Die Anreizregulierung im deutschen Stromsektor


Diplomarbeit, 2008

65 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Formulierung der Untersuchungstatbestände und Aufbau der Arbeit

2 Ökonomische Fundierung der Netzregulierung
2.1 Einführende Bemerkungen
2.2 Technisch-ökonomische Besonderheiten
2.3 Aufbau der Wertschöpfungskette unter besonderer Berücksichtigung des deutschen Strommarktes
2.4 Zwischenergebnis

3 Informationsprobleme
3.1 Ein Einblick in die Prinzipal-Agenten-Theorie
3.2 Das Problem der adversen Selektion
3.3 Das Problem des moralischen Risikos
3.4 Zwischenergebnis

4 Entgeltregulierungsansätze der Anreizregulierung
4.1 Überblick der Entgeltregulierungsansätze
4.2 Preisobergrenzenregulierung (Price-Cap Regulation)
4.3 Gewinnaufteilungsverfahren (Sliding Scales und Profit-Sharing)
4.4 Erlösobergrenzenregulierung (Revenue-Cap Regulation)
4.5 Vergleichswettbewerb (Yardstick Competition)
4.6 Zwischenergebnis

5 Die geplante Umsetzung der Anreizregulierung im deutschen Stromsektor
5.1 Bisherige Festlegungspraxis der Netzentgelte in Deutschland und der neue rechtliche Rahmen
5.2 Zielsetzung und Konzept
5.3 Anpassung der Erlösobergrenze und Regulierungskonto
5.4 Definition der einzelnen Kostenbestandteile
5.5 Effizienzvergleich und die daraus resultierenden Ineffizienzen sowie individuelle Effizienzvorgaben
5.6 Allgemeine Geldwertentwicklung, generell sektoraler Produktivitätsfortschritt und Erweiterungsfaktor
5.7 Qualitätsvorgaben
5.8 Investitionsbudgets und Sonderregelungen für kleine Betreiber
5.9 Weitere Regulierungsperioden
5.10 Zwischenergebnis
5.10.1 Nutzen und Vorteile der geplanten Anreizregulierung
5.10.2 Kosten und Nachteile der geplanten Anreizregulierung
5.10.3 Exkurs: Einfluss externer Faktoren

6 Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis

Gesetzestexte und Verordnungen

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Aufbau der Arbeit

Abbildung 2: Die Wertschöpfungskette im Stromsektor

Abbildung 3: Übersicht der Regulierungsansätze

Abbildung 4: Anpassung eines Mehrprodukt-Monopolisten an einen Price-Cap

Abbildung 5: Generierung von Fehlanreizen zur Verknappung der durchgeleiteten Strommenge bei einer Revenue-Cap Regulierung

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Klassifikation verschiedener Vertragsbeziehungen mit asymmetrischer Information

Tabelle 2: Erzeugung allokativer Effizienz durch Sliding-Scale-Mechanismen

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1 Einleitung

1.1 Problemstellung

„Beim Netzzugang werden Wettbewerber durch diskriminierende Netzzugangsbe­dingungen und hohe Netzzugangsentgelte weiterhin behindert“.[1] Meldungen wie diese von der Monopolkommission (MK) verdeutlichen die aktuelle wirtschaftspolitische Debatte um den Missbrauch von Marktmacht einzelner Stromanbieter, hervorgerufen durch die Ungleichver­teilung der Handlungsspielräume von Markteilnehmern. Ebenfalls in der Debatte als Lösungsansatz oft gefordert ist das Instrument der Anreizregulierung (incentive regulation). Hierbei handelt es sich um eine ex-ante Variante der hoheitlichen Re­gulierung von Netznutzungsentgelten oder –erlösen. Hauptziel der Anreizregulierung ist das Setzen von bewussten Anreizen zur Realisierung ungenutzter Effizienzpotenziale. Die erzielten Effizienzen sollen teils den Netzbetrei­bern in Form einbehaltener Effizienzgewinne, teils den Verbrauchern durch gesenkte Strompreise zugute kommen.[2]

