Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Universität zu Köln
Köln, den 03.Oktober 2006
Access – Wege zu digitalem Wissen
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Von der Wissensgesellschaft
Der mediale Wandel
Eigentum von Wissen
Die Macht der Gatekeeper
Manipulation von Information
Ansätze zur Sicherung des »freien Zugangs«
»Open Access« Bewegung
Ausblick
Literaturverzeichnis
Einleitung
„Medien bestimmen die Wahrnehmungsweise der Welt, sie sind das Gesicht der Welt. Und sie bestimmen auch das, was wir mit der Welt machen, wie wir in ihr handeln, wie wir sie behandeln, mit ihr umgehen. Am Ende bestimmen sie damit auch uns selbst.“[1]
Bereits vor mehr als vierzig Jahren beschrieb Marshall Mc Luhan in seinem Buch Understanding Media die Wechselwirkung zwischen den Errungenschaften der technischen Medien und den kognitiven Prozessen des Menschen. Seine Theorie leitet Mc Luhan nicht aus den mit der neuen Technik verbreiteten Inhalten, sondern allein aus den mit ihr verbundenen Produktions- und Distributionsformen ab. Die Begegnung mit dem Ökonomen Harold Innis inspirierte Mc Luhan zu dieser Analogie. Innis hatte seinerseits bereits zu Beginn der fünfziger Jahre die These aufgestellt, dass die materielle Beschaffenheit von Kommunikationsmedien einen determinierenden Einfluss auf den Charakter von Kulturen habe.[2] Mc Luhans Ausführungen gelten heute als Gründungsdokumente der modernen Medientheorie. Bekommen sie doch gerade im Zuge der Digitalisierung noch einmal eine besondere Bedeutung, da vieles von dem was Mc Luhan seinerzeit visionär formulierte, heute bereits als verwirklicht scheint.
Bei der Digitalisierung handelt es sich nicht um ein singuläres, möglicherweise vorübergehendes Phänomen, sondern um eine tief greifende Innovation und einen Ausdruck eines epochalen Einschnitts. Wie die Mediengeschichte zeigt, ist die Entwicklung technologischer Medien untrennbar mit der Speicherung von Wissen verbunden. Doch führten uns gerade die digitalen Medien in eine Gesellschaft, die wir heute als Wissensgesellschaft bezeichnen. „Wissen ist zur entscheidenden Produktivkraft moderner Ökonomien geworden. Die Bereitstellung von und der Zugriff auf Wissen durch Information wird zur entscheidenden Dienstleistung des 21. Jahrhundert.“[3] Damit ist nicht mehr das Sammeln und Transportieren von Wissen der bestimmende Faktor sondern der Prozess des Umgangs mit dem Wissen, die Art, wie wir es erstellen, erreichen, darstellen und weiterverarbeiten. „Durch die Digitalisierung ändern sich Erzeugung, Konservierung, Verbreitung und Nutzung von Wissen grundlegend.“[4] Dadurch lässt sich vermuten, dass sich die Entwicklung der Neuen Medien ähnlich konstitutiv auf das Wissen auswirkt wie der Buchdruck.[5]
In der folgenden Arbeit soll nun der gesellschaftliche Rahmen dargestellt werden, in dem sich der Wandel des Wissens vollzieht. Wissen ist seit Menschengedenken konstitutiv für den gesellschaftlichen Wandel, doch hat der Wandel von den analogen zu den digitalen Medien eine neue Wissensordnung hervor gebracht, die uns aus heutiger Sicht die nötigen Anzeichen dafür bietet, dass wir in einer so genannten Wissensgesellschaft leben. Davon ausgehend, soll die neue Wissensordnung näher beleuchtet und das Internet als Ort der Speicherung, als globale Bibliothek des Wissens diskutiert werden. Die Digitalisierung von Wissen hat zu einer schier unendlichen Vielfalt von Informationen geführt, die besondere Anforderungen an deren Nutzung stellt. Verändert haben sich auch die Eigentumsverhältnisse von Wissen, die im Wesentlichen den Zugang zu diesem restriktiv bestimmen. Die Suchmaschine bietet dabei den entscheidenden Metainformationsdienst, der den Zugriff auf die Informationsprodukte ermöglicht. Den Anbietern der entsprechenden Suchdienste kommt damit eine bedeutende Gatekeeperfunktion zwischen den Informationsanbietern und -nutzern zu, die ihnen zunehmend Macht und damit auch eine große Verantwortung verleiht. In diesem Zusammenhang sollen die Chancen und Probleme des weltweiten Zugriffs auf Wissen angeführt und besonders auf die Gefahren der Manipulation von Wissen hingewiesen werden. Im letzten Teil der Arbeit schließen sich Ansätze zur Sicherung eines freien Zugriffs auf Wissen an, wobei auf die Open Access Bewegung im wissenschaftlichen Bereich besonderes Augenmerk gelegt werden soll.
