Konstantin S. Stanislawski - Die psychologische Schauspielmethode seiner Frühphase


Seminararbeit, 2002

19 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Kurze Biographie und politische Hintergründe

3. Die Arbeit des Schauspielers an der Rolle ( „Verstand schafft Leiden“)
3.1. Die Periode des Kennenlernens
3.1.1. Die erste Lektüre
3.1.2. Die Analyse
3.1.3. Das Erschaffen und Beleben der äußeren und inneren Umstände
3.1.4. Das Bewerten der Fakten und Ereignisse des Stücks
3.2. Die Periode des Erlebens
3.2.1. Schöpferische Aufgaben
3.2.2. Physische und elementar-psychologische Aufgaben
3.2.3. Psychische Rollenpartitur, Innere Tonart und Überaufgabe
3.2.4. Das Überbewußtsein
3.3. Die Periode des Verkörperns

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Konstantin S. Stanislawski ist einer der bekanntesten Regisseure und Theaterreformer des 20. Jahrhunderts; wahrscheinlich aber auch einer der am häufigsten mißverstandenen. Mit seinem Namen werden Begriffe wie ‘Kunst des Erlebens’ oder ‘Wahrheit der Gefühle’ verbunden, viele davon wurden jedoch schon oft falsch interpretiert. Dies hängt unter anderem damit zusammen, daß bei der reinen Sinnbetrachtung dieser Worte leicht falsche Schlüsse gezogen werden können. Zu einem großen Teil trägt jedoch auch Stanislawski selbst die Schuld an diesen Rezeptionsproblemen:

„Die bisweilen vage und keineswegs immer konstante Terminologie, deren er sich bei der Abfassung seiner Schriften bediente, und die teilweise nur skizzenhafte Erläuterung von methodischen Prinzipien, die manchmal schon bald verworfen und durch neue Grundsätze ersetzt wurden, erschweren eine präzise Bestandsaufnahme des Systems ebenso wie eine genaue Beschreibung von dessen Genese.“ (Ahrends 1992, S.7).

Wenn man sich also mit Stanislawskis Lehre, seinem sogenannten ‘System’, auseinandersetzt, erfordert dies das genaue Studium seiner Schriften und die Betrachtung des Gesamtkontextes innerhalb seines schriftlichen Nachlasses. Hierbei erweist sich jedoch die unbefriedigende Quellenlage als Problem. Viele Schriften wurden bei der Übersetzung aus dem Russischen teilweise sinnentstellend verändert. Zusätzlich wurden viele Schriften erst nach Stanislawskis Tod veröffentlicht und nicht von ihm selbst herausgegeben, was zur Folge hatte, daß aufgrund der politischen Umstände unter Stalin fragwürdige Selektionskriterien angewandt und teilweise sogar manipulative Eingriffe vorgenommen wurden.

Stanislawskis Schaffen wird im allgemeinen in zwei große und zueinander nahezu im Gegensatz stehende Phasen eingeteilt: in einen frühen psychologisch und einen späten physiologisch orientiert arbeitenden Stanislawski. Mittlerweile stellt man sich jedoch die Frage, ob diese strikte Trennung beibehalten werden sollte, da auch schon in seiner frühen Phase Andeutungen auf eine physiologische Technik vorliegen und die Unterscheidung besonders von der sowjetischen Kulturpropaganda bestärkt wurde. (Vgl. Ahrends 1992, S.8).

Unter Einbeziehung der bisher genannten Hintergründe und Schwierigkeiten ergeben sich viele weitere Fragestellungen und Arbeitsansätze: Inwiefern war Stanislawski gezwungen, sich und auch sein ‘System’ Stalins Kunstdoktrin anzupassen? Ist das ‘System’ auch in der heutigen Zeit und auf nichtrealistische Stücke anwendbar, und wie stark wirkt es noch auf die heutige Schauspielarbeit nach? Weitere Themengebiete wie die Verhältnisse zwischen Stanislawski und Meyerhold[1] oder Stanislawski und Brecht wären zu untersuchen, und zu prüfen, ob man außer den vielen Gegensätzen vielleicht auch Gemeinsamkeiten finden kann.

Da dies jedoch alles sehr komplexe Themenbereiche sind, werde ich mich auf einen Ausschnitt seines umfangreichen schriftlichen Nachlasses beschränken und anhand der Ausführungen Stanislawskis in Die Arbeit des Schauspielers an der Rolle zu „Verstand schafft Leiden“ (1916-1920)[2] die Methodik seines frühen ‘Systems’ kurz referieren und einige interessante Aspekte genauer hervorheben und kommentieren. Auch wenn die Methoden vielfach von Stanislawski modifiziert wurden und sich in seiner späten Schaffensphase stark veränderten, bin ich doch der Meinung, daß gerade diese frühe Phase interessant und von Bedeutung für seine spätere Entwicklung ist. Viele seiner grundlegenden Ideen, die er auch in seine physiologisch orientierte Methode übertrug, entstanden schon zu dieser Zeit, wie z.B. die ‘Überaufgabe’ oder die Wichtigkeit der durchgehenden Handlung.

Bevor ich jedoch zu diesem Hauptteil der Arbeit komme, werde ich noch einige wichtige Aspekte aus der Biographie Stanislawskis unter Einbeziehung der damaligen politischen Umstände in Rußland erläutern.

