Schematheoretische Lesemodelle, Kontextualisierung und Textverstehen


Magisterarbeit, 2007

125 Seiten, Note: 1.0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Ballstaedts Konzeption – Texte verstehen, Texte gestalten
2.1 Resümee

3. Schema-Begriff: Schema, Frame und Script
3.1 Bartletts Schemata
3.2 Schank und Abelsons Scripts
3.3 Minskys Frames
3.4 Frames bei Goffman und bei der Kontextualisierungstheorie
3.4.1 Goffmans Rahmen
3.4.2 Kontextualisierung
3.5 Resümee

4. Schemata – Erwerb, Struktur, Lernen
4.1 Erwerb von Schemata
4.2 Struktur von Schemata
4.2.1 Repräsentation von Begriffsrelationen im LZG
4.2.1.1 Der Teachable Language Comprehender
4.2.1.2 Das Aktivationsausbreitungsmodell
4.2.1.3 Das PDP-Modell
4.2.2 Konzepte
4.2.2.1 Repräsentation von Konzepten im LZG
4.2.2.2 Konzepte als Schemata
4.2.3 Schemata als konnektionistische Netzwerke
4.2.3.1 Wissenserwerb
4.2.3.2 Lernen in neuronalen Netzwerken
4.3 Funktionen von Schemata für den Wissenserwerb
4.3.1 Aufmerksamkeitssteuerung
4.3.2 Integrationsfunktion
4.3.3 Modalität der gespeicherten Informationen
4.4 Resümee

5. Bedeutungskonstitution
5.1 Der Prozess der Bedeutungskonstitution
5.2 Ein interaktives Aktivierungsmodell der Worterkennung
5.2.1 PDP-Modelle und Worterkennung: Der CID-Mechanismus
5.3 Die Satzebene 75 5.3.1 PABLO (Programmable Blackboard Model)
5.3.2 Semantische Analyse bei PDP-Modellen
5.4 Die Beziehung lexikalischer Einheiten zu konzeptuellen Strukturen
5.5 Resümee

6. Ein schematheoretisches Lesemodell: Das zyklische Modell der Text-
verarbeitung
6.1 Das Modell von Kintsch & van Dijk (1978)
6.1.1 Die Struktur des semantischen Gedächtnisses
6.1.2 Die Textbasis
6.1.3 Inferenzen
6.1.4 Zyklische Textverarbeitung
6.1.5 Die Makrostruktur
6.1.6 Die Rolle von Schemata bei der Erstellung von Makrostrukturen
6.1.7 Kritik
6.2 Die Top-down-Variante des zyklischen Modells
6.2.1 Strategiegeleitete Textverarbeitung
6.2.1.1 Kontextuelle Strategien
6.2.1.2 Sprachliche Strategien
6.2.2 Lokale und globale Kohärenz
6.2.3 Kontextuelle und textuelle Makrostrategien
6.2.4 Schematische Strategien: Superstrukturen
6.2.5 Das Situationsmodell
6.3 Resümee

7. Schluss

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Wenn man einen Satz oder einen zusammenhängenden Text liest, oder gar ein ganzes Gespräch zwischen zwei oder mehreren Interaktanten verfolgt, dann wird schnell klar, dass es nicht allein das semantische und lexikalische Wissen ist, das benötigt wird, um die Bedeutung dessen zu verstehen, was da gelesen oder gehört wird. Dazu ein Beispiel (nach Schwarz 1992: 93): „Müllers sahen die Alpen, als sie nach Italien flogen“. Hier stößt das semantisch-lexikalische Wissen an seine Grenzen, denn durch die Ambiguität des Pronomens „sie“ wird aus dem Satzwissen allein nicht klar, wer oder was da fliegt. Für einen halbwegs kompetenten Sprecher des Deutschen birgt dieser Satz dennoch keine Schwierigkeiten, denn er weiß nun einmal, dass die Alpen ein Gebirge sind und dass diese nicht fliegen können. Bleiben nur noch Müllers, wovon er ersteinmal wissen muss, dass dieses Wort auf eine Gruppe von Personen verweist, die zusammen eine Familie bilden, die zwar auch nicht ohne weiteres fähig sind zu fliegen, weil diese Möglichkeit nur denjenigen Tieren und Insekten vorbehalten ist, die Flügel haben oder die leicht genug sind, vom Wind getragen zu werden. Aber immerhin ist es auch menschlichen Personen möglich zu fliegen – und zwar mittels eines Fluggeräts, das normalerweise ein Flugzeug sein wird. Doch all diese Informationen, die hier explizit gemacht worden sind, standen gar nicht im obigen Beispielsatz, sondern wurden inferiert – und zwar auf der Grundlage von Wissen, das es möglich macht, auch einzelne Satzfragmente innerhalb eines Kontextes zu verstehen.[1]

Hier noch ein weiteres Beispiel, das zeigt, wie unverständlich auch Gesprächsausschnitte sein können, wenn einem wichtiges Hintergrundwissen fehlt, mit dem man das Gesagte hinreichend interpretieren könnte (nach Gumperz 1982: 133):

„The graduate student has been sent to interview a black housewife in a low income, inner city neighborhood. The contact has been made over the phone by someone in the office. The student arrives, rings the bell, and is met by the husband, who opens the door, smiles, and steps towards him:

Husband: So y´re gonna check out ma ol lady, hah?

Interviewer: Ah, no. I only came to get some information. They called from the office.

(Husband, dropping his smile, disappears without a word and calls his wife.)“

Den Berichten zufolge verlief das Interview eher steif und unbefriedigend. Was ist hier geschehen? Warum verhielt sich der Ehemann zunächst freundlich gegenüber dem Studenten (der übrigens ebenfalls Afroamerikaner war) und reagierte dann plötzlich so harsch? Der Grund dafür ist aus den Gesprächsworten allein nicht herauszufinden, man muss gewissermaßen zwischen den Zeilen lesen und sein sozio-kulturelles Hintergrundwissen aktivieren, um zu verstehen, was dort geschehen ist. Der Satz des Ehemanns So y´re gonna check out ma ol lady, hah? ist nicht nur als Begrüßung zu verstehen, sondern auch als Anfrage, ob der Student mit dem Ehemann sozusagen auf gleicher „Wellenlänge“ ist. Der formelhafte Eröffnungszug gilt hier demnach als eine Art Code. Dadurch, dass der Student nicht, wie es der Ehemann erwartet hätte, im gleichen Stil antwortete, signalisierte er ihm irrtümlich, dass er (zumindest in diesem Moment) nicht als der Gruppe zugehörig galt – was der Ehemann wiederum als Beleidigung auffasste. Mit diesem Wissen ist es nun leichter, das Gespräch zu interpretieren: Der Student schlug, indem er einen anderen Code wählte das „Freundschaftsangebot“ des Ehemanns aus, woraufhin das Interview Gumperz zufolge nicht befriedigend verlief. Wäre der Student auf das Angebot eingegangen, indem er ebenfalls in einem Slang erwidert hätte: „ Yeah, I´ma git some info “ (ebd.: 133), wäre das Interview wahrscheinlich entsprechend besser verlaufen (vgl. ebd.: 133).

Für das Verstehen von einfachen Sätzen oder gar ganzen Dialogen reicht daher das semantische und lexikalische Wissen bei Weitem nicht aus. Um den Sinn einer Rede oder eines Textes adäquat zu erfassen, ist es für den Rezipienten unumgänglich, entsprechendes Hintergrundwissen zu aktivieren: Enzyklopädisches Wissen, sozio-kulturelles Wissen, Wissen über die aktuelle Redesituation und Wissen über den bisherigen Verlauf eines Dialoges oder eines Textes (also Ko- und Kontextwissen), Wissen über Interaktionsrollen, pragmatisches Wissen etc.

Dieses Wissen hat man sich als geordnet und strukturiert vorzustellen – gebündelt in Wissenspakete geht es in den Rezeptionsprozess ein und macht es überhaupt erst möglich, zu verstehen, zu behalten, zu lernen und zu reproduzieren. Die Rede ist von den sogenannten Schemata, Scripts und Frames etc.:

„Man WEISS etwas über alle zu einem (in der gesellschaftlichen Kommunikation relevanten) Sachverhalt dazugehörigen Objekt in einer außersprachlichen Bezugswelt. Hierher gehören die „scenes, chunks, frames“ usw. in der englischsprachigen Kommunikationswissenschaft und Soziologie des Alltagswissens. Das allgemeine Bezugswissen ist im speziellen Kommunikationsakt auf das gemeinsame Bezugswissen der Kommunikationspartner reduziert“ (v. Polenz 1985: 132).

