Unterschiede im mimisch-affektiven Verhalten zwischen Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung und depressiven Patienten während der Selbstbeschreibung


Diplomarbeit, 2007

107 Seiten, Note: 2


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

VORWORT

1 EMOTION UND MIMISCH-AFFEKTIVES VERHALTEN
1.1 Abgrenzung von Begriffen
1.2 Geschichte der Emotionsforschung in der Psychologie
1.3 Was ist eine Emotion?
1.3.1 Komponentenprozessmodell von Scherer
1.4 Einteilung von Emotionen
1.4.1 Basisemotionen
1.5 Emotion und Gesichtsausdruck
1.5.1 Neurokulturelle Theorie der Gefühle von Ekman
1.5.2 Zusammenhang zwischen Emotionsausdruck und Emotionserleben
1.5.3 Funktionen von Emotionen und des Emotionsausdruckes
1.5.3.1 Propositionale Struktur der Primäraffekte nach Krause (1990)

2 DEPRESSION
2.1 Symptome einer Depression
2.2 Epidemiologie
2.3 Verlauf
2.4 Ätiologie
2.4.1 Risikofaktoren
2.4.2 Erlernte Hilflosigkeit
2.4.3 Kognitive Theorie von Beck
2.4.4 Psychodynamisches Modell
2.4.4.1 Der depressive Grundkonflikt

3 BORDERLINE-PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG
3.1 Symptome einer Borderline-Persönlichkeitsstörung
3.2 Epidemiologie
3.3 Verlauf
3.4 Ätiologie
3.4.1 Das Entstehungskonzept von Kernberg
3.4.2 Das Entstehungskonzept nach Mahler
3.4.3 Das Entstehungskonzept von Masterson und Rinsley
3.4.4 Die Biosoziale Theorie vom Marsha M. Linehan – eine dialektische Theorie
3.4.5 Weitere Entstehungskonzepte der Borderline-Persönlichkeitsstörung
3.5 Strukturelle Aspekte der Borderline-Persönlichkeitsstörung
3.5.1 Unspezifische Zeichen von Ichschwäche
3.5.2 Primärprozesshafte Denkformen
3.5.3 Spezifische Abwehrmechanismen
3.5.3.1 Spaltung
3.5.3.2 Primitive Idealisierung
3.5.3.3 Frühformen der Projektion, insbesondere die projektive Identifizierung
3.5.3.4 Verleugnung
3.5.3.5 Allmacht und Entwertung

4 EMOTIONEN IM ZUSAMMENHANG MIT DEPRESSION UND BORDERLINE-PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG

5 FORSCHUNGSERGEBNISSE ZUM MIMISCHEN AFFEKTAUSDRUCK BEI DEPRESSION UND BORDERLINE-PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG

6 EMPIRISCHER TEIL
6.2 Hypothesen und spezifische Fragestellung
6.2 Untersuchungsdesign
6.2.1 Untersuchungsstichprobe und Datenerhebung
6.2.2 Verwendete Verfahren
6.2.2.1 SKID
6.2.2.2 Das OPD-Interview
6.2.2.3 FACS
6.2.2.4 EMFACS
6.5.3 Zusammenhang dieser Diplomarbeit mit dem Forschungsprojekt „Affektivität, Beziehung und psychische Störung“ der Universität Innsbruck

7 ERGEBNISSE
7.1 Beschreibung der Untersuchungsstichprobe
7.2 Häufigkeiten des jeweiligen mimisch-affektiven Verhalten in der Untersuchungsstichprobe
7.3 Vergleich Borderline-Persönlichkeitsstörung mit Depression
7.4 Vergleich Borderline-Persönlichkeitsstörung mit gesunder
Kontrollgruppe
7.5 Vergleich Depression mit gesunder Kontrollgruppe
7.6 Hypothesen, die angenommen werden konnten

8 ZUSAMMENFASSUNG UND DISKUSSION DER ERGEBNISSE

LITERATURVERZEICHNIS

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

TABELLENVERZEICHNIS

ANHANG

Beschreibung der Depression laut DSM-IV

Beschreibung der Borderline-Persönlichkeitsstörung laut DSM-IV

VORWORT

Ekman Paul and Tomkins Silvan

The two men, protégé and mentor sat at the back of the room, as faces flickered across the screen. Ekman had told Tomkins nothing about the tribes involved (tribes from Papua New Guinea); all identifiying context had been edited out. Tomkins looked on intently, peering through his glasses. At the end, he went up to the screen and pointed to the face of the South Fore. “These are a sweet, gentle people, very indulgent, very peaceful” he said. Then he pointed to the faces of the Kukukuku. “This other group is violent, and there is lots of evidence to suggest homosexuality. “Even today, a third of a century later, Ekman cannot get over what Tomkins did. “My God! I vividly remember saying, “Silvan, how on earth you are doing that?” Ekman recalls. “And he went up to the screen and, while he played the film backward, in slow motion, he pointed out the particular bulges and wrinkles in the face that he was using to make his judgement. That´s when I realized, “I´ve got to unpack the face, “It was a gold mine of information that everyone had ignored. This guy could see it, maybe everyone else could, too.”

Gladwell Malcolm

The New Yorker, August 5, 2002, p. 41

EINLEITUNG

In dieser Diplomarbeit werden die Unterschiede im mimisch-affektiven Verhalten von Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung und depressiven Patienten während der Selbstbeschreibung im OPD-Interview untersucht. Aufgrund von vorausgegangenen Studien zum mimischen Verhalten bei diesen Patientengruppen wird davon ausgegangen, dass depressive Patienten eine eher eingeschränkte oder abgeschwächte Mimik und Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung eher mehr mimische Aktivität zeigen werden. Es wird angenommen, dass während des Abschnittes der Selbstbeschreibung, der einen Unterpunkt der Strukturachse des OPD-Interviews darstellt, die grundsätzlich bestehenden mimisch-affektiven Muster der Patientengruppen noch verstärkt zu sehen sind, da es sich bei der Borderline-Persönlichkeitsstörung ja um eine strukturelle Störung handelt und auch bei dem Störungsbild der Depression das Selbstbild eine sehr wichtige Rolle spielt.

