1. Racines Vorwort zu Phèdre: In der Préface zu seiner berühmtesten Tragödie, „Phèdre“, beschreibt Racine eingangs seine Titelheldin mit folgenden Worten:
« En effet, Phèdre n’est ni tout à fait coupable, ni tout à fait innocente. Elle est engagée, par sa destinée et par la colère des dieux, dans une passion illégitime, dont elle a horreur toute la première. Elle fait tous ses efforts pour la surmonter. Elle aime mieux se laisser mourir que de la déclarer à personne, et lorsqu’elle est forcée de la découvrir, elle en parle avec une confusion qui fait bien voir que son crime est plutôt une punition des dieux qu’un mouvement de sa volonté. » Das Verbrechen Phèdres, ihre – streng betrachtet - inzestuöse Liebe zu ihrem Stiefsohn Hippolythe, ist hier also als eine Strafe der Götter konzipiert. Diese Tatsache scheint Phèdre auf den ersten Blick fast vollkommen von Schuld an dieser unrechtmäßigen Liebe freizusprechen. Zudem wird sowohl im Vorwort als auch im Drama selbst mehrfach betont, wie sehr sich Phèdre gegen ihr Schicksal aufzulehnen versucht, in welchem Maße sie versucht, nicht schuldig zu werden. Dennoch bezeichnet Racine sie als « ni tout à fait coupable, ni tout à fait innocente » und schreibt ihr damit durchaus einen gewissen Anteil an Schuldhaftigkeit zu. Trotz der Tatsache, dass Phèdre diese illegitime Liebe als Strafe von den Göttern hat auferlegt bekommen, trotz ihres verzweifelten Versuchs, gegen diese Liebe anzukämpfen, ist sie dennoch schuldig geworden, inwiefern, das will diese Arbeit zu klären versuchen. In diesem Zusammenhang soll auf der Suche nach „Alternativschuldigen“ auch die Rolle der confidente Phèdres, die Figur der Oenone, Beachtung finden, so wie die der Götter und des Schicksals, die, wie eben angedeutet von entscheidender Bedeutung für die tragischen Entwicklungen der Tragödie sind. Zunächst jedoch soll eine kurze Differenzierung im Hinblick auf die Schuldfrage erfolgen: Woran soll Phèdre schuld sein? An ihrer inzestuösen Liebe, daran, diese gestanden zu haben, am Tod Hippolythes, an dem Oenones, an ihrem eigenen Tod?
Inhaltsverzeichnis
- Racines Vorwort zu Phèdre
- Eine notwendige Differenzierung von Phèdres Schuld
- Die Schuldverteilung in Phèdres Augen
- Phasen in Phèdres Schuldeinschätzung
- „Alternativschuldige“
- Oenone
- Götter und Schicksal
- Die Schlussszene: Eine geläuterte Phèdre?
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Schuldfrage in Racines Tragödie „Phèdre“. Ziel ist es, die unterschiedlichen Schuldzuweisungen im Drama zu analysieren und die Entwicklung von Phèdres Selbstwahrnehmung ihrer Schuld nachzuvollziehen. Dabei wird die Rolle von „Alternativschuldigen“, wie Oenone und den Göttern, berücksichtigt.
- Phèdres Schuldzuweisung an sich selbst und ihre Entwicklung im Laufe des Dramas
- Die Rolle von Oenone als „Alternativschuldige“ und ihre Verantwortung
- Die Bedeutung von Göttern und Schicksal für die tragischen Ereignisse
- Die Ambivalenz von Phèdres Schuld: zwischen göttlicher Strafe und persönlicher Verantwortung
- Analyse der verschiedenen Aspekte von Schuld: Liebe zu Hippolyt, Tod Hippolyts und Oenones
Zusammenfassung der Kapitel
Racines Vorwort zu Phèdre: Racines Vorwort charakterisiert Phèdre als weder ganz schuldig noch ganz unschuldig. Ihre inzestuöse Liebe wird als göttliche Strafe dargestellt, doch Racine betont auch ihren Kampf gegen diese Leidenschaft. Die Arbeit untersucht den Grad von Phèdres Schuldhaftigkeit trotz dieser göttlichen Bestimmung und widmet sich der Rolle von Oenone und den Göttern als potentielle Mitverursacher des tragischen Geschehens.
Eine notwendige Differenzierung von Phèdres Schuld: Dieses Kapitel betont die Notwendigkeit, die Schuldzuweisung an Phèdre zu differenzieren. Es wird nicht nur ihre inzestuöse Liebe thematisiert, sondern auch ihre Rolle im Tod Hippolyts und Oenones. Phèdre selbst empfindet ihre Liebe als Hauptschuld, sieht sich aber gleichzeitig als Opfer göttlicher Rache. Die Frage nach ihrer Mitschuld am Tod Hippolyts und die komplexe Schuldverteilung unter den beteiligten Figuren (Oenone, Thésée, die Götter) werden als zentrale Problemstellungen eingeführt.