Diese Arbeit beschäftigt sich also mit der Frage, auf welche Weise diese Wissenspakte in den Leseprozess eingehen und damit Textverstehen überhaupt erst ermöglichen. Im folgenden Kapitel wird der Leseprozess und wie Schemata daran beteiligt sind zunächst anhand den Ausführungen Ballstaedts et a. (1981) dargestellt. Da deren Ausführungen allerdings in einigen Punkten zu kurz greifen, werden in Kapitel 3 die Begriffe Schema, Frame und Script einander genauer gegenübergestellt und versucht, Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede herauszustellen. In Kapitel 4 wird versucht herauszufinden, welche Struktur kognitive Schemata haben bzw. auf welche Weise sie im Gedächtnis gespeichert und wie sie wirksam sind. In diesem Zusammenhang wird auch darauf eingegangen, wie Schemata überhaupt erworben werden. In Kapitel 5 werden die kognitiven Operationen beschrieben, die für das Erkennen eines Wortes im Satz notwendig sind – und damit, wie Schemata aktiviert werden könnten. In Kapitel 6 schließlich wird die Wortebene verlassen und anhand des zyklischen Modells der Textverarbeitung nach van Dijk & Kintsch (1983) erörtert, auf welche Weise globalere Schemata, wie etwa Wissen um kulturelle Kontexte, das Verständnis von Einheiten auf der Satzebene beeinflussen können.

2. Ballstaedts Konzeption – Texte verstehen, Texte gestalten

Eine erste Näherung an den Schema-Begriff bieten Ballstaedt et al. (1981). Die folgenden Ausführungen sollen gleichzeitig einen groben Überblick darüber geben, wie der Prozess des Lesens und des Verstehens eines Textes vor sich gehen könnte. Bei dieser Gelegenheit soll auch auf Unklarheiten bezüglich des von Ballstaedt et al. verwendeten Schema-Begriffes und dessen Wirkungsweise im Textverstehen eingegangen werden.

Nach der Vorstellung schematheoretischer Lesemodelle sind auf allen Ebenen des Leseprozesses schematisch organisierte Wissensstrukturen beteiligt, die textbezogene Informationen konzeptgesteuert bereichern und damit den Leseprozess ökonomisieren. Ballstaedt et al. definieren ein Schema als ein „ausgrenzbares konzeptuelles Teilsystem im [semantischen] Netzwerk, in dem aufgrund von Erfahrungen typische Zusammenhänge eines Realitätsbereiches repräsentiert sind“ (Ballstaedt et al. 1981: 27). Einem Schema liegen Verstehens- und Erkenntnisprozesse zugrunde. Schemata können verschieden differenziert sein sowie in weitere Schemata untergliedert werden. Daraus resultiert sich eine Hierarchie, die sich aus „erfahrungsmäßig gegebenen Verschachtelungen“ (ebd.: 28) ergibt.

Scripts nach Schank & Abelson (1977) sind „sehr komplexe Schemata, in denen allgemeines Wissen über Handlungs- und Ereignisfolgen in wohldefinierten Situationen repräsentiert sind“ (Ballstaedt et al. 1981: 28), einschließlich Wissen über Gegenstände, Personen und soziale Rollen in der betreffenden Situation.

Den mit diesen Begriffen verwandte Terminus Frame definieren Ballstaedt et al. nicht mehr genau. Im Folgenden verwenden sie die Begriffe Schema, Frame und Script weitgehend synonym.

Ist ein Schema aktiviert, erleichtert es die Informationsaufnahme in einer bestimmten Situation, indem es Antizipationen diesbezüglich hervorruft. Es bildet sich eine Erwartungshaltung darüber aus, was in einer bestimmten Situation normalerweise anzutreffen ist. Diese Erwartungen ergeben sich aus den Leerstellen eines Schemas – sie werden in einer Situation probehalber ausgefüllt. Das Individuum bildet sozusagen vorläufige Hypothesen darüber aus, was als nächstes geschieht oder was alles in der Situation normalerweise vorhanden ist, und diese Hypothesen werden durch das Informationsangebot in der konkreten Situation entweder bestätigt, modifiziert oder revidiert.

Bezogen auf das Lesen und Verstehen eines Textes werden ebenfalls Leerstellen eröffnet und durch das Informationsangebot ausgefüllt. Durch die Leerstellenausfüllung (default assignment) ist auch das Ziehen von Schlussfolgerungen und Inferenzen möglich: Bestimmte Informationen sind dem Leser präsent, obwohl sie im Text gar nicht genannt werden (vgl. ebd.: 27 ff.). So weiß der Leser automatisch, dass der Agent in dem Satz Peter isst eine Pizza im Restaurant Messer und Gabel verwendet, dass er auf einem Stuhl sitzt und dass er seine Speise später bezahlen und (eventuell) dem Ober ein Trinkgeld geben wird.[2] Inferenzen gehen demnach über die im Text enthaltenen Informationen hinaus und werden durch Wissensstrukturen ermöglicht, die sich auf stereotype Situationen beziehen.

Die o.g. Prozesse der Leerstellenausfüllung und Inferenzen setzen bereits auf der Ebene der Worterkennung ein. Auf der untersten Ebene des Leseprozesses stehen subsemantische Prozesse der Wort- und Buchstabenerkennung, also „die Verbindung eines visuellen graphischen Bildes mit einer Einheit im Lexikon des Lesers und dann einem Konzept im semantischen Gedächtnis“ (ebd.: 41). Ballstaedt et al. referieren kurz über die im Leseprozess vonstatten gehenden sakkadischen Augenbewegungen – diese sind für die vorliegende Arbeit nicht weiter wichtig. Einen guten Überblick über dieses Phänomen bietet z.B. Pöppel (2000: 11 ff.). Wichtiger ist die Frage, wie ein Wort überhaupt erkannt wird und wie das grafische Bild mit Bedeutung angereichert wird. Tritt dem Leser ein ihm unbekanntes Wort entgegen, so muss der Leser sequenziell Buchstabe für Buchstabe vorgehen. Hier sind bereits Buchstabenschemata wirksam, bei denen schon wenige grafische Merkmale aufsteigend (bottom-up) ein Schema aktivieren, welches absteigend (top-down) die grafischen Hinweisreize zu einem Buchstaben vervollständigen. Analog dazu werden auch Silben- und Wortschemata angenommen – das sind ganze Buchstabenkombinationen, die in der ontogenetischen Lerngeschichte des Lesers häufig ko-okkurierten. Der Leser weiß somit erfahrungsgemäß, dass einige Buchstabenkombinationen wahrscheinlicher sind als andere (vgl. Ballstaedt et al. 1981: 41 ff.).

Ballstaedt et al. sind also der Meinung, dass bereits bei einer subsemantischen Verarbeitung Schemata wirksam sind, die dazu beitragen, dass Buchstaben, Silben und Wörter schneller erkannt werden, wenn die entsprechenden Kombinationen dem Leser aufgrund seines Vorwissens geläufig sind.[3] Die entsprechenden schematischen Strukturen ergeben sich aus der Geübtheit des Lesers mit typischen Buchstabenkonstellationen. Da es sich hierbei um subsemantische Verarbeitungsprozesse handelt, sind in diesen Schemata keine bedeutungshaltigen Informationen gespeichert, sondern implizites Wissen um typische Reizkonstellationen. Unklar bleibt jedoch, wann die Bedeutung eines Wortes ins Spiel kommt, und wie diese abgerufen wird.

Ballstaedt et al. merken dazu lediglich an, dass mit dem Erkennen von Wörtern eine Aktivierung von Konzepten im semantischen Gedächtnis einhergeht und widmen sich dann der Frage, wie man von nebeneinander stehenden Wörtern zur Bedeutung eines Satzes kommt. Es handelt sich um die semantisch-syntaktische Verarbeitung. Auch hier sind Schemata am Werk, welche mit textgeleiteten Verarbeitungsprozessen Hand in Hand gehen, damit am Ende eine Proposition extrahiert werden kann.

Eine Proposition besteht aus einem Prädikat, das ein oder mehrere Argumente miteinander in Beziehung setzt. Die Argumente sind Konzepte. Eine Proposition wird als Schema aufgefasst und die Argumente als Leerstellen des Schemas, für die es bestimmte Restriktionen gibt: Das Verb essen z.B. fordert notwendigerweise einen Esser und ein Objekt, also die Speise, wobei weitere Angaben, etwa Spezifizierungen hinsichtlich Zeit- und Ortsangaben sowie Angaben der Art und Weise des Essens optional sind. Ein Text kann als eine Liste von Propositionen dargestellt werden. Diese Propositionsliste ist eine durch einen Autor „objektivierte Wissensstruktur“ (Ballstaedt et al. 1981: 22), weil die semantischen Relationen zwischen den Konzepten fixiert wurden. Die Regeln für die Erstellung einer Propositionsliste werden in Kap. 6.1.2 ausführlicher beschrieben.