Die vorliegende Diplomarbeit entstand im Rahmen des Forschungsprojektes „Affektivität, Beziehung und psychische Störung“, das unter der Leitung von Herrn Univ.-Prof. Dr. Cord Benecke im Rahmen der klinischen Emotions- und Interaktionsforschung am Institut für Psychologie der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck durchgeführt wurde.

Die Arbeit ist in zwei Teile gegliedert. Kapitel 1 bis 5 beinhalten zugrunde liegende Theorie, Kapitel 6 bis 8 könnte man als empirischen Teil beschreiben.

Im Kapitel 1 werden zuerst die Begriffe zum Thema Emotion abgegrenzt, ein Überblick darüber gegeben, was denn überhaupt eine Emotion ist und wie die Geschichte der Emotionsforschung in der Psychologie bisher aussieht. Weiters wird erörtert wie Emotionen eingeteilt werden können und welche Zusammenhänge zwischen Emotion und Gesichtsausdruck bestehen.

Kapitel 2 behandelt das Störungsbild Depression, mit den Unterpunkten Symptome der Depression, Epidemiologie, Verlauf und Ätiologie.

Kapitel 3 beschreibt die Borderline-Persönlichkeitsstörung unter denselben Gesichtspunkten und führt zusätzlich noch die strukturellen Aspekte der Borderline-Persönlichkeitsstörung an.

Im 4. Kapitel wird der Zusammenhang zwischen Borderline-Persönlichkeitsstörung und Emotion und Depression und Emotion dargelegt und im fünften Kapitel werden Forschungsergebnisse zum mimischen Affektausdruck bei Borderline-Persönlichkeitsstörung und Depression aufgeführt.

In Kapitel 6 werden die Hypothesen und die spezifische Fragestellung erörtert und das Untersuchungsdesign mit Untersuchungsstichprobe und Untersuchungsmethoden dargestellt.

Kapitel 7 stellt dann die Ergebnisse der Untersuchung dar und In Kapitel 8 werden die Ergebnisse zusammengefasst und diskutiert.

Wegen der leichteren Lesbarkeit wurde auf die Unterscheidung zwischen männlicher und weiblicher Form verzichtet.

1 EMOTION UND MIMISCH-AFFEKTIVES VERHALTEN

Emotionen sind für die meisten Menschen interessant, da das Erleben von Emotionen beim Menschen als soziales Wesen eine sehr große Rolle spielt. Nicht nur das was wir selbst fühlen, sondern auch unsere Interpretation von den Emotionen unseres Gegenübers bestimmt wie wir uns verhalten und wie wir mit anderen Menschen umgehen.

„Emotionen dienen der Abstimmung von Verhaltensweisen zwischen einzelnen oder mehreren Personen und sind Grundlage sozialer Austauschprozesse“ (Merten, 2003, S. 9).

1.1 Abgrenzung von Begriffen

Es ist erstaunlich, dass Emotionen für lange Zeit in der Psychologie vernachlässigt wurden und erst in den letzten Jahrzehnten wieder in das Forschungsinteresse gerückt sind.

Ein Problem in diesem Forschungsgebiet sind die unterschiedlichen Begriffe, die im Umfeld von Emotionen vorkommen und die von einigen Autoren als Synonyme und von anderen mit unterschiedlichem Bedeutungsinhalt verwendet werden.

Merten (2003) schlägt die Unterscheidung in Affekt, Gefühl, Stimmung und Empathie vor:

Affekt Gefühl Stimmung Empathie

Beiklang des Betonung der eher mittel- und Einordnung des

Heftigen, Komponente der langfristige Verän- Gefühls in einen

Unkontrollierbaren subjektiven derungen, keine situativen Kontext

Wahrnehmung Reaktionen auf

unmittelbare,

spezifische Reize

Abbildung 1: Begriffe im Umfeld der Emotion (Merten, 2003, S.11)

Der Begriff Affekt hat laut Merten (2003) oft den Beiklang des Heftigen und Unkontrollierbaren.

Bei dem Begriff Gefühl wird nur die Komponente der subjektiven Wahrnehmung betont, wobei eine Emotion jedoch aus mehreren Komponenten besteht (siehe unten).

Der Begriff Stimmung bezeichnet laut Merten eher eine mittel- und langfristige emotionale Veränderung, die keine Reaktion auf unmittelbare, spezifische Reize darstellt, während der Begriff Empathie die Einordnung eines Gefühls in einen situativen Kontext bezeichnet.

Es gibt jedoch aber auch andere Unterscheidungen. Bänninger-Huber (1996) zum Beispiel verwendet den Begriff Affekt synonym zu Emotion, was auch im englischsprachigen Bereich oft gemacht wird.

1.2 Geschichte der Emotionsforschung in der Psychologie

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts forschten Watson, James, Wundt, Meinong, Stumpf und Mc Dougall im Bereich der Emotionen. Von der Mitte des 20. Jahrhundert bis zum Ende der 60er Jahre reduzierte sich das Interesse, hauptsächlich durch das Aufkommen des Behaviorismus, an diesem Themengebiet sehr stark. Von da an jedoch beschäftigten sich die Wissenschaftler wieder intensiv damit und es resultierte daraus eine fast unüberschaubare Vielfalt von Theorien zu Emotionen.

Diese lassen sich in unterschiedliche Traditionen einteilen:

Eine Forschungstradition gilt der Evolutionstheorie .

Diese Theorien haben ihren Ursprung in den Entdeckungen und Arbeiten von Darwin. Während sie in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts von Izard, Tomkins und Ekman wieder aufgegriffen und weiterentwickelt wurden, findet man die aktuelle Weiterentwicklung dieser Theorien in der Evolutionspsychologie. Charakteristisch für diese Theorien ist die Annahme, dass Emotionen als phylogenetisches Erbe angesehen werden.

Im Sinne von Selektionsprozessen stellt sich die Frage welche Reproduktionsvorteile durch emotionales Verhalten erzielt werden können.

Hier wird vor allem der mimische Ausdruck von Emotionen untersucht und der Frage nachgegangen ob es für diesen eine kulturelle Universalität gibt. Weiters wird überprüft ob bei unseren phylogenetischen Vorläufern ähnliche Verhaltensweisen vorhanden waren (Merten, 2003).

Bei der zweiten Tradition wird der Zusammenhang zwischen Emotionen und dem Körper untersucht.

