Empiriepraktikum zum Spracherwerb


Forschungsarbeit, 2002

27 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Einleitung

II. Methode

III. Ergebnisse

IV. Diskussion der Ergebnisse

V. Anhang
Tabelle 1 Propositionen zur Erzählgeschichte Lufttaxi
Tabelle 2 Propositionen zur Sachgeschichte „Fastnacht, Fasching Karneval“
Diagramm 1 Erzählgeschichte „Lufttaxi“ 1. Wiedergabe - unmittelbar nach der Präsentation
Diagramm 2 Erzählgeschichte „Lufttaxi“ 2. Wiedergabe - 2 Stunden später
Diagramm 3 Sachgeschichte „Fastnacht, Fasching, Karneval“ Wiedergabe unmittelbar nach der Präsentation
Tabelle 3 Mittelwertsdifferenzen zw. wörtlicher und nicht- wörtlicher Instruktion in Parametern der Geschichtenwiedergaben
Tabelle 4 Mittelwertsdifferenzen zwischen Erzähl- und Sachgeschichte (Lufttaxi vs. Fasching)

VI. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Fragestellung, wie Kinder im Alter von sieben bis zehn Jahren Geschichten, die ihnen vorgelesen werden, direkt und nach zwei Stunden wiedergeben. Untersucht wird gleichzeitig, ob sich Kinder gleichen Alters bezüglich ihres Sprachentwicklungsstandes unterscheiden und inwieweit dies einen Einfluss auf ihr Textgedächtnis hat. Dabei orientierten wir uns insbesondere an der Theorie von Kintsch.

Nach dem Textverstehensmodell von Van Dijk und Kintsch (1983) resultiert die Mikrostruktur eines Textes aus einer Kohärenzanalyse, „ wobei die elementaren Propositionen eines Textes zu einer hierarchischen Struktur zusammengefügt werden “ (Kintsch, 1994, 41). Die Mikrostruktur eines Textes entspricht dem Stoff für weitere Verarbeitungsschritte und bestimmt demnach die Herausarbeitung der Makrostruktur. So ist beispielsweise das Verstehen wissensintensiv, da hier sowohl adäquates Wissen, als auch Enkordierungsstrategien wichtig sind. Die entscheidende mentale Repräsentation entspricht dem Situationsmodell. Dieses zeigt, was ein Text über bestimmte Situationen aussagt und zieht Schlüsse aus dem Verhältnis der Information des Textes zu dem Vorwissen des Kindes. Es ist die psychologisch realisierte Bedeutungsvorstellung (Repräsentation) dessen, worüber der Text eine Aussage trifft. Van Dijks und Kintschs Modell (1983) befasst sich mit den mentalen Kalkulationen, die nötig sind, um verschiedene Text- und Situationsrepräsentationen aufzubauen. Der Gegenstandsbereich der Theorie ist vor allem die Konstruktion von Bedeutungseinheiten (Propositionen), die Rolle des begrenzten Arbeitsgedächtnisses und die Erleichterung des Verständnisses durch eine konventionelle und schematische Textstruktur. Die Propositionen ergeben ein hierarchisch aufgebautes Netz, was die Textbasis bzw. die mentale Repräsentation des Textes darstellt. Übergeordnete Propositionen werden in der Regel besser behalten. Obwohl die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses begrenzt ist, wird es von den konstruierten mentalen Modellen beansprucht. Da die Textbasis im Arbeitsgedächtnis nicht beliebig vergrößert werden kann, wird bei einer langen Texteinheit Stück für Stück vorgegangen. Dazu muss die bereits konstruierte Basis ins Langzeitgedächtnis überführt werden. Damit der neue Text mit der alten Basis verbunden werden kann, behält das Kurzzeitgedächtnis wenige, jedoch besonders wichtige Propositionen als Bindeglieder. Erst dadurch ist es möglich, für einen langen Text eine kohärente Repräsentation zu konstruieren.

