Max Webers Unterscheidung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik in seiner Rede 'Politik als Beruf' (PaB, 1919) hat eine Bekanntheit erreicht, die weit über den Kreis der wissenschaftlichen Weber-Interpreten hinausreicht. Sie ist fest etabliert in der modernen Ethik und wird nach wie vor in den politischen Debatten aufgegriffen, wenngleich meist für ”polemische Zwecke“ (Schluchter 1988: 337); dabei möchte freilich jeder Verantwortungsethiker sein, und Weber selbst scheint ja die Verantwortungsethik der Gesinnungsethik vorgezogen zu haben. Aber so einfach liegen die Verhältnisse nicht. Denn weder ist nach Weber ”Gesinnungsethik mit Verantwortungslosigkeit [noch] Verantwortungsethik mit Gesinnungslosigkeit identisch“ (PaB, 70). Die beiden Ethiken verkörpern vielmehr zwei ”grundverschiedene, unaustragbar gegensätzliche“ (ebd.) Maximen des Handelns.
Ziel dieser Untersuchung ist zum einen das vertiefte Verständnis der beiden Ethiken, d.h. ihrer Begründung, ihrer Stellung im Werk von Weber und ihres Verhältnisses zueinander. Zum anderen soll daran anknüpfend das Verhältnis von Ethik und Politik (und damit auch der Begriff des Politischen) aufgehellt werden, wie Weber es sah. Die These lautet, dass zwischen Webers Gesinnungs- und Verantwortungsethik in der Tat ein ”unaustragbarer“ (PaB, 70) Gegensatz besteht, weil die beiden Ethiken in formaler Hinsicht von gleichem ethischen Rang sind, also vollwertige Alternativen darstellen. Die Verantwortungsethik kann dabei nicht am Politischen begründet werden, und sie darf nicht als Konsequentialismus missverstanden werden. Letztlich kann der angedeutete Vorrang der Verantwortungsethik in der Politik nur im Rückgriff auf außerethische Ansatzpunkte erhärtet werden, die sich im Kontext von Webers Theorie (Werttheorie, Zeitdiagnose) und vor allem in seinem Begriff des Politischen finden.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Gesinnungs- und Verantwortungsethik in Politik als Beruf
2.1 Gesinnungsethik: Leben wie ein Heiliger
2.2 Verantwortungsethik: Spiel mit diabolischen Mächten
2.3 Der ’unaustragbareGegensatz’derbeidenEthiken(I).
3 Zum Verständnis der beiden Ethiken
3.1 Grundlage beider Ethiken: Kant und die Gesinnung
3.2 Werttheorie, Wissenschaftslehre und Ethik
3.3 Der ’unaustragbareGegensatz’derbeidenEthiken(II).
4 Das Verhältnis von Politik und Ethik
4.1 Begriff des Politischen: Affinität zur Verantwortungsethik
4.2 Verantwortungsethik & Politik: Zwischen Rationalität und Irrationalität (Dezisionismus)
5 Zusammenfassung
6 Literaturverzeichnis
” MitderBergpredigt-gemeintist:dieabsoluteEthikdesEvangeliums - ist es eine ernstere Sache, als die glauben, die diese Gebote gern zitieren. [...] Sie ist kein Fiaker, den man beliebig halten lassen kann, um nach Befinden ein- und auszusteigen. “
(PaB, 68)
” EsisteinabgrundtieferGegensatz,obmanunterdergesinnungsethi- schen Maxime handelt - religi ö s geredet - : ’ derChristtutrechtund stellt den Erfolg Gott anheim ‘ , oder der verantwortungsethischen: da ß man f ü r die (vorhersehbaren) Folgen seines Handelns aufzukommen hat. “
(PaB, 70)
1 Einleitung
Max Webers Unterscheidung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik in seiner Rede Politik als Beruf (PaB, 1919) hat eine Bekanntheit erreicht, die weit über den Kreis der wissenschaftlichen Weber-Interpreten hinausreicht. Sie ist fest eta- bliert in der modernen Ethik und wird nach wie vor in den politischen Debatten aufgegriffen, wenngleich meist für ”polemischeZwecke“(Schluchter1988:337 ); dabei möchte freilich jeder Verantwortungsethiker sein, und Weber selbst scheint ja die Verantwortungsethik der Gesinnungsethik vorgezogen zu haben. Aber so einfach liegen die Verhältnisse nicht. Denn weder ist nach Weber ”Gesinnungsethik mit Verantwortungslosigkeit [noch] Verantwortungsethik mit Gesinnungslosigkeit identisch“ (PaB,70 ). Die beiden Ethiken verkörpern vielmehr zwei ”grundver- schiedene, unaustragbar gegensätzliche“ (ebd.) Maximen des Handelns.
