Aristoteles Definition der Seele in "De Anima II", 1-5


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

13 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Hinführung

2. Die Definitionen der Seele
2.1. Der Rahmen der Seelendefinitionen
2.2. Das Aufgreifen der Ontologie aus der Metaphysik
2.3. Die Definition a
2.4. Der "allgemeinste Begriff" der Seele
2.5. Die Definition b
2.6. Eine Zusammenführung der Definitionen

3. Schlussbemerkung

4. Literaturverzeichnis
4.1. Primärtexte:
4.2. Sekundärliteratur:

1. Hinführung

Die von Aristoteles in seiner Schrift De Anima getroffene Definition der Seele bildet den Gegenstand der vorliegenden Hausarbeit. Die Definition befindet sich am Anfang des zweiten Buches in den Kapiteln 1-4, zu Beginn der Untersuchung über die einzelnen Seelenvermögen.

Im ersten Buch beginnt Aristoteles, indem er hinsichtlich seiner Vorgehensweise die Punkte benennt, die bei der Untersuchung zu beachten sind:

"Zuerst muss man wohl klären, in welcher von den (kategorialen) Gattungen sie (=die Seele) auftritt und was sie ist, nämlich ob sie ein Dies-da (Einzelding) und Wesen (Substanz) ist, oder etwas Qualitatives und Quantitatives, oder auch eine andere von den unterschiedlichen Kategorien, ferner ob sie zu dem in Möglichkeit Seienden gehört, oder ob sie eine Vollendung (Wirklichkeit) ist; denn dies macht keinen geringen Unterschied aus."(Zitat: an402a23-b1)

An dieses erste Kapitel, welches die Problemstellung erörtert, schließt sich in den Kapiteln 2-5 eine kritische Auseinandersetzung mit den Ansichten seiner Vorgänger an. Diese Auseinandersetzungen bilden allerdings nicht die Grundlage, für die im zweiten Buch aufgestellte Definition der Seele. Vielmehr greift Aristoteles dort auf sein Verständnis von ousía zurück, wie er es in den Metaphysikschriften erklärte, um mit Hilfe seines aus der Metaphysik übernommenen Hylemorphismus, anhand der zentralen Begriffe von hyle, morphe, dýnamis und entelécheia zur Definition der Seele zu gelangen.

Die in Buch II gemachte Definition der Seele bereitet aber nun mehrere Probleme: Zum einen ist es der Charakter der "Vorlesungsnotizen", der ein Nachvollziehen der Beweisstruktur erschwert. Dabei soll durch Rückgriffe, auf anderen Orts getroffene Bestimmungen, das Verständnis des Textes erleichtert werden. Zum anderen gibt es in Buch II mindestens zwei verschiedene Ansätze zu einer Definition der Seele. Deren Ansprüche und Funktionen werden untersucht und falls möglich in einen gemeinsamen Zusammenhang gestellt.

Eines der berühmtesten Probleme in Aristoteles De Anima ist die Umschreibung der Seele, mit Hilfe des Begriffs der "próte entelécheia". Dieser ist zugleich auch ein gutes Beispiel für Aristoteles Hang zu Begriffsbildungen, die häufig nur an vereinzelten Stellen auftauchen und ein Verständnis des Textes erschweren. Demzufolge befasst sich auch ein großer Teil der Literatur mit dieser Definition der Seele als próte entelécheia. Ich möchte daher einen neuen Ansatz von Johannes Hübner aufgreifen, zum Verständnis dieses formelhaften Begriffes, um so zu einer gemeinsamen Charakterisierung der Seelendefinitionen zu gelangen.

Für die moderne Interpretation der Seelendefinition ist besonders die Leistungsfähigkeit der aristotelischen Konzeption, zur Überwindung des Leib-Seele-Dualismus, interessant geworden. Durch seine Distinktion von Körper und Seele gewinnt Aristoteles für Vertreter eines Funktionalismus an Bedeutung, indem seine Seelendefinition zur Klärung von psycho-physischen Zuständen genutzt wird. Damit einhergehend präsentieren sie allerdings eine problematische, rein funktionale Interpretation der Seele, auf die eingegangen wird.

2. Die Definitionen der Seele

2.1. Der Rahmen der Seelendefinitionen

In den ersten Kapiteln aus De Anima II, gibt es zwei von Aristoteles differenzierte Ansätze zur Definition der Seele. Die erste Definition (a) leitet Aristoteles, zu Beginn des ersten Kapitels, mit der Ankündigung ein, im Folgenden zu erläutern, "was ihr allgemeinster Begriff sei"[1]. Mit eben dieser Feststellung endet sie auch, wo Aristoteles sagt, dass nun allgemein dargelegt sei, was die Seele ist: nämlich das Wesen dem Begriffe nach[2]. Im zweiten Kapitel hingegen setzt Aristoteles zu einer zweiten Definition b der Seele an, indem er über eine reine Wesensbestimmung der Seele hinausgeht, und jetzt auch ihre Ursachen benennt[3]. Diese Definition ist weitläufiger und b leitet bereits über in die Untersuchung der einzelnen Seelenvermögen. Unter anderem mit der Begründung, dass gerade eine Definition der Seele, wie a als gemeinsamer Begriff "lächerlich"[4] ist, und es im Einzelfall darum geht zu untersuchen was die Seele eines jeden Wesens ist.

