Schütz meets Hunfeld - Über den Umgang mit dem Fremden


Hausarbeit, 2007

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Soziologische Betrachtung des Fremden – eine antiquierte Vorstellung?

3 Zur Normalität des Fremden – eine unkonventionelle Annahme?

4 Konsequenzen der „Ist-Beschreibung“ – realistische Forderungen?
4.1 Interkulturelle Erziehung durch den Fremdsprachenunterricht
4.1.1 Interkulturelles Lernen
4.1.2 Interkulturelles Lehren
4.2 Literatur als Sprachlehre

5 Fazit

6 Literaturangabe

1 Einleitung

„Die Angleichung [Hervorheb. d. Verf.] des Neuankömmlings [gemeint ist hier der Fremde – Anm. d. Verf.] an die in-group, die ihm zuerst fremd und unvertraut erschien, ist ein kontinuierlicher Prozeß, in welchem er die Kultur- und Zivilisationsmuster der fremden Gruppe untersucht. Dann werden diese Muster und Elemente für den Neuankömmling eine Selbstverständlichkeit, ein unbefragbarer Lebensstil, Obdach und Schutz [Hervorheb. d. Verf.]. Aber dann ist der Fremde kein Fremder mehr, und seine besonderen Probleme wurden gelöst.“[1]

„In seiner Auffälligkeit wird der Fremde als nicht zugehörig wahrgenommen; er ist deutliches Signal der Distanz zur Normalität einer Gesellschaft (…). Seine abweichende Kleidung, Gestik und Sprache setzen ihn vom gewohnten Erscheinungsbild ab und erregen damit Aufmerksamkeit. Der Zwang zur Integration oder Assimilation würde für ihn die Aufgabe des eigenen Besonderen bedeuten [Hervorheb. d. Verf.].“[2]

In ihrem Sprachduktus und Inhalt sich doch so ähnlich könnten die Auffassungen über den Umgang mit dem Fremden und die Konsequenzen für eine dauerhafte Begegnung mit einer ihm fremden Gruppe hinter den beiden oben stehenden Zitaten wohl nicht sein. Sieht Alfred Schütz – einer der bedeutendsten Soziologen – die Assimilation des Fremden an die ihm neue und fremde Gruppe als notwendige und gleichsam selbstverständliche Folge seiner Annäherung(sversuche) an die ihm fremden Kultur- und Zivilisationsmuster an, so müssten Hans hunfeld bei dieser Vorstellung sprichwörtlich „die Haare zu Berge stehen“. Denn hunfeld geht – anders als viele seiner Kollegen – von einer Normalität des Fremden in der heute globalisierten und enger zusammengerückten Welt aus. Aufgrund dessen können nicht Vernichtung/ Vertreibung, Segregation (als Extremfälle) oder Assimilation/ zwanghafte Integration (als bisher geläufige Normalfälle) die logischen Konsequenzen im Umgang mit dem Fremden sein, sondern vielmehr ein interkultureller Austausch, welcher nach hunfeld, an bestimmte Bedingungen geknüpft, erlern- und erziehbar ist.

Aufgrund der Zeichenvorgabe kann hier konsequenter Weise nicht das gesamte Konzept des hermeneutischen Fremdsprachenunterrichts hunfelds vorgestellt werden. Da dieses aber sehr leicht auf den Internetseiten des Italienischen Schulamtes zugänglich ist, wird es als integraler Bestandteil bei der Rezeption dieser Arbeit vorausgesetzt.[3] Daher kann sich an dieser Stelle ganz auf einzelne Teilaspekte konzentriert werden. So soll – insbesondere im Vergleich mit Schütz – den Fragen nach dem Fremden und dem Umgang mit dem selbigem nachgegangen werden. Auch wenn durch die bewusste Polarisierung der beiden Anfangszitate hunfeld auf den ersten Blick „die besseren Karten“ zu haben scheint, soll eine kritische Auseinandersetzung mit seinen Positionen an der einen oder anderen Stelle nicht ausbleiben.

Bezüglich der verwendeten Literatur ist zu sagen, dass sich maßgeblich auf die angegebenen Beiträge hunfelds gestützt wird und nur punktuell Beiträge aus Soziologie, Ethnologie und Politikwissenschaft verwendet werden, um der Gefahr der Einseitigkeit entgegenzuwirken.

