Naturwissenschaften und Geistes- bzw. Sozialwissenschaften sind zwei Wissenschaftsbereiche, die sich grundsätzlich voneinander unterscheiden. Auf der organisatorisch-strukturellen Ebene wird an Universitäten und anderen Forschungseinrichtungen i.d.R. eine strikte Trennung in natur- und sozialwissenschaftliche Fakultäten praktiziert. Außerdem sind die theoretischen Erklärungsmodelle und praktischen Forschungsmethoden häufig grundverschieden. Die Naturwissenschaften arbeiten mit stringenten Kausalitätsbeziehungen unter experimentellen Laborbedingungen, während die Sozialwissenschaften auch einem qualitativ-hermeneutischen Zugang aufgeschlossen gegenüber stehen.
Trotz der unterschiedlichen Ausrichtung gibt es Ansätze für eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Neurowissenschaften und Pädagogik. Prominentes Beispiel ist das „Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen“ (ZNL) in Ulm unter der Leitung des Hirnforschers Manfred Spitzer. Ein weiterer Verfechter des interdisziplinären Brückenschlags ist der Frankfurter Neurophysiologe Wolf Singer, der die Herausforderung u.a. darin sieht, „die Grenzen zwischen den Beschreibungssystemen für neuronale und psychische Prozesse überbrücken“ (SINGER 2002, S.178) zu wollen.
Auch von Seiten der Erziehungswissenschaft lässt sich eine vermehrte Auseinandersetzung mit den Forschungsergebnissen der Neurowissenschaften feststellen. Damit reagierte sie auf die umfangreiche Berichterstattung in den Medien nach dem „PISA-Schock“ im Jahr 2004. In dieser „Zeit der Empörung“ wurden Neurowissenschaftler mit ihren angeblich revolutionären Erkenntnissen zu wahren Heilsbringern stilisiert. Getragen wird die neurowissenschaftliche Popularität auch von der sog. Ratgeberliteratur, die im Bereich „hirngerechtes Lehren und Lernen“ ihre Leserschaft bei Lehrern, Schülern und Eltern rekrutiert. Als Fazit lässt sich feststellen, dass die Erziehungswissenschaft in die Defensive geraten ist und sich gezwungen sieht, ihrerseits Stellung zu beziehen, wie die pädagogischen Publikationen zum Thema Hirnforschung der letzten Jahre belegen.
Grundsätzlich ist eine Interdisziplinarität zu begrüßen. Allerdings müssen sich die Beteiligten der Probleme bewusst sein, die bei einer Zusammenarbeit zweier grundverschiedener Disziplinen auftreten können. Neben den unterschiedlichen Forschungsmethoden sei exemplarisch die jeweils spezifische Fachsprache erwähnt, die sich als Barriere herausstellen könnte.
Inhaltsverzeichnis
- Problemstellung
- Grundlegende Begriffe
- Neurowissenschaften
- Pädagogik und Schulpädagogik
- Didaktik
- Handlungsorientierter Unterricht
- Lernen
- Das menschliche Gehirn
- Evolutionstheoretische Aspekte
- Zur Anatomie des Gehirns
- Neuronale Prozesse
- Lernen, Gedächtnis und Emotionen
- Rezeption lernpsychologischer und neurowissenschaftlicher Erkenntnisse in der Pädagogik
- Allgemeine Bemerkungen
- Psychologische Lerntheorien
- Integrative Ansätze
- Eigenständige Modelle
- Konstruktivistische Didaktik
- Neurodidaktik
- Neurowissenschaftliche Rezeptionen
- Hirnforschung und Didaktik: Das Beispiel „Handlungsorientierter Unterricht“
- Einleitende Bemerkungen
- Theoretische Fundierung des Handlungsorientierten Unterrichts
- Kognitive Handlungspsychologie
- Handlungsregulationstheorie
- Charakteristika des Handlungsorientierten Unterrichts
- Ziele
- Merkmale und Definition
- Fallstudie als praxisrelevante Unterrichtsform
- Merkmale und Ziele
- Phasenschema
- Handlungsorientierter Unterricht und Hirnforschung
- Vorüberlegungen
- Bewertung der Merkmale
- Weiterführende Aspekte
- Schlussbemerkungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Integration von Erkenntnissen der Neurowissenschaften in die Schulpädagogik und untersucht insbesondere den Einfluss dieser Erkenntnisse auf die Didaktik des Handlungsorientierten Unterrichts. Ziel ist es, ein tiefergehendes Verständnis für die neurobiologischen Grundlagen des Lernens zu entwickeln und auf der Grundlage dieses Wissens die Gestaltung von Unterrichtsformen zu analysieren und zu optimieren.
- Neurobiologische Grundlagen des Lernens
- Rezeption neurowissenschaftlicher Erkenntnisse in der Pädagogik
- Theoretische Fundierung des Handlungsorientierten Unterrichts
- Analyse der Merkmale des Handlungsorientierten Unterrichts im Hinblick auf neurobiologische Erkenntnisse
- Praxisrelevante Umsetzung der Erkenntnisse in Form von Fallstudien
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Einleitung, die die Problemstellung erläutert und den Fokus auf die Integration von Neurowissenschaften in die Schulpädagogik legt. Im zweiten Kapitel werden grundlegende Begriffe wie Neurowissenschaften, Pädagogik, Didaktik, Handlungsorientierter Unterricht und Lernen definiert.
Das dritte Kapitel widmet sich dem menschlichen Gehirn und analysiert dessen evolutionstheoretische Aspekte, Anatomie, neuronale Prozesse sowie die Zusammenhänge von Lernen, Gedächtnis und Emotionen.
Kapitel 4 behandelt die Rezeption von lernpsychologischen und neurowissenschaftlichen Erkenntnissen in der Pädagogik. Es werden sowohl allgemeine Bemerkungen als auch psychologische Lerntheorien und die Rezeption neurowissenschaftlicher Erkenntnisse in der Didaktik beleuchtet.
Kapitel 5 untersucht den Handlungsorientierten Unterricht im Lichte der Hirnforschung. Es werden die theoretische Fundierung des Unterrichtsmodells, seine Charakteristika und die Praxisrelevanz der Fallstudie im Zusammenhang mit neurobiologischen Erkenntnissen erörtert.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den Themen Neurowissenschaften, Schulpädagogik, Didaktik, Handlungsorientierter Unterricht, Lernen, Gehirnforschung, kognitive Handlungspsychologie, Handlungsregulationstheorie, Fallstudie, und neurobiologische Grundlagen des Lernens.
- Quote paper
- Dipl.-Hdl. Björn Widmann (Author), 2007, Neurowissenschaften und Schulpädagogik. Handlungsorientierter Unterricht, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87931