Bürgerausschüsse in Esslingen - Theorie und Praxis kommunaler Partizipation


Magisterarbeit, 2007

101 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhalt

Anhangsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1. Einleitung

2. Bürgerausschüsse
2.1. Geschichtlicher Hintergrund
2.2. Gründung nach 1945
2.3. Die Bürgerausschüsse im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung

3. Die Bürgerausschüsse im Rahmen der Partizipationsforschung
3.1. Verständnis von Partizipation
3.2. Bürgerausschüsse und das Konzept der politischen Partizipation
3.3. Entwicklung der Vorstellung von politischer Partizipation
3.4. Verortung der Aktivität in Bürgerausschüssen in einer Typologie politischer Aktionsstile
3.5. Motive für die Untersuchung der kommunalpolitischen Partizipation
3.6. Erklärungsmodelle der Partizipationsforschung
3.6.1. Forschungsstand
3.6.2. Das Ressourcen-Sozialisations-Mobilisierungs Modell von Verba, Schlozman und Brady
3.6.2.1. Ressourcen
3.6.2.2. Motive
3.6.2.3. Netzwerke
3.7. Hypothesen

4. Empirische Untersuchung
4.1. Erhebung
4.2. Die Partizipanten der Bürgerausschüsse
4.3. Deskriptive Untersuchung der unabhängigen Variablen
4.3.1. Ressourcen
4.3.2. Motive
4.3.3. Netzwerke
4.4. Empirische Überprüfung der Hypothesen
4.4.1. Überprüfung der Annahme der Existenz von drei unterscheidbaren Prädiktoren politischer Beteiligung in den Bürgerausschüssen
4.4.2. Test des Einflusses der drei Faktoren zur Erklärung der Partizipation in den Bürgerausschüssen
4.5. Vermitteln die Bürgerausschüsse prosoziale oder demokratische Einstellungen?

5. Schlussbemerkungen

6. Anhang

7. Literaturverzeichnis

Anhangsverzeichnis

Anhang 1: Stadtplan Esslingen mit den Bürgausschussgebieten

Anhang 2: Bevölkerungsentwicklung in Esslingen und den einzelnen Bürgerausschussgebieten

Anhang 3: Beteiligung an Bürgerversammlungen zur Wahl der Bürgerausschüsse

Anhang 4: Variablenübersicht

Anhang 5: Indexbildung

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Einwohner in den Bürgerausschussgebieten 1946-1980

Abbildung 2: Teilnehmer an Bürgerversammlungen zur Wahl der Bürgerausschüsse (1978-2006)

Abbildung 3: Anteil der Teilnehmer an Bürgerversammlungen zur Wahl der Bürgerausschüsse an der Wohnbevölkerung der Bürgerausschussgebiete (1980-2006)

Abbildung 4: Wie wirksam sind Ihrer Meinung nach Bürgerausschüsse, um politische Entscheidungen in der Gesellschaft zu beeinflussen?

Abbildung 5: Mittel, die in den Bürgerausschüssen eingesetzt werden, um Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen

Abbildung 6: Dauer der Mitgliedschaft in den Bürgerausschüssen

Abbildung 7: Ressourcen-Sozialisations-Mobilisierungs Modell

Abbildung 8: Internet-Zugang in den Bildungsgruppen

Abbildung 9: Verlauf der Teilnehmerzahl

Abbildung 10: Geschlecht BA und Esslingen

Abbildung 11: Altersklassen BA und Esslingen

Abbildung 12: Höchster allgemein bildender Schulabschluss BA und Baden-Württemberg

Abbildung 13: Einkommen

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Gründungsjahre der Bürgerausschüsse

Tabelle 2: Struktur kommunalpolitischer Beteiligung in Deutschland, 1997

Tabelle 3: Systematik kommunaler Beteiligungsformen

Tabelle 4: Darstellung der Ressourcenvariablen

Tabelle 5: Die Motive des Engagements in den Bürgerausschüssen

Tabelle 6: Einbindung in Netzwerke

Tabelle 7: Struktur der Prädiktoren politischer Beteiligung in den Bürgerausschüssen (Faktorladungen: Rotierte Lösung)

Tabelle 8: Übersicht der theoretischen Indikatoren

Tabelle 9: Determinanten politischer Beteiligung in den Bürgerausschüssen (Binomiale logistische Regression)

Tabelle 10: Vertrauen in Mitmenschen nach Amtsausübung

Tabelle 11: Verbundenheit mit den verschiedenen Ebenen nach Amtsausübung

Tabelle 12: Wirksamkeit politischer Partizipationsformen nach Amtsausübung

1. Einleitung

Das bürgerliche Engagement ist seit einigen Jahren ins Zentrum der öffentlichen und wissenschaftlichen Aufmerksamkeit gerückt. Ein neues Verhältnis zwischen Staat und Gesellschaft wurde konstatiert, ein Verhältnis, das Staat und Gesellschaft als gleichwertige Partner sieht. Nicht der Staat alleine, mit seiner überbordenden Bürokratie, ist in dieser Sicht für die Sicherstellung von Gemeinwohl, Recht und Ordnung zuständig, sondern auch die gesellschaftlichen Akteure (vgl. Benz 1997: S. 88). Schlagworte wie ‚kooperativer Staat’ (vgl. Benz 1997: S. 88), aktivierender Staat (vgl. Blanke/Schridde 1999) oder das kommunale Leitbild der ‚Bürgerkommune’ (vgl. Banner 1998: S. 179; Kochniss: 2003: S. 8) lassen vermuten, dass das bürgerliche Engagement bislang für die Kommunen keine wichtige Rolle gespielt hat und dass der Bürger nun wieder Einzug in die Politik halten würde. Auch wenn die Kommunen in früheren Zeiten eher als Ordnungskommunen charakterisiert werden mussten und sich nach Banner (1998: S. 180) erst in den letzten Jahren durch Verwaltungsreformen zu bürgerorientierten Dienstleistungskommunen gewandelt haben, spielte das bürgerliche Engagement im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung schon lange eine wichtige Rolle.

Neben den in Baden-Württemberg kommunalrechtlich verankerten Einflussmöglichkeiten wie Bürgerentscheid, Bürgerbegehren oder der Wahl von Gemeinderat und Bürgermeister sichern die Bürger, in den Kommunen der Bundesrepublik, durch freiwilliges Engagement in Vereinen oder anderen Freiwilligenorganisationen ein friedliches und vertrauensvolles Miteinander.

Noch im Jahr 1997 konstatiert Gabriel, dass das „Wissen über den betreffenden Gegenstand außerordentlich begrenzt [ist]: über das Verhältnis der Bevölkerung zur kommunalen Selbstverwaltung“ (Gabriel 1997: S. 9). Auch wenn seitdem viele Erkenntnisse über die kommunale Ebene gewonnen wurden, sind die Formen der bürgerlichen Beteiligung in den einzelnen Kommunen so vielfältig, dass die Forschung von einem vollständigen Überblick noch weit entfernt sein dürfte. Um dieses Dickicht der kommunalen Beteiligungsformen ein Stück weit zu erhellen, wird in dieser Arbeit eine kommunalpolitische Besonderheit untersucht. Die Esslinger Bürgerausschüsse zeichnen sich einerseits dadurch aus, dass sie schon über 50 Jahre bestehen, was in Zeiten der Präferenz für eher kurzfristige, problembezogene Formen politischer Partizipation umso bemerkenswerter ist. Andererseits zeichnen sie sich dadurch aus, dass die Stadt Esslingen die Bürgerausschüsse seit der Gründung des ersten Bürgerausschusses im Jahr 1948, als Teilhaber an der kommunalen Willensbildung anerkennt.