Ziel dieser Untersuchung ist zum einen das vertiefte Verständnis der beiden Ethiken, d.h. ihrer Begründung, ihrer Stellung im Werk von Weber und ihres Verhältnisses zueinander. Zum anderen soll daran anknüpfend das Verhältnis von Ethik und Politik (und damit auch der Begriff des Politischen) aufgehellt werden, wie Weber es sah. Die These lautet, dass zwischen Webers Gesinnungs- und Ver- antwortungsethik in der Tat ein ”unaustragbarer“(PaB,70 )Gegensatzbesteht, weil die beiden Ethiken in formaler Hinsicht von gleichem ethischen Rang sind, also vollwertige Alternativen darstellen. Die Verantwortungsethik kann dabei nicht am Politischen begründet werden, und sie darf nicht als Konsequentialismus missverstanden werden. Letztlich kann der angedeutete Vorrang der Verantwortungsethik in der Politik nur im Rückgriff auf außerethische Ansatzpunkte erhärtet werden, die sich im Kontext von Webers Theorie (Werttheorie, Zeitdiagnose) und vor allem in seinem Begriff des Politischen finden.
Die Argumentation folgt der These. Zunächst soll anhand von Politik als Beruf eine knappe Darstellung der beiden Ethiken versucht werden (Kapitel 2). Kapitel (3) bildet den Hauptteil der Untersuchung. Ausgehend von Kants Gesinnungs- ethik wird zunächst das beiden Ethiken gemeinsame Fundament aufgeklärt, und von da aus wird dann vor dem Hintergrund von Webers Denken der unaustrag- bare Gegensatz herausgearbeitet. Kapitel (4) gilt der Ableitung des Verhältnisses von Politik und Ethik aus der vorhergehenden Untersuchung. Dabei wird die Un- terscheidung der beiden Ethiken noch einmal an Kontur gewinnen. Zuletzt fasse ich den Argumentationsgang in Kapitel (5) zusammen. Insgesamt geht es darum, Webers Thesen zu stützen.
2 Gesinnungs- und Verantwortungsethik in Politik als Beruf
Wir vergegenwärtigen uns zunächst den ungefähren Gehalt der beiden Ethiken und greifen dabei auf Politik als Beruf zurück. Es handelt sich um eine Rede, die 1919 in München im Rahmen einer Vortragsreihe vor Studenten gehalten wurde, die den Zweck verfolgte, der ”tieferregtenJugendalsWegweiserfürdie verschiedenen, auf geistige Arbeitsformen gegründeten Wirkungsformen [zu] dienen“ (Marianne Weber im Vorwort von PaB). Politik als Beruf stellt also einige Klarheit in der Begrifflichkeit in Aussicht, aber nicht unbedingt eine systematische und kohärente Theorie und ist außerdem, so wird man erwarten dürfen, nicht frei vom Zeitkontext. Die Betrachtungen zu Politik und Ethik, auf die wir uns beziehen, stehen auf den letzten sechzehn Seiten (S. 67-83).
2.1 Gesinnungsethik: Leben wie ein Heiliger
Der Gesinnungsethiker ist dadurch charakterisiert, dass er ”wedernachdenFolgen seiner Handlung fragt, noch die Verantwortung für eben diese Folgen übernehmen will“ (Möller1983:13 ). Dabei handelt der Gesinnungsethiker aber keineswegs ver- antwortungslos.
”’Verantwortlich’fühltsichderGesinnungsethikernurdafür,daß die Flamme der reinen Gesinnung [...] nicht erlischt“ (PaB,71 ). Die moralische Rechtfertigung einer Handlung ergibt sich daraus, wie eine bestimmte Wertpositi- on, etwa Gewaltlosigkeit, ”imMomentderTatsubjektivrealisiert“wird(Möller paradoxen Verhältnis zu seinem ursprünglichen Sinn steht“ (PaB, 65), dass sich also moralisches Handeln nicht an Folgen orientieren könne, über die wir keine Kontrolle haben.
