll Ausgangspunkt für einige Fragen sein, wesentliche Charakteristika der modernen Musik der „Großen Insel“ herauszuarbeiten und in einen sozialhistorischen Kontext zu stellen. Ein umfassender Überblick kann und soll dabei nicht gegeben werden: Der eingenommene Spielraum wäre dem Umfang der vorliegenden Arbeit unangemessen. Stattdessen werden exemplarisch die Lieder des Sängers Rossy durchleuchtet und in der Entwicklung der madegassischen Musik positioniert. Schließlich erhebt Rossy in dem eingangs zitierten Liedtext den Anspruch, seinen Brüdern Lieder aus dem eigenen Land und das „vakisaova“ zu bringen. Dem Versuch, sich dem vollen Bedeutungsumfang der Intention Rossys Lieder zu nähern, ist es deshalb dienlich, sich zunächst den „Liedern des Landes“ und dem „vakisaova“ zu widmen.
Erst nach einem Streifzug durch die Musiklandschaft Madagaskars und mit dem Hintergrundwissen über gesellschaftlich bedingte, musikalische Erscheinungen in derselben können Rossys Lieder sowohl vom Inhalt des Textes als auch musikalisch eingehender analysiert werden. Die nächste Fragestellung ergibt sich erneut aus der vorangestellten Lyrik: „Haody“ – „Weckruf“, überschreibt Rossy sein Lied. Die Überlegung, wer schläft, wer aufgeweckt werden soll und vor allem warum, lässt den Blick auf die politische Situation Madagaskars wandern, zu den Problemen, die Rossy in seinen Texten beschäftigen. Hier stehen die vielfältigen musikalischen Bewegungen ab 1970 im Vordergrund, die „Epoche der Entfremdung“, wie sie der Liedermacher Tselonina bezeichnet.[4] Aus ihr ergibt sich unmittelbar die Frage nach nationaler Identität in der madegassischen Musik, nach ihren Wurzeln und Zweigen, nach ihrem Wachsen und Werden.
2. Ein Blick in die Musiklandschaft Madagaskars
2. 1 Allgemeine Charakteristika
Madagaskars Musik vereinigt in sich den Synkretismus eines kulturellen Schmelztiegels. „The culture is, therefore, a mixture of African, Indonesian, Islamic and Creole.“[5][6] Trotz großer regionaler Unterschiede in den Musikformen lassen sich einige charakteristische Merkmale zusammentragen: In Stimmung und Harmonik überwiegen heptatonische Modi, wobei Pentatonik vor allem im Süden nachzuweisen ist. Allgemein ist die Mehrstimmigkeit weit verbreitet.
Bevorzugte Zusammenklänge sind die kleine oder die große Terz. Es ist unklar, ob und inwieweit dies als Akkulturationserscheinung zu werten ist. Es ist denkbar, dass im 19. Jahrhundert im Zuge institutionalisierter Einrichtung von Militärmusik im Heer des Königreichs Merina die „europäische“ Terz adaptiert wurde. Schließlich sorgte auch die Einrichtung von Musikschulen nach europäischem Vorbild für die Verbreitung der „europäischen“ Intervalle. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass der Wohlklang der Terz bereits bekannt war und sich nur Dank der „europäischen“ Bestätigung dieses Intervalls lokal weiter ausdehnte.
Die Übernahme von Elementen aus der Militärmusik erfolgte ebenfalls im weit verbreiteten Hira Gasy. Hierbei handelt es sich um eine musikalisch-theatrale Mischform, die jeweils sehr stark ihrem lokalen Kontext und jeweils aktuell politischen Inhalten angepasst ist.
Typische Vokaltechniken sind die gepresste Stimme, das Näseln im Hochland und das Vibrato im Süden. Aus den isometrischen Rhythmen gingen die vielen Tanzstile – der wohl bekannteste ist der salegy – hervor, deren metrische Vielgestaltigkeit auch im Ausland populär ist. Häufig ist das simultane und sukzessive Auftreten von binären und ternären Gestalten.