Dass die Bürgerausschüsse entstanden sind, bevor die Verwaltungsforschung die neuen Leitbilder entwarf, mag in dem partizipationsfreundlichen Klima der ehemals freien Reichsstadt begründet sein, dass sie jedoch bis heute bestehen, muss besonders mit der partizipationsfreundlichen Haltung der Stadt begründet werden.

Da in den Bürgerausschüssen seit den Gründungsjahren regelmäßig ungefähr 160 Bürgerinnen und Bürger partizipieren, ist es schon aus demokratietheoretischer Sicht notwendig, die klassischen Fragen der Politikwissenschaft zu stellen und zu beantworten: Wer partizipiert in den Bürgerausschüssen und warum partizipieren die Menschen in den Bürgerausschüssen?

Diese Überlegungen deuten an, dass die Bürgerausschüsse offensichtlich im bundesdeutschen Partizipationsraum eine herausgehobene Stellung einnehmen. Aus diesem Grund sind in dieser Untersuchung natürlich alle Überlegungen kontrastiv zu stellen. Wenn die Bürgerausschüsse eine Sonderstellung innehaben, stellt sich natürlich die Frage, aus welchen Gründen sie entstanden sind und seit über 50 Jahren bestehen. Um bestehende Unterschiede zwischen den Bürgerausschüssen und anderen Formen politischer Einflussnahme identifizieren zu können, ist es notwendig, die Bürgerausschüsse in bestehende kommunale Partizipationssysteme einzuordnen. Führen diese Analysen zu der Erkenntnis, dass die Bürgerausschüsse eine Sonderstellung einnehmen, stellt sich natürlich die Frage, welche Personengruppen dann in ihnen partizipieren und besonders, ob sich der Personenkreis der in Bürgerausschüssen partizipiert signifikant von Partizipantenkreisen anderer Formen politischer Einflussnahme unterscheidet.

Um die Determinanten der politischen Partizipation in den Bürgerausschüssen herausfinden zu können, wird in dieser Arbeit mit dem Civic Voluntarism Modell von Verba/Schlozman und Brady (1995) ein Erklärungsmodell zugrunde gelegt, mit dem auf nationaler Ebene gute Erklärungsleistungen erzielt werden konnten (vgl. Gabriel/Völkl 2005). Nach Gabriel müssen Annahmen über die Bestimmungsfaktoren politischer Einstellungen und Verhaltensweisen, welche im nationalen Rahmen aufgestellt werden, auch auf der lokalen Ebene anwendbar sein. Der universelle Erklärungsanspruch einer Theorie erwächst in dieser Sicht daraus, dass die Hypothesen der Theorie auch auf der lokalen Ebene validiert werden können (vgl. Gabriel 1997: S. 10).

Die wissenschaftliche Relevanz des Themas liegt nun nicht nur darin begründet, dass eine auf nationaler Ebene bestätigte Theorie auf lokaler Ebene getestet wird. Die wissenschaftliche Bedeutung ergibt sich auch und besonders daraus, dass der Versuch unternommen wird, eine Theorie, die angelegt wurde, um Unterschiede zwischen Partizipanten und Nichtpartizipanten erklären zu können, einzig auf eine Gruppe von Partizipanten anzuwenden. Auf diese Weise wird untersucht, ob sich die Unterschiede innerhalb einer homogenen Partizipantengruppe hinsichtlich der Ausübung oder Nichtausübung eines Amtes, auf die gleichen Bestimmungsgrößen zurückführen lassen, die von Verba/Schlozman und Brady (1995) zwischen Partizipanten und Nichtpartizipanten identifiziert wurden.

Rekapituliert man die ausgeführten Überlegungen ergeben sich die folgenden Fragestellungen, welche diese Arbeit strukturieren werden:

1.) Warum sind die Bürgerausschüsse entstanden und bestehen sie bis heute fort?
2.) Welche Bevölkerungsgruppen partizipieren in den Bürgerausschüssen?
3.) Welche Determinanten lassen sich für die Beteiligung in Bürgerausschüssen festmachen?
4.) Lässt sich die kommunalpolitische Beteiligung in den Bürgerausschüssen mit einem auf nationaler Ebene bestätigten Modell erklären?
5.) Ist es mit diesem Modell von Verba/Schlozman und Brady möglich, Unterschiede innerhalb einer relativ homogenen Partizipantengruppe hinsichtlich der Ausübung eines Amtes zu erklären?
6.) Erwerben die Amtsträger durch ihre Aktivität in den Bürgerausschüssen prosoziale und demokratische Einstellungen, die sie von Bürgerausschussmitgliedern ohne Amt unterscheiden?

2. Bürgerausschüsse

2.1. Geschichtlicher Hintergrund

Die Esslinger Bürgerausschüsse werden landläufig als eine kommunalpolitische Besonderheit angesehen (vgl. dazu Wehling 1999 S. 12, Glück 1991 S. 252). Ausgehend von der Situation nach Kriegsende, als in vielen Städten ähnliche Einrichtungen entstanden sind, haben einzig die Esslinger Bürgerausschüsse in ihrer ursprünglichen Form Bestand. Dieser Umstand hebt die Bürgerausschüsse in der kommunalpolitischen Landschaft hervor und es ist zu fragen, warum gerade die Bürgerausschüsse in Esslingen bestehen blieben, während in den anderen Städten sich diese Einrichtungen stark wandelten. Um die Gründe für den Bestand identifizieren zu können, wird zunächst die geschichtliche Entstehung nachgezeichnet und daran anschließend die kommunalpolitische Verankerung im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung in Esslingen untersucht. Diese deskriptiven Ausführungen leiten über auf einen Vergleich der Bürgerausschüsse mit anderen Partizipationsformen und den Versuch einer Verortung der Bürgerausschüsse in eine Typologie kommunalpolitischer Partizipation, welche von Gabriel und Kunz (2000) entwickelt wurde.

Bevor die Entstehung und Entwicklung der Esslinger Bürgerausschüsse skizziert werden kann, ist es notwendig, sich dem Begriff „Bürgerausschüsse“ zuzuwenden. Denn der Begriff bezieht sich auf zwei unterschiedliche Entitäten der kommunalen Selbstverwaltung in Baden und Württemberg. Zunächst bezeichnet der Begriff Bürgerausschuss ein Organ der badischen und württembergischen Gemeindeverfassung des 19. Jahrhunderts[1]. Der Bürgerausschuss, der auch als Gemeindevertretung bezeichnet wurde, stellte das Repräsentativorgan der Kommune dar, welches in Baden den Bürgermeister und in Württemberg den Gemeinderat wählte. Des Weiteren war in der damaligen Gemeindeverfassung vorgeschrieben, dass der Bürgerausschuss besonders wichtigen Beschlüssen zusätzlich zustimmen musste. Die Existenz dieses Zwei-Kammer-Systems lässt sich darauf zurückführen, dass der Gemeinderat als Gemeinderegierung, in Württemberg bis zum Jahre 1849, lebenslänglich bestellt wurde. In Baden wurde mit dem Bürgerausschuss erst 1821 ein periodisch gewähltes Organ neben dem Gemeinderat installiert, ab 1870 wurde dann auch in Baden der Gemeinderat periodisch vom Bürgerausschuss gewählt.

In Württemberg wurde der Bürgerausschuss 1919 abgeschafft, da darin ein überholtes Zwei-Kammer-System gesehen wurde. In Baden dagegen wurde dieses Organ beibehalten und so verwundert es nicht, dass die Bürgerausschussverfassung Einzug in die Gemeindeordnung vom 25. Juli 1955 des neuen Bundeslandes Baden-Württemberg gefunden hat (vgl. GemO 1955 ab § 55). Allerdings taucht die Bürgerausschussverfassung in der Neufassung der Gemeindeordnung für Baden-Württemberg vom 16. September 1974 nicht mehr auf, sodass dieses Verständnis der Bürgerausschüsse nur noch in historischer Perspektive bedeutsam ist (vgl. GemO 1974).

