Zu: Arthur Schnitzlers "Lieutenant Gustl"


Hausarbeit, 2005

16 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhalt

A. Einleitung

B. Der Charakter des Leutnant Gustl
B.1. Die Möglichkeiten des Inneren Monologs
B.2. Der Charakter Leutnant Gustls
B.3. Das soziale Umfeld: Gustls Verhältnis zu Familie und Militär
B.4. Leutnant Gustl und die Frauen

C. Der Ehrenkodex und die Duelle
C.1. Der Ehrenkodex
C.2. Das Duell mit dem Doktor
C.3. Die Beleidigung des Bäckers und ihre Auswirkungen

D. Die Auswirkungen der Novelle

Literaturverzeichnis

A. Einleitung

In der Zeit vom 13. bis zum 17. Juli schrieb Arthur Schnitzler während eines Urlaubs im Kurhaus von Reichenau[1] die Novelle „Lieutenant Gustl“. Nach einem Konzert wird Leutnant Gustl von dem Bäcker Habetswallner beleidigt. Da dieser satisfaktionsunfähig ist, bleibt Gustl nach dem Ehrenkodex des Militärs nur die Wahl mit Schimpf und Schande seinen Dienst zu quittieren oder sich umzubringen. Er beschließt sich am nächsten Morgen zu erschießen. Bis dahin wandert er durch die Straßen Wiens und denkt über sein Leben, seine Situation und mögliche Auswege nach. Als er morgens vor dem Selbstmord etwas frühstücken will, erfährt er im Kaffeehaus, dass den Bäcker der Schlag getroffen hat. Da niemand etwas von der Beleidigung mitbekommen hat, wirft Gustl den Ehrenkodex erleichtert über den Haufen und beschließt weiterzuleben, als sei nichts geschehen.

Arthur Schnitzler las die Geschichte erst in einem Privatzirkel, anschlie-ßend in einer literarischen Vereinigung in Breslau vor. Beide Male erhielt er nur positive Rückmeldungen. So erschien die Novelle am 25.12.1900 als Beilage in der Weihnachtsausgabe der „Neuen freien Presse“.[2] Die Novelle war zu dieser Zeit hochaktuell und hatte großen Erfolg. Aber ihre Inhalte führten zu starken Kontroversen und kosteten ihren Autor das Offizierspatent. Weshalb war die Empörung über diesen Text so groß, dass noch 1962 ein böser Artikel deswegen über Arthur Schnitzler im „“Nachrichtenblatt Alt-Österreichs“ erschien?[3] Und welches Nachspiel hatte die Veröffentlichung der Novelle für ihren Autor?

B. Der Charakter des Leutnant Gustl

In der Novelle erfährt der Leser die direkten Gedankengänge des Leutnant Gustl, der sich, auf Grund einer Beleidigung durch den Bäcker Habetswallner, am nächsten Morgen erschießen muss. Diese stellt Arthur Schnitzler in einem “Inneren Monolog“ dar.

B.1. Die Möglichkeiten des Inneren Monologs

Bei „Leutnant Gustl“ handelt es sich um den ersten strukturell durchgehaltenen Monolog in deutscher Sprache.[4] Der Innere Monolog ist eine Ich-Erzählung im Präsens, bei der der Autor den Bewusstseinsstrom der dargestellten Person wiedergibt. So wird die größtmögliche Durchschaubarkeit der Figur erreicht. Das subjektive Augenblicksempfinden ist z.B. an unvoll-ständigen, fragmentierten oder gebrochenen Sätzen erkennbar. Da es für den Akteur keine Distanz zum Geschehen gibt, sind seine Gedanken nicht reflektiert oder rational durchdacht. Leutnant Gustl kann seine Gedanken nicht vorsortieren, bevor sie dem Lesepublikum mitgeteilt werden. Durch Assozia-tionsketten kommen unkontrollierte Reflexe und Emotionen, Vorurteile und Einstellungen zum Vorschein. So können auch unbewusste Gedanken für den Leser offengelegt werden. Hier kommt A. Schnitzler seine medizinische Lauf-bahn zu Gute, in der er sich mit der Psychoanalyse beschäftigte und erweiterte Einblicke in die menschliche Psyche erhielt.[5]

Scheinbar ohne Ordnung und System, lediglich von Leutnant Gustls Assoziationen gelenkt, erfährt der Leser verstreute Details aus dessen Leben. Doch das „scheinbare Denkchaos ist von Schnitzler genauestens kalkuliert und organisiert“.[6] Er schafft hiermit eine Charakterisierung des Leutnants, welche die Aufregung, die die Veröffentlichung der Novelle mit sich brachte, erklären könnte.