Es ist demnach zu klären, aus welchen Gründen Aristoteles zwei Ansätze zur Definition der Seele unternimmt und inwiefern die beiden Ansätze zueinander stehen. Dafür soll später in 2.6. ein Text von Robert Bolton aufgegriffen wird, der für eine Unterscheidung zwischen einer nominalen und einer realen Seelendefinition plädiert.

2.2. Das Aufgreifen der Ontologie aus der Metaphysik

Beide Definitionen der Seele sind durch Aristoteles Aufgreifen seiner Ontologie aus den Metaphysik-Schriften gekennzeichnet. Obwohl Aristoteles die Erforschung der Seele in den Bereich der Naturphilosophie legt[5], greift er hier, im Rahmen der Definition der Seele, auf seine Substanzlehre aus der Metaphysik zurück. In dem Abschnitt 412a 6-11 rekapituliert er sein hylemorphistisches Model, hinsichtlich der Bestimmung der Substanz - der ousía[6]. Die Substanz muss demnach in Bezug auf drei Aspekte gesondert betrachtet werden. Denn mit dem Begriff der Substanz kann entweder die Form (morphe / eidos), die Materie (hyle) oder das aus beiden Zusammengesetzte (hypokeímenon) gemeint sein[7]. Alle drei Aspekte sind selber schon als ousía zu verstehen, aber in Bezug auf die Definition der Seele, kann nur eines das entsprechende Pendant zur Seele sein.

Eng mit dem Begriff der Substanz ist das Begriffspaar von Möglichkeit (dýnamis) und Vollendung (entelécheia) verbunden[8]. In seiner Ontologie versteht Aristoteles die Materie als Möglichkeit und die Form als Vollendung eines gegebenen Gegenstands. Daraus wird Aristoteles Vorzug der Form gegenüber der Materie bereits ersichtlich. Eine bestimmte Materie, kann immer nur Mittels einer bestimmten Form zur Vollendung gelangen, und gemeinsam entsteht daraus erst das Zusammengesetzte (hypokeímenon), der konkrete Gegenstand.

[...]


[1] Zitat aus De Anima (An.) 412a 5-6; Im Abschnitt 2.4. werde ich die Bedeutung dieses "allgemeinsten Begriffes" genauer untersuchen.

[2] Vgl. An.412 b10f.

[3] Zur aristotelischen Ursachenlehre vgl. Höffe 1996, S.112-115.

[4] Vgl. An.414b 22-29.

[5] Vgl. An.403a 26ff.

[6] Für Aristoteles ist die Kategorie der Substanz (ousía) von besonderer Bedeutung, insofern, als die Substanz Auskunft gibt über die besonderen ontologischen Eigenarten eines Gegenstandes.

[7] Vgl. met.1070a 9-13.

[8] In Met. IX, cap.6-9 erklärt Aristoteles das Verhältnis zwischen dýnamis und entelécheia. Auf die Diskussion um den synonymen Gebrauch von entelécheia und energeia sei hier kurz verwiesen: Entelécheia kann im Deutschen einfach mit Entelechie wiedergegeben werden, oder in Übersetzung als „ vollendete Wirklichkeit“ oder „ Vollendung“. In der Diskussion um die Verwendung von entelécheia und enérgeia (Wirklichkeit)in der Metaphysik gibt es eine rege Auseinandersetzung.

Aufschluss über enérgeia und entelécheia gibt Aristoteles in Met.1050a 22-25: „Denn das Werk (ergon) ist Zweck, die Wirklichkeit aber ist das Werk. Daher ist auch der Name Wirklichkeit von Werk abgeleitet und zielt hin auf Vollendung (entelécheia)“.

Enrico Berti sieht in dieser Bestimmung von enérgeia eine sprachliche Konvention, die den Begriff enérgeia zum einen als Bewegung (kinesis) verstehen will und zum anderen als entelécheia (vgl. Berti, 1996,S.294).

„Kurz gesagt, weil sich enérgeia zu ergon verhält wie entelécheia zu telos, deshalb stimmen, wenn ergon und telos gleichbedeutend sind, auch enérgeia und entelécheia überein“ (Zitat, Berti, 1996, S.295).

dass beide Begriffe bedeutungsgleich sind, dafür spricht sich hingegen Seidel in seinem Kommentar zur Metaphysik aus (vgl. Seidel, 1980, S.468)). Dass beide Begriffe lediglich einige übereinstimmenden Bedeutungen haben wird z.B. von Michael Frede vertreten (vgl. Frede, 1994, S.182).

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Details

Titel
Aristoteles Definition der Seele in "De Anima II", 1-5
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Veranstaltung
Aristoteles: De Anima
Note
1,3
Autor
Jahr
2001
Seiten
13
Katalognummer
V87816
ISBN (eBook)
9783638033169
ISBN (Buch)
9783638931434
Dateigröße
425 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Aristoteles, Definition, Seele, Anima, Aristoteles, Anima
Arbeit zitieren
M. A. Martin Hagemeier (Autor:in), 2001, Aristoteles Definition der Seele in "De Anima II", 1-5, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87816

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