Der Regulator erachtet die bestehenden Anreizprobleme der Unternehmen zur Of­fenbarung ihrer tatsächlichen bzw. wirklich notwendigen Kostenstruktur als wich­tig. Aus diesem Grund wird versucht, das Problem der herrschenden Informati­onsasymmetrie zwischen Regulierungsbehörde und reguliertem Unternehmen zu beseitigen. Dazu soll das neue Regulierungskonzept Anreize für effiziente Leistungs­erbringung setzen und von einer Kostenprüfung möglichst abstrahieren.[3]

Die beiden hauptsächlich diskutierten Instrumente zur Ausgestaltung der Entgeltregulierung sind die Obergrenzen- oder Yardstick-Regulierung. Diese unterscheiden sich von klassischen (input-basierten) Ansätzen durch die Entkopplung der Erlöse von den Kosten bei der Festlegung der Preise (Netzentgelte).[4]

In der praktischen Umsetzung sollte darauf geachtet werden, nicht nur dem Ziel der Kosteneffizienz gerecht zu werden, sondern auch Qualitäts- und Innovationsanfor­derungen zu entsprechen.[5] Die Anreizregulierung wird im deutschen Energiesektor (Strom- und Gassektor) voraussichtlich ab dem 01. Januar 2009 eingeführt.

1.2 Formulierung der Untersuchungstatbestände und Auf­bau der Arbeit

Um einen sektorspezifischen ex-ante Regulierungseingriff zum gewünschten Erfolg zu führen, wenn der Wettbewerb keine befriedigenden Marktergebnisse hervorbringen kann, bedarf es der Antwort auf folgende Fragen:

A. Wie lässt sich der Regulierungsbedarf ökonomisch begründen?
B. In welchem Bereich kann dieser lokalisiert werden?
C. Welche Informationsprobleme sind dabei zu beachten?

Der sektorspezifische Regulierungseingriff in einer Marktwirtschaft ist nicht selbstverständlich, sondern bedarf einer besonderen Begründung. Das Vorliegen natürlicher Monopole wäre eine notwendige, nicht jedoch hinreichende Bedingung.[6] Der hinreichenden Bedingung wird erst genügt, wenn die Anreizregulierung im Vergleich zu allen anderen plausiblen Entgeltregulierungsalternativen (z.B. klassische ex-post Aufsicht) zu dem größtmöglichen gesamtwirtschaftlichen Effizienz- und Wohlfahrtsgewinn führen würde.[7] Daher wird zunächst untersucht, ob - und wenn ja, in welchem Bereich - natürliche Monopole vorliegen, um sodann auf die Effizienz der geplanten Anreizregulierung einzugehen.

Dieser Arbeit liegt die These zugrunde, dass die Anreizregulierung im deutschen Strom­sektor eine bessere Alternative zum klassischen Regulierungssystem darstellt und somit ein effizientes Steuerungskonzept aus volkswirtschaftlicher Sicht bietet. Dabei werden zwei Argumentationslinien miteinander verbunden: eine theoretische und eine angewandte Argumentationslinie. Dem Gang der Untersuchungen liegen sieben Kapitel zugrunde, deren thematischer Inhalt sich ausschließlich auf die Bundesrepublik beschränkt. Der Aufbau der Arbeit ist in Abbildung 1 dargestellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Aufbau der Arbeit

Quelle: Eigene Darstellung

Ziel des zweiten Kapitels ist es, die Bottleneck-Problematik im Stromsektor vor allem vor dem Hintergrund der technisch-ökonomischen Besonder­heiten herauszuarbeiten. Zudem soll eine disaggregierte Betrachtung der Elektrizitätswirtschaft vorgenommen werden.

