Friedrich II. von Preußen – Ein König, verschiedene Sichtweisen. Von der Notwendigkeit des multiperspektivischen Geschichtsunterrichtes


Studienarbeit, 2007

30 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Die Standortverhaftetheit historischer Ereignisse

2. Multiperspektivität – Kontroversität – Pluralität

3. Das historische Bild Friedrichs II. von Preußen aus unterschiedlichen Perspektiven
3.1 Friedrich der Große im Urteil seiner unmittelbaren Nachwelt
3.1.1 Die absolutistische Herrschaft
3.1.2 Der „Reichsverderber“
3.2 Friedrich der Große in der NS-Zeit
3.2.1 Der Wandel der Ansichten und Ideologien
3.2.2 Instrumentalisierung des „Alten Fritz“ im nationalsozialistischen Deutschland
3.3 Friedrich der Große nach 1945
3.3.1 In der DDR
3.3.2 In der BRD

4. Ein Fazit: Multiperspektivität im Geschichtsunterricht

Quellen 27

Einleitung

Friedrich II. von Preußen, im Volksmund der „Alte Fritz“ genannt, erhielt den Beinamen „der Große“ nach seiner Rückkehr aus dem ersten Schlesischen Krieg. Am Ende seines Lebens war dieser Namenszusatz bereits fast allgemein üblich[1], doch seitdem ist sein öffentliches Bild wie das von nur wenigen historischen Figuren im Laufe der Jahrhunderte starken Wandlungen unterworfen gewesen.

Schon zu seinen Lebzeiten war Friedrich II. der Gegenstand zahlreicher Erzählungen und Anekdoten des Volkmundes, die ihn mehrheitlich glorifizierten. Nach seinem Ableben im Jahre 1786 jedoch scheint das Bild dieser historischen Gestalt bei der Nachwelt einem steten Wandel zu unterliegen. Die Darstellung seiner Person reicht vom „Mehrer des Reiches“, „Zerstörer des Reiches“ bis zum scheinbar diametral entgegen gesetzten „Gründer des Reiches“.[2] Je nachdem wie die zeitgenössische politische Ausrichtung aussah, passte sich die Sicht auf den Preußenkönig entsprechend an, so dass er in den vergangenen zwei Jahrhunderten nicht nur eine historische Gestalt, sondern auch zu einem Politikum wurde.[3] Der Historiker Walter Bußmann bemerkte diesbezüglich treffend: „Wer es unternimmt, eine Geschichte des Friedrich-Bildes zu schreiben, leistet einen Beitrag zur Geschichte des politischen Bewusstseins.“[4] Es scheint, als könnte der aufmerksame Beobachter aus der Friedrich-Rezeption Rückschlüsse auf Ideologien, Ideale, politische Ausrichtungen der konkreten Rezeptionszeit ziehen - oder mit den Begriffen der Geschichtsdidaktik: auf Standorte bzw. Perspektiven. Es soll das Ziel dieser Arbeit sein, zu zeigen, wie sehr Bilder von Friedrich II. zu unterschiedlichen Zeiten differieren und welche Schlussfolgerungen sich aus diesen Deutungen für das jeweils zeitgenössische Politikverständnis ergeben.