Urväter dieser Theorie waren James und Lange, die davon ausgingen, dass emotionale Prozesse ihre Ursache nur in körperlichen Reaktionen haben.

Unterschiedliche Forschungstraditionen haben sich daraus entwickelt.

Eine davon beschäftigt sich mit der Suche nach peripherphysiologischen und viszeralen Mustern, die für einzelne Emotionen spezifisch sein sollen. Unter anderem wird hier aber auch das mimische Ausdrucksmuster als Ursache für das Erleben von Emotionen gesehen (Facial-Feedback-Hypothese).

Laut Vertretern dieser Theorie wird die unspezifische Erregung interpretiert und kognitiv bewertet und erlangt dadurch ihre spezifische emotionale Bedeutung. Eine weitere Tradition, die sich daraus entwickelt hat und die vor allem in neuerer Zeit von Interesse ist, beschäftigt sich mit den zentralnervösen Reaktionen. Es wird versucht Hirnareale zu identifizieren, die emotionalen Prozessen zugrunde liegen und deren Zusammenwirken zu verstehen (Merten, 2003).

Bei der dritten Tradition handelt es sich um die Theorien des kognitiven Bewertungsprozesses.

Ziel hierbei ist es, zu beschreiben, wie der Weg von einem Auslöser über kognitive Bewertungen zu emotionalen Reaktionen aussieht. Da nicht alle Menschen auf eine emotionsauslösende Situation gleich reagieren, untersuchen Vertreter dieser Theorie hauptsächlich die kognitiven Bewertungen der Personen, welche die Erklärung für eine emotionale Reaktion darstellen sollen (Merten, 2003).

Des Weiteren gibt es noch die Sozialkonstruktivistischen Theorien . Hier wird vor allem der Einfluss kultureller und gesellschaftlicher Randbedingungen auf das emotionale Erleben und Verhalten untersucht.

James Averill als einer der Hauptvertreter dieser Theorie sieht Emotionen als Ergebnis sozialer Konstruktionsprozesse, die als soziale, temporäre Rolle verstanden werden müssen. Den Status eines emotionalen, zusammenhängenden Syndroms erreichen sie erst durch ihre Komponenten (Merten, 2003).

1.3 Was ist eine Emotion?

Es gibt viele verschieden Definitionen von Emotion, in einem Punkt jedoch stimmen die meisten Autoren überein. Sie fassen Emotionen als einen Komplex verschiedener Komponenten auf, die bei der Entstehung und dem Ablauf einer Emotion eine Rolle spielen.

1.3.1 Komponentenprozessmodell von Scherer

Scherer (1990, 2001) versteht unter einer Emotion die zeitweise Zusammenarbeit der fünf Komponenten Kognition, physiologisches Arousal, Motivation, motorischer Ausdruck und subjektives Erleben. Er sieht Emotion als eine Zustandsform fünf organismischer Subsysteme, die je eigene Funktionen für Adaption und Verhalten des Organismus haben, doch eng miteinander verbunden sind.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Emotionskomponenten als Zustandsformen fünf organismischer Subsysteme (nach Scherer, 1990) (Merten 2003, S. 15)

Die kognitive Komponente als Teil des Informationsverarbeitungssystems führt dazu, dass ein Individuum einen bestimmten Reiz oder eine bestimmte Situation bewertet. Diese Bewertung ist die Grundlage dafür welche neuropsychologischen und motivationalen Veränderungen stattfinden, welche wiederum von bestimmten Ausdrucksmustern und Gefühlen begleitet werden.

Dieser Prozess läuft im Rahmen von „Stimulus-Evaluation-Checks“ ab, wobei das Ereignis Schritt für Schritt bewertet wird.

Die vier Hauptkriterien nach denen bewertet wird sind Bewertung der Relevanz, der Implikationen, des Bewältigungspotenzials und der Verträglichkeit mit internalen und externalen Standards. Diese Hauptkriterien sind wiederum in Unterpunkte unterteilt, welche Schritt für Schritt durchlaufen werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 2: Kriterien im Appraisal emotionsauslösender Stimuli. Die Stimulus Evaluation Checks SEC (Merten, 2003, S.114)

Bei dem Kriterium der Relevanz werden die Unterpunkte Neuheit, intrinsische hedonische Qualität und die Relevanz des Ereignisses für Ziele zur Bewertung herangezogen. Es wird den Fragen nachgegangen, ob das Ereignis abrupt eintritt (z.B. plötzliche Explosion), ob es in diesem Zusammenhang erwartet wird (z.B. eine Sprengung in einem Steinbruch), und ob das Ereignis vorhersagbar ist. Wenn also ein Ereignis neu, plötzlich eintretend, unerwartet und nicht vorhersagbar ist, hätte es also ein großes Potenzial zur Auslösung einer emotionalen Reaktion.

Darauf folgt die Bewertung der intrinsischen hedonischen Qualität, wobei zum Beispiel Gerüche eine Rolle spielen.

Im nächsten Check wird der Bezug des Ereignisses zu den Zielen der Person bewertet. Hier wird gecheckt, ob irgendein Ziel, das gerade von der Person verfolgt wird, von diesem Ereignis betroffen ist, und ob Konsequenzen für die Person selbst oder für andere Personen, die der Person wichtig sind, erwartet werden müssen.

Scherer (2001) teilt die Ziele in die personal concerns (hierbei handelt es sich um das Überleben, die körperliche Integrität und den Selbstwert), die relationship concerns (alles was Beziehungen betrifft, zum Beispiel Zugehörigkeit zu einer speziellen Gruppe) und die social order concerns (Ordnungssinn, Vorhersehbarkeit im sozialen Umfeld, Fairness und Zweckmäßigkeit) ein.

Scherer (2001) konnte in einer Studie feststellen, dass je nachdem welche Ziele durch das Ereignis betroffen sind, spezielle Emotionen häufiger auftreten.

Das zweite Hauptkriterium im Stimulus-Evaluation-Check sind die Implikationen, welche in die Fragen nach der Verursachung, der Eintrittswahrscheinlichkeit der Folgen, der Dienlichkeit des Ereignisses oder der Folgen und der Dringlichkeit einer Reaktion auf das Ereignis unterteilt werden.

Als erstes wird festgestellt, ob man selbst, jemand anderes oder ein „natural agent“ (Glück, Umstände, Naturereignis, Schicksal) das Ereignis verursacht hat.

