In Wolframs wichtigster Vorlage, dem „Conte du Graal“ von Chrétien de Troyes, fällt ein bedeutendes Novum im Vergleich zu den vier von der Forschung als vorausgehend datierten Werken auf: Der Artushof ist nicht länger der einzige Mittelpunkt der Handlung, an dem sich alle zentralen Ereignisse abspielen. Während beispielsweise im „Erec“ der Artushof den Beginn der Handlung, das Ende des ersten Kursus und das Ende des Werkes insgesamt markiert, hebt sich das „Conte du Graal“ schon allein durch den Beginn ab, der nicht wie traditionell im Artusroman am Pfingstfest bei Hofe einsetzt, sondern im Wald, beim Aufbruch Percevals zum Artushof. Auch im weiteren Verlauf spielt der Artushof eine vergleichsweise weniger zentrale Rolle als in den vorhergehenden Werken Chrétiens. Perceval kommt sogar zufällig und unbeabsichtigt zur Tafelrunde, was ihren Bedeutungsverlust im Handlungsverlauf andeutet. Außerdem spielen sich die wichtigsten Stationen der Handlung nicht mehr nur dort ab, sondern auch beim Einsiedleroheim, auf der Wunderburg, und nicht zuletzt auf der Gralburg. Dieser letzteren kann man aber, im Gegensatz zu Wolframs Darstellung im „Parzival“, noch nicht den Stellenwert eines zweiten Handlungsmittelpunktes zuschreiben. Die unterschiedliche Akzentuierung der Bedeutung des Artushofes wird auch in den Bearbeitungen Chrétiens Stoffe deutlich, der des „Erec“ von Hartmann von Aue und der des „Parzival“ von Wolfram von Eschenbach. So übernimmt Wolfram die bei Chrétien noch nicht sehr weitgehende Verschiebung des Stellenwertes des Artushofes und den zweiten gesellschaftlichen Entwurf der Gralsburg und verstärkt diese Akzentuierung deutlich. Man kann einerseits annehmen, dass Wolfram beabsichtigte, die Idealität der Artusgesellschaft durch die breite Ausarbeitung der Gralsgesellschaft infrage zu stellen und zu relativieren, was soweit geht, dass die Gralsgesellschaft in der Forschung durchgehend als höherwertig eingestuft wird . Pratelidis weist andererseits darauf hin, „daß dem Artushof bei aller Relativierung und Entidealisierung, die er in Wolframs Darstellung erfährt, eine außerordentliche funktionelle Bedeutung als Bezugspunkt und Zentrum des höfischen Lebens in der Ritterwelt des ‚Parzival’ zukommt. Obwohl dem Artushof mit Munsalvaesche ein zweites gesellschaftliches Zentrum zur Seite gestellt wird, büßt er nichts von seiner traditionellen Mittelpunktstellung ein…“
Inhaltsverzeichnis
- Die Darstellung der Gesellschaft bei Chrétien de Troyes
- Das Verhältnis von Artusgesellschaft und Gralsgesellschaft
- Die Darstellung der Artusgesellschaft im „Parzival“
- Die Störung der Gesellschaft am Artushof
- Ither
- Der Truchsess Keie
- Die Liebesusurpatoren
- König Artus
- Gawan, der ideale Ritter?
- Gawans Rittertum
- Die Relativierung des Gawan-Ideals
- Parzival
- Parzivals Werdegang - Vom „tumben“ zum Artusritter
- Parzival zwischen Artusgesellschaft und Gralsgesellschaft
- Parzivals Artusrittertum
- Funktionsprinzipien der Artusgesellschaft
- Der Grundsatz des sicherheit nemen
- Das Prinzip der Reintegration
- Die Erlösung von Schastel Marveile
- Die Störung der Gesellschaft am Artushof
- „agelstern varwe“ als Programm
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Hausarbeit untersucht die Darstellung der Artusgesellschaft in Wolframs von Eschenbachs „Parzival“ im Vergleich zu Chrétiens de Troyes „Conte du Graal“. Sie analysiert die Entwicklung und die Funktion der Artusgesellschaft im Werk Wolframs, insbesondere im Kontext ihrer Beziehung zur Gralsgesellschaft. Die Arbeit beleuchtet die Störungen und die Funktionsprinzipien der Artusgesellschaft und untersucht die Rolle von zentralen Figuren wie König Artus, Gawan und Parzival.
- Entwicklung und Wandel der Artusgesellschaft in „Parzival“
- Beziehung zwischen Artusgesellschaft und Gralsgesellschaft
- Störungen und Funktionsprinzipien der Artusgesellschaft
- Rolle wichtiger Figuren im Kontext der Gesellschaft
- Idealtypischer Status und Relativierung der Artusgesellschaft
Zusammenfassung der Kapitel
Die Arbeit beginnt mit einer Analyse der Darstellung der Artusgesellschaft bei Chrétien de Troyes, wobei der Fokus auf dem „Conte du Graal“ liegt. Im zweiten Kapitel wird das Verhältnis von Artusgesellschaft und Gralsgesellschaft beleuchtet, wobei die unterschiedlichen Akzentuierungen in den Bearbeitungen von Chrétien de Troyes, Hartmann von Aue und Wolfram von Eschenbach betrachtet werden. Der Hauptteil der Arbeit konzentriert sich auf die Darstellung der Artusgesellschaft im „Parzival“. Dabei werden die Störungen der Gesellschaft am Artushof, die Rolle von König Artus und Gawan sowie der Werdegang von Parzival und seine Positionierung zwischen den beiden Gesellschaften untersucht. Schließlich werden die Funktionsprinzipien der Artusgesellschaft sowie die Erlösung von Schastel Marveile analysiert.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den Themen Artusgesellschaft, Gralsgesellschaft, Chrétien de Troyes, Wolfram von Eschenbach, „Parzival“, „Conte du Graal“, Rittertum, Idealität, Störungen, Funktionsprinzipien, König Artus, Gawan, Parzival, gesellschaftliche Strukturen.
- Arbeit zitieren
- Christine Reff (Autor:in), 2005, Die Darstellung der Artusgesellschaft in Wolfram von Eschenbachs "Parzival", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88015