Bei der semantisch-syntaktischen Analyse werden nun aus der Oberflächenstruktur des Textes Propositionen extrahiert. Zwei unterschiedliche Prozesse sind daran beteiligt. Ein einfacher Satz wie Das Kind isst den Apfel kann bereits anhand einer einfachen semantischen Analyse verstanden werden. Durch das Verbkonzept ESSEN wird ein Schema aktiviert, das Informationen über die Verbvalenzen enthält. Es fordert nämlich einen Agenten, den Esser, und ein Objekt, einen essbaren Gegenstand. Der Leser erwartet folglich nach der Perzeption des Wortes essen Argumente, die diese semantischen Rollen erfüllen. Wenn die Leerstellen adäquat gefüllt werden, kann der Satz auch ohne syntaktische Analyse aufgrund von semantischem Wissen verstanden und eine eindeutige Proposition gewonnen werden.

Anders sieht es aus bei dem Satz Der Sohn schlägt den Vater. Hier sind die beiden Satzsubjekte einander austauschbar, sodass die semantische Analyse allein versagt. Es muss noch eine syntaktische Verarbeitung hinzugezogen werden, bei der der Satz in Wörter und Wortgruppen untergliedert wird. Im Falle dieses Beispiels wird durch Der Sohn das Satzschema für einen aktiven Aussagesatz aktiviert, das aus einem Satznetzwerk und einem Subnetzwerk für Nominalphrasen besteht. Dadurch werden Satzsubjekt und -objekt ermittelt, wodurch sich eine eindeutige Proposition gewinnen lässt. Die Syntax kommt also nur dann ins Spiel, wenn die semantische Analyse versagt: „Die Syntax hat nur eine Hilfsfunktion bei der Konstruktion von Bedeutungseinheiten aus der Satzoberfläche“ (ebd.: 51). Ballstaedt et al. nehmen an, dass beide Prozesse nicht sequenziell, sondern parallel ablaufen (vgl. ebd.: 46 ff.).

Bei der semantischen Analyse verwendet der Leser daher sein Wissen über die Welt, um eine Proposition zu gewinnen, bei der syntaktischen Analyse jedoch sein Wissen über die Syntax. Es handelt sich hier also um Schemata, welche zwei Arten von Wissensressourcen verwenden: Schemata der semantischen Verarbeitung beziehen ihre Informationen aus dem semantischen Wissen. Schemata der syntaktischen Verarbeitung jedoch beziehen ihre Informationen aus dem prozeduralen Gedächtnis, welches implizit und nicht verbalisierbar ist.[4]

Als nächstes widmen sich Ballstaedt et al. der Frage, durch welche Prozesse Propositionen miteinander im Arbeitsgedächtnis (AG) des Lesers verbunden und ins Langzeitgedächtnis (LZG) übertragen werden und auf welche Weise dabei Schemata am Werke sind. Dazu beziehen sie sich auf das zyklische Modell der Textverarbeitung nach Kintsch & van Dijk (1978), das in Kap. 6 genauer dargestellt wird. Hier soll nur genügen, dass der Leser die Propositionsliste nicht in einem Stück, sondern in mehreren, aufeinander folgenden Zyklen sukzessive in das LZG überführt. Nicht alle Propositionen werden aus Gründen der Sprachökonomie an der Textoberfläche explizit verbalisiert – der Autor geht davon aus, dass der Leser eine entsprechende Inferenz ziehen kann: Die fehlende Proposition wird durch leserseitiges Wissen eingefügt und die Kohärenz wiederhergestellt. Die Propositionsliste wird allerdings nicht en detail gespeichert, sondern wird in ihrer Komplexität angemessen reduziert, indem die Propositionen durch Anwendung bestimmter Transformatoren auf eine abstraktere Ebene überführt werden. Die Anwendung und Reichweite dieser Transformatoren unterliegt der Obhut semantischen Wissens und textsortenspezifischer Schemata. Auch diese Punkte werden in Kap. 6 genauer betrachtet.

2.1 Resümee

Schemata sind nach Ballstaedt et al. aktive, ausgrenzbare konzeptuelle Teilsysteme eines semantischen Netzwerkes, in denen „aufgrund von Erfahrungen typische Zusammenhänge eines Realitätsbereiches repräsentiert sind“ (Ballstaedt et al. 1981: 27). Sie können verschieden differenziert und unterschiedlich komplex sein und besitzen Leerstellen, die in einer konkreten Situation probehalber ausgefüllt werden. Diese Leerstellen bilden Erwartungen darüber aus, was in einer typischen Situation normalerweise zu finden ist und erlauben daher eine schnellere Informationsaufnahme.

Schemata sind Wissensstrukturen, die durch die Erfahrung des Individuums mit wiederkehrenden, ähnlichen Situationen zustande kommen. Dass dieses Wissen unbedingt semantischer Natur sein muss, darf bezweifelt werden. Denn laut Ballstaedt et al. kommen Schemata auf unterschiedlichen Ebenen des Leseprozesses zum Einsatz – beginnend mit der subsemantischen Ebene. Das schematische Wissen des Lesers kann auf dieser Ebene der Verarbeitung noch gar nicht semantischer Natur sein, sondern ist impliziter, nicht-deklarativer Natur – es handelt sich um prozedurales Wissen. Ebenfalls prozedurales Wissen ist bei der syntaktischen Analyse am Werk, bei der durch Satznetzwerke und entsprechende Subnetzwerke Wortgruppen und Wörter hinsichtlich ihrer syntaktischen Funktion klassifiziert werden. Diese Prozesse sind deswegen prozedural, weil sie dem Leser nicht bewusst werden und er das entsprechende Wissen auch nicht verbalisieren kann. Anders sieht es bei der semantischen Verarbeitung aus: Hier kommt semantisches Wissen ins Spiel, mit Hilfe dessen eine Proposition eindeutig extrahiert werden kann. Auf der interpropositionalen Ebene sorgen Schemata für die Kohärenz der Propositionsliste. Auf der globalen Diskursebene schließlich tragen Schemata dazu bei, abstraktere Repräsentationen des Textes zu bilden.

Ballstaedt et al. differenzieren nur ungenügend zwischen den Begriffen Schema, Frame und Script. Sie verwenden die Begriffe synonym. Es muss daher geklärt werden, worin sich diese Begriffe unterscheiden und welche Akzente die jeweiligen Konzeptionen betonen. Zweitens wird nicht ausdrücklich gesagt, ob Schemata ausschließlich Teil des semantischen Gedächtnisses sind, oder ob die schematische Organisation von Wissen sowohl das prozedurale als auch das semantische Gedächtnis betrifft. Drittens machen Ballstaedt et al. keine genauen Angaben darüber, wie Schemata dargestellt werden. Damit verbunden ist die Frage, ob Schemata statisch im Gedächtnis gespeichert sind, oder ob sie in den Verbindungsstärken der Kanten konnektionistischer Netzwerke nur implizit vorhanden sind (vgl. dazu Kap. 4.2.3). Weiterhin werden Prozesse der Worterkennung vereinfacht und Prozesse der lexikalischen Aktivierung unterschlagen. Und schließlich berücksichtigt das von ihnen dargestellte Modell der Textverarbeitung nach Kintsch & van Dijk (1978) keine kontextuellen Faktoren, noch wird es dem on-line-Charakter der Sprachverarbeitung gerecht.

3. Schema-Begriff: Schema, Frame und Script

3.1 Bartletts Schemata

Da der Begriff des Schemas durch Ballstaedt nur ungenügend definiert wird, soll er nun anhand seiner Genese dargestellt und verwandten Konzeptionen gegenübergestellt werden.

Der Schema-Begriff geht vor allem auf Bartlett (1932) zurück, der sich entgegen der traditionellen Gedächtnispsychologie mit sinnhaftem Lernmaterial beschäftigt.

Bartlett kritisiert die Gedächtnispsychologie in der Tradition von Ebbinghaus, in der vorzugsweise mit sinnlosem Silbenmaterial gearbeitet wurde, um dem Gedächtnis quasi in seiner Reinform auf die Spur zu kommen. Ebbinghaus (1885) verwendet deswegen sinnlose Silben, um unerwünschte Assoziationen mit den Stimuli sowie eine kognitive Organisation des Lernmaterials zu verhindern, da gerade das sinnvolle Strukturieren (chunking, vgl. Miller 1956) ein wirksames Mittel ist, gelerntes Material länger im Gedächtnis zu behalten. Die daraus resultierende Art des Erinnerns kommt jedoch der des Alltags in keinster Weise nahe, denn im Alltag begegnet uns mannigfaltig sinnhaftes Material, und ist es einmal eher sinnarm, wie es etwa bei Konto- oder Pinnummern der Fall ist, dann wird es oft in einer Weise strukturiert, dass es Sinn bekommt. Bartlett kritisiert konkret dreierlei an der Ebbinghausschen Theorie:

„(a) It is impossible to rid stimuli of meaning so long as they remain capable of arousing any human response. (b) The effort to do this creates an atmosphere of artificiality for all memory experiments, making them rather a study of the establishment and maintenance of repetition habits. (c) To make the explanation of the variety of recall responses depend only upon variations of stimuli and of their order, frequency and mode of presentation, is to ignore dangerously those equally important conditions of response which belong to the subjective attitude and to predetermined reaction tendencies“ (Bartlett 1932: 4).