Danach fragt die Person nach dem „Warum“.

Dann muss eingeschätzt werden, wie wahrscheinlich es ist, dass die Folgen des zu bewertenden Ereignisses eintreten werden.

Daraufhin wird überprüft, ob das Ereignis oder dessen Konsequenzen das Erreichen der Ziele der Person erleichtert oder erschwert und wie dringend es ist, dass auf dieses Ereignis angemessen reagiert wird (Scherer, 2001).

Anschließend schätzt die Person ihr eigenes Coping-Potenzial ein indem sie sich fragt, ob Kontrollierbarkeitsaspekte vorliegen, ob sie selbst das Ereignis oder seine Folgen beeinflussen kann und ob die eigenen Ziele an die Umstände angepasst werden können.

Zu guterletzt wird das Ereignis noch darauf überprüft, ob es sich mit den internalen Standards der Person (Selbstideal, internalisierte moralische Ansprüche) und den externalen Standards (werden von der Gruppe bestimmt) vereinen lässt (Scherer, 2001).

Scherer (2001) besagt nun, dass es, je nachdem wie die einzelnen Punkte bewertet werden, zu unterschiedlichen Emotionen kommt. Außerdem postuliert er, dass jedem Ergebnis eines Bewertungsschrittes ein mimisches Verhalten zugeordnet werden kann.

Kaiser und Scherer (1998) benutzten ihre Theorie auch zur Erklärung von psychischen Störungen und dem mimisch-affektiven Verhalten der betroffenen Patientengruppen. Der Grund für eine emotionale Störung liegt für sie in einer fehlangepassten Form der kognitiven Bewertung. Zum Beispiel erklären sie Nervosität, Sprunghaftigkeit und gesteigerte Ängstlichkeit durch eine übertriebene Sensitivität bei der Bewertung der Neuheit der Ereignisse. Wenn jedoch die Sensitivität für die Bewertung der intrinsischen oder erlernten positiven Valenz des Ereignisses fehlt, kommt es laut Kaiser und Scherer (1998) zu Anhedonie (Freudlosigkeit). Eine falsche Einstufung der Relevanz des Ereignisses für die eigenen Ziele führt zu Apathie und die Überschätzung der Eintrittswahrscheinlichkeit negativer Konsequenzen eines Ereignisses zu Pessimismus. Eine gewisse Voreingenommenheit bei der Bewertung der Dienlichkeit des Ereignisses führt entweder zu chronischer Unzufriedenheit oder zu Euphorie und wenn die Dringlichkeit für eine Reaktion auf die Ereignisse unterschätzt wird tritt Lethargie auf. Wenn diese jedoch überschätzt wird, dann kommt es zu Panik. Wenn eine Person grundsätzlich nur external attribuiert, also die Uraschen für ein Ereignis nicht sich selbst sondern anderen Personen oder Umständen zuschreibt, und dazu noch die Absicht des Verursachers überschätzt, dann kann diese Person paranoid werden. Wenn hingegen eine Person immer sich selbst die „Schuld“ für alles was passiert gibt, dann treten unrealistische Scham- und Schuldgefühle auf. Hoffnungslosigkeit und Depression können durch eine anhaltende Unterschätzung der Kontrollmöglichkeiten entstehen und „Hilflosigkeit ist die Folge einer Unterschätzung des Handlungsmacht, während eine Überschätzung derselben Kennzeichen von Manie und Panik seinen, die auch durch eine Unterschätzung des Anpassungspotenzials erklärt wird“ (Merten 2003, S. 121). Weiters erklären sich Kaiser und Scherer (1998) Schuldgefühle dadurch, dass die betroffenen Personen sehr große Unterschiede zwischen ihrem eigenem Verhalten und externalen Normen sehen. Wenn sie diese Diskrepanzen jedoch unterschätzen dann kommt es zu antisozialem Verhalten. Wenn jedoch eine Person ihr eigenes Verhalten nicht im Einklang sieht mit internalen Normen, dann entstehen Schuldgefühle „und entsprechend die Unterschätzung zum Ausfall der Scham als Steuerungsgröße“ (Merten, 2003, S. 121).

1.4 Einteilung von Emotionen

Nun gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber wie Emotionen beschrieben und eingeteilt werden können.

Während zum Beispiel Schlosberg (1941) oder Osgood (1966) davon ausgehen, dass Emotionen auf einer Dimension von zum Beispiel „pleasant“ vs „unpleasant“ liegen und auch so am besten beschrieben werden können, sind insbesondere Vertreter der differentiellen Emotionstheorie (z.B. Tomkins, Izard, Ekman) der Meinung, dass diese Einteilung nicht ausreicht.

Sie vertreten den Standpunkt, dass es zumindest für eine gewisse Anzahl von Emotionen spezifische Ausdrucksmuster im Gesicht gibt (Bänninger-Huber, 1996). Diese Emotionen werden Basisemotionen oder Primäremotionen genannt.

1.4.1 Basisemotionen

Wie bereits oben erwähnt gehen die Vertreter der differentiellen Emotionstheorie von einer begrenzten Anzahl von Emotionen aus, welche angeboren und nicht erlernt sind. Aufgrund von Untersuchungen des motorisch-expressiven Anteils werden die Basisemotionen als zu einem hohen Grad kulturinvariant angesehen.

Unter Primäraffekten (Krause 1983), „primary motives“ (Tomkins, 1982), „basic emotions“ (Ekman 1992) werden eine begrenzte Anzahl von Affekten verstanden, die, ausgehend von Untersuchungen des motorisch-expressiven Anteils (insbesondere der Mimik), als zu einem hohen Grade kulturinvariant angesehen werden (Ekman, Friesen & Ellworth, 1982)“ (Benecke, 2002, S.34).

Als zentrales Merkmal der Basisemotionen gilt die Universalität des mimisch-affektiven Ausdrucks. Den Unterschied zwischen den einzelnen Emotionen macht ein jeweils spezifischer Gesichtsausdruck beim Auftreten dieser Emotionen aus.

Beschreibungen solcher prototypischer Ausdrucksmuster für diskrete Emotionen entstammen teilweise der Schulung von Schauspielern und bildenden Künstlern, andere entstanden innerhalb der deutschsprachigen Ausdruckspsychologie.