Bevor in Kapitel 4 auf die möglichen Regulierungsmechanismen einge­gangen wird, setzt sich Kapitel 3 mit dem zugrunde liegenden Prinzipal-Agenten-Problem (PAP) sowie dessen Übertragung auf den Sachverhalt der Regulierung auseinander. Des Weiteren werden hier insbesondere die Vor- und Nachteile unterschiedlicher Regulierungsansätze näher beleuchtet. Dabei wird grundsätzlich zwischen klassischer Regulie­rung und Anreizregulierung unterschieden, wobei sich der Fokus der Arbeit auf letztere richtet.

Darauf aufbauend beschäftigt sich Kapitel 5 mit der geplanten Umsetzung der An­reizregulierung im deutschen Stromsektor. In diesem Zusammenhang soll das Konzept sowie die Umsetzung der ge­planten Maßnahmen diskutiert und kritisch hinterfragt werden. Schließlich soll in diesem Kapitel die Beantwortung der oben definierten These erfolgen.

Die Arbeit schließt in Kapitel 7 mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse und einem Ausblick auf die Auswirkungen auf die deutsche Stromwirtschaft.

2 Ökonomische Fundierung der Netzregulierung

2.1 Einführende Bemerkungen

Ausschlaggebend für die Beantwortung der Frage, ob in einem Wirt­schaftssektor ein natürliches Monopol vorliegt, ist in erster Linie die Kostensituation. Nach der klassischen Definition liegt ein natürliches Monopol dann vor, wenn ein einzelner Anbieter die Produktion einer bestimmten Outputmenge kostengünstiger betreiben kann, als mehrere Anbieter dies gleichzeitig tun könnten, d.h. dass natürliche Monopole durch Subadditivität gekennzeichnet sind.[8]

Ein weiteres konstituierendes Merkmal der (nicht unbedingt natürlichen) Monopole ist die Irreversibilität von getätigten Investitionen in wesentlichen Einrichtungen[9]. Die angeschafften Einrichtungen stellen mangels anderweitig wirtschaftlich vertretbarer Verwendung und nur beschränkter Liquidierbarkeit versunkene Investitionen dar. Diese marktspezifische Irreversibilität wirkt als Markteintrittsbarriere dar, da potentielle Wettbewerber angesichts des antizipierten Verlustrisikos von einer Investition absehen.

Die Kombination von Subadditivität und marktspezifischer Irreversibilität führt zur Marktresis­tenz etablierter Anbieter, d.h. dass - ohne Zugang zu diesen Einrichtungen (Bottleneck, essential facility) - potentielle Wettbewerber auf den vor- und nachgelagerten Stufen der Wertschöpfungskette dauerhaft behindert werden (Behinde­rungsmissbrauch), auf den Markt zu treten.[10]

In diesem Zusammenhang werden zunächst die wesentlichen technisch-ökonomischen Besonderheiten des Gutes Strom heraus­gearbeitet, die die Existenz natürlicher (bzw. resistenter) Monopole begünstigen.

2.2 Technisch-ökonomische Besonderheiten

Strom ist das Resultat der Umwandlung von Energieträgern (Energieerzeugung) und dessen Transport im Netz (Energieübertragung und -verteilung), und weist technische Besonderheiten auf,[11] die einen erheblichen Einfluss auf den Wett­bewerb ausüben. So ist die Energie­übertragung nur leitungsgebunden und die Speicherfähigkeit nur in geringem Umfang möglich.[12] Darüber hinaus gilt die Stromproduktion als saiso­nal sowie tages- und jahreszeitlich volatil.[13] Die Nichtspeicherbarkeit sowie die Volatilität der Stromproduktion erschweren die zeitgerechte Übereinstimmung von Stromangebot- und Nach­frage bzw. Versorgungssicherheit. Die gewährleistete Versorgungssicherheit bedeutet, dass eine ausreichende Übertragungsmöglichkeit durch die Netze zur Verfügung gestellt werden muss, um die Bedürfnisse der Konsumenten zeitgleich, unterbrechungsfrei und vollständig befriedigen zu können. Dabei sollte darauf hingewiesen werden, dass im Rahmen der Stromdurchleitung Energieverluste[14] entste­hen und dass für die Nutzung fremder Netze Netznutzungsgebühren anfallen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Netze eine wichtige Koordinationsfunktion zwischen den Stromverbrauchern und Stromanbietern übernehmen, und somit eine unabdingbare Voraussetzung für den Zugang auf den Strommarkt darstellen.