Aus diesen Gründen verwendet Bartlett in seinen Experimenten lediglich solches Material, mit dem Menschen im Alltagsleben zu tun haben. Besondere Aufmerksamkeit erlangen seine Versuche mit der indianischen Erzählung The War of the Ghosts. In diesem Versuch entdeckt Bartlett, dass die Versuchspersonen (Vpn) nicht in der Lage sind, diese Geschichte fehlerfrei wiederzugeben, obwohl die Vpn selbst glauben, dies getan zu haben. In Wirklichkeit aber stellt sich heraus, dass die Vpn vielfach Umstrukturierungen vorgenommen, einige Details vergessen und andere Details hinzugefügt haben, welche gar nicht in der Geschichte vorkommen. Bartlett kommt zu dem Schluss, dass die Ursache dieser Transformationen im Vorwissen der Personen liegt, das z.B. Wissen über normative Konstituenten einer Geschichte beinhaltet. Enthält eine Geschichte keine Moral, wird diese Moral zu einem späteren Zeitpunkt der Reproduktion einfach hinzugedichtet, weil die Vpn es anscheinend gewohnt sind, dass Geschichten mit einer Moral enden (vgl. ebd.: 65 ff.). Diese Effekte treten nicht nur bei längerem Material auf, sondern finden sich auch bei kürzeren Texten:

„Even when material is arranged in a short series, is small in bulk and simple in objective structure, and when it is so given that an observer knows that he will be asked to describe it later, remembering is rapidly affected by unwitting transformations: accurate recall is the exception and not the rule” (ebd.: 61).

Gründe für derartige Transformationen sieht Bartlett in Vorwissensstrukturen, die dafür verantwortlich sind, dass sich die fehlerhaften Reproduktionen in vieler Hinsicht ähneln. Je länger der Zeitraum zwischen Enkodier- und Reproduktionssituation, desto größer ist Bartlett zufolge der Einfluss dieser Wissensstrukturen, sodass die Inferenzen, die mit ihrer Hilfe gezogen werden, ein immer stärkeres Gewicht bekommen (vgl. ebd.: 33 ff.). Bartlett kommt zu folgendem Schluss:

„Remembering is not the re-excitation of innumerable fixed, lifeless and fragmentary traces. It is an imaginative reconstruction, or construction, built out of the relation of our attitude towards a whole active mass of organised past reactions or experience, and to a little outstanding detail which commonly appears in image or in language form“ (ebd.: 213).

Diese vergangenen Erfahrungswerte nennt Bartlett Schemata:

„’Schema’ refers to an active organisation of past reactions, or of past experiences, which must always be supposed to be operating in any well-adapted organic reponse. […] Determination by schemata is the most fundamental of all the ways in which we can be influenced by reactions and experiences which occurred some time in the past” (ebd.: 201).

Ein Schema ist demzufolge eine Struktur, die das Wissen und die Erwartungen um einen Ausschnitt aus der Welt repräsentiert – sozusagen ein Modell eines Teils der Umwelt und der Erfahrung. In dem Moment, in dem ein Schema aktiviert wird, kann das Subjekt verstehen, was vor sich geht, denn das Schema beinhaltet alles, was das Subjekt von der Welt weiß. Wenn es aber mit einem Material konfrontiert wird, dass noch nicht an das Schema angegliedert worden ist, werden Verzerrungen bei der späteren Reproduktion auftreten (vgl. Baddeley 1990: 335).

Der Nutzen von Schemata liegt darin, den Perzeptionsprozess durch Erwartungen fein abzustimmen und dadurch auf im nächsten Moment einkommende Wahrnehmungen vorzubereiten. Daraus folgt, dass auf diese Wahrnehmungen wenig Aufmerksamkeit verwendet werden muss, wodurch Aufmerksamkeitsressourcen für neue, informativere Objekte frei werden (vgl. Mandler 1984: 105). Schemata sind also

„Voraussetzung und (aufgrund ihrer potentiellen Veränderbarkeit durch neue Erfahrungswerte) auch zugleich Ergebnis aller Informationsverarbeitungsprozesse. Als komplexe Organisationseinheiten stellen sie die Grundlage für alle konzeptuellen Prozesse dar. Sie werden in Form von Netzwerken dargestellt, wobei die konzeptuellen Einheiten als Variablen bzw. Slots (die allgemeine stereotypische Charakteristika – Defaults – aufweisen) konzipiert sind. Die Variablen werden in Verstehensprozessen mit konkreten Werten (Fillers) besetzt“ (Schwarz 1996: 92).

3.2 Schank und Abelsons Scripts

Ein weiterer zentraler Begriff in der Schema-Theorie ist der des Scripts nach Schank & Abelson (1977). Er soll in diesem Kapitel genauer dargelegt werden.

Der Ausgangspunkt von Schank und Abelson ist der, dass zum Verstehen eines Satzes nicht nur lexikalisches und syntaktisches Wissen benötigt wird, sondern auch Weltwissen, mit dessen Hilfe implizite Informationen entfaltet werden können: „The reader brings a large repertoire of knowledge structures to the understanding task“ (Schank & Abelson 1977: 10). Aus Gründen der Sprachökonomie lassen Sprecher viele, eher triviale Informationen aus, die der Hörer inferieren muss, um zwischen Sätzen Kohärenz herzustellen – nach Schank und Abelson werden Kausalketten (causal chains) inferiert, welche aus elementaren, „primitive acts“ (vgl. ebd.: 12 ff.) bestehen und aus denen sich komplexere Verben bzw. Handlungen zusammensetzen, ganz wie ein Molekül aus Atomen besteht.

Aus diesen „primitive acts“ setzen sich nun auch die Scripts zusammen, auf die in diesem Abschnitt genau eingegangen werden soll. Die Informationen, die in Scripts enthalten sind, bezieht das Individuum nicht aus dem allgemeinen Weltwissen (general knowledge), sondern aus einem speziellen, aus der Erfahrung mit bestimmten, typischen und wiederkehrenden Situationen entwachsenem Wissen (specific knowledge). Mit Hilfe dieses speziellen Situationswissens können Scripts die Kohärenz zwischen Sätzen herstellen und somit ihre Konnektivität bewahren, indem durch sie die fehlenden Informationen inferiert werden: „What scripts do, then, is to provide connectivity“ (ebd.: 40).

Ein Script wird von Schank und Abelson als eine vorgegebene, stereotype Sequenz von Handlungen beschrieben, die eine wohldefinierte Situation repräsentiert, bei denen auch einige Handlungen und Objekte unausgesprochen bleiben können, weil sie durch das Script bereits implizit erwähnt werden:

„A script is a structure that describes appropriate sequences of events in a particular context. A script is made up of slots and requirements about what can fill those slots. The structure is an interconnected whole, and what is in one slot affects what can be in another. Scripts handle stylized everyday situations. They are not subject to much change, nor do they provide the apparatus for handling totally novel situations. Thus, a script is a predetermined, stereotyped sequence of actions that defines a well-known situation. Scripts allow for new references to objects within them just as if these objects had been previously mentioned; objects within a script may take ‘the’ without explicit introducing because the script itself has already implicitly introduced them” (Schank & Abelson 1977: 41).

Ein Script wird nicht nur durch die darin vorkommenden stereotypischen Handlungen in einer bestimmten „Normalsituation“ konstituiert, sondern auch durch die darin vorkommenden Aktanten und den damit verbundenen Rollen. Daher ist ein Script immer nur von der Perspektive eines Aktanten zu formulieren (vgl. ebd.: 41 f.).[5]

Damit ein Script instantiiert werden kann, müssen bestimmte Eingangsbedingungen vorhanden sein, die die Eröffnung des Scripts rechtfertigen. Beim Restaurant-Script wären dies etwa Hungergefühle und entsprechende finanzielle Ressourcen des Gastes (vgl. ebd.: 46 ff.).