Zuerst wird aufgezeigt, welche Deutungen seiner Regentschaft in seiner unmittelbaren Nachwelt, mit dem Aufkommen des neuen Geistes der Frühromantiker, in einer Zeit, in der Gelehrte und Volk begannen, von einem vereinten Deutschland zu träumen, populär wurden, um dann einen Vergleich zu ziehen zu den zwölf Jahren, in welchen Hitler der deutsche Reichskanzler war und Propagandaminister Goebbels die Deutschen von den Zielen der Nationalsozialisten mit Presse, Rundfunk, Kino – und dem Bilde vom „Alten Fritz“ – zu überzeugen suchte. Anschließend wird das zwiegespaltene Verhältnis der DDR zu Friedrich II. thematisiert, um im Folgenden auch die Ansichten zu seiner Person im anderen, westlichen Teil Deutschlands darzustellen. Aufgrund dieser verschiedenen vorgestellten Ansichten soll praktisch deutlich werden, was im vorangestellten Teil zunächst theoretisch erläutert wird: die Standortverhaftetheit historischer Ereignisse und daraus resultierend die Begrifflichkeiten und die Notwendigkeit des multiperspektivischen Geschichtsunterrichts. Im abschließenden Fazit werden die Möglichkeiten multiperspektivischer Arbeit im historischen Unterricht, die Entwicklung von sozialer Kompetenz und Ziele bei der Arbeit mit multiperspektivischen Quellen beschrieben.

1. Die Standortverhaftetheit historischer Ereignisse

Der Geschichtsunterricht erschöpft sich bei weitem nicht darin, den Schülern historisches Wissen zu vermitteln. Die Historie ist eine „bewusstseinsbestimmende Disziplin“[5], da das Wissen, welches sie hervorbringt, auf das Bewusstsein der Leute einwirken und ihren Vorstellungen und Gedanken Dimensionen erschließen kann, die in der lediglich gegenwärtigen Erfahrung nicht zu finden sind.[6]

Der größte Unterschied des Geschichtsunterrichtes gegenüber anderen Fächern liegt vor allem im Gegenstand selbst begründet. Die Vergangenheit und jeder ihr zugehöriger Gegenstand muss zuerst mühsam hergestellt werden und mancherlei Ungewissheit ist dabei im Spiel, da sich niemals auf unmittelbare Anschauung und direkten Gegenstandskontakt gestützt werden kann. Das Erkennen der Vergangenheit ist deshalb nicht ein Vorgang der Beschreibung dessen, was zutage liegt, sondern das Entstehen einer geistigen Konstruktion, die als Bewusstseinsinhalte und Vorstellungen Gestalt annimmt.[7] Dieses Wesen der Geschichte als rekonstruierte Realität macht es notwendig, zwischen res gestae und historia rerum, geschehener Geschichte und ihrer Darstellung, zu unterscheiden. Der objektive Gegenstand Geschichte wird niemals dem subjektiven Zugriff auf Geschichte eindeutig entsprechen, denn „Objektivität ist die Eigenschaft von Aussagen, unabhängig von wertenden Einstellungen der Subjekte zu gelten, die diese Aussagen machen oder an die sie gerichtet sind“[8]. Dies stellt ein Problem dar, beansprucht doch die Geschichte als Wissenschaft eine objektive Geltung. Allerdings ist auch klar, dass die Forschungsarbeit der Historiker vom jeweiligen Standpunkt eben jener abhängen. Durch die Verwurzelung des Historikers in seiner Gegenwart, zu welcher er Bezüge aus der Vergangenheit schafft, können seine Forschungsergebnisse niemals als völlig wertungsfrei angesehen werden, denn von seinem Standpunkt und dem seines Publikums hängen die für eine historische Aussage wesentlichen wertenden Einstellungen zur Vergangenheit ab, da soziale Perspektivität, inklusive einer zeitlichen und räumlichen Standortbindung, eine unaufhebbare Tatsache der menschlichen Wahrnehmung ist[9]: „Jede historische Aussage muss daher als standpunktabhängig angesehen werden.“[10]

Das Finden der Wahrheit wird zum schwierigen Prozess und „Irren ist so menschlich wie schiere Parteilichkeit.“[11]

2. Multiperspektivität – Kontroversität – Pluralität

Das Prinzip der Multiperspektivität basiert deshalb auf der grundlegenden Einsicht, dass eine beobachterunabhängige Erkenntnis der vergangenen Wirklichkeit, der Vergangenheit, nicht möglich ist, weil jede Aussage über ein Ereignis, ein Datum oder einen Zusammenhang nur von einer bestimmten sozialen, kulturellen oder anderweitig bestimmten Perspektive aus gemacht werden kann.