Die Bürgerausschüsse, die im Rahmen dieser Arbeit untersucht werden, verweisen auf eine gänzlich andere Tradition bürgerschaftlicher Mitwirkung, die sich gemeinhin abseits der institutionell verankerten Einflussmöglichkeiten abspielt. Die Esslinger Bürgerausschüsse stehen in der Tradition eines dem Begriff der kommunalen Selbstverwaltung zugrunde liegenden Prinzips, nämlich gemeinsam und gleichberechtigt die Probleme auf lokaler Ebene, also vor der eigenen Haustür zu lösen (vgl. Wehling 1994: S. 52). So schlossen sich schon um die Jahrhundertwende (1900) Bürger zusammen, um die durch die Industrialisierung entstandenen, sozialen Probleme anzupacken und zu lösen. Zu nennen sind an dieser Stelle Organisationen wie Spar- und Bauvereine. Nach dem Ersten Weltkrieg sowie während der dreißiger Jahre übernahmen Bürgervereine besonders häufig karitative Aufgaben, um beispielsweise die aufgrund von Werkstilllegungen und Zechenschließungen entstandene soziale Not abzufedern (vgl. Das Parlament 1972:S. 1).

Im Dritten Reich hatten unabhängige Bürgerbewegungen keine Möglichkeit die Arbeit weiterzuführen, deshalb kam die Freiwilligenbewegung zunächst zum erliegen. Erst mit Kriegsende regten sich die Bürger wieder und begannen aktiv zu werden, auch die Esslinger Bürgerausschüsse entstanden während der Nachkriegsjahre. Die Motive, die zur Gründung der Bürgerausschüsse führten, werden im folgenden Kaptitel dargelegt.

2.2. Gründung nach 1945

Als nach dem Krieg die Verwaltung brachlag, die knappen Lebensmittel verteilt und die ersten Schritte nach dem Krieg gemacht werden mussten, wurden die Menschen wieder aktiv und wandten sich den Problemen in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld zu, nämlich den Problemen in ihren Stadtteilen.

Vergleicht man die Gründungsjahre der einzelnen Bürgerausschüsse, so fällt auf, dass gerade die Bürgerausschüsse früher entstanden, die weiter vom Stadtzentrum entfernt sind (siehe Tabelle 1; Anhang 1).

Tabelle Gründungsjahre der Bürgerausschüsse[2]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Stadt Esslingen a. N. 1999: S. 16.

Da die Bürger in den äußeren Stadtteilen einerseits weiter vom Zugriff der Stadtverwaltung entfernt waren, ist anzunehmen, dass auch in früheren Jahren in diesen Stadtteilen viele Probleme auf der Stadtteilebene gelöst wurden. Andererseits entstand natürlich durch den Zusammenbruch des Dritten Reiches ein Verwaltungsvakuum, welches die Militärregierung nicht so schnell zu schließen vermochte, sodass gerade in den weiter entfernten Stadtteilen die überlebensnotwendigen Probleme in eigener Regie und in Abstimmung mit der Militärregierung gelöst werden mussten. Die Militärregierung war den Bürgerausschüssen gegenüber aufgeschlossen, entsprachen sie doch ihrer Vorstellung einer wahren Demokratie von unten (vgl. Esslinger Zeitung 1967; Esslinger Zeitung 1988; Wehling 1999: S. 12). Das Bestreben der Amerikaner, das deutsche Volk zu demokratisieren und eine Bürgerdemokratie zu errichten, führte einerseits zur Gründung des Vereins „Der Bürger im Staat“ in Württemberg. Dieser Verein hatte das Ziel die Demokratie durch politische Bildung zu stärken und die lokale Demokratie durch bürgerschaftliche Beteiligung, unterhalb der Ebene des Gemeinderats zu stärken (vgl. Betz 1982: S. 276; Glück 1991: S. 252). Daraus entwickelten sich schließlich die Landeszentralen für politische Bildung. Andererseits entwickelten sich aus diesem Reeducationsbedürfnis die lokalen Bürgergemeinschaften, welche sich in der ‚Landesarbeitsgemeinschaft der Bürgergemeinschaften’ organisierten und von dem Verein „Der Bürger im Staat“ finanziert wurden (vgl. Betz 1982: S. 276).

Nach Hans Hummel verstanden sich die Bürgerausschüsse in der Gründungsphase als Mittler zwischen den Bürgern eines Stadtteils und der Stadtverwaltung (vgl. Esslinger Zeitung 1970). Betrachtet man allerdings die Protokolle von frühen Bürgerausschusssitzungen, so wird erkennbar, dass die Bürgerausschüsse ihren Fokus eher auf notwendige Verteilungsprobleme denn auf Meinungsbildung und demokratische Einflussnahme gerichtet hatten. In seiner ersten Bürgerausschusssitzung am 11.10.1948 beschäftigte sich der Bürgerausschuss Hegensberg, Liebersbronn, Kimmichsweiler, Oberhof mit den Themen Milchverteilung, Straßenverbesserung, Brennholzverteilung, Bauernhof Schwarz, Kindergarten Lagerhaus, Bäckerei Fauser, Wassergraben, Heizmaterial für Turnhalle Hegensberg, Bank Karlsplatz Liebersbronn, Feuersee und Schule.[3]

Dass sich die Menschen nach dem Krieg in Bürgerausschüssen engagierten und nicht in politischen Parteien, lässt sich leichthin damit beantworten, dass die Parteien in den ersten Nachkriegsmonaten noch nicht zugelassen waren und die Menschen sich deshalb andere Möglichkeiten suchten ihre Probleme zu lösen. Aus heutiger Perspektive ist noch ein zweiter gewichtiger Grund erkennbar, warum sich die Menschen nicht parteipolitisch engagierten, sondern in den relativ unpolitischen und sachorientierten Bürgerausschüssen, sie waren durch die langjährige Diktatur verunsichert und deshalb dem politischen Bereich abgewandt (vgl. Das Parlament 1972:S. 1). Die auf den politischen Bereich gemünzten „Ohne-mich“ – Meinungen waren auch in Esslingen verbreitet, wie der Auszug aus einem Stimmungsbericht des damaligen Esslinger Oberbürgermeisters Dr. Fritz Landenberger vom 28.3.1946 verdeutlicht:

„Ein Herr schreibt: Das deutsche Volk ist meiner Ansicht nach politisch müde und resigniert, nachdem es mit der Nazipartei so schlechte Erfahrungen gemacht hat. Ich höre in meinem Betrieb namentlich aus besseren Kreisen, vielfach die Meinung vertreten, daß sie nicht zur Wahl gehen wollen nach dem Grundsatz: ‚Gebrannte Kinder fürchten das Feuer’ und sich überhaupt von jeder Politik fernhalten wollen“ (Aus: Stadtarchiv Esslingen. Nachlass Landenberger).

Die betont apolitische Haltung der Bürger führte demnach dazu, dass sich der Gestaltungswille auf das direkte Lebensumfeld richtete. Deshalb entstanden in vielen Städten lokale Bürgervereine (vgl. Wehling 1999: S. 12). Als dann aber die politischen Parteien wieder zugelassen wurden[4] und die städtischen Verwaltungen ihre Arbeit wieder effektiv erledigen konnten, erlahmte in vielen Städten die Bürgerdemokratie wieder und viele Bürgerausschüsse und Bürgervereine wurden entweder aufgelöst, oder in Bezirksverfassungen umgewandelt (vgl. Glück 1991: S. 252; Betz 1982: S. 276).