In ein und derselben Situation können mehrere Scripts vorhanden sein – sie sind entweder ineinander eingebettet (z.B. bei „personal scripts“, durch die ad hoc konstruierte Ziele in einen größeren Situationsrahmen eingefügt werden), gehen ineinander über oder konkurrieren miteinander um die eingehenden Informationen (welche Information gehört also zu welchem Script?). Wenn zwei oder mehrere Aktanten das laufende Script kennen und dieses damit zu einem geteilten Wissenshintergrund wird, resultiert daraus eine soziale Ökonomie, wodurch gegenseitiges Verstehen und ein rascher, koordinierter Handlungs-vollzug hinsichtlich eines bestimmten Ziels möglich sind (vgl. ebd.: 57 ff.).

Außer von „personal scripts“ sprechen Schank und Abelson noch von instrumentellen Scripts. Diese beschreiben ebenfalls festgelegte Aktionssequenzen, jedoch unterscheiden diese sich von situationalen Scripts (wie etwa das Restaurant-Script) in der Art der Handlungen, die dadurch festgelegt werden, sowie in der Variabilität der Sequenzen. Es handelt sich bei instrumentellen Scripts um minimale Handlungssequenzen mit festgelegten Handlungszielen, bei denen jedes Handlungselement vollzogen werden muss, damit das Ziel erreicht werden kann. Als Beispiele für derartige Miniscripte nennen Schank und Abelson das Anzünden einer Zigarette, ein Auto anlassen oder Eier kochen. Derartige Scripts oder einzelne Handlungselemente werden den Autoren zufolge im Gegensatz zu situationalen Scripts relativ schnell wieder vergessen bzw. es wird sich nur noch an die durch diese Scripts erreichten Ziele erinnert (vgl. Schank & Abelson 1977: 61 ff.).

An dieser Stelle werden zwei wichtige Eigenschaften von Scripts deutlich. Erstens tragen sie zu einer hohen Speicherökonomie des Gedächtnisses bei, weil unwichtige Informationen getrost vergessen werden können – sie lassen sich bei Bedarf in jeder Situation anhand des Handlungsziels rekonstruieren:

„In fact, it is not unplausible to even forget the script entirely, to save space and processing time. The reason that this can be done is that an instrumental script can always be rediscovered. If someone is smoking a cigarette, it must have gotten lightened somehow. If, for some reason we ever need to use this fact, it can be inferred and found easily as if we had been told it” (ebd.: 66).

Zweitens sind Scripts hierarchisch organisiert: Umfassendere, situationale Scripts bestehen aus kleineren, instrumentellen Scripts. Zusätzlich können in situationalen Scripts personale Scripts eingebettet sein (vgl. ebd.: 66).

Scripts sind demnach gespeicherte Handlungsmuster, welche in vergangenen, spezifischen Lernsituationen erworben wurden. Aus diesem Grunde sind Schank und Abelson der Ansicht, dass das Verstehen bekannter Situationen zumindest zum allergrößten Teil auf Scripts basiert:

„In order to understand the actions that are going on in a given situation, a person must have been in that situation before. That is, understanding is script-based. The actions of others make sense in so far, as they are part of a stored pattern of actions that have been previously experienced. Deviations from that patterns are handled with some difficulty. […] New information is understood in terms of old information. By this view, man is seen as a processor that only understands what it has previously understood” (ebd.: 67).

Wie wird nun mit neuen Situationen umgegangen, für die noch keine Handlungsmuster gespeichert sind? Nach Schank und Abelson ist dies dadurch möglich, dass sich die betreffende Person Pläne macht. Da derartige Pläne die Basis für Scripts sind, soll nun auch darauf noch kurz eingegangen werden.

Durch einen Plan können mit Hilfe allgemeiner, verfügbarer Informationen Ereignisse miteinander verbunden werden – und zwar geschieht dies dann, wenn kein Script oder keine Kausalkette vorhanden ist, welche diese Aufgabe leisten könnte (vgl. Schank & Abelson 1977: 70). Ein Plan wird aufgrund eines bestimmten Ziels[6] gemacht und besteht aus einer Serie von (projizierten) Handlungen, die für die Zielerreichung notwendig sind. Routinisierte Pläne avancieren zu Scripts, weil sie oft erstellt werden und sind daher deren Ursprung: „Plans form the general mechanism that underlies scripts“ (ebd.: 97). Der Unterschied zwischen Scripts und Plänen besteht darin, dass Scripts nur in spezifischen Situationen anwendbar sind, Pläne jedoch aufgrund ihres höheren Abstraktionsniveaus eher genereller Natur sind (vgl. ebd.: 71 f.).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Scripts in episodischen Ereignissen sukzessive aufgebaut, gefestigt und elaboriert werden, indem bestehende Erwartungen entweder bestätigt oder nicht bestätigt werden. Außerdem haben Menschen übergreifende Themen, aus denen sich bestimmte Ziele ergeben, die wiederum bestimmte Pläne erfordern, mit denen man diese Ziele erreichen kann. Werden Pläne mehrmals durchgeführt, sodass sie zur Routine werden, entsteht daraus ein Script. Ein Script besteht aus normalen Handlungsabfolgen in einer normalen, bekannten Situation inklusive der Rollen der darin auftretenden Aktanten. Es gibt Eingangsbedingungen und Ziele, durch die ein Script aktiviert wird. Scripts können ineinander eingebettet bzw. hierarchisch organisiert sein, indem umfassendere Scripts speziellere Scripts umschließen, oder sie können ineinander übergehen. Da die Teilhandlungen, aus denen Scripts bestehen, vergessen werden können und nur die damit zu erreichenden Ziele und Unterziele gespeichert werden – wobei fehlende Sequenzen im Normalfall mühelos rekonstruiert werden können –, tragen Scripts zu einer hohen Speicherökonomie im Gedächntnis bei. Werden also in einem Text typische Teilhandlungen oder geläufige Handlungsziele genannt, durch die ein Script aktiviert wird, werden auch inkohärente Texte verstanden, weil der Leser auf der Grundlage seines Wissens die fehlenden Informationen top-down inferiert.

3.3 Minskys Frames

Der letzte Begriff, der in Ballstaedts (1981) Ausführungen erwähnt wird, ist der Frame -Begriff. Bedauerlicherweise wurde er von Ballstaedt nicht näher beschrieben – zurecht, wie sich herausstellen wird. Er soll in diesem Kapitel dennoch näher untersucht werden. Dabei ist zu beachten, dass der Frame-Begriff innerhalb zweier verschiedener Theorien verwendet wird. Der erste Zugang stammt von Minsky. Minskys Überlegungen stammen aus der KI-Forschung und eignen sich nicht nur zum Aufbau geeigneter Wissensbasen von Computerprogrammen, sondern auch als Hypothese über die Struktur des menschlichen Gedächtnisses. Minskys eigentliches Ziel war aber der „Entwurf eines effizienten Modells zur maschinellen Repräsentation menschlichen Wissens“ (Konerding 1993: 25). Auf der anderen Seite stehen die Beobachtungen Goffmans (1980), der den Begriff Frame innerhalb eines soziologischen Ansatzes verwendet. Seine Fragestellung lautet, wie Menschen Geschehnisse im Alltagsleben interpretieren – also welche Interpretations-schemata als Rahmen / Frames angewendet werden, um zu verstehen, was gerade vor sich geht. Auf diesen Frame-Begriff bezieht sich Gumperz (1982) explizit und entwickelt auf dieser Grundlage das Konzept der Kontextualisierung. Es soll ebenfalls weiter unten dargestellt werden. Doch zunächst zu dem Frame-Begriff in Minskys Konzeption. Er definiert diesen Begriff folgendermaßen:

„When one encounters a new situation (or makes a substantial change in one´s view of a problem), one selects from memory a structure called a frame. This is a remembered framework to be adapted to fit reality by changing details as necessary. A frame is a data-structure for representing a stereotyped situation like being in a certain kind of living room or going to a child´s birthday party. Attached to each frame are several kinds of information. Some of this information is about how to use the frame. Some is about what one can expect to happen next. Some is about what to do if these expectations are not confirmed“ (Minsky 1977: 355; 1982: 95 f.).