In der Bergpredigt sieht Weber das Beispiel schlechthin für eine Gesinnungs- ethik oder eine ”absoluteEthik“(PaB,68 ).DerenMaximesei: ”DerChristtut recht und stellt den Erfolg Gott anheim“ (PaB,70 ). Allerdings habe der Gesin- nungsethiker, so freimütig er auch schlechte Folgen in Kauf nehme, das spezifi- sche Problem, dass er auf Grund seiner Gesinnung nicht zu ethisch bedenklichen Mitteln greifen könne, um bestimmte Zwecke zu erreichen. ”UndinderTathat sie [Gesinnungsethik] logischerweise nur die Möglichkeit: jedes Handeln, welches sittlich gefährliche Mittel anwendet, zu verwerfen“ (PaB,73 ). Weil die Kompro- misslosigkeit der ethischen Gesinnung in der (politischen) Realität absurde Folgen haben könne bzw. politisches Handeln quasi unmöglich mache, disqualifiziert We- ber die Gesinnungsethik scheinbar. ”DerGesinnungsethikererträgtdieethische Irrationalität der Welt nicht“ (PaB,73 ). Gesinnungsethisches Handeln wird so zu einer Defizienzform der Weltbewältigung. Das Bild von der Gesinnungsethik wäre aber unvollständig ohne Webers gleichzeitige Würdigung der absoluten Ethik. Für die Bergpredigt wie für jede Gesinnungsethik gelte, dass es mit ihr eine che“ (PaB,68 ) sei: ”ernsteSa- ”SieistkeinFiaker,denmanbeliebighaltenlassenkann,um nach Befinden ein- und auszusteigen“ (PaB,68 ). Die Gesinnung gilt unbedingt und muss durchgehalten werden, und das verbürgt Würde. Aber dazu müsse man gewissermaßen ”einHeiliger[...]sein“,sonstwäreeseine ”EthikderWürdelosig- keit“ (PaB,69 ).
2.2 Verantwortungsethik: Spiel mit diabolischen Mächten
Verantwortungsethisches Handeln wiederum ist nicht mit Gesinnungslosigkeit glei- chzusetzen, weil auch der Verantwortungsethiker grundsätzlich wertorientiert ist.
Er unterscheidet sich aber vom Gesinnungsethiker durch ein ”gesteigertesVerant- wortungsgefühl“ (Schluchter1988:269 ) und durch die Sorge um die Folgen seines Tuns. Sein Handeln ist dann gerechtfertigt, ”wennesdievoraussehbarenFolgen, den Erfolgswert und die Realisierungschancen reflektiert und kalkuliert“ (Möller 1983:16 ). Dabei kann es für den Verantwortungsethiker notwendig sein, einen ”KompromißmitderRealität“(Bosse,zit.nachMöller,ebd.)zuschließen,sprich seine Wertüberzeugungen oder den Gesinnungswert einer Handlung in ein Verhält- nis zum Handlungszweck und dem Erfolgswert einer Handlung zu setzen. In jedem Fall steht der Verantwortungsethiker für den Einsatz ethisch fragwürdiger Mittel und für alle tatsächlichen Folgen seiner Handlung ein.
Der Verantwortungsethiker akzeptiert die Welt, wie sie sich seiner Erfahrung darstellt, und beugt sich der Einsicht, dass Tatsache herum[kommt], daß die Erreichung ”keineEthikderWelt[...]umdie ’guter’ZweckeinzahlreichenFällen daran gebunden ist, daß man sittlich bedenkliche oder mindestens gefährliche Mittel und die Möglichkeit oder auch die Wahrscheinlichkeit übler Nebenerfol- ge mit in den Kauf nimmt“ (PaB,71 ). Ethisches Handeln ist somit immer eine Frage der Abwägung von Werten (Sollen) auf der einen und Realisierungschan- cen (Können) auf der anderen Seite, es erfordert zwangsläufig ein geschärftes und selbstkritisches Realitätsbewusstsein. Keineswegs ist die Verantwortungsethik ein Freischein für unethisches Handeln, ganz im Gegenteil. Indem der Verantwor- tungsethiker üble Nebenfolgen in Kauf nimmt, indem er seine Gesinnung und Wertpositionen verletzt, indem er paradoxerweise die Verantwortung für Folgen übernimmt, die er nicht vollends absehen kann, lässt er sich auf ein Spiel mit ”diabolischenMächten“(PaB,78 )ein,lädtunweigerlichSchuldaufsichundris- kiert somit das ”HeilderSeele“ (PaB,79 ). Gerade der Politiker ist in besonderem Maße von dieser Tragik betroffen, zeichnet die Politik sich doch durch das ”spezi- fische Mittel der [...] Gewaltsamkeit“ (PaB,77 ) aus. Das verantwortungsethische Handeln ist also, wo jemand ernst mit seiner Verantwortung macht, ”durchaus nicht gering zu achten“ (Voegelin; zit. nach Möller1983:17 ) - anzufügen wäre: auch nicht geringer als ernsthaft gesinnungsethisches Handeln.