2. Kurze Biographie und politische Hintergründe

Konstantin Sergejewitsch Stanislawski wurde 1863 mit dem bürgerlichen Namen Alexejew als Sohn einer wohlhabenden, kunstliebenden Fabrikantenfamilie in Moskau geboren. Sein Vater gab ihm und seinen Geschwistern die Möglichkeit in einem eigens für sie gebauten Theaterhaus auf dem Gelände seines Sommersitzes zu proben und kleinere Aufführungen zu inszenieren. Dadurch kam Stanislawski zwar schon früh mit Theater und Künstlern in Kontakt, genoß jedoch nie eine professionelle Schauspielausbildung. Gerade aus dem hierin begründeten Streben, die Amateurhaftigkeit abzustreifen, entwuchs später der Wunsch, die Gesetzmäßigkeiten schauspielerischen Schaffens zu finden und zu erforschen, um sie anderen zu vermitteln. (Vgl. Hoffmeier 1993, S. 21 ff).

Beeinflußt durch das Gastspiel der Meininger[3] 1890, widmete sich Stanislawski die darauffolgenden fünfzehn Jahre dem naturalistischen Regietheater, das sich durch seine durchkomponierten, bildhaften und phantasievollen Inszenierungen auszeichnete.

1898 gründete er gemeinsam mit Wladimir Nemirowitsch Dantschenko das „Moskauer allgemeinzugängliche künstlerische Theater“ (MChT, seit 1919 MChAT), in dem er selbst als Schauspieler agierte, hauptsächlich jedoch für Regie und Schauspielererziehung zuständig war. Die Gruppe setzte sich aus seiner schon bestehenden Laienspielgruppe und ausgebildeten Schauspielabsolventen, darunter auch Meyerhold, zusammen. Der Durchbruch gelang dem Künstlertheater 1898 mit der Inszenierung von Tschechows „Die Möwe“, woraus eine enge Zusammenarbeit mit Tschechow entstand, dessen psychologischer Realismus die Entwicklung des illusionistischen Einfühlungstheaters Stanislawskis wesentlich beeinflußte. (Vgl. Brauneck 1988, S.50 ff).

Ab 1904 wendete sich der Regisseur stärker dem Symbolismus zu, inszenierte Stücke von Maeterlinck und Hamsun und arbeitete sogar eine zeitlang mit Edward Gordon Craig[4] zusammen. Doch gerade bei den symbolistischen Inszenierungen kritisierte Stanislawski immer wieder die Unfähigkeit der im Naturalismus verhafteten Schauspieler, was ihn ebenfalls veranlaßte, stärker nach methodischen Verfahren zu suchen. (Vgl. Hoffmeier 1993, S.48). In den Jahren 1912-1922 gründet er vier Studios, die die experimentelle Weiterentwicklung seines ‘Systems’ vorantreiben sollten, ohne dabei dem öffentlichen Druck ausgesetzt zu sein.

Nach der Oktoberrevolution, der sich Stanislawski nur zögernd anschloß, durchlitt das MChT eine Krise, da es als „Hort bürgerlicher, vorrevolutionärer Kulturpflege“ (Brauneck 1988, S.54) angesehen wurde und sogar geschlossen werden sollte. Aus diesen Gründen unternahm das Ensemble eine zweijährige Auslandstournee (1922-1924). Nach seiner Rückkehr konnte sich aber selbst Stanislawski den Veränderungen nicht mehr entziehen und versuchte die neue soziokulturelle Aufgabe der Kunst mit seinem Theater praktisch zu gestalten, ohne dabei seine grundlegenden ästhetischen Überzeugungen zu verwerfen, sondern nur geringfügig abzuwandeln. Meyerhold wurde in dieser Zeit zu seinem größten Kontrahenten und spornte Stanislawski zu mehr Experimentierfreude und Wetteifer an. (Vgl. Hoffmeier 1993, S.88).

[...]


[1] Wsewolod E. Meyerhold war von 1898-1902 Schauspieler am MChT und später der größte Konkurrent Stanislawskis. Er entwickelte die Prinzipien der „Biomechanik“ für das Schauspieltraining.

[2] Komödie von Alexander Gribojedow (1795-1829)

[3] Theatertruppe des Herzogs Georg II. von Saschen- Meiningen. Zeichnete sich vor allem durch hohe Inszenierungskunst aus. Gastspiele in Rußland unter ihrem Leiter Ludwig Chronegk (1837-1891).

[4] Edward Gordon Craig (1872-1966), englischer Schauspieler, Regisseur, Bühnenbildner und Theatertheoretiker; wollte den Schauspieler durch „Übermarionette ersetzen“; Verfechter des „Regietheaters und der radikalen Reformen der Bühnenbeleuchtung und –dekoration.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Konstantin S. Stanislawski - Die psychologische Schauspielmethode seiner Frühphase
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum  (Institut für Theaterwissenschaft)
Veranstaltung
Proseminar: Theatertheorie
Note
1,0
Autor
Jahr
2002
Seiten
19
Katalognummer
V8733
ISBN (eBook)
9783638156271
ISBN (Buch)
9783656759980
Dateigröße
556 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schauspieltheorie, Stanislawski
Arbeit zitieren
Claudia Schnurbus (Autor:in), 2002, Konstantin S. Stanislawski - Die psychologische Schauspielmethode seiner Frühphase, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/8733

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