Die Namenswahl der in Esslingen entstandenen Bürgervereine erfolgte wohl nicht zufällig, denn mit dem Namen „Bürgerausschuss“ nahm man offensichtlich Bezug auf die Bürgerausschüsse des 19. Jahrhunderts. Die Namensanalogie verdeutlicht auch, dass die Esslinger Bürgerausschüsse nicht nur darauf angelegt waren, Feste oder andere Stadtteilveranstaltungen zu organisieren, sie wurden vielmehr eingerichtet, um einen Beitrag zur Weiterentwicklung und Gestaltung der Stadt und ihrer Stadtteile zu leisten.

Ein weiteres wichtiges Aufgabenfeld der Bürgerausschüsse war die Integration der Menschen in die Gemeinschaft. Zunächst musste Esslingen den hohen Zustrom von Heimatvertriebenen nach dem Krieg verarbeiten (vgl. Wehling 1999: S. 14; siehe Abbildung 1). In den späteren Jahren, als die Esslinger Bevölkerung wuchs und das Gemeindegebiet infolge von Eingemeindungen größer wurde, nahm natürlich die Entfernung der Menschen in den Stadtteilen vom politischen Zentrum zu. Diese doppelte Integrationsaufgabe hatten natürlich die Bürgerausschüsse in den einzelnen Stadtteilen zu leisten, denn viele Bürger kannten zwar nicht die Bürgermeister oder Ansprechpartner aus der Stadtverwaltung, aber ihre Bürgerausschussmitglieder, welche die Meinungen schließlich an die entsprechenden Stellen vermittelten.

Abbildung 1: Einwohner in den Bürgerausschussgebieten 1946-1980

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Stadt Esslingen a.N. (1946, 1950, 1961, 1970 aus Wohnbevölkerung nach Volkszählungen; 1980 aus Wohnbevölkerung in den Stadtteilen; Vgl. dazu Anhang 2: Bevölkerungsentwicklung in Esslingen und den einzelnen Bürgerausschussgebieten.

Die Integrierung der hinzugezogenen oder im Zuge der Eingemeindung hinzugetretenen Menschen stellt nach Wehling einen gewichtigen Grund dar, warum die Bürgerausschüsse bis heute existieren. So kam seiner Ansicht nach den Bürgerausschüssen die „ausgleichende, versachlichende, versöhnende Aufgabe in der Kommunalpolitik dieser Stadt zu“ (Wehling 1999: S. 14). In allen Ausführungen zu den Bürgerausschüssen wird ein weiterer bedeutsamer Faktor für den Fortbestand der Bürgerausschüsse in Esslingen genannt, der langjährige Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Bürgerausschüsse Hans Hummel. Aufgrund „seines starken persönlichen Engagements“ blieben nach Glück die Esslinger Bürgerausschüsse in ihrer ursprünglichen Form erhalten (Glück 1991: S. 252). Auch Wehling sieht die Person und das Engagement Hummels als Garant für den Fortbestand der auch heute noch sehr vitalen Bürgerausschüsse (vgl. Wehling 1999: S. 13; siehe Abbildung 2 ).

Neben der Person Hans Hummel führte wohl noch eine zweite Esslinger Besonderheit dazu, dass die Bürgerausschüsse bestehen blieben, Esslingen ist ehemalige freie Reichsstadt. Nach Wehling zeichnen sich freie Reichstädte gerade dadurch aus, dass die Beteiligungsbereitschaft wie auch die faktische Beteiligung höher sind als in anderen Städten (vgl. Wehling 1999: S. 15). In dieser Sicht zeigt sich in dem über 50 jährigem Bestehen der Bürgerausschüsse der alte reichsstädtische Geist, der sich heutzutage auch in einem überaus regen Vereinsleben und bürgerschaftlichem Engagement zeigt.[5]

Auch bei den Teilnehmerzahlen an Bürgerversammlungen zeigt sich, dass die Esslinger Bürger sehr aktiv sind und rege an den Bürgerversammlungen zur Wahl der Bürgerausschüsse teilnehmen. Betrachtet man die absoluten Teilnehmerzahlen an Bürgerversammlungen, wird zunächst erkennbar, dass sich die Bürgerausschüsse hinsichtlich der absoluten Teilnehmerzahl nicht klar unterscheiden lassen, da sie ähnlich viele Teilnehmer mobilisieren können. Das bedeutet, dass in allen Bürgerausschussgebieten der Kreis der Personen, die sich zur Teilnahme an Bürgerversammlungen mit einer Wahl des Bürgerausschusses mobilisieren lassen, etwa gleich groß ist. Die Schwankungen in den Teilnehmerzahlen der einzelnen Bürgerausschüsse dürften in den zu behandelnden Themen begründet sein. Allerdings lässt sich bei vielen Bürgerversammlungen eine leicht abnehmende Teilnehmerzahl ablesen. Aufgrund größerer Schwankungen bei den Teilnehmerzahlen lässt sich mit den verfügbaren absoluten Daten jedoch kein klarer Trend definitiv angeben, deshalb werden folgend die absoluten Teilnehmerzahlen in Relation mit der Wohnbevölkerung gesetzt (vgl. Abbildung 3).

Abbildung 2: Teilnehmer an Bürgerversammlungen zur Wahl der Bürgerausschüsse (1978-2006)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Stadt Esslingen a. N. Hauptamt. Siehe auch Anhang 3: Daten zu Bürgerversammlungen mit Bürgerausschusswahl.[6]

Betrachtet man die Teilnehmerzahlen an Bürgerversammlungen in Relation mit der Wohnbevölkerung der Bürgerausschussgebiete, zeigt sich erstens, dass die einzelnen Bürgerausschüsse die Bürger in ihren Gebieten unterschiedlich stark mobilisieren können (siehe Abbildung 3). Besonders sticht hier der Bürgerausschuss Sirnau heraus, der zwischen 12,39 % und 27,66 % seiner Bevölkerung zur Teilnahme an Bürgerversammlungen mobilisieren kann. Es ist anzunehmen, dass der Grund für diese hohen Beteiligungsquoten auf der Tatsache gründet, dass der Ortsteil Sirnau im Stadtgebiet räumlich isoliert ist, was zu einem starken Eigenständigkeitsgefühl der Sirnauer Bevölkerung geführt haben dürfte. Die niedrigsten Beteiligungsquoten aller Bürgerausschüsse verzeichnet der Bürgerausschuss Innenstadt, der zwischen 0,33 % und 1,04 % der Wohnbevölkerung im Bürgerausschussgebiet zur Teilnahme an Bürgerversammlungen mit einer Wahl des Bürgerausschusses mobilisieren kann. Die niedrige Beteiligungsquote in diesem Bürgerausschussgebiet lässt sich auf ein relativ schwieriges Umfeld zurückführen, denn der Bürgerausschuss Innenstadt dürfte von allen Bürgerausschüssen mit den meisten divergierenden Interessen konfrontiert sein. Dieser Bürgerausschuss muss einen schwierigen Spagat zwischen Einwohnern, Gewerbetreibenden und der Stadt, die an der Innenstadt besonders interessiert ist, bewältigen (vgl. dazu Esslinger Zeitung 1995).

Zweitens lässt sich bei der Entwicklung der Beteiligung an Bürgerversammlungen mit einer Wahl des Bürgerausschusses in Relation der Wohnbevölkerung, in den meisten Bürgerausschussgebieten eine negative Entwicklung ablesen. Das bedeutet, dass die einzelnen Bürgerausschüsse gemessen an ihrer Einwohnerzahl prozentual weniger Bürger zur Teilnahme mobilisieren können. Einzig die Bürgerausschüsse Innenstadt, Mettingen/Weil/Brühl und RSKN sind in der Lage diesem Trend zu widerstehen. Die Bürgerausschüsse Innenstadt, sowie Mettingen/Weil/Brühl konnten ihre Mobilisierungsquoten über die Zeit in etwa konstant halten. Der Bürgerausschuss RSKN konnte im Zeitverlauf gemessen an der Einwohnerzahl prozentual mehr Bürger mobilisieren.