2.3 Der ’unaustragbareGegensatz’derbeidenEthiken(I)
Soweit die Unterscheidung der beiden Ethiken, zwischen denen Weber einen austragbaren“ (PaB, 70) Gegensatz sieht. So sei es ”un- ”nichtmöglich,Gesinnungs- ethik und Verantwortungsethik unter einen Hut zu bringen“, weil es schlechter- dings unmöglich sei ”ethischzudekretieren:welcherZweckwelchesMittelhei- ligen solle“ (PaB,73 ), d.h. welche ethisch fragwürdigen Mittel zur Erreichung bestimmter ethischer Zwecke zulässig sind und ob überhaupt schlechte Mittel für gute Zwecke eingesetzt werden dürfen. Man könne daher auch Vorschriften machen“ darüber, ob er ”niemandem ”alsGesinnungsethikeroderalsVerantwor- tungsethiker handeln soll, und wann das eine und das andere“ (PaB,80 ). Beide Ethiken stehen sich somit als unvereinbare Alternativen gegenüber. Dennoch gibt es in Politik als Beruf auch eine Stelle, wo es heißt, auch der Verantwortungs- ethiker müsse an einen Punkt kommen können, wo er Kraft seiner Gesinnung sagen müsse: sind ”Ichkannnichtanders,hiersteheich“ (PaB,81 ). Und insofern ”GesinnungsethikundVerantwortungsethiknichtabsoluteGegensätze,son- dern Ergänzungen, die erst den ganzen Menschen ausmachen, der den Politik’ haben kann“ (ebd.).
Die Ausgangslage ist also offenkundig widersprüchlich, was man wegen den deutlichen Begriffen leicht sehen kann, sie ist undurchsichtig, insofern sie die Gründe für die Unaustragbarkeit nicht genauer benennt, und erfordert daher, möchte man die Einheit in Webers Denken nachweisen, eine etwas weiter ausgreifende, differenzierte Antwort.
3 Zum Verständnis der beiden Ethiken
Schon prima facie kann es nicht befriedigend sein, die Verantwortungsethik al- lein aus dem Spezifikum politischen Handelns, nämlich der Gewaltsamkeit zu begründen und die Gesinnungsethik als das Gegenteil zu betrachten. Dies liefe auf eine Bejahung des ohnehin Gebotenen, auf eine bloße Forderung zweckratio- nalen Handelns hinaus, die selbst keine Rechtfertigung in sich tragen würde und daher auch keine Orientierung zu bieten hätte - kurz, es wäre dann gar keine Ethik mehr. Die Analyse der Verantwortungs- und Gesinnungsethik muss das Ziel verfolgen, den ethischen Gehalt der beiden Ethiken auf einer Ebene zu erschlie-1988:218 ) gemeinsam hat. Sie kann daher niemals mittels empirisch-praktischer Kasuistik an der Realität abgelesen werden.1
3.1 Grundlage beider Ethiken: Kant und die Gesinnung
Die Gesinnung ist für beide Ethiken ein konstitutives Element. Für die Gesin- nungsethik ist der Gesinnungswert einer Handlung alles, für die Verantwortungs ethik, die Weber teilweise im Kontrast zur absolutenEthik‘entwickelt,spielter ebenfalls eine wichtige Rolle neben dem Erfolgswert. Es macht also Sinn, zunächst den Begriff der Gesinnung aufzuklären. Wir können uns dabei auf Kant beziehen, Weber selbst hat das getan.2 Bei Kant liegt der Wert einer moralischen Handlung ganz in der Gesinnung.