Ein Frame wird als ein Netzwerk aus Knoten und Relationen zwischen diesen Knoten dargestellt. Die höheren Ebenen sind dabei unveränderlich und repräsentieren Dinge, die in der betreffenden Situation immer wahr sind. Untere Ebenen besitzen terminals oder slots, die durch spezifische Informationen gefüllt werden müssen. Jeder slot kann bestimmte Konditionen darüber beinhalten, was ihn füllen darf und was nicht, wobei die Füller selbst als kleinere Sub-Frames dargestellt werden. Die Bedingungen über die Adäquatheit eines Füllers werden durch markers spezifiziert. Diese können etwa fordern, dass ein Füller eine Person, ein bestimmtes Objekt oder ein Verweis zu einen anderen, bestimmten Sub-Frame sein muss. Durch komplexere Bedingungen können die Relationen zwischen den Füllern spezifiziert werden, die in verschiedene slots fallen. Mehrere miteinander verbundene Frames können durch ein Frame-System zusammengefasst werden, welche die gleichen slots teilen. Normalerweise sind die terminals eines Frames bereits durch Standardwerte (default assignments) besetzt, was sich als Erwartungshaltung oder andere Arten von Vorannahmen äußert. Da die Standardwerte nicht zwingend an die slots gebunden sind, können sie jederzeit leicht durch neue Einheiten ersetzt werden, die besser in die aktuelle Situation passen. Die Frame-Systems sind ihrerseits mit einem information retrieval network verbunden. Falls ein aktivierter Frame nicht in die aktuelle Situation passt, weil die slots nicht adäquat ausgefüllt werden können, sorgt dieses Netzwerk dafür, dass ein alternativer Frame aktiviert wird (vgl. Minsky 1977: 355 f.).

Ein Vergleichsprozess sieht dann Minsky zufolge folgendermaßen aus: Zuerst wird ein aktivierter Frame darauf untersucht, ob er selbst überhaupt in die Situation passt. Dies ergibt sich aus dem Wissen und der Wahrnehmung der aktuellen Situation. Das momentane Handlungsziel entscheidet darüber, welche slots und welche Bedingungen der Realität entsprechen müssen. Dann muss nach Informationen gesucht werden, die solche slots füllen, welche die Standardwerte nicht beibehalten können. Falls es dann zu einer Transformation kommen sollte (etwa durch eine Handlung, die eine andere Perspektive zu einem Gegenstand einnehmen und damit auch weitere Frames benötigen würde), wird die Kontrolle an einen anderen Frame des Frame-Systems weitergegeben, der den neuen Ansprüchen der Situation genügt (vgl. ebd.: 359). Müller (1984) fasst den Begriff Frame folgendermaßen zusammen:

„Das Wesentliche an Konstrukten wie FRAMES [...] ist also die Tatsache, daß sie typisierte Situationen repräsentieren, in denen ’erfahrungsgemäße’ Zusammenhänge zwischen Sachverhalten berücksichtigt werden können. [...] Des weiteren besitzen FRAMES eine prospektiv-antizipatorische Komponente, die über die bereits erwähnten hypothetischen Annahmen Informationen schafft, noch bevor diese realiter eingetroffen sind“ (Müller 1984: 42 f.).

Minskys Frames haben daher die gleichen Charakteristika wie Bartletts Schemata und Schank & Abelsons Scripts: Sie treten hierarchisch gegliedert auf, repräsentieren stereotype Situationen und besitzen variable Elemente, die ihre Bestätigung aus der Umwelt beziehen und damit in Form von Antizipationen auftreten. Diese sind dann die Grundlage von Inferenzen, die dann auftreten, wenn das Informationsangebot aus der Umwelt die Leerstellen nicht füllt und auch von diesen Informationen her nichts dagegen spricht, wenn diese Variablen mit Standardwerten gefüllt werden. Der einzige Unterschied zwischen Schemata, Scripts und Frames besteht darin, dass Scripts eine eher dynamische Dimension haben, weil sie sich ausschließlich auf stereotype Handlungen beziehen. Schemata und Frames jedoch sind eher statische Wissenspakete, die erfahrungsmäßig gebildetes Wissen um Gegenstände und Sachverhalte beinhalten. Dass dazu auch Handlungswissen gehört, wird weder bei Bartlett noch bei Minsky verneint. Ein weitere Unterschied besteht nach Mandler (1984) darin, dass Scripts viel mehr als Frames an einen spezifischen Inhalt gebunden sind und viel eher konkret spezifizierte Aktionen beschreiben (vgl. Mandler 1984: 75).

3.4 Frames bei Goffman und bei der Kontextualisierungstheorie

Einen etwas anderen Zugang zu den Begriffen Schema oder Rahmen lässt sich in den eher soziologisch bzw. interaktionalistisch orientierten Ansätzen nach Gumperz und Auer (Gumperz 1982, Auer 1985, Auer & DiLuzio 1992) im Rahmen der Kontextualisierungstheorie finden. Hier geht es nicht um das Lesen von Texten, bei denen einzelne Wörter oder Hinweisreize auf höherer oder niedrigerer Ebene bestimmte Schemata aktivieren, die den nachfolgenden Rezeptionsprozess erleichtern, sondern hier geht es darum, mit welchen Mitteln die Sprecher und Hörer in einer face-to-face-Kommunikation einander zeigen, was gerade vor sich geht, ob die Sprecher gerade überhaupt miteinander reden, wer gerade mit wem spricht, worüber die Sprecher gerade miteinander sprechen oder wie Sprecher und Hörer gerade zueinander stehen (vgl. Auer 1985: 27 ff.). Der Begriff des Schemas wird hier etwas weiter verwendet – ob er für den Ansatz in der vorliegenden Arbeit dann noch brauchbar ist, soll in diesem Kapitel erörtert werden.

3.4.1 Goffmans Rahmen

Gumperz bezieht sich bei seiner Konzeption ausdrücklich auf den Rahmenbegriff Goffmans (1980). Nach Goffman ist das menschliche Handeln immer in Form eines Rahmens interpretierbar; alles, was ein Mensch erfahren und verstehen kann, kann er nur verstehen, wenn er einen entsprechenden Rahmen auswählt, unter dem er das Vorkommnis subsumiert und es dadurch sinnvoll wird:

„Bisher haben wir den von uns betrachteten Menschen Wahrnehmungen zugeschrieben, einmal dem Rahmen entsprechende, das anderemal getäuschte, wahnhafte oder irrtümliche; und die Menschen werden auch, sprachlich und physisch, auf der Grundlage dieser Wahrnehmungen aktiv. Und wir sagten, die Rahmung mache das Handeln für den Menschen sinnvoll“ (Goffman 1980: 376).

Goffman charakterisiert den Begriff des Rahmens also wie folgt:

„Wenn der einzelne in unserer westlichen Gesellschaft ein bestimmtes Ereignis erkennt, neigt er dazu – was immer er sonst tut -, seine Reaktion faktisch von einem oder mehreren Rahmen oder Interpretationsschemata bestimmen zu lassen, und zwar von solchen, die man primär nennen könnte“ (ebd.: 31).

Für Goffman gibt es zweierlei Rahmen. Primäre Rahmen sind Interpretationsschemata, unter denen alles, was ein Mensch erfährt, verstanden werden kann. Sie basieren auf Postulaten und Regeln, die dem Menschen nicht bewusst sind, aber dennoch die Wahrnehmung leiten (vgl. ebd.: 31). Diese Arten von Rahmen entstehen ohne Willen des Menschen, während soziale Rahmen auf Wille und Bewusstheit basieren (vgl. ebd.: 34).[7] Rahmen können vielfältigen Transformationen und Modulationen unterworfen werden. Man kann aus dem vorherrschenden Rahmen ausbrechen, irrtümlich in einem falschen Rahmen gefangen sein oder absichtlich (im Falle einer Täuschung) in eine falsche Rahmung geleitet werden usw.

Bei Goffman wird der gerade gültige Rahmen durch Erkennungszeichen angezeigt – und zwar werden diese Erkennungszeichen vor, nach oder während des Rahmens hervorgebracht (vgl. ebd.: 575 ff.). Diese Erkennungszeichen bilden gleichsam Klammern im Fluss des Handelns, welche den Rahmen umgeben. Rahmen können durch mehrere Klammern mehrfach ineinander verschachtelt sein (vgl. ebd.: 287 ff.).

3.4.2 Kontextualisierung

Erkennungszeichen signalisieren also den Rahmen, der gerade gültig ist. Die gleiche Aufgabe übernehmen bei Gumperz (1982) die Kontextualisierungs-hinweise.

Kontextualisierungshinweise sind Zeichen, mittels derer die Interaktanten in einer verbalen Kommunikation sich gegenseitig zeigen, welcher Rahmen momentan gültig ist:

„That is, constellations of surface features of message form are the means by which speakers signal and listeners interpret what the activity [der Rahmen] is, how semantic content is to be understood and how each sentence relates to what precedes or follows. These features are referred to as contextualization cues. For the most part they are habitually used and perceived but rarely conciously noted and almost never talked about directly” (Gumperz 1982: 131).

Kontextualisierungshinweise verweisen auf ein kognitives Schema als Kontext / Rahmen, innerhalb dessen eine Äußerung verstanden werden soll. Durch Kontextualisierung wird eine Beziehung zwischen dem Sprecher, einem Kontext, einer Äußerung und einem Kontextualisierungshinweis aktiv aufgebaut. Der Kontext gilt bei Auer (1992) als kognitives Konstrukt, das ein Schema, ein Frame oder ähnliches sein kann (vgl. Auer 1992: 25).