Der Rhythmus der madegassischen Musik ist gekennzeichnet durch die ständige Überlagerung von Duolen und Triolen. Es ist eine deutliche Trennung festzustellen zwischen dem Ablauf dieser rhythmischen Grundformeln (dargestellt durch Klatschen, Stampfen, rhythmisches Schnauben oder durch Rhythmusinstrumente) und dem Rhythmus der Singstimme (oder des solistisch improvisierenden Instrumentes). Der Rhythmus der Singstimmer scheint stark beeinflusst zu sein vom Rhythmus des Sprechens.[7]
Als nationaltypische Instrumente gelten die valiha (Bambusröhrenzither), die sordina (Bambusflöte), die kabosy (Laute), die gitara und das hararavo (Akkordeon).[8]
2. 2 Regionen und Stile
Die grobe Einteilung in Stilregionen kann eine kurze Skizze über die jeweilige Vielfalt der musikalischen Formen entwerfen. Das Hochland ist stark geprägt durch die Politik des Königreichs der Merina. Ab 1820 konzentrierte sich jeglicher Kontakt mit Europa auf die Hochlandebenen. Neben dem Handel waren es vor allem die Missionen, die zu musikalischen Begegnungen führten. Teilweise verdrängte die Verbreitung von liturgischer Musik oder europäischen Musizierstilen Existierendes, zum Teil entstanden Mischformen. Das vaho-drazana beispielsweise verbindet Elemente des Hira Gasy mit Volksmusik der europäischen Siedler. Dies wird allein in der Wahl der Instrumente evident: Trommeln, Violinen, Akkordeon, Trompeten und Klarinetten sind typisch. Die kalon ´ny fahiny sind „Gesänge von früher“. Die Duette in Sextparallelen haben sentimentalen Inhalt und sind vor allem im Hochland populär. Zafindraony wird zur Totenwache gesungen. Es handelt sich um polternde Chorgesänge mit selbständiger Basslinie. Rija heißt die Bardenmusik zu Plattstabzithern und vakisaova sind ursprünglich bei Festen vorgetragene Gesänge, deren Wurzeln bei den afrika-festlandsstämmigen Madegassen liegen, die im 18. und 19. Jahrhundert als Sklaven an den Königshof der Hauptstadt kamen[9][10]
Das ‚call-and-response-Prinzip’ wurde jedoch nicht bloß adaptiert, sondern erweitert durch Rhythmuswechsel und rhythmische Einschübe – geradezu geprägt von einer Lust, das fließende Prinzip eines durchgängigen Rhythmus aufzubrechen., zu variieren. Vakisoava heißt daher auch ‚gebrochener Rhythmus’.[11]
Seit den Musikgruppen Mahaleo und Rossy hat sich das vakisaova zum Inbegriff des „Kritischen Lieds“ Madagaskars entwickelt.
Jifi ist ein Erzählgesang, der vor allem im Süden, aber auch im Nordwesten große Sympathie findet. Der Interpret begleitet sich selbst auf der Laute, der valiha oder dem Akkordeon. Legendärster Vertreter dieser Gattung ist der Virtuose Rakotozafy. Osika ist als ein kollektives, zeremonielles Ereignis aufzufassen. Chor und Vorsänger singen im Wechsel, Händeklatschen und Trommelspiel begleiten den Gesang.
Der Süden war lange durch die weiten Steppen- und Savannengebiete isoliert und konnte sich so eine große Vielfalt an Stilen bewahren, die nicht mit europäischer Musik in Kontakt traten. Meist ist die Funktion der Musik hier aber eine ritual-sakrale, das Verfallen in Trance wesentlich.
2. 3 Die Musik als Identitätsstifter im Dienst des Sozialgefüges
Der unterschiedliche Kontext, in dem Musik konsumiert wird, geht eng mit der jeweiligen Bedeutung und der sozialen Aufgabe des Musizierens einher. Dabei ist zunächst auffällig,[12]
daß die uns geläufige Trennung zwischen U- und E-Musik für die Musik Madagaskars keinesfalls zutrifft. Es gibt keine kultische Musik, die nicht auch gleichzeitig ‚unterhaltend’ wäre und jede Form des Musizierens (sowohl das Musizieren von kleinen Gruppen von ‚Berufsmusikern’ als auch das gemeinsame Singen und Tanzen – Begriffe, die aufs engste miteinander verwandt sind –) ist an einen bestimmen Lebensvollzug der Gemeinschaft gebunden und daher letztlich Kult.[13]
[...]
[1] Das Wort „Haody“ ist ein unübersetzbarer Ausdruck des Grußes, wenn man ein Haus betritt und nicht weiß, ob jemand da ist.
[2] Was „vakisaova“ ist, soll im Nachfolgenden erläutert werden.
[3] Rossy 1983: Haody.
[4] Zitiert nach Kerker/Ralaindimby 1983, 1-2.
[5] Siehe Schmidhofer 1996.
[6] Graham 19888, 299.
[7] Suttner 1975, 21.
[8] Zur Frage des Nationaltypischen soll an späterer Stelle ausführlich diskutiert werden.
[9] Siehe Schmidhofer 1996.
[10] Erwähnenswert ist, dass nicht nur Sklaven zwangsweise „importiert“ wurden, sondern dass nachweisbar auch freiwillige Migration stattgefunden hat.
[11] Gesthuisen 1993, 16.
[12] Siehe Anderson 2006, Gesthuisen 1993, Randrianary 1999, Randrianary 2001, Schmidhofer 1994, Schmidhofer 1996 und Schmidhofer 1998.
[13] Suttner 1975, 21.
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