Was mit Gesinnung gemeint ist, erschließt sich nur über den Begriff des (gu- ten) Willens, wenngleich bei Kant noch andere Elemente mitspielen. So muss nach Kant die moralische Beurteilung einer Handlung neben dem Willen auch die Ma- ximen, also die individuellen Handlungsgrundsätze, ebenso wie die Beweggründe oder die Motive des Handelns berücksichtigen (vgl. Köhl 1990: 2). Wir können uns aber auf den Willen beschränken, weil die Maximen und die Beweggründe erstens von nachgeordneter Bedeutung sind und zweitens eng mit dem morali- schen Beurteilungsverfahren und dessen weit ausgreifender Begründung zusam- menhängen.3 Wie ist nun der moralisch gute Wille, nachdem allein moralisches Handeln zu beurteilen ist, bestimmt? Kant sagt: ”DerguteWilleistnichtdurch das, was er bewirkt oder ausrichtet, nicht durch seine Tauglichkeit zur Erreichung irgend eines vorgesetzten Zweckes, sondern allein durch das Wollen, d.i. an sich gut.“ (Kant, Metaphysik der Sitten, zit. nach Köhl1990:11 ). Die Qualität mora- lischer Handlungen ist damit in subjektiven Einstellungen verankert, nicht auf der Ebene realer Wirksamkeit in einer äußerlichen Welt. Die tatsächlichen ”Zwecke als [...] Materien des Wollens“ (Köhl1990:16 ) spielen keine Rolle für die Beurtei- lung einer Handlung, allein der gute Wille ist maßgeblich. Der Punkt ist freilich nicht, ”daßeingutesWollenkeinenZweckverfolge“,dennjedesWollenmussauf einen konkreten Zweck gerichtet sein, sondern vielmehr ”dassdieserZweck[...] nicht die Güte des Wollens bestimmt“ (ebd.21 ). Wodurch der ’guteWillean sich’ gut wird, wenn nicht durch zweckgerichtete Handlungen, liegt darum in den Absichten, auf die sich der Wille richtet (vgl. ebd.13,14 ). Absichten sind zwar auch auf Zwecke gerichtet, bemessen sich aber nicht an deren praktischer Realisie- rung. Mithin kann die ”gesinnungsethischeGrundthese“(ebd.11 )soformuliert werden, dass es allein die Absicht einer Handlung ist, durch die eine Handlung als moralisch beurteilt wird. Wir wollen das noch erhärten durch den Beweis, warum ethische Handlungen nicht von Handlungsobjekten her beurteilt werden können.
Es geht hier um die Alternative von formaler und materialer Ethik. Kant wendet sich gegen ”einematerialeEthik,dieinHandlungszweckenoder-folgen den prim ä ren [d.V.] Gegenstand bei der moralischen Beurteilung von Handlungen erblickt“ (Köhl 1990: 32). Die Behauptung ist, dass ”ohnedievorgängigeBeurtei- Zum Verst ä ndnis der beiden Ethiken 9 lung der Handlungsabsicht [...] die moralische Beurteilung von Handlungszwecken reine Willkür“ wäre (ebd. 18). Weil es prima facie aber ”nichtmöglich[ist],eine Absicht zu beschreiben ohne die Angabe eines Zweckes“ (ebd.), ist diese Behaup- tung überhaupt erst verständlich, wenn man daran Kants Alternative anschließt: Dass nämlich das Beurteilungsprinzip ein formales sein muss, dass der Wille sich nach einem Gesetz richten muss, den Maximen, die ihrerseits durch das Verall- gemeinerungsprinzip, den kategorischen Imperativ, sanktioniert sind. Wir werden unten (Kapitel3.3 ) mit Weber noch andere Gründe finden, warum eine Ethik nicht auf die Bewertung von Folgen setzen kann; Kants Position ist daher hier nicht zu vertiefen. Festzuhalten ist, dass die kantische Gesinnungsethik (nicht die ’absoluteEthik’derBergpredigt)einereinformaleEthikist. Sein Handeln aus freiem Willen dem Sittengesetz zu unterstellen, d.h. sich an die Maximen zu halten und streng den kategorischen Imperativ zu befolgen, verbürgt nach Kant eine gewisse Würde und stellt einen ”innerenWert“dar(vgl. Schluchter1988:235 ). Das ist die Motivation einer gesinnungsethischen Haltung.