Schließlich ist das Gut Strom von fundamentaler Wichtigkeit für jeden Haushalt. Moderne Volkswirtschaften können nicht auf Strom verzichten, d.h. dass er kaum substituierbar und daher preislich unelastisch ist. Die Unelastizität der Endverbrauchernachfrage eröffnet den Stromanbietern Handlungs­spielräume, ihre Kunden durch erhöhte Preise auszubeuten (Ausbeutungsmissbrauch).[15]

2.3 Aufbau der Wertschöpfungskette unter besonderer Berücksichtigung des deutschen Strommarktes

Nachdem die wesentlichen technisch-ökonomischen Begünstigungsfaktoren für natürliche Monopole im Stromsektor dargestellt wurden, setzt sich dieses Kapitel mit der Lokalisierung des monopolistischen Bottleneck entlang der sektorspezifischen Wertschöpfungskette auseinander.

Wie in Abbildung 2 ersichtlich wird, besteht der Stromsektor aus vier Stufen der Wertschöpfung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Die Wertschöpfungskette im Stromsektor

Quelle: Brunekreeft u. Keller, 2003, S. 148.

Auf der ersten Stufe geschieht nichts anderes als die eigentliche Umwandlung der Energieträger in Elektrizität. Bei der Erzeugung von Strom werden Brennstoffe als Inputs eingesetzt. Diese machen den größten Anteil der variablen Kosten (VK) aus.[16] Kumkar zeigt, dass die durchschnittlichen variablen Kosten (DVK) in Abhängigkeit von der Auslastung grundsätzlich (bei gegebener Varianz der Auslastung) einen u-förmigen Verlauf aufweisen.[17] Dies wiederum bedeutet, dass die steigenden Skalenerträge (Größenvorteile) in dem Tiefpunkt der DVK – Kurve ihren maximalen Wirkungsgrad erreicht haben. Der u-förmige DVK – Verlauf spricht also dafür, dass es ökonomisch sinnvoll wäre, wenn mehrere Erzeuger die Marktnachfrage bedienen würden, indem sie zu jeweils minimalen DVK anbieten. Wiederum würde sich in diesem Fall aber das Problem der Duplizierung der Fixkosten zur Diskussion stellen.

Die Fixkosten (FK) sind allerdings unter Berücksichtigung des technologischen Fortschritts und der relativ erheblichen Größe des deutschen Strommarktes von geringer Bedeutung.[18] Weiterhin soll durch die Etablierung der Strombörse EEX in Leipzig die Handelbarkeit von Strom zusätzlich zunehmen, sodass für den Betrieb und Bau von Netzen keine festen Abnehmer notwendig sind. Zusammenfassend lasst sich also sagen, dass die Elektrizitätserzeugung auch für kleinere Kraftwerke rentabel sein kann und die Existenz von Größenvorteilen auf der Erzeugungsstufe ausgeschlossen ist.[19]

Die nächsten beiden Stufen dienen der Durchleitung von Strom. Während die Übertragungsstufe den Strom über Höchst- und Hochspannungsnetze an die Entnahmepunkte der Verteilnetze leitet, gibt die Verteilungsstufe diesen über Niedrigspannungsnetze an die Endverbraucher weiter. Die VK der Stromübertragung und -verteilung (Stromstransport) werden im Grunde durch die transportabhängigen Energieverluste verursacht. So lassen sich hier durchaus Größenvorteile erreichen, indem ein Optimum des Netto-Transportvolumens zwischen Entnahme- und Einspeisepunkten im Verbundnetz angestrebt wird. Dieses Bestreben geht mit dem Ziel der wirtschaftlichen Koordination zwischen den ans Netz angeschalteten Anlagen und der schwankenden Stromnachfrage (Kapitel 2.1) einher.[20]