Abbildung 3 : Anteil der Teilnehmer an Bürgerversammlungen zur Wahl der Bürgerausschüsse an der Wohnbevölkerung der Bürgerausschussgebiete (1980-2006)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung; v gl. dazu Anhang 2: Bevölkerungsentwicklung in Esslingen und deneinzelnen Bürgerausschussgebieten; vgl. auch Anhang 3: Daten zu Bürgerversammlungen mit Wahl der Bürgerausschüsse.[7]

2.3. Die Bürgerausschüsse im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung

Obwohl die Bürgerausschüsse in Esslingen älter sind als die baden-württembergische Landesverfassung, welche im November 1953 in Kraft trat und als die Gemeindeordnung, die Juli 1955 in Kraft trat, hat dieses Element der Bürgerbeteiligung keine Aufnahme in die beiden Verfassungen gefunden. Auch die Hauptsatzung der Stadt Esslingen gibt keine Auskunft über die formale Einbindung der Bürgerausschüsse im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung. Die Stellung der Bürgerausschüsse im kommunalen Gefüge ist einzig durch eine ‚Vereinbarung über die Zusammenarbeit der Bürgerausschüsse mit Gemeinderat und Stadtverwaltung’ vom 10. Dezember 1990 formal geregelt. Das Selbstverständnis der Bürgerausschüsse und formale Regelungen zur Arbeitsweise sind im ‚Statut der Bürgerausschüsse’ geregelt. Die Bürgerausschüsse sind demnach kein formelles Organ der kommunalen Selbstverwaltung, werden jedoch im Rahmen von Bebauungsplanverfahren wie Träger öffentlicher Belange behandelt und wirken sowie gestalten auf diese Weise an der Entscheidungsfindung von gemeinderätlichen Entscheidungen mit. Des Weiteren besteht bei allen Sachverhalten, welche die jeweiligen Bürgerausschüsse betreffen eine Anhörungspflicht, ansonsten besteht eine Informationspflicht.[8]

Obwohl die Bürgerausschüsse institutionell nicht an Abstimmungen im Gemeinderat beteiligt sind und auch der Einfluss auf einzelne Stadträte je nach Interessenlage variieren kann, werden den Bürgerausschüssen nach Glück dennoch „beträchtliche Einflussmöglichkeiten“ zugeschrieben (Glück 1991: S. 253). Diese Einschätzung dürfte besonders darauf zurückzuführen sein, dass die Bürgerausschüsse von der Öffentlichkeit und auch der Presse, als offizielle politische Vertretung des Stadtteils angesehen werden. Wenn die Bürgerausschüsse besonders von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, besteht die wichtigste politische Aufgabe der Bürgerausschüsse in der Artikulation von stadtteilbezogenen Problemen und potentiellen Lösungen. Würden die Bürgerausschüsse sich allerdings auf die Artikulation von Problemen beschränken, ginge es ihnen wie dem sprichwörtlichen Rufer in der Wüste, ihre Anregungen würden ungehört verhallen. Aufgrund der mangelnden formalen Einflussmöglichkeiten sind die Bürgerausschüsse vielmehr darauf angewiesen, ihre Interessen mit Hilfe einer Netzwerkarbeit durchzusetzen. Bedeutsam sind sowohl formelle und informelle Gespräche mit den politischen Mandatsträgern, wie dem Oberbürgermeister, seinen Beigeordneten und den Gemeinderäten, als auch der direkte Kontakt zu den zuständigen Sachbearbeitern und Amtsvorstehern. Nach Hans Hummel zeichnen sich die erfolgreichen Bürgerausschüsse gerade durch einen „guten persönlichen Kontakt des Bürgerausschussvorsitzenden zu den Amtsleitern aus“ (Zitat Hummel aus: Glück 1991: S. 253). Auf diese Weise werden die Interessen der Bürgerausschüsse schon im Vorfeld von Planungen und Entscheidungen wahrgenommen. Wenn die Ämter ihre Planungen dem Gemeinderat vorgelegt haben und diese zur Abstimmung stehen, haben die Bürgerausschüsse für gewöhnlich nicht mehr viele Einflussmöglichkeiten (vgl. Glück 1991: S. 253).

Da diese Taktik natürlich häufig zeitintensiv ist, müssen wichtige Anliegen der Bürgerausschüsse wohl in mehreren Perioden bearbeitet werden. Dass dies häufig frustrierend sein und zu einem Ohnmachtgefühl führen kann, verdeutlicht der Rücktritt zweier Bürgerausschussvorsitzender in den Jahren 1994/95 (vgl. Esslinger Zeitung 4.3.1995). Schon im Jahr 1988 wurde in einem Gespräch zwischen der SPD-Gemeinderatsfraktion und Bürgerausschussmitgliedern deutlich, dass die Bürgerausschüsse verärgert über die Informationspolitik der Stadt sind. Bemängelt wurde besonders, dass die Stadt den Bürgerausschüssen Informationen vorenthält und nur Informationen weitergibt, welche explizit erfragt werden. Kritisiert wurde auch, dass unbequeme Abstimmungen geheim gehalten und die Ergebnisse erst a posteriori bekannt gegeben würden (vgl. Esslinger Zeitung 2./3.7.1988).

Da der zeitliche Abstand zu diesen Ereignissen relativ groß ist, ergibt sich natürlich die Frage, welche Meinung die Bürgerausschussmitglieder gegenwärtig von den Bürgerausschüssen haben. Auf die Frage wie wirksam die Befragten die Bürgerausschüsse halten, um politische Entscheidungen in der Gesellschaft zu beeinflussen, gaben 44 Prozent an, sie für wirksam oder sehr wirksam zu halten und nur 12,1 Prozent schätzen sie als eher nicht wirksam oder überhaupt nicht wirksam ein. Damit kann auf Basis dieser Daten festgehalten werden, dass die Bürgerausschüsse heute bei ihren Mitgliedern als ein adäquates Mittel angesehen werden, um kommunalpolitische Entscheidungen zu beeinflussen.

Abbildung 4 : Wie wirksam sind Ihrer Meinung nach Bürgerausschüsse, um politische Entscheidungen in der Gesellschaft zu beeinflussen?

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Daten aus Frage 5. Operationalisierung: Detaillierter Fragetext siehe Anhang. Gesamtzahl der Nennungen: 91.

Quelle: Eigene Erhebung.

Die Institution Bürgerausschuss wurde vorgestellt und die historischen und sozialen Wurzeln wurden ausgeführt. Da die Bürgerausschüsse eine Form politischer Einflussnahme darstellen, soll im Folgenden das zugrunde liegende Verständnis politischer Partizipation expliziert werden und daran anschließend wird ausgeführt, warum das Engagement in den Bürgerausschüssen als politische Partizipation im Sinne der Definition angesehen werden kann.

3. Die Bürgerausschüsse im Rahmen der Partizipationsforschung

In diesem Kapitel werden die Bürgerausschüsse aus dem Blickwinkel der Partizipationsforschung betrachtet. Als Resultat der Ausführungen steht die Beantwortung der Frage ob die Bürgerausschüsse eine originäre Form politischer Beteiligung darstellen und ob sie sich in eine Typologie kommunalpolitischer Partizipation einfügen lassen. Bevor dieses Vorhaben unternommen werden kann, muss jedoch expliziert werden, welches Verständnis politischer Partizipation dieser Arbeit zugrunde liegt und weiter, ob die Bürgerausschüsse dieser Definition entsprechen. Da die Typologie von Gabriel und Kunz (2000), mit welcher die Bürgerausschüsse in Kapitel 3.4 verglichen werden, als Resultat der bisherigen Partizipationsforschung zu sehen ist, wird in Kapitel 3.3 die Entstehung dieser Typologie anhand der historischen Entwicklung der Vorstellung von politischer Partizipation nachgezeichnet.