Weber hält das für uneinlösbar: ”ManmusseinHeiligerseininallem,zumin- dest dem Wollen nach, muss leben wie Jesus [...], dann ist die Ethik sinnvoll und Ausdruck einer Würde“ (PaB,69 ). Trotzdem bleibt der (verführerische) Reiz der Gesinnungsethik, dass sie eine Würde verspricht, die eben nicht von unseren ”technischenundpragmatischen Fähigkeiten“(Schluchter1988:235 )abhängt. In dieser Sicht bleiben auch solche Handlungen noch würdig, die aus Gesinnung entspringen, aber ihren praktischen Erfolg verfehlen. Daher der rigorose und ab- solute Anstrich der Gesinnungsethik. Sie ist, wird sie durchgehalten, immun gegen Einwände der praktischen Untauglichkeit, ohne deswegen als irrational gelten zu müssen.4 - Die Frage ist nun, wie es mit der Verantwortungsethik steht, wenn diese - hört man auf Webers Polemisierungen - das direkte Gegenteil zur Ge- sinnungsethik ist. Aber wenn es richtig ist, dass auch verantwortungsethisches Handeln stets einen Gesinnungswert hat, sollten eher die Ähnlichkeiten ausgelo- tet werden. Es geht darum, auch die Verantwortungsethik als eine formale Ethik zu qualifizieren, die eine gewisse Würde verbürgen kann.
[...]
1 Bei den Bezugnahmen auf Weber hat man es recht häufig mit solchen beispielhaften Ar- gumentationen zu tun. Dagegen ist prinzipiell einzuwenden, dass ”Beispieleimmernurfürsich selbst sprechen können und kein Ersatz für Argumente sind“ (Waas1995:32 ). Weber selbst ist freilich unverdächtig, wie sich zeigen wird, nur auf dem Niveau des Beispielhaften zu verharren. - Damit soll die kasuistische Methode nicht generell diskreditiert werden. Michael Walzer verfährt in seinem Buch Just and Unjust Wars, dt. Gibt es den gerechten Krieg? (1982) genau nach die- sem Prinzip; anhand von Beispielen erschließt er, jenseits aller rationalen (Letzt)Begründungen, die ”moralischeWirklichkeitdesKrieges“undbildetdarauseineArtEthik(vgl.Walzer1982: 12 ). Es wäre sicherlich interessant, Walzer auf der Folie von Weber zu untersuchen.
2 Vgl. Schluchter (1988: 351): ”DerTypusderformalenGesinnungsethik[ist]imwesentlichen an dieser Ethik entwickelt worden.“
3 Köhl bestimmt das Verhältnis von gutem Willen und Maxime so: Maximen seien Absichtssätze“ und dann liege es nahe zu sagen, dass ”generelle ”MaximendiejenigenSätzesind,indenen die Absichten zum Ausdruck gebracht werden, die [...] der eigentliche Gegenstand der moralischen Beurteilung von Handlungen sind. Absichten stehen also für Kant in Form von Maximen zur moralischen Beurteilung an“ (Köhl1990:51 ). Das Kriterum Beweggründe erfordert, dass eine Handlung ”umdesGesetzeswillen“(Kant,KritikderpraktischenVernunft,zit.nachKöhl1990: 62 ) geschieht, also aus Pflicht. Die Behandlung des moralischen Gesetzes weist aber über den Begriff der Gesinnung in seinem engeren Sinne hinaus.
4 ”Auf den Erfolgsaspekt einer sittlichen Handlung braucht letztlich dochkeine Rücksicht genommen zu werden, weil die Einrichtung des Weltlaufs [...] das Gute am Ende doch mit dem Erfolg, das Sittengesetz am Ende doch mit dem Glückseligkeitsprinzip (Schluchter ’vermählt’“ 1983:13 ). Der Gesinnungsethiker vertraut gewissermaßen auf eine h¨ohere Art von Rationalit¨at und stellt den Erfolg Gott anheim“ (PaB, 70).
- Arbeit zitieren
- Torben Büngelmann (Autor:in), 2007, Max Weber: Politik als Beruf, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87248
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