Von der Wissensgesellschaft
Betrachtet man als Ausgangspunkt zur Darstellung der Wissensgesellschaft[6] eine Definition von Wissen in einem Lexikon, so kommt man zunächst zu dem Ergebnis, dass die Entwicklung einer jeden Gesellschaft auf der Grundlage von Wissen beruht.
„Alle Kenntnisse im Rahmen alltäglicher Handlungs- und Sachzusammenhänge (Alltags-W.); im philosophischen Sinne die begründete und begründbare (rationale) Erkenntnis im Unterschied zur Vermutung und Meinung oder zum Glauben. Wissen kann primär durch zufällige Beobachtung, durch systematische Erforschung (Experiment) oder deduzierte Erkenntnis gewonnen werden, sekundär durch lernende Aneignung von W.-Stoff.“[7]
Wissen ist eine der bedeutendsten Ressourcen, aus der die Gesellschaft ihr Wachstumspotential schöpft. Deswegen wurde die frühe Industriegesellschaft auch immer als Wissensgesellschaft analysiert, in der ein systematischer, enttraditionalisierter Umgang mit Wissen angestrebt wurde. Die Geschichte der frühindustriellen Gesellschaft lässt sich somit nicht ausschließlich als Geschichte der kapitalistischen Herrschaft, sondern ebenfalls als Geschichte eines systematischeren und rationelleren Umgangs mit Wissen betrachten. Bei Karl Marx, Werner Sombart und Joseph Schumpeter lassen sich diese klassischen Analysen der frühindustriellen Form von „Wissensbasierung“ finden.
Geprägt wurde der Begriff jedoch in den 1960er und 1970er Jahren. Der amerikanische Managementtheoretiker Peter F. Drucker sprach von dem Aufstieg einer neuen Schicht von Wissensarbeitern und der Entwicklung einer postindustriellen Wissensgesellschaft. Diese Gesellschaft sei gekennzeichnet durch eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnung, in der nicht mehr Arbeit, Rohstoffe oder Kapital, sondern „Wissen“ zur zentralen Quelle von Produktivität, Wachstum und sozialen Ungleichheiten wird.[8] Robert Lane schlug vor, diese als eine Gesellschaft zu begreifen,
„deren Mitglieder in stärkerem Ausmaß als die anderen Gesellschaften; a) die Grundlagen über Mensch, Natur und Gesellschaft erforschen; b) sich (vielleicht unbewußt) von den objektiven Maßstäben der Richtigkeit und Wahrheit leiten lassen und sich auf den höheren Bildungsebenen bei Untersuchungen an wissenschaftliche Beweis- und Schlußfolgerungsregeln halten; c) beträchtliche Mittel für diese Untersuchungen aufwenden und sich so auch ein umfangreiches Wissen aneignen; d) ihr Wissen in dem Bestreben zusammentragen, ordnen und interpretieren, um es sinnvoll auf die von Fall zu Fall auftauchenden Probleme anzuwenden und e) dieses Wissen darüber hinaus dazu einzusetzen, um sich über ihre Wertvorstellungen und Ziele klar zu werden, um sie voranzutreiben (oder gegebenenfalls auch zu modifizieren).“[9]
Die Wissensgesellschaft lässt sich somit in den 60er und 70er Jahren als verwissenschaftliche, dienstleistungszentrierte, akademisierte Gesellschaft betrachten, die sich damit von der Industriegesellschaft deutlich absetzt.