Auer (1985) weist diesen Kontextualisierungshinweisen folgende Eigenschaften zu: Sie sind flexibel, weil sie keine feste Bedeutung haben – es gibt keine ein(ein)deutige Zuordnung von Kontextualisierungshinweisen und Schemata. Zweitens werden diese Zeichen immer redundant eingesetzt. Auf ein und dasselbe kognitive Schema wird mit mehr als nur einem Zeichen hingewiesen. Drittens können Kontextualisierungshinweise Kontextkom-ponenten (also Rahmen) auf mehreren Ebenen relevant machen. Z.B. wird durch die Art der Turn-Zuweisung in der verbalen Interaktion sowohl auf die Schemata Sprecher und Rezipient verwiesen als auch die Formalität der Interaktion indiziert. Viertens stehen sprachliche Elemente als Kontextualisierungshinweise in einer zweifachen Zeichenrelation, bei der die erste Relation den referenziellen Bezug etabliert und die zweite Relation ein Schema als Kontext indiziert. Fünftens geben Kontextualisierungshinweise durch ihre Stellung im Redefluss an, wie lange ein Schema gültig ist.[8] Sechstens sind Kontextualisierungshinweise kulturspezifisch (vgl. Auer 1985: 26 f.) Gumperz sieht in kulturell divergierenden Kontextualisierungs-konventionen einen nicht zu vernachlässigenden Grund für Vorurteile.[9]

Es wurde gesagt, dass Kontextualisierungshinweise keine feste Bedeutung besitzen. Sie lassen sich nicht an einem bestimmten Wort oder einer bestimmten Geste festmachen (obwohl es auch Gesten gibt, welche tatsächlich ein bestimmtes Bedeutungspotenzial haben, wie etwa das Schulterzucken; doch ist die Bedeutung immer noch kulturspezifisch). Man kann daher Kontextualisierungshinweise weder vom interaktionalen Kontext unabhängig interpretieren noch kann man sie eindeutig klassifizieren. Man kann jedoch von mehreren Arten von Kontextualisierungshinweisen sprechen.

Da gibt es auf der einen Seite den Bereich der Gestik, Mimik, Kinetik und Proxemik. Auf der anderen Seite gibt es den Bereich der Prosodie, und zwar insbesondere den Tonhöhenverlauf, die Lautstärke, die Sprechgeschwindigkeit, Rhythmus und Gliederung des Redeflusses in Tongruppen sowie den Wortakzent. Ebenso wie in der nonverbalen Dimension werden auffällige Abweichungen von der erwarteten prosodischen Gestaltung des Sprechers vom Hörer registriert und sie indizieren ein Schema als Kontext.[10] Schließlich bilden auch alle Arten von Varietäten- oder Sprachwahlen (Code-Switching), lexikalischer Variation sowie alternative sprachliche Formulierungen eine Ressource für Kontextualisierungshinweise (vgl. ebd.: 26).[11]

Es ist deswegen nicht der einzelne Hinweis, der ein kognitives Schema aktiviert, sondern es ist das Verhältnis des Hinweissignals zu seiner Umgebung (nämlich zum Kontext und Kotext der verbalen Interaktion) in dem Sinne, dass es von einer erwartbaren Struktur abweicht, auffällig wird und damit für die Interaktion relevant gemacht wird.[12]

Auer (1992) unterscheidet zwischen zwei Haupttypen von Kontexten, die in einer Interaktion relevant gemacht oder aktualisiert werden können. Da ist zum einen der tatsächlich vorhandene, physische Kontext. Auf der anderen Seite steht ein Kontext, der durch die Interaktion bedingt wird und aus der Kontextualisierungsarbeit beider Interaktanten emergiert. Dieser Kontexttyp beinhaltet „script-like patterns of interactional sequencing [...], schematic knowledge about speakership and recipiency at any particular moment [...], knowledge about the topical development of the interactional episode, and about how participants relate to the information they convey” (Auer 1992: 26).

Wie lässt sich nun der Begriff des Schemas der vorhergehenden Überlegungen mit dem der jetzigen Ausführungen vergleichen? Im Falle der Scripts nach Schank & Abelson (1977) aktiviert ein bestimmter Begriff, eine bestimmte Phrase oder eine bestimmte Situation ein Script, welches normative Handlungsabfolgen in normalen Situationen beinhaltet. So kann der Satz Er ging in das Restaurant, um zu speisen das gesamte Restaurant-Script aktivieren, wodurch es für den Aktanten möglich ist, im Text nicht genannte Einzelheiten zu inferieren. Im Gegensatz dazu sind es bei der Kontextualisierung nicht einzelne aus dem Ko- und Kontext herauslösbare Hinweissignale die ein Schema aktivieren, sondern der Kontextualisierungs-hinweis erlangt seine indizierende Funktion immer im Zusammenhang mit dem Redekontext, während die Hinweisreize bei Schank & Abelson, die zu einer Schemainstantiierung führen, kontextunabhängig sind.

In einer Gesprächssituation sind diese Kontextualisierungshinweise weit verstreut und können sogar parallel miteinander auftreten. In einem geschriebenen Text (von Cartoons und Chat-Unterhaltungen einmal abgesehen), sind die Möglichkeiten der Kontextualisierung eher eingeschränkt. Es sind hier vor allem die Satzzeichen zu nennen, die eine kontextualisierende Wirkung haben. Fragezeichen stellen dem Leser also das geeignete Schema als Kontext zur Verfügung, den eben gelesenen Satz als Frage zu verstehen, Ausrufezeichen verweisen auf verschiedene Grade der Relevanz eines Satzes, Kommata können Nebeninformationen eingrenzen, Anführungszeichen kennzeichnen Zitate oder wörtliche Rede. Weitere, suprasegmentale Kontextualisierungshinweise können sämtliche Veränderung der Schrift sein, also Fett- und Kursivdruck, Kapitälchen, Unterstreichungen etc., um nur einige Möglichkeiten zu nennen. Je nach Kontext können diese Zeichen besondere Wichtigkeit des Geschriebenen signalisieren. Segmentale Kontextualisierungs-hinweise hingegen können sämtliche Wortarten und Sprachstile sein, bei denen sich der dadurch aktivierte Kontext daraus ergibt, wenn der Hörer darüber sinniert, warum der Autor dies so und nicht anderes formuliert hat. Beispielsweise verweist die Auswahl bestimmter Konjunktionen, Modalpartikeln, Adverbien, Phrasen und dergleichen auf die Art eines verwendeten argumentativen Schlussmusters, wovon wiederum unter anderem auf ganz globale, soziale Deutungsmuster des Autors geschlossen werden kann. Gerade letzteren Aspekt zeigen Lucius-Hoene & Deppermann (1992) bei der Rekonstruktion narrativer Identität in autobiografischen Interviews. Darauf kann aus Platzgründen in dieser Arbeit jedoch nicht weiter eingegangen werden. Es soll hier nur noch genügen, darauf hinzuweisen, dass der Kontext eines Textes oder einer Erzählung nicht sofort da ist, sondern sukzessive aufgebaut wird, und zwar durch jeweils die vorangegangenen Sätze. Zudem verweisen Kontextwechsel auf weitere Schemata, die der Interpretant zu entschlüsseln hat. Die vorangegangenen Sätze eines Textes bilden dann sozusagen die Rahmung dafür, wie das Folgende zu verstehen ist – genau so, wie Überschriften ein grobes Schema darüber bereitstellen, was der Leser in einem Text zu erwarten hat. Die Leerstellen dieses Schemas werden durch die Informationen des folgenden Text ausgefüllt.[13]

In welchen Punkten unterscheiden sich nun die Schemata, die einerseits durch Frames oder Scripts durch lexikalische Einheiten, und anderseits durch Kontextualisierungshinweise evoziert werden? Beide Arten von Hinweisen verweisen auf Wissensstrukturen, die allen Interaktanten bekannt sein müssen, damit sie sich miteinander verständigen können. Gumperz spricht von einem von den Interaktanten geteilten sozio-kulturellen Wissen, welches in den jeweiligen sozialen Netzwerken sozialisatorisch gelernt wird (vgl. Gumperz 1982: 38 ff., 69 ff.). Demzufolge ist anzunehmen, dass die schematisch organisierten Wissensbestände bei Bartlett, Schank & Abelson und Minsky weitaus enger und präziser organisiert sind. Sie sind auch leichter zu verbalisieren als die Rahmen, von denen bei Goffman, Gumperz und der Kontextualisierungsforschung die Rede ist, weil Letztere sich auf ein Wissen beziehen, dass nur wenigen Menschen bewusst zur Verfügung steht. Dieses sozio-kulturelle Wissen ist entsprechend ungleich weitreichender und diffuser und noch mehr an die Kommunikation bzw. an den Kontext gebunden als die Schemata und Scripts der Schematheorie. Auch dieses Thema kann hier nicht weiter besprochen werden, weil es aus dem Rahmen dieser Arbeit herausfällt.