Im Kintschen Konstruktions-Integrations-Modell (1988) spielt das Wissen eine große Rolle. Das Modell besagt, dass Verstehen gleich einer Interaktion und Verschmelzung des Textes mit dem aktualisierten Wissen bzw. dem persönlichen Erfahrungsschatz des Verstehenden ist. Sowohl das Wissen, als auch die persönliche Erfahrung bilden ein assoziatives Netz, dessen Knoten aus Propositionen oder Be-griffen besteht. Dieses hybride System weist sowohl symbolische, als auch konnektionistische Aspekte auf. In seiner Konstruktionsphase gleicht es einem Produkt- bzw. Regelsystem, welches eine symbolische „Text + Wissen“-Repräsentation generiert. In der Integrationsphase hingegen werden zusätzliche Mechanismen angewandt, um zu einer widerspruchsfreien und kohärenten Interpretation des Textes zu gelangen. Beide Phasen arbeiten mit dem Ziel, ein Bedeutungsnetz zu erzeugen, welches den Text optimal repräsentiert. Im Falle des Problemlösens (Problemtext) ist das Ziel, eine Problemrepräsentation zu erzeugen, aus der sich leicht eine Problemlösung erkennen lässt. In diesem Modell kommt man mit schwächeren allgemeinen Regeln aus. Der Prozess der kontextuellen Integration ermöglicht es, kontextuell irrelevante Inferenzen und kontextuell irrelevantes Wissen von der endgültigen Textrepräsentation auszuschließen. Zusammenfassend sagt Kintsch (1994) folgendes: „ Das Konstruktions-Integrations-Modell arbeitet mit schwachen und einfachen Regeln, die zwar nicht hinreichen, um sinnvolle Interpretationen eines Textes zu generieren, aber mit dessen Hilfe sich besser mit den theoretischen Problemen der charakteristischen Unschärfe und Ambiguität von Verstehensprozessen umgehen lässt. “ (44)

Auch Mayer (1997; zitiert nach Schnotz & Bannert, 1999) geht davon aus, „ dass verbale [...] Informationen entsprechend der dualen Kodierungstheorie in unterschiedlichen kognitiven Subsystemen verarbeitet werden und zur parallelen Konstruktion unterschiedlicher mentaler Modelle führen. “ (221) Dadurch entstehen textbasierte mentale Modelle, die aufeinander abgebildet und integriert werden, vorrausgesetzt, entsprechende Modellteile befinden sich im Arbeitsgedächtnis. Mayer beschreibt zum Einen das Text- und zum Anderen das Bildverstehen. Der Zweig des Textverstehens besteht aus einem (externen) Text, einer (internen) mentalen Repräsentation der Textoberflächenstruktur und der (ebenfalls internen) propositionalen Repräsentation des semantischen Gehalts. Die beiden letzten (internen) Bestandteile versteht Kintsch als Textbasis. Demnach konstruiert eine Person beim Verstehen eines Textes eine Textbasis und anhand derer ein mentales Modell des dargestellten Sachverhalts (Van Dijk & Kintsch, 1983; Schnotz & Bannert, 1999).

Die psychologischen Prozesse und Strategien, welche für Gedächtnisleistungen und das Produzieren von Erinnerungen verantwortlich sind, können unabhängig von der Art des Textes durchaus ein und derselben Kategorie angehören. Gerade bei literarischen Texten ist die Oberflächenstruktur ein wichtiger Steuerungsfaktor. Längere Texte werden im Allgemeinen nicht vom Gedächtnis reproduziert, sondern bedürfen einer Rekonstruktion. Die sprachliche Oberflächen- und die semantische Tiefenstruktur soll ein Situationsmodell vermitteln und ist demnach für gewöhnlich arbiträr und auswechselbar. In literarischen Texten sind Oberflächenstruktur (Wortwahl, Satzkonstruktion) und Textbasis mit dem Situationsmodell koordiniert.

Kelly und Rubin (1988) lieferten anhand eines Abzählreimes viele Befunde zum Konstruktions-Integrations-Modell. Die Oberflächenstruktur wurde hierbei in zwei Repräsentationsebenen, die Phonologie und die Versifikation (Versbildung), aufgeteilt. Jedes Element steht, jeweils aus phonologischer oder versifikatorischer Betrachtung, in unterschiedlichen Relationen zu anderen Elementen. Daraus ergeben sich drei verschiedene Relationssysteme: Das phonologische, die Versrelation und die Textbasis. Letztere war für den Abzählreim allerdings nur dürftig, da hier die Versifikation den Text und nicht die Semantik dominierte. Das Kintsche Modell (1988) bildet in seiner Konstruktionsphase genau dieses Netz. In seiner Integrationsphase berechnet es, wie stark die Aktivation jedes der gebildeten Textelemente, Versrelationen und Textpropositionen ist. Kintschs Annahme zufolge ist anfänglich jedes Element gleich stark aktiviert. Diese Aktivierung fließt jedoch solange im gebildeten Netz „umher“, bis zwischen den Elementen ein Gleichgewicht entsteht, was sich nicht mehr verändert. Im Allgemeinen erreichen die Versrelationen eine höhere Aktivationsstärke als die Silben des Textes und werden dem Modell zufolge auch am besten behalten (der Reim existiert in vielen Versionen und alles mögliche wird darin verändert, außer die rhythmische Struktur an sich). Die