Ökonomisch betrachtet stellen die Investitionen in die Transportnetze aufgrund ihrer marktspezifischen Verwendungsmöglichkeiten versunkene Kosten (marktspezifische Irreversibilität) dar, deren Komplexität einen parallelen Leitungsbau in der Praxis sinnlos macht (Subadditivität).[21] Infolge dessen wird der Netzbereich im Allgemeinen als natürliches Monopol bezeichnet, der zudem aufgrund der drohenden versunkenen Kosten zu Marktresistenz führt.

Die Versorgungsstufe hat eine rein wirtschaftliche Funktion. Zentrale Aufgabe der Versorgung ist es, den im Rahmen von Lieferverträgen angeschafften Strom von den Kraftwerken an die Kunden weiter zu reichen. Zum Angebotsspektrum der auf dieser Stufe tätigen EVU (Energieversorgungsunternehmen) gehören zusätzlich Mess-, Abrechnungs- und sonstige Dienstleistungen.[22] Die große Anzahl an Versorgungsbetreibern in Deutschland ist der empirische Beweis für einen wirksamen Wettbewerb auf dieser Stufe.

Wie in Abbildung 2 dargestellt, befinden sich die Übertragungsnetze und die Erzeugung zum größten Teil im Besitz der vier Verbundunternehmen[23], während die regionalen und kommunalen Versorger überwiegend die Verteilungs- und die Versorgungsstufen beherrschen. Problematisch hierbei ist, dass die Verbundunternehmen wettbewerbsfähige und monopolistische Bereiche auf sich vereinen. Das bedeutet also, dass die tatsächliche Struktur der Wertschöpfungskette des deutschen Stromsektors von einem hohen Maß an vertikaler Integration geprägt ist.[24]

2.4 Zwischenergebnis

Resümierend lässt sich feststellen, dass sich der monopolistische Engpassbereich auf den Netzbereich beschränkt. Wiederum sollen die Erzeugung und Versorgung von Strom wettbewerblich organisiert werden.[25] Schmidtchen u. Bier 1997 bezeichnen den Netzbereich als „wettbewerblicher Ausnahmebereich“[26].

Neben Ausbeutung der Nachfrager durch erhöhte Strompreise, stellt sich im Rahmen der Marktöffnung die Frage der Behinderung von Wettbewerbern. Die herrschende Marktresistenz auf der Transportstufe erschwert aufgrund drohender irreversibler Verluste wesentlich den Markteintritt bzw. –austritt. Dies stellt wiederum das eingangs erwähnte Diskriminierungsproblem von Wettewerbern auf den vor- und nachgelagerten Märkten dar. Vertikal integrierte Netzbetreiber (insb. die Verbundunternehmen) haben erhebliches Interesse daran, Marktteilnehmer durch diskriminierende Marktzugangskonditionen und überhöhte Netzentgelte zu behindern. Die überhöhten Netzentgelte stellen dabei ein besonders missbräuchliches Instrument zur Übertragung von Marktmacht aus dem monopolistischen Bottleneck-Bereich auf die vor- und nachgelagerten Teilmärkte dar. Es ist genauso zu befürchten, dass die Verbundunternehmen eine Quersubventionierung von Monopolgewinnen aus monopolistischen zu wettbewerblichen Teilmärkten praktizieren und daraus zusätzliche Wettbewerbsverzerrungen resultieren. In diesem Zusammenhang soll die gesellschaftsrechtliche Entflechtung (unbundling) der Netze laut der MK kein ausreichendes Lösungsmittel der Situation darstellen. Um den Ausbeutungsmissbrauch der Nachfrager und den Behinderungsmissbrauch der Wettbewerber durch die Netzmonopole zu bekämpfen, sei eine staatliche Entgeltregulierung geboten.[27]