Die unter 1. beschriebene prinzipielle Standortverhaftetheit der Geschichte meint einen Prozess, dem sich auch Historiker nicht entziehen können. Werden allerdings bewusst und mit Absicht wertende Urteile im historischen Denken untergebracht, so muss sich der jeweilige Autor Befangenheit vorwerfen lassen. Auf diese Weise wird seit Bestehen der Geschichtsschreibung versucht, auf die aktuelle Lebenspraxis Einfluss zu nehmen und den Menschen der jeweiligen Gegenwart die Vergangenheit in einem Licht zu zeigen, das der gerade vorherrschenden Ideologie entspricht, wie an den Beispielen unter 3. zu sehen sein wird.

Da Historiker sich nicht vollständig von ihren subjektiven Interessen und Orientierungen lösen können, wird in der heutigen Geschichtsschreibung als „objektiv“ bezeichnet, was eine intersubjektive Geltung erlangen kann – eine Zustimmungsfähigkeit, die Überprüfbarkeit meint und welche die historische Darstellung „durch die Regeln der historischen Methode gewinnt“[12].

Da dieses Problem für jegliche Geschichtsschreibung gilt, können natürlich auch die „Wahrnehmungen“ früherer Historiker nicht ungeprüft zur Meinungsbildung herangezogen werden. Ebenso wie Zeitzeugen lassen Geschichtsschreiber ihre Sicht der Dinge, ihre Wertvorstellungen und Interessen einfließen – weshalb es sich bei Urteilen um Deutungen handelt, nicht um eine endgültige Wahrheit. Ein historischer Sachverhalt kann aus diesem Grunde erst beurteilt werden, wenn alle wesentlichen Zeugnisse unterschiedlicher Wahrnehmungen zur Kenntnis genommen, die Ansichten kritisch geprüft, gegeneinander abgewogen und anschließend die Informationen in eine sinnvollen Zusammenhang gebracht wurden.[13] Multiperspektivität als Prinzip ist somit „eine Form der Geschichts-Darstellung, bei der ein historischer Sachverhalt aus mehreren, mindestens zwei unterschiedlichen Perspektiven […] dargestellt wird“[14]. Hierbei muss unterschieden werden zwischen der „Perspektive des unmittelbaren Erlebens“, der „Perspektive der nachträglichen Deutung“ und der „Perspektive der Orientierung“.[15] Ersteres meint die Zeitzeugen, deren Erlebnisse sich in Quellen niederschlagen, die zweite Perspektive entsteht beispielsweise durch Historiker, Filmemacher etc. und letztere deutet auf die „Perspektivenerweiterung durch Standortreflexion“[16] bei demjenigen hin, der sich mit Geschichte befasst.

Ventzke bezeichnet die Multiperspektivität zutreffend als „Ausdruck einer akzeptierten Gesellschaftlichkeit“ und eine „grundlegende Kulturtechnik“[17], da der Mensch in ihrem Sinne die zu Handlungen führende Perspektivität bei sich und bei anderen wahrnimmt und mit ihr umgeht.

Bodo von Borries beschreibt neben der „Multiperspektivität“ der Quellen weiterhin die Kategorien der „Kontroversität“ der Deutungen und die „Pluralität“ der orientierungssuchenden Rezeption.[18]

Durch die sehr unterschiedlichen Perspektiven in der Geschichtskultur ergibt sich für multiperspektivischen Unterricht zwangsläufig der Grundsatz der Kontroversität: Gegensätze dürfen nicht ignoriert oder verschwiegen, aber auch nicht radikalisiert oder verharmlost, sondern müssen in den Unterricht integriert, dargestellt und diskutiert werden. Die verschiedenen Geschichtsbilder, Deutungen, Lügen und Legenden müssen Thema des historischen Lernens sein, um dem Schüler zu einem Erkenntnisprozess zu verhelfen, der ihn die Perspektivität in den Zeugnissen der vergangenen Zeit wahrnehmen lässt.[19] „Pluralität“ steht für die Vielzahl der zu diskutierenden Perspektiven, denn durch die Konfrontation eben jener werden individuelle Interpretationen unter Nutzung der vorhandenen Informationen erarbeitet, kann der Versuch unternommen werden, andere Perspektiven einzunehmen oder zu erklären und daraus eine persönliche Position zu entwickeln.[20]

[...]