3.1. Verständnis von Partizipation

Bevor in dieser Arbeit auf die Entwicklung des Verständnisses von Partizipation eingegangen wird, erscheint es sinnvoll das Verständnis von kommunalpolitischer Partizipation[9] darzulegen. Nach Kaase (1997: S. 160) kann in modernen Gesellschaften fast jedes Handeln politisch bedeutsam werden. Dieses Problem betonen auch Verba, Schlozman und Brady (vgl. 1995: S. 40f), ihrer Meinung nach ist die Grenze zwischen politischen und nicht politischen Aktivitäten nicht eindeutig und nicht politische Handlungen können ihrer Meinung nach politisch bedeutsam werden. Was unterscheidet kommunalpolitische Partizipation von anderen sozialen Handlungen?

Nach von Alemann fallen unter den Begriff der politischen Partizipation nur solche Handlungen, die motivational bewusst eingesetzt werden, ein politisches Ziel zu erreichen (vgl. von Alemann 1975: S. 41-42). Van Deth kommt nach einem Vergleich unterschiedlicher Nominaldefinitionen politischer Partizipation zu vier gemeinsamen Merkmalen. Erstens bezeichnet politische Partizipation Handlungen, die Menschen in ihrer Rolle als Bürger vollbringen, zweitens ist der Aspekt der aktiven Tätigkeit für das Verständnis von politischer Partizipation bedeutsam, drittens werden Handlungen als politische Partizipation bezeichnet, wenn sie freiwillig erbracht werden und schließlich bezieht sich politische Partizipation auf Politik und Regierung (vgl. van Deth 2003: S. 170f).

Den dargelegten Merkmalen entspricht eine in der Forschung verbreitete Definition von Kaase (1997: S. 160), „die politische Beteiligung als diejenigen Handlungen bezeichnet, die Bürger freiwillig mit dem Ziel vornehmen, Entscheidungen auf den verschiedenen Ebenen des politischen Systems zu beeinflussen“ (vgl. Nie und Verba 1975: S. 1-5; Barnes und Kaase 1979: S. 42; Parry, Moyser und Day 1992: S. 16; Verba, Schlozman und Brady 1995: S. 38). Da das dieser Arbeit zugrunde liegende Forschungsobjekt, eine kommunalpolitische Partizipationsform darstellt, wird die Definition in Anlehnung an Gabriel (2002: S. 125) mit dem Zusatz „unter anderem auf der kommunalen Ebene“ im Hinblick auf den kommunalpolitischen Bereich präzisiert.

3.2. Bürgerausschüsse und das Konzept der politischen Partizipation

Ob die Beteiligung in den Esslinger Bürgerausschüssen eine Form politischer Beteiligung darstellt, lässt sich zunächst anhand eines Vergleiches dieser Definition, mit dem formalen Status der Bürgerausschüsse ermitteln.

Betrachtet man das Statut der Bürgerausschüsse im Hinblick auf das Handeln in einer Bürgerrolle, dann werden die Bürgerausschüsse in der Präambel mit den Worten,

„Sie haben keine gesetzliche Grundlage, sie sind unabhängig und als Institution öffentlich-rechtlichen Bindungen nicht unterworfen. Sie unterstreichen ihre Unabhängigkeit dadurch, dass sie auf eine Rechtspersönlichkeit verzichten.“ (Statut der BA 2000: S. 1)

deutlich vom institutionellen Gefüge der Kommune und damit auch von Entscheidungen in professionellen Rollen abgegrenzt. Auch das erste Kapitel bezieht sich auf diesen Sachverhalt und verpflichtet die Bürgerausschüsse überkonfessionell dem Gemeinwohl zu dienen:

„Die BA wollen überparteilich und überkonfessionell die Entwicklung des Gemeinwesens fördern und dem Gemeinwohl dienende Anregungen und Verbesserungsvorschläge aufgreifen und erforderlichenfalls an die zuständigen Stellen herantragen,“ (Statut der BA 2000: S. 1)

Die Bürgerrolle zeichnet sich dadurch aus, dass die Menschen ihre Handlungen unentgeltlich erbringen und sich dem Gemeinwohl verpflichtet sehen, was an den Textstellen zum Ausdruck kommt. Da auch Stadträte/innen oder leitende Mitarbeiter/innen der Stadtverwaltung keine leitenden Funktionen in den BAs übernehmen sollen, existiert auch eine Abgrenzung gegenüber den professionellen Entscheidungsträgern der Stadt Esslingen (Statut der BA 2000: S. 2).

Da eine Periode drei Jahre beträgt und sich die Bürger per Wahl in das Gremium wählen lassen, kann man von einer aktiven Tätigkeit sprechen, zu dieser Bewertung trägt auch der Umstand bei, dass das Engagement regelmäßige Bürgerausschusssitzungen, Ortsbegehungen, Gespräche mit Verwaltung oder Presse, Bürgerversammlungen sowie andere öffentliche Verpflichtungen umfassen kann.

In einem demokratischen Gemeinwesen kann niemand gezwungen werden, sich einer Wahl zu stellen und sich auf einer Bürgerversammlung wählen zu lassen. Da darüber hinaus das Engagement in den Bürgerausschüssen auch vor Ablauf der Amtszeit von drei Jahren beendet werden kann, ohne dass formal festgelegte Sanktionen zu erwarten sind, kann das Kriterium der Freiwilligkeit als erfüllt angesehen werden. Wobei natürlich anzumerken ist, dass innerhalb solcher Organisationen immer auch die rezipierten Handlungserwartungen der Umwelt, wie die von anderen Bürgerausschussmitgliedern oder soziale Normen, eine Rolle bei der Beendigung eines Engagements spielen.

Und schließlich sind die Bürgerausschüsse angelegt, um als Vermittlungsinstanz zwischen Bürgern und Mandatsträgern oder Verwaltung zu fungieren, und die Interessen der jeweiligen Stadtteilbewohner zu vertreten. Nach dem Statut sollen die Bürgerausschüsse,

„das Gespräch zwischen Bürgern/innen, Kandidaten/innen und Mandatsträgern/innen sowie verantwortlichen Leitern/innen öffentlicher Dienststellen pflegen.“

und

„Sie sollten dazu beitragen, dass die Einwohner/innen über wichtige kommunale Angelegenheiten informiert sind und zur eigenen Meinungsbildung befähigt werden. Zur Erreichung dieses Zwecks

können sie eigene Veranstaltungen durchführen.“ (beide: Statut der BA 2000: S. 1)

An diesen Passagen wird deutlich, dass auch das letzte Merkmal erfüllt ist, denn die Bürgerausschüsse weisen einen klaren kommunalpolitischen Bezug auf und haben als Zielsetzung in der Entscheidungs- und auch Implementationsphase ihre Interessen einzubringen und wenn möglich durchzusetzen, aber auch eigene Anregungen auf die politische Agenda zu bringen.

Es bleibt festzuhalten, dass es sich nach dem Vergleich der formalen Eigenschaften der Bürgerausschüsse mit der zugrunde liegenden Definition politischer Partizipation bei dem Engagement in den Bürgerausschüssen, um eine Form kommunalpolitischer Partizipation handelt.