Leider gibt es (fast) keine Untersuchungen in denen die differentiellen mimischen Muster dieser Primäraffekte durch gezielte Induktion von Emotionen oder durch die Beobachtung mimischen Verhaltens in Felduntersuchungen belegt werden. Gründe hierfür sind die Schwierigkeit wirklich eindeutige und intensive Gefühle in Laborsituationen zu induzieren und an emotional involvierende Situationen in Feldbeobachtungen heranzukommen. Deswegen wurden die meisten Studien, welche die mimische Universalität zu belegen versuchen, eher als Eindrucks- als als Ausdrucksuntersuchungen durchgeführt.

Ekman (1973b) und Izard (1977) legten zum Beispiel Personen unterschiedlicher Kulturen Fotografien von mimischen Ausdrucksmustern vor und die Versuchspersonen mussten zuordnen um welche Emotionen es sich hierbei handelte.

Da sich diese Personen zwar in ihrer Kultur unterschieden, aber trotzdem die gleichen Emotionsbegriffe zuordneten, schlossen Ekman und Izard daraus, dass diese Ausdrucksmuster universelle Gültigkeit besitzen müssen (Scherer & Wallbott, 1990).

„Neben der eher indirekten Evidenz aus den interkulturellen Beurteilungsuntersuchungen von Ekman (1973b) oder Izard (1977) finden sich Hinweise auf universelle mimische Ausdrucksmuster auch in Beobachtungen von Taub-Blind-Geborenen, bei denen Lernen durch Beobachtung ausgeschlossen werden kann (Eibl-Eibelsfeldt, 1973; 1984), in vergleichenden ethologischen Beobachtungen (Eibl-Eibelsfeldt, 1984) und durch Beobachtungen an Neugeborenen und Säuglingen (Izard, 1977; Oster, 1978)“ (Scherer & Walbott, 1990, S.382).

Aufgrund solcher Untersuchungen und theoretischer Annahmen schlossen Ekman, Roper und Hager (1980) auf folgende sechs Grundemotionen oder Primäraffekte:

Überraschung, Angst, Ärger, Ekel, Trauer und Freude

Ein paar Jahre später fanden Ekman und Friesen (1986, 1988a, 1988b) aufgrund weiterer Studien auch noch Hinweise auf einen „neuen“ universellen Ausdruck von Verachtung (contempt).

Jedoch nicht alle Emotionstheoretiker teilen die Ansicht über die Anzahl und Art der Basisemotionen und die Annahme des typischen Gesichtsausruckes von Ekman (1988). Izard (1994) zum Beispiel zu den bereits genannten Emotionen noch Interesse/Neugier, Scham und Schuldgefühl zu den Basisemotionen.

Natürlich hat das Konzept der Basisemotionen auch Kritiker, die ihre Kritik auf der Uneinigkeit der verschiedenen Theoretiker hinsichtlich der Art der postulierten Basisemotionen begründen. Auch gibt es kontroverse Diskussionen über die Eigenschaft des universellen und angeborenen Gesichtausdrucks. (z.B. Ortony & Turner, 1990)

1.5 Emotion und Gesichtsausdruck

Auf die Frage, welcher Zusammenhang zwischen Emotionen und dem Gesichtsausdruck besteht, gibt es unterschiedliche Antworten.

Ekman (1988) geht in seiner „Neurokulturellen Theorie der Gefühle“ von angeborenen Affektprogrammen aus, die bei ihrer Auslösung dazu führen, dass je nach Emotion spezifische Muskelaktivitäten im Gesicht gesteuert werden.

Da diese Theorie auch ein Grundstein für das Verständnis dieser Arbeit ist, wird sie im Folgenden ausführlicher erklärt:

1.5.1 Neurokulturelle Theorie der Gefühle von Ekman

Wie es schon der Terminus „neurokulturell“ andeutet, handelt es sich um eine Theorie der Gefühle, die sowohl die biologischen als auch die sozialen Aspekte von Gefühlen berücksichtigt und sich auf die beobachtbaren und nicht beobachtbaren emotionalen Reaktionen einer Person bezieht. Diese emotionalen Reaktionen definiert Ekman (1988) als kurzlebige, schnell ausgelöste Reaktionen (z.B. Reaktionen der Skelettmuskulatur, des Gesichts, der Stimme ...), deren Organisation komplex ist und deren Kontrolle sich als äußerst schwierig erweist.

Das Modell besteht aus folgenden Komponenten:

1. Das Affektprogramm: Das Affektprogramm stellt den zentralen Steuermechanismus für die Vorgänge in den verschiedenen Reaktionssystemen dar. Im Affektprogramm werden die Muster der komplexen und organisierten Reaktionsweisen gespeichert und auch deren Auftreten gesteuert. Ekman (1988) sagt, dass die Organisation der Reaktionen eine genetische Grundlage hat, aber auch von Erfahrungen beeinflusst wird. Er vertritt die Meinung, dass Veränderungen der Skelettmuskulatur, des Gesichts, der Stimme und des autonomen und zentralen Nervensystems größtenteils angeboren und nicht erworben sind, da es unwahrscheinlich wäre, dass Gewohnheiten in der Lage wären, genau solche Impulsmuster zu bestimmen, die mit Hilfe der Gesichtsnerven übertragen werden. Jedoch spielen Erfahrungen insofern eine große Rolle, da sie, wenn öfters die gleichen gemacht werden, zu Gewohnheiten führen, wie man mit den einzelnen Gefühlen fertig wird (Ekman, 1988).

Ekman (1988) betont weiters, dass es im allgemeinen nicht einfach ist, die Reaktionsweisen, die vom Affektprogramm aktiviert werden, zu kontrollieren, da einige Reaktionen innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde auftreten.

Zum Beispiel ist es sehr schwierig die Atmung oder die Herzfrequenz zu beeinflussen, wohingegen es leichter fällt die Gesichtbewegungen zu unterbinden. (Wobei auch das Anstrengung erfordert.)

2. Der automatische Bewertungsmechanismus: Der automatische Bewertungsmechanismus muss entscheiden, wann das Affektprogramm ausgelöst wird. Er nimmt Reize schnell wahr, stellt fest, ob es ein Reiz ist, der sich auf ein Gefühl bezieht und wenn ja auf welches und setzt danach den entsprechenden Teil des Affektprogramms in Gang (Ekman, 1988).