Es kann nur eines vermutet werden: Die Wissensstrukturen der Schematheorie beziehen sich auf explizit vorhandenes Wissen, das in das Verstehen eines Textes mit eingeht, und das ein Leser auch verbalisieren kann – davon ausgenommen sind Wissensbestände aus dem prozeduralen Gedächtnis. Die kognitiven Schemata in der Kontextualisierungsforschung hingegen umfassen zu einem großen Teil sozio-kulturelles Wissen und können schwerer verbalisiert werden, da sie größtenteils unbewusst sind, weil sie inzidentell in der Sozialisation gelernt wurden.

Im Textverstehen können suprasegmentale und segmentale Zeichen, wie Veränderungen in der Schrift sowie alle Satzzeichen, als Kontextualisierungszeichen gelten, aber auch alle Ausdrücke, die irgendeinen Interpretationsrahmen bereitstellen, unter dem folgende oder bereits getätigte Aussagen verstanden werden können. Die Rede ist hier von Überschriften, Modalwörtern aller Art sowie von Zusammenfassungs- Relevanzindikatoren, die die Bildung von Makropropositionen unterstützen (vgl. dazu Kap. 6.2.4).

[...]


[1] Man denke dabei an Bühlers „empraktische Rede“: Durch die Kenntnis des situativen Kontextes ist man auch in der Lage, einzelnen, unzusammenhängenden Wörtern einen kommunikativen Sinn zu entnehmen, weil sie, im Gegensatz zu der schriftlichen Kommunikation, mehr an das „sympraktische“ als an das „synsemantische Umfeld“ gebunden sind (vgl. Bühler 1999: 155 ff.).

[2] Andere Speisegeräte, wie z.B. Stäbchen, würden nicht der Normalvorstellung eines „gutbürgerlichen“ Restaurants entsprechen und werden durch das Konzept PIZZA gar nicht erst aktiviert. Sollte sich im späteren Verlauf des Textes herausstellen, dass Peter seine Pizza mit chinesischen Stäbchen verzehren würde, dann würde der Leser mit einem Gefühl der Überraschung reagieren, weil die Leerstellen des aktivierten Scripts entgegen der Norm ausgefüllt wurden.

[3] Hier wird u.a. deutlich, warum Fachtexte einem Laien schwer verständlich sind. Ihm unbekannte Termini können keine Schemata in seinem Vorwissen aktivieren, welche die Verarbeitung dieser unbekannten Wörter erleichtern würde. Ganz abgesehen davon, dass ihm die Bedeutung ihm unbekannter Fachwörter nicht oder nur unzureichend präsent ist, wirkt der Text dann deswegen schwierig, weil er sozusagen um eine Hierarchieebene nach unten „klettern“ muss – auf die Hierarchieebene der Buchstaben- und Silbenerkennung. Diese Verarbeitungseben erfordern also daher mehr Lesezeit, wodurch der Text als schwierig eingestuft wird.

[4] Es sei denn, man besitzt entsprechendes linguistisches Wissen. Dieses wäre dann jedoch als spezielles semantisches Wissen zu bezeichnen, nicht als prozedural.

[5] Schank und Abelson zufolge wird ein Konzept, z.B. das Konzept RESTAURANT, durch die Kombination aller möglichen Perspektiven der Aktanten, die in diesem Script vorkommen können, geformt (Schank & Abelson 1977: 42). Das bedeutet allerdings, dass Konzepte immer idiosynkratischer Natur sind, weil kein typischer Sprachbenutzer alle Perspektiven auf das Restaurant-Script kennen kann, sondern allenfalls in der Lage ist, Vermutungen über die Perspektiven anderer Aktanten aufzustellen.

[6] Ziele sind also die Basis von Plänen, aus denen wiederum nach wiederholter Anwendung Scripts entstehen. Als Herkunft von Zielen wiederum nennen Schank und Abelson bestimmte Erwartungen, welche aus Situationen entstehen, in denen bestimmte Ziele normal sind, sowie übergeordnete Themen, aus deren Kenntnis z.B. ein Hörer oder Leser die Ziele eines Akteurs ableiten kann: Es handelt sich um Rollenerwartungen (ein Bäcker hat das Ziel, Brot zu backen), Ziele, die sich aus interpersonalen Themen ergeben (A liebt B und hat daher das Ziel, B einen Heiratsantrag zu machen), sowie solche, die sich aus ganzen Lebensthematiken (A möchte reich werden und spielt daher Lotto) ergeben (vgl. Schank & Abelson 1977: 133 ff.).

[7] Ein Beispiel für einen primären Rahmen wäre das Ausrutschen aufgrund von Glatteis – die Ursache des Ausrutschens lässt sich durch physikalische Ursachen erklären. Eine soziale Rahmung hingegen liegt vor, wenn jemand absichtlich im Winter einen Eimer Wasser auf den Boden geleert hat, damit ein anderer auf dem dadurch entstehenden Glatteis ausrutscht.

[8] Z.B. können sie ein Schema ankündigen oder beenden, oder sie verlaufen zeitlich parallel mit dem gerade gültigen Schema.

[9] Dazu ein viel zitiertes Beispiel (nach Gumperz 1982: 173): In einem englischen Flughafen kam es zu Schwierigkeiten zwischen englischen Angestellten und neu eingestellten Bedienungen einer Cafeteria aus Indien und Pakistan. Die Bedienungen intonierten die Frage „Gravy?“ (Möchten Sie Soße?) nicht, wie im Englischen gängig, mit einer steigenden Intonation am Wortende, sondern mit einer fallenden. Die englischen Angestellten reagierten darauf empört, weil sie die fallende Intonation als unfreundlich empfanden – die fallende Intonation wird den englischen Kontextualisierungskonventionen gemäß mit einer Aussage verbunden; dieser Handlungstyp stellt im gültigen Kontext einen Rahmenbruch dar und wird deswegen als unhöflich wahrgenommen.

[10] Z.B. kann eine andere Tonhöhe in Abschnitten einer Erzählung indizieren, dass der Sprecher nun einen der Aktanten in der Erzählung zitiert (vgl. Selting 1992: 233 ff.).

[11] Auch der plötzliche Wechsel innerhalb eines Redeturns von der Muttersprache zur Zweitsprache (Codeswitch) kann eine Zitation kontextualisieren. Oft wird damit auch gleichzeitig die Allgemeingültigkeit eines Sachverhaltes ausgedrückt (vgl. Gumperz 1982: 75 ff.). Die Möglichkeiten des Code-Switchings steht jedoch nur bilingualen Sprechern zur Verfügung. Monolinguale Sprecher können ähnliche Effekte durch Varietätenwahl erzielen, wie es vor allem in ländlichen Gegenden oft zu beobachten ist, in denen noch Dialekt gesprochen wird.

[12] Auer zeigt diesen Sachverhalt anhand einer viel zitierten musikalischen Metapher: „In the chorus „Andem hat er geholfen“ of No. 67 in Bach´s St. Matthew Passion, the High Priests go up to the crucified Christ and say to him: Ist er der König Israel, so steige er nun vom Kreuz, so wollen wir ihm glauben [...] Taken literally, this could be understood as the high priest´s honest promise to become followers of Christ if only he were to perform a miracle for them, providing his identity as the long-awaited Messiah. But Bach underlies these words with music which makes it clear that this is not what the High Priests mean. Music provides the cues for a counter-reading, revealing the ‘true’ interpretations of these lines: it is that of a mockery” (Auer 1985: 1 f.). Die von einem erwartungsmäßigen Schema abweichende musikalische Untermalung (Wechsel der Harmonie) der Worte der Priester wird vom Hörer bemerkt. Es wird für den Hörer deutlich, dass diese Passage anders interpretiert werden muss als die vorhergehenden. Zweitens leiten die mit der Orchestrierung verbundenen Assoziationen die Interpretation des Textstückes in eine bestimmte Richtung.

[13] Vgl. dazu auch Kap. 6.

Ende der Leseprobe aus 125 Seiten

Details

Titel
Schematheoretische Lesemodelle, Kontextualisierung und Textverstehen
Hochschule
Universität Siegen
Note
1.0
Autor
Jahr
2007
Seiten
125
Katalognummer
V86775
ISBN (eBook)
9783638007368
ISBN (Buch)
9783638913348
Dateigröße
1754 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schematheoretische, Lesemodelle, Kontextualisierung, Textverstehen
Arbeit zitieren
M. A. Stefan Ludwig (Autor:in), 2007, Schematheoretische Lesemodelle, Kontextualisierung und Textverstehen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86775

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