B.2. Der Charakter Leutnant Gustls

Leutnant Gustl ist 23 oder 24 Jahre alt.[7] (Im Folgenden werde ich, wenn ich mich auf diesen Primärtext beziehe, die Seitenzahlen direkt im Text in einer Klammer angeben.). Sein Verhalten ist von außen geprägt. Um seine Handlungen zu bewerten oder zu rechtfertigen, zieht er stets Bemerkungen seiner Umwelt heran. Eine wichtige Orientierungsperson ist sein Oberst. Wenn dieser meint, Leutnant Gustl habe sich famos benommen (S. 11), definiert Gustl seine Handlung als gut und richtig. Bei seinem Entschluss sich umzubringen, ist es für Gustl ein sehr wichtiges Ziel, dass der Oberst danach über ihn sagen wird: „Er ist ein braver Kerl gewesen, wir werden ihm ein treues Angedenken bewahren!“ (S. 23). Doch nicht nur am Oberst orientiert sich der Leutnant. Auch sonst passt er sich der Masse, bzw. seiner Umwelt an. So applaudiert er im Konzert nicht, weil ihm das Oratorium so gut gefallen hat, sondern weil alle anderen dies tun. Er applaudiert mit (S. 7).

Für sein Verhalten und die Umstände, in denen er sich befindet, sucht er die Schuld stets bei anderen. Er sitzt nicht im Oratorium, weil er es möchte oder ihm die Musik gefällt. Die Gründe variieren im Laufe des Textes. Zum einen ist Steffi daran Schuld (S. 8). Diese hat ihm für den Abend abgesagt und so hat er freie Zeit. Zum anderen gibt er seinem Kameraden Ballert die Schuld, da dieser ihm das Billet gab (S. 9). Schließlich ist auch noch das Billet an sich schuld, da er ohne es nicht in das Konzert hätte gehen können (S.29). Für das Duell mit Herrn Habetswallner macht er den Bäcker verantwortlich. Da er sich am nächsten Morgen erschießen wird, beschließt Gustl einen Brief an seinen Kameraden Kopetzky zu schreiben, in dem er die Schuldfrage klären möchte, um den Bäcker nicht ungestraft davonkommen zu lassen (S. 35).

Nicht nur in der Schuldfrage hat Leutnant Gustl eine sehr eingeschränkte Sichtweise. Die Menschen in seinem Umfeld teilt er in Gruppen ein, denen er bestimmte Merkmale zuordnet. Eine Gruppe sind die Sozialisten, zu denen alle Rechtsverdreher gehören. Sie wollen, da ist sich Gustl sicher, das gesamte Militär abschaffen. Deshalb sind die eine Bande von Blödisten (S. 11). An diesen beleidigenden Aussagen lässt sich erkennen, dass Gustl die Menschen, die er dieser Gruppe zuordnet, nicht differenziert betrachtet, sondern abwer-tend verallgemeinert. Eine weitere Gruppe, der der Leutnant sogar feindlich gegenübersteht, sind die Juden. In Schnitzlers Text gibt es diverse Hinweise auf Gustls Antisemitismus und seine Vorurteile. So macht Gustl Juden an ihrem Äußeren fest. Im Foyer des Musiksaals fallen ihm Nasen auf, an denen er erkennt, dass Juden im Oratorium saßen. Nachdem er die erste vermeintliche Jüdin „identifiziert“ hat, entdeckt er immer mehr angeblich jüdische Menschen, bis er zu dem Schluss kommt, die Hälfte der Besucher seien Juden. Dies stört ihn ganz erheblich, so sehr, dass er meint, nicht einmal ein Oratorium in Ruhe genießen zu können (S. 14). Ein weiteres Merkmal der Juden ist nach Meinung des Leutnants Geld. Seine Affäre Steffi lässt sich von einem Reserveleutnant aushalten. Da dieser in einer Bank arbeitet, einen schwarzen Schnurrbart trägt und so dumm ist, dass er von Gustl nichts bemerkt, muss er ebenfalls jüdisch sein (9). Geld haben auch die Mannheimer, bei denen Gustl auf einer Gesellschaft war. Allerdings stehen diese eine Stufe höher als die andere Juden, da sie getauft sind und man ihnen auch sonst ihr Judentum nicht ansieht. Frau Mannhheimer ist sogar blond (S.9), ein “typisch“ arisches Zeichen. Zuletzt stört Gustl, dass Juden zu Offizieren gemacht werden. Somit gelangen sie in eine Gruppe, die ihm sehr wichtig ist und über allen anderen steht, das Militär. Frauen hat Gustl in ihrer Gesamtheit zu einer Ware degradiert. Sie stellen „das einzige reelle Vergnügen“ (S. 36) dar, das Gustl kennt.