Weiters behauptet Ekman (1988), dass der automatische Bewertungsprozess vielleicht nicht nur das Affektprogramm und die Reaktionen, die unter seiner Kontrolle stehen, aktiviert, sondern auch die Prozesse einleitet, „die mit dem Gefühl verknüpften Erinnerungen, Bilder, Erwartungen, Coping-Verhaltensweisen und Darbietungsregeln hervorrufen“ (Ekman, 1988, S. 25).

Der Bewertungsprozess läuft jedoch nicht immer automatisch ab, je nach Situation kann die Einschätzung dessen was passiert auch langsam und bewusst stattfinden. Ekman (1988) geht davon aus, dass in diesem Fall Kognitionen die wichtigste Rolle spielen und das Ergebnis determinieren. Hier spricht man dann nicht von einem automatischen sondern von einem bedächtigen Bewertungsprozess.

Auch muss der Bewertungsprozess nicht enden, wenn der automatische Bewertungsmechanismus auf einen Reiz reagiert, dadurch das Affektprogramm ausgelöst und die emotionale Reaktion durchlaufen wurde. Es kann durchaus passieren, dass danach sofort wieder ein Reiz auftritt, der wiederum bewertet werden muss und somit das ganze Prozedere noch einmal auslöst. Aufgrund dessen kann es dazu kommen, dass dasselbe Gefühl wiederholt auftreten kann, oder auch mehrere verschiedene Gefühle gleichzeitig oder nacheinander.

3. Die Auslöser: Ekman (1988) beschreibt Auslöser als Reize, die von dem automatischen Bewertungssystem als spezifisch für das ein oder andere Gefühl identifiziert werden.

Die Auslöser sorgen dafür, dass das bestimmte Gefühl sehr schnell auftritt. Ekman (1988) betont jedoch, dass es sich hierbei nicht um einen Reflexbogen handelt, da die Beziehung zwischen einem bestimmten Reiz und einer bestimmten Reaktion nicht angeboren und feststehend ist. Für kein einziges Gefühl gibt es empirische Beweise dafür, dass ein spezieller Auslöser Universalität für alle Menschen besitzt (also bei jedem Menschen der absolut gleiche Auslöser dasselbe Gefühl hervorruft).

In der Kulturanthropologie findet man zum Beispiel viele Beispiele dafür, dass in den verschiedenen Kulturen verschieden Ereignisse das ein oder andere Gefühl auslösen. Die Auslöser sind veränderbar und bilden sich größtenteils aus der Erfahrung des jeweiligen Menschen. Es hängt zum Beispiel von der Erfahrung eines Menschen ab vor welchen Sachen dieser Mensch Angst hat. Wenn dieser Mensch schlechte Erfahrungen mit Hunden gemacht hat, wird der Anblick eines auf ihn zukommenden Hundes bei diesem Menschen Angst auslösen (Ekman, 1988).

Aber trotz der Tatsache, dass es für jeden Menschen spezifische Auslöser gibt, haben die allgemeinen Auslöser laut Ekman (1988) gewisse Gemeinsamkeiten. Hypothetische Beispiele hierfür sehen wir in der nachfolgenden Tabelle:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 3: Gemeinsame Auslösermerkmale von Emotionen nach Ekman (1988)

Auf diese allgemeinen Auslösermerkmale reagiert der automatische Bewertungsmechanismus, wobei durch Erfahrung die Empfindsamkeit für diese Merkmale verstärkt wird (Ekman, 1988).

4. Die Darbietungsregeln: Wie bereits oben erklärt findet die Bewertung eines Auslösers meist automatisch statt und infolgedessen wird das Affektprogramm ausgelöst und die emotionalen Reaktionen starten. Zu diesem Zeitpunkt ist es für die betroffene Person aber immer noch möglich in den Prozess einzugreifen (Ekman, 1988).

Sie hat die Möglichkeiten die emotionalen Reaktionen zu unterbrechen, zu vermindern, zu verstärken oder durch das Erscheinen eines anderen Gefühls zu maskieren.

Ekman (1988) betont dass manche emotionalen Reaktionssysteme schwieriger zu steuern sind als andere (zum Beispiel ist es, wie bereits schon oben erwähnt, sehr schwierig die Herzfrequenz zu beeinflussen), Menschen aber sehr oft versuchen ihre emotionalen Reaktionen zu verändern. Dies kommt daher, dass Normen, Konventionen und Gewohnheiten eines Kulturkreises festlegen „wer wann welches Gefühl wem gegenüber zeigen darf“ (Ekman 1988, S. 30).

Diese Regeln nennt Ekman (1988) Darbietungsregeln (display rules). Sie sind von den Menschen oft schon so gut gelernt und automatisiert, dass es nur auffällt, wenn sie nicht eingehalten werden. Wenn zum Beispiel eine Person in unserem Kulturkreis bei einer Beerdigung keine Trauer zeigt sondern Erleichterung über den Tod des Verstorbenen, dann entspricht das nicht den Darbietungsregeln und wird (meist) als „unpassend“ wahrgenommen. Auch das Geschlecht der betroffenen Person spielt hierbei eine große Rolle. Ein Mann darf oft Gefühle ausdrücken, die eine Frau nicht zeigen darf und umgekehrt.

Es gibt aber nicht nur die Darbietungsregeln, die durch den Kulturkreis bzw. durch äußere Normen bestimmt sind, sondern auch die persönlichen Darbietungsregeln, die durch individuelle, lebensgeschichtliche Erfahrungen determiniert werden

Wenn zum Beispiel eine Person immer Stärke zeigen musste um Probleme in ihrem Leben bewältigen zu können, wird es ihr sehr schwer fallen, auch einmal Schwäche und Traurigkeit zuzulassen, auch wenn dies von ihrer sozialen Umgebung akzeptiert werden würde.