Konstruktionsprozesse unterliegen somit einer Selektions- und Organisationsfunktion, die dazu führt, dass sich eine Schemenkonfiguration herausbildet, welche am besten zu der vorliegenden Textinformation passt. Ein Sänger z.B. arbeitet mit einer Reihe von Strategien, um sich seine Gesänge zu merken. Wenn diese generativen Strategien gut eingeübt sind, ist er in der Lage, diese mühelos, automatisch und unbewusst anzuwenden. Das Verstehen literarischer Texte stellt ähnliche Anforderungen: Der Leser muss die nötigen Entschlüsselungsstrategien automatisch anwenden können und zudem das nötige Wissen parat haben. Literarische Texte beinhalten oft ungewohnte sprachliche Strategien. Anders ist es z.B. bei einer Zeitungsannonce, dem Versmaß und Reim, den Organisationsprinzipien eines Romans usw. Literarische Texte stellen also spezifische Anforderungen an Enkodierungsstrategien und Wissen, doch bei den psychologischen Verstehensprozessen handelt es sich um die gleichen wie z.B. bei einem Sachtext. Das Konstruktions-Integrations-Modell ist demnach auch für anspruchsvollere literarische Texte möglich.

Schon nach Sachs (1967) ist das wörtliche Behalten eines Satzes eher dürftig und nur unmittelbar nach der Präsentation testbar, wobei jedoch die Satzbedeutung gut behalten wird. Man schloss daraus, dass der wörtlichen Information keine so hohe Gewichtung wie dem Bedeutungsinhalt eines Textes zukommt. Das wörtliche Behalten kann ein entscheidender Schritt dafür sein, Ausdrücke zu formulieren und zu verstehen (Jarvella, 1979; Levelt & Kelter, 1982). Nach Murphy und Shapiro (1994) sollten für Experimente, die das wörtliche Behalten testen, folgende drei Kriterien erfüllt sein: 1. Für das wörtliche und inhaltliche Behalten müssen unterschiedliche Maße verwendet werden, da sich sonst schwer unterscheiden lässt, welches von beiden eine bestimmte Variable beeinflusst. 2. Die Stimuli müssen einen realistischen und zusammenhängenden Text ergeben, denn die Ergebnisse für das Behalten von Wortlisten können nicht auf einen Vortrag oder ähnliches übertragen werden. Als dritter Punkt sollte den Probanden nicht gesagt werden, dass sie sich so gut wie möglich erinnern sollen. Die Ergebnisse würden in der Hinsicht verfälscht, dass in einem Vortrag oder einer Unterhaltung andere Prozesse durchlaufen werden als beim Erinnern (Johnson-Laird & Stevenson, 1970; Levelt & Kelter, 1982). Die Ursachen für geringeres wörtliches Behalten wurden schon in verschiedenster Hinsicht erforscht. Gernsbacher schreibt (1985) folgendes: In der Integrationshypothese werden Wörter in Satzbedeutungen enkodiert und Sätze wiederum in größere Gesprächseinheiten und mentale Modelle umgeformt. Daraus ergibt sich eine effizientere Gedächtnisstruktur. Dies wäre eine mögliche Erklärung für den Verlust wörtlicher Informationen. Die Probanden erinnerten sich zwar nicht an einzelne Sätze, hatten diese jedoch in einer komplexeren Erinnerungsstruktur parat. Die meisten Arbeiten zur Integrationshypothese trennten nicht das Erinnerungsvermögen für die wörtliche Information und den Inhalt. Anderson und Bower (1973) lieferten hierzu einen Beweis: Sie ließen Probanden Sätze lesen und sie anschließend - entweder unmittelbar danach oder nach einem Tag - beurteilen, ob die dann präsentierten Testsätze mit den Originalen übereinstimmten. Diese Testsätze waren entweder mit den Originalen identisch oder im Genus verbi vertauscht (Aktiv oder Passiv). Anderson und Bower gelangten zu dem Ergebnis, dass die Probanden viel schneller reagierten, wenn der Testsatz mit dem Original übereinstimmte und die Originalsätze einzelnen nicht-zusammenhängenden Sätzen entsprachen. Genauso würde es auch die Integrationshypothese vorhersagen. Gernsbachers Ergebnisse (1985) sprechen allerdings dagegen. Da seine Studie viel jünger als vorangegangene ist, führten auch Murphy und Shapiro eine solche durch (1994, Experiment 1). Dazu nahmen sie zwei Geschichten auf Band auf und spielten diese ihren Probanden vor. Jede der Geschichten besaß zwei Versionen, die sich zwar in ihrer Oberflächenstruktur leicht unterschieden, aber die gleiche Wortanzahl besaßen. Zudem spielten sie die Geschichten entweder „normal“ vor, oder vermischten die Sätze der Geschichten untereinander. Daraus ergaben sich vier verschiedene Möglichkeiten. Im Test bekamen die Probanden jeweils sieben Sätze präsentiert, die entweder identisch mit dem Originaltext waren, gar nicht in den Geschichten vorkamen (aber schon Satzteile der Geschichten enthielten) oder in ihrer Oberflächenstruktur verändert waren. Die Auswertung dieser Studie zeigt, dass das wörtliche Behalten unter den „normalen“ Bedingungen besser verlief. Dies widerspricht der Integrationshypothese und stimmt mit den vorher neuesten Arbeiten zu diesem Thema (Gernsbacher, 1985) überein.