Insgesamt lässt sich sein Verhalten Zivilisten gegenüber als ungehobelt und unterschwellig aggressiv beschreiben. Diese Aggressivität wird deutlich, als er sich im Oratorium beobachtet fühlt. In Gedanken droht er dem Anderen sofort, ihn später im Foyer zu stellen (S. 8). Seine Aggressivität, bedingt durch Steffis Absage, das langweilige Stück, das Gedränge im Foyer, das morgige Duell und einen missglückten Flirt, steigert sich später im Gedränge des Foyers noch und findet ihre erste Entladung bei einem Gaderobisten, welchen er beleidigend zur Eile drängt (S. 14). Doch es hat sich weitere Aggressivität in Gustl aufgestaut. Dies führt schließlich zu der Auseinandersetzung mit dem Bäcker (S. 15 ff.). Gustls aggressive Grundhaltung könnte mit seinem Neid auf die anderen Gruppen zusammenhängen. Die Juden haben Geld, die Einjährigen bekommen nach einem Jahr den Offiziersstatus (S.22) und gegen Zivilisten ist er machtlos (S. 20), wenn es um Beleidigungen geht.

Obwohl er sich arrogant als Offizier über den Zivilisten sieht, hat er Minderwertigkeitskomplexe. So behauptet Gustl von sich selbst, nie viel wert gewesen zu sein (S. 37). Wenn er tot sei, wäre es nicht schade um ihn und vom ganzen Leben hätte er sowieso nichts gehabt (S. 31). Manchmal graut ihm sogar vor sich selbst (S. 34). Zu viel Zeit und Langeweile scheinen das Leben des Leutnants zu prägen. Er verbringt viel Zeit im Kaffeehaus beim Spielen und bringt sich dadurch in finanzielle Schwierigkeiten. So verspielt er am Vortag des Oratoriums 160 Gulden, eine Summe, die dem Monatslohn eines Arbeiters entspricht.[8] Nie erfährt der Leser etwas über seine Zukunftspläne, denn Gustl glaubt alles schon zu kennen (S. 31). Das einzige was er bedauert nicht erlebt zu haben, ist ein Krieg (S. 31), doch dieser scheint in unerreichbarer Ferne. Mit einem Krieg hofft Gustl seine innere Leere füllen zu können.

Um die Einbettung dieser Charaktereigenschaften zu beleuchten, analysiere ich nun Gustls soziales Umfeld.

B.3. Das soziale Umfeld: Gustls Verhältnis zu Familie und Militär

Leutnant Gustls Familie wohnt in Graz (S. 31). Zu ihr hat er keine enge Beziehung. So ist Gustl zwar ein Sohn und Bruder, aber geliebt und einbe-zogen fühlt er sich nicht. Nur gern hat ihn seine Familie, was Gustl jedoch sofort mit einem „aber was wissen sie denn von mir“ relativiert (S. 34). Sein Vater ist in Pension gegangen, wodurch seine Mutter sehr gekränkt war (S.10), aber genaueres über die Umstände erfährt der Leser nicht.

[...]


[1] Vgl. Urbach, Reinhard: Schnitzler Kommentar. Zu den erzählenden Schriften und dramatischen Werken. München: Winkler 1974. S. 103.

[2] Vgl. Lindken, Hans-Ulrich: Arthur Schnitzler. Aspekte und Akzente. Materialien zu Leben und Werk. 2. überarbeitete Auflage. Frankfurt am Main: Peter Lang 1987 (= Europäische Hoch-schulschriften. Reihe 1. Bd. 98). S. 33 ff.

[3] Vgl. Ebd. S. 322.

[4] Vgl. Janz, Rolf-Peter/ Laermann, Klaus: Arthur Schnitzler: Zur Diagnose des Wiener Bügertums im Fin de siècle. Stuttgart: J.B. Metzlerische Verlagsbuchhandlung 1977. S.111.

[5] Vgl. Jandl, Ernst: Die Novellen Arthur Schnitzlers. Phil. Diss. masch. Wien: 1950. S. 77.

[6] Jäger, Manfred: Schnitzlers „Leutnant Gustl“. In: Wirkendes Wort. Deutsches Sprachschaf-fen in Lehre und Leben 15. (1965). S. 311.

[7] Vgl. Schnitzler, Arthur: Lieutenant Gustl. Stuttgart: Philipp Reclam jun. 2002. S. 25.

[8] Urbach, Reinhard: Schnitzler Kommentar. S. 105.

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Zu: Arthur Schnitzlers "Lieutenant Gustl"
Hochschule
Universität Bielefeld
Veranstaltung
Deutsche Novellen des 19. Jahrhunderts
Note
1,7
Autor
Jahr
2005
Seiten
16
Katalognummer
V86788
ISBN (eBook)
9783638021869
ISBN (Buch)
9783638924917
Dateigröße
393 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Arthur, Schnitzlers, Lieutenant, Gustl, Deutsche, Novellen, Jahrhunderts
Arbeit zitieren
Katrin Grebing (Autor:in), 2005, Zu: Arthur Schnitzlers "Lieutenant Gustl", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86788

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