Aber nicht immer erfolgt die Steuerung des emotionalen Ausdrucks nur aufgrund der schon lange bestehenden persönlichen oder kulturellen Darbietungsregeln. Manchmal entscheiden Menschen absichtlich und aus dem Moment heraus, dass es für sie einen Vorteil bringen würde, ein gewisses Gefühl nicht zu zeigen oder ein anderes vorzutäuschen. Dies passiert dann eher willentlich als aus einer langen Gewohnheit heraus. In diesem Fall ist es für die Person sehr viel schwerer die Gefühlsreaktion zu unterdrücken, aber auch wenn die Darbietungsregeln aufgrund von langen Gewohnheiten greifen, passiert die Steuerung nicht immer einwandfrei und es kann zu einem so genannten „Durchsickern“ (leakage) des ursprünglichen Gefühls kommen (Ekman, 1988, Ekman und Friesen, 1969).

Ekman und Friesen (1969, 1974) gehen von einer gewissen Rangordnung aus, die den Schwierigkeitsgrad bestimmt, welche emotionalen Reaktionssysteme wie zu kontrollieren sind.

Am leichtesten fällt es einer Person, laut ihnen, das gesprochene Wort zu kontrollieren, danach kommt die Stimme, hinter der Stimme folgen die Gesichtsbewegungen und daraufhin die Körperbewegungen.

Da uns in dieser Arbeit jedoch hauptsächlich die Gesichtsbewegungen interessieren, will ich noch kurz die Techniken vorstellen, die, laut Ekman und Friesen (1975), angewandt werden können um den Gesichtsausdruck zu manipulieren.

- „Qualifying“: Qualifying bedeutet, dass zu einem bereits vorgeführten Gesichtsausdruck ein zusätzlicher Ausdruck dargestellt wird, um den anderen Ausdruck zu kommentieren.
- „Modulating“: Beim Modulating wird die Intensität einer Emotion in verstärkter oder in abgeschwächter Form dargeboten. Dies kann in Form einer Verkürzung oder Verlängerung der Dauer der Aktivierung passieren oder dadurch, dass einige Teile des Affektausdrucks ausgelassen werden.
- „Falsifying“: Das Falsifying gliedert sich in vier unterschiedliche Verfälschungstechniken auf:
- „Simulation“: Bei der Simulation wird ein Affektausdruck dargeboten, obwohl
keine Emotion gefühlt wird.
- „Neutralisierung“: Bei der Neutralisierung handelt es sich um den Versuch trotz

des Erleben eines Gefühls kein Gefühl zu zeigen. (z.B. Pokerface). Dies kann

ermöglicht werden durch die Entspannung der gesamten Gesichtmuskulatur,

durch das Verbergen eines Teil des Gesichtes hinter der Hand oder durch das

Beißen auf die Lippen.

- „ Maskierung“: Maskierung bedeutet, dass ein Affektausdruck durch die

Überlagerung eines anderen Affekts zu vermeiden versucht wird.

- „Überblendung“: Bei der Überblendung handelt es sich um eine unvollständige

Maskierung. Dies bedeutet, dass Anteile des ursprünglichen Gesichtsausdruckes

noch erkennbar sind (Ekman & Friesen, 1975).

5. Das Bewältigungshandeln (Coping): Beim Coping handelt es sich um „Bemühungen, mit dem Gefühl und seiner Ursache fertig zu werden, und das, was passiert, zu verstärken, abzuschwächen oder in gleicher Stärke zu erhalten“ (Ekman, 1988, S.32).

Hierzu gehören viele kognitive und organisierte Verhaltensweisen und es handelt sich um ein stark lernabhängiges, ausgeklügeltes Reaktionssystem.

Je nachdem wie man in Laufe seines Lebens gelernt hat mit Gefühlen umzugehen und welche Reaktionen auf welches Gefühl erfolgreich waren, wird man auch auf das kommende Gefühl reagieren.

Wenn man zum Beispiel in der Vergangenheit oft die Erfahrung gemacht hat, dass bei Aggression Flucht zu mehr Erfolg geführt hat als Angriff, dann wird man auch bei einem erneuten Auftreten von Aggression eher mit Flucht als mit Angriff reagieren.

Bewältigungsstrategien, die man sich angeeignet hat, können so zur Gewohnheit werden, dass sie schon automatisch ablaufen, wenn das Affektprogramm aktiviert wird und es ist sehr schwer sie zu verändern (Ekman, 1988).

1.5.2 Zusammenhang zwischen Emotionsausdruck und Emotionserleben

Ein Großteil der empirischen Forschung geht, wie Ekman (1988), von der Annahme aus, dass der Affektausdruck auch ein kongruentes inneres Erleben anzeigt. Dies ist aber schwer zu belegen, da es in der Durchführung von Studien dazu viele Probleme gibt. In Enkodierungsstudien ist es fraglich, ob wirklich die jeweils beabsichtigte Emotion bei den Versuchspersonen induziert wird. Bei Interaktionsstudien tritt (aus mehreren Gründen) das Problem des zeitlichen Zuordnens des Erlebens zum Ausdruck nach der Interaktion auf.

Auch nicht geklärt ist die Frage, in welche Richtung die Beeinflussung von Ausdruck und Erleben läuft. Es gibt einerseits die Annahme, dass der Grundstein einer mimisch-affektiven Ausdrucksbewegung ein entsprechender „innerer“ Zustand oder Prozess ist, andererseits gibt es aber auch die Möglichkeit, dass es Affekte geben kann, die nicht bewusst erlebt werden (für nähere Informationen siehe Scherer & Wallbott 1990 – „Push- und Pull-Faktoren“) (Benecke, 2002).

Es gehen jedoch nicht alle Autoren, die sich mit dem mimisch-affektiven Ausdruck beschäftigen, von einem Zusammenhang zwischen Emotionsausdruck und Emotionserleben aus. Fridlund (1994, 1996, zit. nach Benecke 2002) zum Beispiel sieht in der Mimik ein soziales Signalsystem, das nicht mit Emotionen zusammenhängen muss. Statt als ein Ausdruck von Ärger interpretiert er ein Ärgergesicht als ein Signal, das dem Gegenüber die Bereitschaft zur Attacke anzeigt.

Je nachdem welchen mimischen Ausdruck eine Person zeigt, wird das Gegenüber aufgefordert in einer gewissen Weise zu reagieren. Zum Beispiel kann der Ausdruck von Trauer zu Mitgefühl und Pflegeverhalten beim Gegenüber führen (Bänninger-Huber, 1996).