Ob eine spezifische Handlungsform, wie die Beteiligung in den Esslinger Bürgerausschüssen, eine Form politischer Partizipation darstellt, ist sicherlich aufschlussreich. Wichtiger erscheint allerdings die Einordnung dieser spezifischen Handlung in eine Typologie politischer Beteiligung, um analysieren zu können, wie sich diese Esslinger Besonderheit von anderen Formen politischer Partizipation unterscheidet.

Wie sich diese besondere Form politischer Einflussnahme in den Partizipationsraum einordnen lässt, soll im Folgenden untersucht werden. Dazu wird zunächst ausgeführt, welche unterschiedlichen Typologien politischer Partizipation existieren und wie sich die verschiedenen Partizipationstypen voneinander abgrenzen lassen.

3.3. Entwicklung der Vorstellung von politischer Partizipation

Bevor untersucht werden kann, welche Form politischer Einflussnahme die Beteiligung in den Bürgerausschüssen darstellt, erscheint es sinnvoll, die historische Entwicklung unterschiedlicher Typologien politischer Partizipation darzulegen.

In den 40er und 50er Jahren beschränkte sich die Untersuchung politischer Partizipation auf die Stimmabgabe bei Wahlen sowie wahlkampfbezogene Aktivitäten (vgl. Lazarsfeld u.a. 1948; Berelson u.a. 1954). Zu Anfang der 60er Jahre wurden unter politischer Partizipation vor allem jene Aktivitäten verstanden, welche den traditionellen Konzeptualisierungen von Politik entsprachen, nämlich Kampagnen von Politikern, sowie die etablierten Formen der Einflussnahme anhand individueller Kontakte zwischen Bürgern und Beamte betrafen (vgl. Lane 1959; Campbell u.a. 1960). Also Formen der Einflussnahme, die in der zeitgenössischen Forschung unter dem Begriff ‚konventionelle Formen’ politischer Einflussnahme subsumiert werden.

Die politische Entwicklung in Deutschland und den anderen westlichen Industrieländern war in den späten 60er und frühen 70er Jahren durch eine umfassende Veränderung des politischen Verhaltens auf zwei Dimensionen gekennzeichnet, ein Veränderungsprozess, der in der Literatur als „partizipatorische Revolution“ bekannt wurde (vgl. Barnes und Kaase 1979). Einerseits kamen zu den konventionellen Formen politischer Partizipation Gruppenaktivitäten und direkte Kontakte zwischen Bürgern, Beamten und Politikern hinzu, andererseits kamen Formen des politischen Protests oder der Ablehnung auf. Aktivitäten, die seit der bahnbrechenden Political Action Studie von Barnes und Kaase als unkonventionelle Formen der politischen Partizipation bekannt sind.

Die Erweiterung des politischen Aktionsrepertoires der Bürger um spezifische Formen politischer Einflussnahme setzte sich auch in den 90er Jahren fort. Das Konzept der Partizipation wurde um Formen der bürgerlichen Aktivitäten wie soziales und ehrenamtliches Engagement erweitert (vgl. Van Deth 2003: S. 172). Diese kontinuierliche Ausdehnung des Aktionsrepertoires spiegelt sich auch im Anwachsen der Itemlisten politischer Partizipationsformen wichtiger empirischer Studien wider. Im Jahr 1972 identifizierten Verba und Nie 10 Formen konventioneller Partizipation (vgl. Verba und Nie 1972). Verba, Schlozman und Brady erweiterten 1995 in ihrer Studie Voice and Equality, welche Engagement und Freiwilligenaktivität in den USA untersucht, die Liste von Partizipationsformen um Organisationsbeteiligungen auf mehr als 40 unterschiedliche Partizipationsformen. Dieser Wert wird von einer neueren Studie noch übertroffen, denn das Citizenship, Involvement, Democracy (CID) Projekt erfasst mehr als 50 unterschiedliche Partizipationsformen.[10] Erkennbar wird an dieser kurzen Übersicht, dass sich das Aktionsrepertoire politischer Beteiligung in den letzten Jahren und Jahrzehnten deutlich erweitert und qualitativ ausdifferenziert hat.[11]

Wie die Unterscheidung der Partizipationsformen von Barnes und Kaase in konventionelle und unkonventionelle Formen andeutete, handelt es sich bei politischer Partizipation nicht um ein eindimensionales Phänomen. Anders als Milbrath geht man heute davon aus, dass sich die einzelnen Partizipationsformen verschiedenen Typen politischer Partizipation zuordnen lassen, welche qualitativ unterschiedlich sind. Während Milbrath davon ausging, dass sich die unterschiedlichen Partizipationsformen nach dem Aufwand oder dem Schwierigkeitsgrad differenzieren lassen (vgl. Milbrath 1965: S. 17) und Partizipation als kumulatives Phänomen auffasste, kamen Verba, Nie und Kim 1978 mit den fünf Abgrenzungskriterien der Partizipation, nämlich der Art des erwarteten Einflusses, der Reichweite des Ergebnisses, der benötigten Initiative, der Konflikthaftigkeit und dem Grad der Kooperation mit anderen, zu vier Partizipationstypen: 1.) Wählen; 2. Wahlkampfaktivitäten; 3. Gemeindeaktivitäten und 4. individuelle Kontakte (vgl. Verba/Nie/Kim 1978: S. 53f).

Die Konzeptualisierung des Partizipationsraumes von Barnes und Kaase in der Political Action Studie (1979) wird in der neuern Partizipationsforschung kritisiert, da einerseits auf der unkonventionellen Dimension Aktionsstile mit verschiedener Legitimitätsgeltung und auch unterschiedlichem Legalitätsstatus vermischt werden und andererseits die Partizipationsform Wählen nicht in die Analyse einbezogen wird (vgl. Kaase 1990: S. 27f.; Kaase 1997: S. 162). Die Typologie von Verba, Nie und Kim (1978) wird in der Forschung kritisiert, da die in den 60er Jahren aufgekommen Partizipationsformen des zivilen Ungehorsams und der politischen Gewalt nicht berücksichtigt wurden und deshalb der Partizipationsraum schon zum Entstehungszeitpunkt der Studie nicht umfassend abgebildet wurde (vgl. Wolf 2005: S. 73; Fuchs 1995: S. 135; Gabriel 1983: S. 66).

Eine weitere Typologie der Partizipationsstile konnte Uehlinger 1988 auf Grundlage eigener Daten und einer Sekundärauswertung der Political Action Daten entwickeln. Er unterscheidet fünf Typen politischer Partizipation, 1.) Staatsbürgerrolle, 2.) Problemspezifische Partizipation, 3.) Parteiorientierte Partizipation, 4.) Ziviler Ungehorsam und 5.) politische Gewalt (vgl. Uehlinger 1988: 129-131). Die Einstufung der politischen Gewalt als Partizipationsform wird in der Forschung kontrovers diskutiert, da der Gemeinschaftsbezug häufig zweifelhaft ist. In der Political Action Studie wurde politische Gewalt bei der Skalenbildung der unkonventionellen Beteiligung nicht berücksichtigt (vgl. Kaase 1997: S. 162). Da die Typologie von Uehlinger die Mängel der oben dargestellten Typologien von Barnes und Kaase (1979) sowie Verba, Nie und Kim (1978) nicht aufweist, erscheint die Typologie allerdings nach Kaase „als eine tragbare Basis für die weitere Forschung“ (Kaase 1997: S. 163).