2 Soziologische Betrachtung des Fremden – eine antiquierte Vorstellung?

Ein Blick in das etymologische Wörterbuch verrät, dass das Fremde ursprünglich das bezeichnete, was fern ist, was außerhalb der gewohnten Umgebung liegt.[4] Soziologisch formuliert ist das Fremde demnach dasjenige, das sich außerhalb der eigenen in-group befindet. Diese in-group könnte auch als Ethnie oder Kultur bezeichnet werden, also als Gruppe von Menschen, die die gleiche Sprache verwendet, die gleichen Sitten, Bräuche, Normen und Werte besitzt und sich dessen zudem bewusst ist.[5] Dies kann auch damit umschrieben werden, dass innerhalb dieser Gruppe bestimmte Kultur- und Zivilisationsmuster existieren. Im Laufe seiner Sozialisation erwirbt der jeweils Einzelne diese Kultur- und Zivilisationsmuster mehr oder weniger bewusst und bekommt damit einen bestimmten Ausschnitt des gesellschaftlich distribuierten Wissens anheim gestellt. Dieses Wissen jedoch ist keineswegs kohärent, vollkommen klar und widerspruchsfrei.[6] Dennoch reicht es aus, „um jedermann eine vernünftige Chance zu geben, zu verstehen und verstanden zu werden. Jedes Mitglied, das in der Gruppe geboren oder erzogen wurde, akzeptiert dieses fix-fertige standardisierte Schema kultureller und zivilisatorischer Muster (…). Das Wissen, das diesen kulturellen und zivilisatorischen Mustern entspricht, hat seine Evidenz in sich selbst – oder es wird vielmehr aus Mangel an gegenteiliger Evidenz fraglos hingenommen.“[7] Insofern verfügt jedes Mitglied der in-group über eine Art Rezeptwissen, welches für konkrete Probleme konkrete Lösungen anbietet, also Auslegungsschema und Anweisungsschema zugleich ist.[8] Damit dieses Rezeptwissen jedoch als probat angesehen wird und sich ein „Denken-wie-üblich“[9] einstellen kann, müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein.[10] – Aus Platzgründen soll auf diese hier nicht weiter eingegangen werden. Wichtig ist aber, dass bei Nichterfüllung dieser Bedingungen der je Einzelne in eine „Krisis“ stürzt und seine aktuellen Relevanzsysteme mit einem Mal nichtig werden.

Es muss an dieser Stelle nicht weiter ausgeholt werden, um bereits jetzt erkennen zu können, dass der Fremde zwar auch über ein solches „Denken-wie-üblich“ verfügt, dieses jedoch nur auf seine eigene in-group projektierbar ist, nicht aber auf die ihm fremde. „Für ihn haben die Zivilisations- und Kulturmuster der Gruppe, welcher er sich annähert, nicht die Autorität eines erprobten Systems von Rezepten“, denn die besondere Geschichte der Gruppe, der er sich annähert „wurde niemals integraler Bestandteil seiner eigenen Biographie.“[11] Was also oben als plötzliches „nichtig-Werden“ aktueller Relevanzsysteme aufgrund mangelnder Bedingungserfüllung beschrieben wurde (Krisis), vollzieht sich bei dem Aufeinandertreffen des Fremden mit einer ihm nicht vertrauten Gruppe von Menschen im soziologischen Verständnis Schütz‘ in Reinform. Damit liefert dieser indirekt auch aus verhaltenswissenschaftlicher Perspektive einen Beweis für die (sonst nur philosophisch begründete) Grundannahme hunfelds, dass nicht das Verstehen zwischen den sich Fremden den Defaultfall darstelle, sondern das Nicht-Verstehen.[12] „Mit anderen Worten, die Kultur- und Zivilisationsmuster der Gruppe, welcher sich der Fremde nähert, sind für ihn kein Schutz, sondern ein Feld des Abenteuers, keine Selbstverständlichkeit, sondern ein fragwürdiges Untersuchungsthema, kein Mittel um problematische Situationen zu analysieren, sondern eine problematische Situation selbst und eine, die hart zu meistern ist.“[13] Hieraus erklärt sich auch, warum dem Fremden bisweilen von den Mitgliedern der in-group zum einen eine harte Objektivität zum anderen eine zweifelhafte Loyalität unterstellt wird.[14] Übersehen wird dabei jedoch, dass der Fremde bereits per definitionem jede der ihm begegnenden Situationen neu definieren muss und bei einer vagen Bekanntheit mit den neuen Mustern nicht Halt machen kann.[15]