[1] Vocke, Roland: Friedrich der Große und Preußen. In: Deutsche Geschichte: Aufklärung und Ende des Deutschen Reiches. Gütersloh 1993, S. 64

[2] Dollinger, Hans: Friedrich II. von Preußen. Sein Bild im Wandel von zwei Jahrhunderten. Bindlach 1995, S. 7

[3] Dollinger, S. 7

[4] Bußmann, Walter: Friedrich der Große im Wandel des europäischen Urteils. In: Werner Pöls (Hrsg.): Wandel und Kontinuität in Politik und Geschichte. Ausgewählte Aufsätze zum 60. Geburtstag Walter Bußmanns. Boppard am Rhein 1973, S. 53

[5] Rohlfes, Joachim: Geschichte und ihre Didaktik. Göttingen 1986, S. 9

[6] Rohlfes, S. 9

[7] Rohlfes, S. 59

[8] Rüsen, Jörn: Objektivität. In: Handbuch der Geschichtsdidaktik. Seelze-Velber 1997, S. 160

[9] Bergmann, Klaus: Multiperspektivität, in: Bergmann, Klaus u. a. (Hg.): Handbuch der Geschichtsdidaktik, 5. Aufl., Seelze-Velber 1997, S. 301

[10] Rüsen, S. 160

[11] Bergmann, Klaus: Multiperspektivität. Geschichte selber denken. Schwalbach/Ts. 2000, S. 9

[12] Rüsen, S. 162

[13] Bergmann: Multiperspektivität. Geschichte selber denken, S. 11

[14] Bergmann: Multiperspektivität. In: Handbuch Geschichtsdidaktik, S. 301

[15] Ventzke, Marcus: Geschichte als perspektivische und reflektierende Re-Konstruktion erfassbar machen – Anforderungen an den Geschichtsunterricht der Sekundarstufe II. In: Geschichte denken statt pauken. Didaktisch-methodische Hinweise und Materialien zur Förderung historischer Kompetenzen. Herausgegeben von der Sächsischen Akademie für Lehrerfortbildung. Meißen 2005, S. 49

[16] Bergmann: Multiperspektivität. Geschichte selber denken, S. 29f.

[17] Ventzke, S. 48

[18] Von Borries, Bodo: Geschichte lernen – mit heutigen Geschichtsbüchern? In: GWU 34 (1983), S. 558f.

[19] Bergmann: Multiperspektivität. Geschichte selber denken, S. 47

[20] Ventzke, S. 50

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Friedrich II. von Preußen – Ein König, verschiedene Sichtweisen. Von der Notwendigkeit des multiperspektivischen Geschichtsunterrichtes
Hochschule
Universität Rostock  (Historisches Institut)
Veranstaltung
Geschichtsdidaktik im Spezialkurs
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
30
Katalognummer
V86847
ISBN (eBook)
9783638022002
ISBN (Buch)
9783638925167
Dateigröße
549 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Friedrich, Preußen, König, Sichtweisen, Notwendigkeit, Geschichtsunterrichtes, Geschichtsdidaktik, Spezialkurs
Arbeit zitieren
Andy Schalm (Autor:in), 2007, Friedrich II. von Preußen – Ein König, verschiedene Sichtweisen. Von der Notwendigkeit des multiperspektivischen Geschichtsunterrichtes, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/86847

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