An dieser Stelle wird keinesfalls ein sektorübergreifender (end-to-end) Regulierungsansatz gefordert, da funktionsfähige Wettbewerbsprozesse selbst durch tadellose Regulierungstechnik nicht zu ersetzen sind. Vielmehr soll eine gezielte sektorspezifische Regulierung eingesetzt werden.[28]

3 Informationsprobleme

3.1 Ein Einblick in die Prinzipal-Agenten-Theorie

Nachdem nun im monopolistischen Engpassbereich Regulierungsbedarf festgestellt worden ist, stellt sich die Frage nach der Umsetzung der Regulierung. Eine Regulierung der Entgelte setzt voraus, dass die Regulierungsbehörde die Kostenstruktur des regulierten Unternehmens kennt. Dieses Kapitel untersucht die Auftragsbeziehung zwischen der Regulierungsbehörde und den zu regulierenden Unternehmen und die daraus resultierenden Informationsprobleme.

Die Interaktion zwischen der Bundesnetzagentur (Regulierungsbehörde) und den Netzbetreibern (zu regulierenden Unternehmen) kann als eine Auftragsbeziehung interpretiert werden. Der Auftrag wiederum ist die Grundlage der Beziehung zwischen Prinzipal (Auftraggeber) und Agenten (Auftragnehmern).[29] Diese Beziehung ist durch eine Reihe von Schwierigkeiten gekennzeichnet,[30] die im Folgenden vor dem Hintergrund der Prinzipal-Agenten-Theorie (PAT) näher beleuchtet werden sollen.

Die asymmetrische Informationsverteilung zwischen dem Prinzipal und dem Agenten stellt eine zentrale Annahme in der PAT dar.[31] Im Grunde beauftragt die BNetzA (Bundesnetzagentur) als ausführendes Organ der Regierung, private oder öffentliche Unternehmen, den Betrieb der Netze zu übernehmen. Der Auftraggeber ist dabei auf den Agenten angewiesen, weil dieser die Versorgung zu niedrigen Kosten durchführen kann oder weil eine solche Aufgabe nur durch Delegierung umsetzbar erscheint. Hätte also der Prinzipal die Möglichkeit den Auftrag zu mindestens gleich günstigen Konditionen zu erfüllen, würde er keinen Agenten als Intermediär der Leistungserbringung einschalten. Der Auftragnehmer ist allerdings besser über die Parameter der Versorgungsaufgabe (wie z.B. die Nachfrage[32], die Kosten- und Qualitätsmerkmale) informiert als der Auftraggeber.[33] Daraus kann sich opportunistisches Verhalten entwickeln, indem sich der Agent seinen Informationsvorsprung zum Vorteil macht und vereinbarte oder implizite Regeln missachtet.[34] Beide Parteien verfolgen dabei divergierende Ziele. Der Netzbetreiber will sich als Monopolist verhalten und seine eigene Wohlfahrt (Gewinn) maximieren. Gleichzeitig strebt er auch das Minimum seines dabei zu verspürenden Arbeitsleides an, wodurch Kostenerhöhungen ausgelöst werden (X-Ineffizienz). Die X-Ineffizienz wird von Wirths als „entgeltliche und unentgeltliche Vorteile“[35] bezeichnet, die in einer Wettbewerbssituation nicht zu erlangen wären. Die BNetzA auf der anderen Seite strebt eine zuverlässige und möglichst günstige Versorgung der Verbraucher an und verspricht sich dadurch eine Erhöhung der volkswirtschaftlichen Wohlfahrt.[36]

[...]


[1] Vgl. MK, 2006, S. 58.