Gernsbacher (1985) vertritt die „Processing-Shift“-Hypothese. Deren Aussage besteht darin, dass die Erinnerbarkeit eines Items der Funktion der Aufmerksamkeit entspricht, die diesem Item entgegengebracht wird. Der Verlust wörtlicher Informationen rührt daher, dass eine Substruktur im Gedächtnis abgelegt und die Aufmerksamkeit einer neuen zugewandt wird. Diese Hypothese mag die geringe Qualität des wörtlichen Behaltens erklären, jedoch zeigten Murphy und Shapiro (1994, Experiment 2 und 3), dass sie nicht jene Effekte voraussagt, auf die später noch näher eingegangen wird.

Nach Keenan (1977) erinnern sich die Probanden am besten an sogenannte „high-interactional content“-Sätze - bzw. bei Murphy und Shapiro „highly interactive“- Sätze. Solche Sätze enthalten für den Leser oder Zuhörer eine interessante Information, z.B. über die Intention des Autors bzw. Sprechers. Jedoch wurde nur wenig erforscht, was einen Satz für eine Person zu einem solchen „highly interactive“-Satz macht. Da weder die „Processing Shift“-, noch die Integrationshypothese erklären können, warum das wörtliche Behalten für solche Sätze besser ist, suchte man nach einer Lösung. Die pragmatische Sicht (pragmatic view) sagt aus, dass Zuhörer meistens den Teilen eines Textes Beachtung schenken, die für ihre aktuellen Ziele am relevantesten und wichtigsten sind oder dem herausragendsten Teil des Textes entsprechen. Ähnlich der „Processing Shift“- Hypothese wird das unterschiedliche Behalten durch Zuwendung von Aufmerksamkeit erklärt. Meist sind die Zuhörer am Inhalt einer Unterhaltung, eines Vortrags oder ähnlichem interessiert und richten ihre Aufmerksamkeit darauf.

[...]

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Empiriepraktikum zum Spracherwerb
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg  (Institut für Psychologie)
Veranstaltung
Empiriepraktikum
Note
1,3
Autor
Jahr
2002
Seiten
27
Katalognummer
V87423
ISBN (eBook)
9783638022484
ISBN (Buch)
9783638921176
Dateigröße
730 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Empiriepraktikum, Spracherwerb, Empiriepraktikum, Kintsch, Van Dijk, Wiedergabe von Texten bei Kindern, Entwicklung von Sprache
Arbeit zitieren
Diplom-Soziologin Susann Kindel (Autor:in), 2002, Empiriepraktikum zum Spracherwerb, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87423

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