In den 90er Jahren schließt sich eine weitere Debatte um die Wissensgesellschaft an, die an vielen Stellen deutlich über die klassischen Analysen hinausgeht. Wissenschaftliches Wissen hat immer noch einen zentralen Stellenwert für die Bestimmung der Wissensgesellschaft, doch geht es gleichzeitig auch um andere Wissensformen, wie erfahrungsbasiertes, technisches oder organisatorisches Wissen. Das Wissen tritt damit aus dem rein wissenschaftlichen Rahmen heraus und bezieht andere Bereiche der Gesellschaft mit ein.[10] Damit sind staatliche und industrielle Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen nicht mehr die einzigen oder zentralen Orte der gesellschaftlichen Wissensproduktion, was der Institutionalisierung von nichtwissenschaftlichem Wissen eine besondere Bedeutung zukommen lässt.[11]
Während die Wissensgesellschaft in den 60er und 70er Jahren eine vorrangig nationalstaatlich verfasste und regulierte Gesellschaft war, hat insbesondere die Internationalisierung der Güter- und Kapitalmärkte eine veränderte Wissensordnung hervor gebracht. „(D)ie heutige Wissensgesellschaft [kann man somit] nicht mehr als Nationalgesellschaft begreifen, da sich die Lernmöglichkeiten und -zwänge durch die Globalisierung von Waren-, Währungs- und Finanzmärkten deutlich erhöht. Die heutige Wissensgesellschaft ist eine innovationszentrierte Weltgesellschaft.“[12]
Mit den veränderten Rahmenbedingungen und im Besonderen mit der Bedeutung von „Nichtwissen“, sind Fragilitäten, Unsicherheiten und Risiken verbunden, die die Aufmerksamkeit augenscheinlich verstärkt auf die Schattenseiten, Dilemmata und Paradoxien wissensbasierter Gesellschaften lenken. „Die Gesellschaft ist demnach zerbrechlicher geworden,“[13] so konstatiert Nico Stehr und sieht den Grund darin nicht in der viel beschworenen Globalisierung und Ökonomisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern durch den Herrschaftsverlust des Staates, der Kirche und des Militärs durch Wissen.[14] Wolfgang Bonß verweist ebenfalls auf die Folgen, die diese Veränderung der Wissensstrukturen mit sich bringt. Zum einen sei der Rekurs auf wissenschaftliches Wissen (im Unterschied zu Glaubensgewissheiten) entscheidend für die Entwicklung und Integration sozialer Formationen und zum anderen steige die Kontingenz, Unsicherheit und potentielle Selbstgefährdung der Gesellschaft.[15] „Entgegen den Hoffnungen der Aufklärung ist dieser Strukturwandel auch nicht durch mehr Wissen zu lösen. Die alte Formel `mehr Wissen = mehr Vernunft = mehr Beherrschbarkeit der inneren und äußeren Natur´ steht vielmehr selbst in Frage.“[16]
Der mediale Wandel
Mit der Karriere einer Wissensgesellschaft, wie wir sie bis hierhin beschrieben haben, geht ein steigender Einfluss der Daten verarbeitenden Technologien einher. Die Entwicklung neuartiger Netzwerkmedien, die aus der Computer- und Kommunikationstechnologie hervor gegangen sind, stellt die Frage nach dem Verhältnis von Wissen und Medien neu. In den westlichen Gesellschaften können wir davon sprechen, dass eine große Vielfalt von Massen- und Individualmedien genutzt wird um die Informationen und damit das Wissen der Gesellschaft für seine Mitglieder nutzbar zu machen. So stellt Schmidt fest, „dass wir in einer Mediengesellschaft leben, in der telematische Maschinen, Wahrnehmung und Gefühle, Wissen und Kommunikation, Sozialisation und Interaktion, Gedächtnis und Informationsverarbeitung [...] beeinflussen, wenn nicht gar dominieren.“[17] Rainer Kuhlen sieht darin den Paradigmenwechsel, der sich zwischen dem Übergang von analogen zu digitalen Medien vollzogen hat. „Der mediale Wandel ist nicht neutral, sondern verändert [...] sowohl die Inhalte dessen, was über die Medien transportiert wird, als auch das organisationelle und institutionelle Umfeld, das für die Produktion, Aufbereitung, Verteilung und Nutzung der neuen medialen Produkte zuständig ist.“[18]
Bis Mitte der neunziger Jahre war die Kommunikation und Verbreitung von Informationen allein auf die klassischen Medien angewiesen und damit durch die technische Verbreitungskapazität von Presse und Rundfunk beschränkt.