[2] Franz, 2005, S. 6f. An dieser Stelle erscheint erwähnenswert, dass als Nutznießer auf der Verbraucherseite nicht nur Endverbraucher, sondern auch kleinere Energieversorgungsunterneh­men (EVU), die auf Drittnetzzugang angewiesen sind, aufgefasst werden.

[3] Ebd.

[4] Pielow, 2007, S. 3f.

[5] Diekmann, 2006, S. 3.

[6] Wirths, 1998, S. 2.

[7] Haucap u. Rötzel, 2007, S. 56.

[8] Eine Kostenfunktion C(Y) gilt als subadditiv, wenn die Gesamtkosten für die Produktion einer Outputmenge (Y) geringer ausfallen als die Summe der Kosten bei vereinzelter Erzeugung durch mehrere Anbieter mit identischen Kostenfunktionen. Wenn C(Y1) + C(Y2)+…+C(Yn) ≥ C(Y), (Kumkar, 2000, S. 6; Diekmann, 2006, S. 9; Schmidtchen u. Bier, 1997, S. 18f.).

[9] Klassische Wettbewerbsparameter wie Goodwill, Reputation und Produktdifferenzierung zählen nicht dazu. Zur einer ausführlichen Definition von solchen Einrichtungen wird auf Knieps verwiesen (Knieps, 2002, S. 63f.).

[10] Kruse, 2002, S. 74ff.; Haucap u. Rötzel, 2007, S. 55f.

[11] Grichnik u. Vortmeyer, 2002, S. 2.

[12] Jendrian, 2002, S. 1.

[13] Joskow, 1997, S. 121; Müsgens, 2006, S. 474.

[14] Die Höhe dieser Verluste wird in erster Linie vom Spannungsniveau der Netze und der Übertragungsdistanz bestimmt. Wenn die Leitungskapazität überschritten wird, soll der Energieverlust quadratisch ansteigen (Brunekreeft u. Keller, 2003, S. 133f.).

[15] MK, 2006, S. 59.

[16] Kumkar, 2002, S. 13-19.

[17] Ebd.

[18] Diese können nur wirtschaftlich relevant sein, lediglich für Länder mit einem wesentlich kleineren Strommarkt oder/und nicht gut ausgebauten Transportnetz (Brunekreeft u. Keller, 2003, S. 135f.

[19] Haucap u. Rötzel, 2007, S. 59.

[20] Kumkar, 2000, S. 27-33.

[21] Brunekreeft u. Keller, 2003, S.136.

[22] Ebd., S. 137.

[23] Das sind RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall Europe (Müsgens, 2006, S. 484).

[24] Brunekreeft u. Keller, 2003, S.136

[25] Christmann, 2004, S. 14; Knieps, 2002, S.61; Haucap u. Rötzel, 2007, S. 58.

[26] Vgl. Schmidtchen u. Bier, 1997, S. 19.

[27] MK, 2006, S. 60.

[28] Knieps, 2002, S. 65f.

[29] Jost, 2001, S. 13.

[30] Laffont u. Tirole, 1993, S. 1.

[31] Noth, 1994, S. 19.

[32] Wobei die Entwicklung der Stromnachfrage ein relativ stabiler Unternehmensparameter darstellt (Laffont u. Tirole, 1993, S. 2).

[33] Borrmann, u. Finsinger, 1999, S. 411f.; Joskow, 2005, S. 13.

[34] Kumkar, 2000, S. 64.

[35] Wirths, 1998, S. 30.

[36] Blackmon, 1994, S. 17f.;

Ende der Leseprobe aus 65 Seiten

Details

Titel
Die Anreizregulierung im deutschen Stromsektor
Hochschule
Ruhr-Universität Bochum
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
65
Katalognummer
V87949
ISBN (eBook)
9783638027823
ISBN (Buch)
9783638926096
Dateigröße
735 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Anreizregulierung, Stromsektor
Arbeit zitieren
Dipl. Ök. Armenak Haripyan (Autor:in), 2008, Die Anreizregulierung im deutschen Stromsektor, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/87949

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