Der nationale Partizipationsraum wurde entwickelt, aber wie lässt sich nun das kommunale Partizipationssystem beschreiben? Dass sich auch die kommunalpolitischen Partizipationsformen in qualitativ unterscheidbare Typen differenzieren lassen, können Gabriel und Kunz gemäß ihrer Annahme mit Hilfe einer Faktorenanalyse darlegen (siehe Tabelle 2 ). Die Faktorenanalyse zeigt, dass sich mit den kommunalpolitischen Partizipationsformen vier Faktoren bilden lassen, 1.) Themenorientierte Aktivität, 2.) Outputorientierte Partizipation, 3.) Gewaltanwendung, ziviler Ungehorsam und 4.) Parteibezogene Aktivität (vgl. Gabriel/Kunz 2000: S. 59ff; Gabriel 2002: S. 128).

Tabelle 2 : Struktur kommunalpolitischer Beteiligung in Deutschland, 1997

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Gabriel 2000: S. 58

Die identifizierten Beteiligungssysteme unterscheiden sich von den Ergebnissen früherer Studien, dass die Aktivitätsformen nicht klar nach legalen Protestformen und konventioneller politischer Aktivität differieren, wie dies bei Barnes und Kaase (1979) der Fall war. Allerdings können die vier Systeme politischer Partizipation mit den oben dargelegten Dimensionen politischer Partizipation von Barnes und Kaase (1979) sowie Verba, Nie und Kim (1978) beschrieben werden (siehe Tabelle 3 ; vgl. Gabriel/Kunz 2000: S. 60; Kaase 1997: S. 161-162; Verba/Nie: S. 47-51).

Tabelle 3 : Systematik kommunaler Beteiligungsformen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Gabriel 2000: S. 61.

Der Typus der themenorientierten Partizipation vereinigt legale Protestformen und konventionelle politische Aktivitätsformen wie Bürgerbegehren, Protestversammlung, Gemeinschaftsaktion, Bürgerversammlung, Bürgerinitiative, Pressekampagne, Unterschriftensammlung oder Mobilisierung von Interessengruppen (vgl. Gabriel/Kunz 2000: S. 59f). Allen diesen Formen politischer Einflussnahme ist gemein, dass sie mit relativ großem Aufwand verbunden sind, dazu eingesetzt werden, um den Entscheidungsträgern Wünsche mitzuteilen sowie Druck auszuüben und um Themen auf die Agenda zu bringen, die Kollektivbezug aufweisen (vgl. Gabriel/Kunz 2000: S. 60).

Die Formen der politischen Einflussnahme, die unter dem System der outputorientierten Partizipation klassifiziert werden, wie die Kontaktaufnahme mit der zuständigen Behörde sowie zur Stadtverwaltung, oder das Beschreiten des Rechtsweges beziehen sich auf die Implementationsphase politischer Entscheidungen und haben eher individuelle Reichweite, sind meist nicht formalisiert und haben niedriges Konfliktpotential (vgl. Gabriel/Kunz 2000: S. 60).

Das System der parteibezogenen Aktivitäten umfasst Aktivitäten wie die aktive Mitarbeit in einer politischen Partei oder das Bemühen um die Unterstützung durch eine Partei zur Durchsetzung politischer Ziele. Diese Formen politischer Partizipation haben einen hohen Kooperationsbedarf, kollektive Reichweite, werden als legitim, sowie legal angesehen und sind verfassungsmäßig verankert (vgl. Gabriel/Kunz 2000: S. 61).

Das vierte System kommunaler Partizipation bezeichnen Gabriel und Kunz (2000) in Anlehnung an Fuchs (1995) als Beteiligung an Aktionen des zivilen Ungehorsams. Dazu gehören Aktionen wie die Mitwirkung an Verkehrsblockaden, oder der aktive Widerstand gegen Vorhaben der politischen Führung. Von den anderen Partizipationssystemen unterscheiden sich diese Formen der politischen Beteiligung durch den Verstoß gegen geltende Rechtsnormen und die eventuelle Einschätzung als illegitim (vgl. Gabriel/Kunz 2000: S. 61). Wählen wurde in der von Gabriel und Kunz verwendeten Umfrage nicht erhoben und muss deshalb von den Autoren ausgeklammert werden (vgl. Gabriel 2002: S. 128). Da allerdings in mehreren Studien nachgewiesen werden konnte, dass Wählen einen eigenständigen Faktor bildet, wird in dieser Arbeit in Anlehnung an Gabriel angenommen, dass sich die kommunalpolitischen Partizipationsformen in fünf Typen differenzieren lassen (vgl. Verba/Nie 1972; Verba, Nie und Kim 1978; Uehlinger 1988; Parry/Moyser/Day 1992; Vgl. Gabriel 2002: S. 128).

[...]


[1] Die Entwicklung der Bürgerausschüsse als Organ der Gemeindeverfassung des 19. Jahrhunderts, zeichnet detailliert Hans-Georg Wehling 2000 ab Seite 28ff. nach.

[2] Im Jahr 1974 wurden die Gemeinden Berkheim und Zell von Esslingen eingemeindet. Da in den beiden Ortsteilen allerdings Ortschaftsräte eingerichtet wurden, werden sie in dieser Untersuchung nicht berücksichtigt.

[3] Quelle: Stadtarchiv Esslingen. Akten Bürgerausschuss Hegensberg, Liebersbronn, Kimmichsweiler, Oberhof. Mappe 1.

[4] Nach Hesse/Ellwein 1997 S. 437 wurden die Parteien in den Westzonen zwischen 27.08.1945 bis 12.12.1945 zugelassen.

[5] Nach Auskunft Stadt Esslingen (Frau Schaumburg, Beauftragte für Senioren und Bürgerschaftliches Engagement) gibt es in Esslingen ca. 450 Vereine (Kultur, Sport, Bildung, Umwelt, Politik, Gesundheit); 20 Agenda Gruppen mit 150 Beteiligten; 25 bürgerschaftliche Initiativen mit 400 Beteiligten; 30 Selbsthilfegruppen; 3 Freiwilligenagenturen (neutral/katholisch/evangelisch).

[6] Leider wurden die Teilnehmerzahlen an den Bürgerversammlungen erst ab dem Jahr 1980 regelmäßig dokumentiert, deshalb muss die Analyse auf die Jahre zwischen 1980 und 2006 beschränkt bleiben. Einzelne Werte vor dem Jahr 1980 finden sich in Anhang 3.

[7] Da für die Bürgerversammlung aus dem Jahr 1978 keine Bevölkerungszahl zur Verfügung steht, wird diese Bürgerversammlung nicht berücksichtigt. Für Bürgerversammlungen welche im Jahr 1999 durchgeführt wurden gibt es keine Bevölkerungszahlen, um die Reihe fortsetzen zu können, wurden die Zahlen des Jahres 2000 verwendet. vgl. dazu Anhang 2 und 3.

[8] Vgl. Vereinbarung über die Zusammenarbeit der Bürgerausschüsse mit Gemeinderat und Verwaltung.

[9] Die Begriffe (Kommunal-) politische Partizipation und (kommunal-) politische Beteiligung werden im Folgenden synonym verwendet.

[10] Informationen über das CID Projekt findet man unter: http://www.mzes.uni-mannheim.de/projekte/cid.

[11] Für eine genauere Übersicht über die verwendeten Items in den verschiedenen Studien, siehe van Deth 2003. S. 175ff.

Ende der Leseprobe aus 101 Seiten

Details

Titel
Bürgerausschüsse in Esslingen - Theorie und Praxis kommunaler Partizipation
Hochschule
Universität Stuttgart  (Institut für Sozialwissenschaften)
Note
2,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
101
Katalognummer
V87803
ISBN (eBook)
9783638023092
ISBN (Buch)
9783656000068
Dateigröße
5632 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Bürgerausschüsse, Esslingen, Theorie, Praxis, Partizipation
Arbeit zitieren
Thomas Jung (Autor:in), 2007, Bürgerausschüsse in Esslingen - Theorie und Praxis kommunaler Partizipation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87803

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