Die Schuldverteilung in Phèdres Augen: Dieser Abschnitt analysiert die Entwicklung von Phèdres Selbstwahrnehmung ihrer Schuld in verschiedenen Phasen des Dramas. Ihre Schuldzuweisung variiert stark: von tiefer Selbstanklage und Todessehnsucht bis hin zu einer fast vollständigen Freisprechung im Schlussmonolog. Die verschiedenen Phasen ihrer Schuldbewertung werden chronologisch dargestellt und ihre Ambivalenz herausgearbeitet.
„Alternativschuldige“: Dieses Kapitel untersucht alternative Schuldzuschreibungen. Die Rolle Oenones als Phèdres Vertraute und ihr Einfluss auf die Ereignisse werden detailliert beleuchtet. Des Weiteren wird der Einfluss von Göttern und Schicksal auf Phèdres Leben und die tragischen Ereignisse analysiert, insbesondere ihre Abstammung und ihre „idolatrie“ als potentielle Faktoren. Der Vergleich zwischen jansenistischer und antiker Götterauffassung wird angedeutet.
Schlüsselwörter
Phèdre, Racine, Schuld, Tragödie, göttliche Strafe, Oenone, Hippolyt, Thésée, Inzest, Schicksal, Verantwortung, Selbstwahrnehmung, Ambivalenz, Schuldzuweisung.
Häufig gestellte Fragen zu Racines „Phèdre“: Schuld, Schicksal und Verantwortung
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert die Schuldfrage in Jean Racines Tragödie „Phèdre“. Im Fokus steht die Untersuchung der unterschiedlichen Schuldzuweisungen im Drama und die Entwicklung von Phèdres Selbstwahrnehmung ihrer Schuld im Laufe des Stücks. Dabei werden auch alternative Schuldzuschreibungen an Oenone und die Götter berücksichtigt.
Welche Aspekte der Schuld werden untersucht?
Die Analyse umfasst Phèdres Schuldzuweisung an sich selbst und deren Entwicklung, die Rolle Oenones als „Alternativschuldige“, den Einfluss von Göttern und Schicksal, die Ambivalenz von Phèdres Schuld zwischen göttlicher Strafe und persönlicher Verantwortung sowie die verschiedenen Aspekte der Schuld: ihre Liebe zu Hippolyt, der Tod Hippolyts und der Tod Oenones.
Wie wird Racines Vorwort in die Analyse einbezogen?
Racines Vorwort, das Phèdre als weder ganz schuldig noch ganz unschuldig darstellt, wird als Ausgangspunkt der Analyse verwendet. Es wird untersucht, wie der Grad von Phèdres Schuldhaftigkeit trotz der göttlichen Bestimmung zu verstehen ist und welche Rolle Oenone und die Götter als potentielle Mitverursacher des tragischen Geschehens spielen.
Welche Rolle spielt Oenone in der Schuldfrage?
Die Rolle Oenones als Phèdres Vertraute und ihr Einfluss auf die Ereignisse werden detailliert untersucht. Ihre Verantwortung als „Alternativschuldige“ wird analysiert und ihre Mitwirkung an den tragischen Ereignissen beleuchtet.
Wie wird die Bedeutung von Göttern und Schicksal berücksichtigt?
Der Einfluss von Göttern und Schicksal auf Phèdres Leben und die tragischen Ereignisse wird analysiert. Dabei werden Aspekte wie ihre Abstammung und ihre „Idololatrie“ als potentielle Faktoren betrachtet. Ein Vergleich zwischen jansenistischer und antiker Götterauffassung wird angedeutet.
Wie entwickelt sich Phèdres Selbstwahrnehmung ihrer Schuld?
Die Arbeit verfolgt die Entwicklung von Phèdres Selbstwahrnehmung ihrer Schuld in verschiedenen Phasen des Dramas. Ihre Schuldzuweisung variiert stark: von tiefer Selbstanklage und Todessehnsucht bis hin zu einer fast vollständigen Freisprechung im Schlussmonolog. Diese unterschiedlichen Phasen werden chronologisch dargestellt und ihre Ambivalenz herausgearbeitet.
Welche Schlüsselwörter charakterisieren die Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Phèdre, Racine, Schuld, Tragödie, göttliche Strafe, Oenone, Hippolyt, Thésée, Inzest, Schicksal, Verantwortung, Selbstwahrnehmung, Ambivalenz, Schuldzuweisung.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit?
Die Arbeit gliedert sich in Kapitel zu Racines Vorwort, der Differenzierung von Phèdres Schuld, der Schuldverteilung aus Phèdres Perspektive, den „Alternativschuldigen“ (Oenone und die Götter) und der Schlussszene mit der Frage nach einer möglichen Läuterung Phèdres.
- Arbeit zitieren
- Christine Reff (Autor:in), 2006, Phèdre – «ni tout à fait coupable, ni tout à fait innocente»?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88023