Als problematisch und als Grundlage für die im Folgenden anzustellenden intertextuellen Bezüge stellen sich nun die von Schütz formulierten Konsequenzen des Fremden dar, soll die ihm nicht vertraute Gruppe irgendwann seine eigene werden. Schafft es der Fremde danach nicht oder ist er gar unwillig, „die neuen Zivilisationsmuster vollständig anstelle der der Heimatgruppe zu setzten [komplette Assimilation – Anmerk. d. Verf.]“, dann bleibt er nach Schütz ein „marginal man“, ein „kultureller Bastard an der Grenze von zwei verschiedenen Mustern des Gruppenlebens, der nicht weiß, wohin er gehört.“[16]

3 Zur Normalität des Fremden – eine unkonventionelle Annahme?

Neben der Frage, ob Assimilation der einzige Weg sein kann, mit dem sich der Fremde und die Gruppe, für die er fremd ist, annähern und verständigen können, sollte eine weitere – übergeordnete – die sein, ob das klassische Verständnis von Fremdheit – wie es sicherlich auch Schütz‘ Ausführungen zugrunde liegt – vor dem Hintergrund einer globalen und multikulturellen Welt überhaupt noch haltbar ist und nicht andere Konzepte von „fremd“ und „eigen“ entworfen bzw. bestehende Konzepte gar ver worfen werden müssten. Sicherlich liegt ein solch‘ unkonventionelles Verständnis den Ausführungen Hunfelds zugrunde, der ein Umdenken bezüglich der eben genannten Kategorien entschieden postuliert. Seinem oben stehenden Eingangszitat folgend, liegt die Lösung des von Schütz zweifelsohne plausibel dargelegten Problems zwischen dem Fremden und dem Eigenen „wohl eher in der Haltungsänderung des Beobachtenden als in der des Beobachteten.“[17] Wie ist diese Haltungsänderung zu verstehen und wie sollte sie vollzogen werden? Dazu weiter unten mehr.

[...]


[1] Schütz, Alfred, Der Fremde. Ein sozialpsychologischer Versuch, in: Ders., Gesammelte Aufsätze II. Studien zur soziologischen Theorie. Hrsg. von Arvid Brodersen, Den Haag 1971, S. 69. (Gesamter Aufsatz S. 53-69).

[2] Hunfeld, Hans, Hermeneutischer Fremdsprachenunterricht. Eine Skizze, in: Eichheim, Hubert (Hrsg.), Fremdsprachenunterricht. Verstehensunterricht. Wege und Ziele (= Standpunkte zur Sprach- und Kulturvermittlung 1, Werkstattberichte des Goethe-Instituts), München 1992, S. 15.

[3] Vgl. Hermeneutischer Fremdsprachenunterricht, in: Autonome Provinz Bozen – Südtirol. Italienisches Schulamt <http://www.provincia.bz.it/intendenza-scolastica/hermeneutik/ganze1.htm> am 25.07.2007.

[4] Vgl. Kluge, Friedrich, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, bearb. von Elmar Seebold, 24., durchges. und erw. Aufl., Berlin/ New York 2002, S. 315.

[5] Vgl. Gieler, Wolfgang/ Ehlers, Torben, Von der Anwerbung zur Abschottung oder zur gesteuerten Zuwanderung? Grundlagen deutscher Ausländerpolitik, Albeck bei Ulm 2001, S. 33, Fn. 29.

[6] Vgl. Schütz, Alfred, Der Fremde. Ein sozialpsychologischer Versuch, a.a.O., S. 56f.

[7] Ebd., S. 57f.

[8] Vgl. ebd., S. 58.

[9] Ebd.

[10] Vgl. ebd., S. 58f.

[11] Schütz, Alfred, Der Fremde. Ein sozialpsychologischer Versuch, S. 59.

[12] Vgl. Hunfeld, Hans, Hermeneutischer Fremdsprachenunterricht. Eine Skizze, a.a.O., S. 15.

[13] Schütz, Alfred, Der Fremde, S. 67.

[14] Vgl. ebd., S. 67f.

[15] Vgl. ebd., S. 66f.

[16] Ebd., S. 68.

[17] Hunfeld, Hans, Hermeneutischer Fremdsprachenunterricht, S. 15.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Schütz meets Hunfeld - Über den Umgang mit dem Fremden
Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena  (Institut für Auslandsgermanistik/ Deutsch als Fremd- und Zweitsprache)
Veranstaltung
Methoden und Grundlagen der Landeskundedidaktik
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
19
Katalognummer
V86816
ISBN (eBook)
9783638027311
ISBN (Buch)
9783638927116
Dateigröße
473 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schütz, Hunfeld, Umgang, Fremden, Methoden, Grundlagen, Landeskundedidaktik
Arbeit zitieren
Marc Partetzke (Autor:in), 2007, Schütz meets Hunfeld - Über den Umgang mit dem Fremden, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86816

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