Den Nachrichtenagenturen, Verlegern und Intendanten kam die Rolle zu den Nachrichtenstrom in ein Rinnsal zu verwandeln. „Sie begleitete stets der Argwohn, dass sie ihre mächtige »Gatekeeper«-Rolle nicht neutral ausüben, sondern missbrauchen könnten. In der Medienpolitik standen nicht umsonst jahrzehntelang dieser Mangel und die Kontrolle über den begrenzten Zugang zur Öffentlichkeit im Mittelpunkt. Egal, ob über die Pressekonzentration oder Rundfunkregulierung diskutiert wurde: Immer ging es um die Frage, wie unter den Bedingungen der Kanalknappheit Vielfalt, Ausgewogenheit und Neutralität gewährleistet werden kann.“[19] In Anbetracht der Tatsache, dass mit Hilfe der neuen Netzwerktechnologien jeder sein Wissen zur Verfügung stellen kann und das Internet damit eine schier unendliche Menge an Informationen bereithält, scheint einem diese Knappheit an Verbreitungskapazität absurd. Das Internet verspricht einem damit zunächst eine grenzenlose Freiheit des Wissens, hat es sich doch von den einengenden technischen Verbreitungsmedien gelöst. Bei einer genaueren Betrachtung wird aber deutlich, dass sich der Engpass und damit die Problematik lediglich von der Anbieter- auf die Nutzerseite verschoben hat. So sind es nun die Nutzer des Wissens, die sich mit der Aufgabe konfrontiert sehen, „aus der Überfülle an verfügbaren, kaum vorstrukturierten und schwer einschätzbaren Informationen eine sinnvolle Auswahl zu treffen.“[20] Die im Internet bereitgestellten Informationen unterliegen oftmals keiner redaktionellen Bearbeitung, wie es bei den klassischen Medien der Fall war, womit die Unterscheidung von „wahrer“ Information und „Informationsmüll“ nur schwer zu treffen ist. Die Qualität des Wissens ist also nicht ohne weiteres zu bestimmen, während die klassischen Medien, nach Niklas Luhmann[21], die »Unterstellbarkeit« von Wissen erlauben.
[...]
[1] Lorenz Engell, Britta Neitzel (Hg.), Das Gesicht der Welt. Medien in der digitalen Kultur. 2004. 7.
[2] Harold A. Innis, Kreuzwege der Kommunikation. 1997.
[3] Ralf Fuchs/ Andreas Poltermann, Wissensgesellschaft gestalten. In: Heinrich Böll Stiftung (Hg.), Gut zu Wissen – Links zur Wissensgesellschaft. 2002. 8.
[4] Kai Lehmann, Der Lange Weg zur Wissensgesellschaft. In: Kai Lehmann/ Michael Schletsche (Hg.), Die Google-Gesellschaft. Vom digitalen Wandel des Wissens. 2005. 37f.
[5] Vgl. Elisabeth L. Eisenstein, The printing press as an agent of change. Cambridge. 1979.
[6] In der wissenschaftlichen Auseinandersetzung wird immer wieder diskutiert, ob an dieser Stelle der Begriff Informationsgesellschaft angemessener wäre, doch soll hier nicht weiter auf die Debatte eingegangen werden und beide Begriffe im folgenden Synonym verwandt werden.
[7] Meyers Grosses Taschenlexikon. 1999. Band 25. 108.
[8] Vgl. Peter F. Drucker, Landmarks of Tomorrow. 1959.
[9] Zitiert nach Daniel Bell, Die nachindustrielle Gesellschaft. 1985. 181.
[10] Vgl. Peter Weingart, Die Stunde der Wahrheit? Zum Verhältnis der Wissenschaft zu Politik, Wirtschaft und Medien in der Wissensgesellschaft. 2001.
[11] Vgl. Werner Rammert, Produktion von und mit „Wissensmaschinen“. Situationen sozialen Wandels hin zur Wissensgesellschaft. 40-57. In: Wilfried Konrad und Wilhelm Schumm (Hg.) Wissen und Arbeit. Neue Konturen von Wissensarbeit. 1999.
[12] Martin Heidenreich, Die Debatte um die Wissensgesellschaft. 2002. 15. elektronisch veröffentlicht unter: URL: http://www.uni-bamberg.de/sowi/europastudien/dokumente/wissensgesellschaft_2002.pdf (20.08.2006)
[13] Nico Stehr, Moderne Wissensgesellschaften. 8. In: Politik und Zeitgeschichte. Bd. 36/2001. 8.
[14] Vgl. ebd. 8.
[15] Vgl. Wolfgang Bonß, Riskantes Wissen? Zur Rolle der Wissenschaft in der Risikogesellschaft. In: Heinrich Böll Stiftung (Hg.), Gut zu Wissen – Links zur Wissensgesellschaft. 2002. 127.
[16] ebd. 127.
[17] Siegfried Schmidt, Medienkulturwissenschaft. In: Ansgar Nünning (Hg.), Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. 1998. 349.
[18] Rainer Kuhlen, Universal Access – Wem gehört das Wissen?. In: Heinrich Böll Stiftung (Hg.), Gut zu Wissen – Links zur Wissensgesellschaft. 2002. 169f.
[19] Christoph Neuberger, Das Ende des »Gatekeeper«-Zeitalters. In: Kai Lehmann/ Michael Schletsche (Hg.), Die Google-Gesellschaft. Vom digitalen Wandel des Wissens. 2005. 205.
[20] ebd. 206.
[21] Vgl. Niklas Luhmann. 1979. 44.