Als Erklärung dafür, dass Affektmimiken auch bei Menschen, die allein sind, auftreten, besagt Fridlund (1994, 1996 zit. nach Benecke 2002), dass sich der betroffene Mensch entweder selbst zum sozialen Objekt nimmt oder, dass er sich die soziale Situation vorstellt.

Bei einer Kombination dieser beiden Auffassungen sieht man mimische Verhaltensweisen sowohl als Ausdruck eines intrapsychischen Zustandes als auch als eine expressiv kommunikative Komponente emotionaler Prozesse, die dem Interaktionspartner als Signal dient „welches Verhalten von ihm gewünscht und welches eigene folgen wird“ (Bänninger-Huber, 1996, S.36).

Eine weitere weit verbreitete Annahme zum Zusammenhang zwischen Emotionsausdruck und bewussten Emotionserleben ist die so genannte „facial-feedback-Hypothese“ (z.B. Tomkins 1962/63; Izard 1977; Ekman 1984; zit. nach Benecke, 2002). Sie besagt, dass die Vorraussetzung für das Erleben von Emotionen das eigene motorisch-expressive Verhalten ist. Die Verfechter dieser Annahme geben zwar zu, dass man Emotionen auch ohne einen dazugehörigen mimischen Ausdruck erleben kann, Ekman (1984) erklärt aber, dass Emotionen immer mit efferenten Impulsen für ein Gesichtsausdrucksmuster einhergeht, diese Impulse jedoch unter bestimmten Bedingungen nicht immer zu einem sichtbaren Ausdruck führen müssen.

LeDoux (1988, S. 325; zit. nach Benecke 2002) sagt zu diesem Thema: „Evolutionär sind die Emotionen nicht als bewusste, sprachlich oder sonst wie differenzierte Gefühle entstanden, sondern als Hirnzustände und körperlich Reaktionen. Die Hirnzustände und körperlichen Reaktionen sind die grundlegenden Tatsachen einer Emotion und die bewussten Gefühle sind die Verzierung, die dem emotionalen Kuchen zu einen Zuckerguss verhalfen.“

In dieser Arbeit wird von einer Kombination der Zusammenhänge zwischen Mimik und Emotion ausgegangen. Ein spezifisches mimisch-affektives Verhalten kann demnach sowohl Ausdruck des „inneren“ emotionalen Zustandes sein, als Verhaltensintention gelten, als auch als Aufforderung an das Gegenüber sich in einer speziellen Art und Weise zu verhalten

1.5.3 Funktionen von Emotionen und des Emotionsausdruckes

In den unterschiedlichen Emotionstheorien der verschieden Autoren wird immer wieder die Funktionalität von Emotionen und des Emotionsausdrucks betont. Einige Funktionen des Emotionsausdruckes wurden schon im Kapitel 1.5.2 erklärt, diese sind jedoch noch nicht vollständig.

Scherer und Wallbott (1990) teilen die Funktionen des Emotionsausdruckes in intraorganismische und in soziale Funktionen ein:

Zu den intraorganismischen Funktionen zählt die Optimierung der Informationsaufnahme und –verarbeitung.

Der emotionale Ausdruck (z.B. Zuwendung des Blickes oder die Erweiterung der Pupillen kann dazu dienen die Informationsverarbeitungskapazität des Organismus zu erhöhen indem bestimmte Ausdrucksbewegungen die Bedingungen für die Wahrnehmung externer Reize verbessern.

Weiters übernimmt der Emotionsausdruck die Modulation der Erregung, indem (nach der Meinung einiger Autoren) durch die Externalisierung der Emotionen im motorischen Ausdruck das Erregungsgleichgewicht wieder hergestellt werden kann.

Allerdings ist man sich nicht einig darüber, ob in diesem Zusammenhang die „Abfuhrhypothese“ gilt, die besagt, dass die motorische Entladung zu einer Reduktion der emotionalen Intensität führt, oder ob die „Theorie des propriozeptiven Feedbacks“ zutrifft, derzufolge der motorische Ausdruck die zentrale Aktivierung noch erhöht.

Eine weitere intraorganismische Funktion des Emotionsausdruckes ist die Energiebereitstellung und Handlungsvorbereitung.

Um adaptives Verhalten auf eine Situation zu ermöglichen stellt das physiologische Reaktionsmuster auf die Emotion die optimalen Ausgangsbedingungen her. Zum Beispiel werden bei Furcht die Extremitäten stärker durchblutet, damit die betroffene Person schneller fliehen kann, bei Ärger hingegen wird das Blut eher in Kopf, Hals und Brust gelenkt um ideal für einen Kamp vorbereitet zu sein. Diese Veränderungsprozesse wirken sich auch auf das Ausdrucksverhalten aus.

Die letzte Aufgabe des emotionalen Ausdrucks innerhalb einer Person ist die Bahnung adaptiver Verhaltensweisen.

Hier wird die entsprechende Verhaltensreaktion motorisch ausgeführt oder zumindest angedeutet, wie zum Beispiel das Drohen mit der geballten Faust, wenn jemand wütend ist.

Zu den sozialen Funktionen des emotionalen Ausdrucks gehört laut Scherer und Wallbott (1990) die Anzeige von Zustand und Reaktion.

Es ist sehr wichtig den jeweiligen motivationalen oder emotionalen Zustand des Gegenübers zu erkennen, um selbst das eigene Verhalten planen zu können.

Eine weitere soziale Funktion des Emotionsausdruckes ist die Anzeige der Verhaltensintention.

Dem Gegenüber wird nicht nur der eigene motivationale oder emotionale Zustand gezeigt sondern auch welche Handlungen folgen könnten.

Auch die soziale Repräsentation zählt zu den sozialen Funktionen des Emotionsausdruckes. Das bedeutet, dass der emotionale Ausdruck auch eine symbolische Repräsentationsfunktion haben kann.

Auch der Anzeige und Veränderung von Beziehungen dient der Ausdruck von Emotionen, da er im erheblichen Maße zur Gestaltung der sozialen Beziehung beitragen kann.

1.5.3.1 Propositionale Struktur der Primäraffekte nach Krause (1990)

Krause (1990) beschreibt in Anlehnung an De Rivera (1977) und Suppes und Warren (1975) Primäraffekte als „Ankündigung von Handlungen“(wie bereits weiter oben schon als eine Möglichkeit zur Interpretation der Funktion von mimisch-affektiven Verhalten erwähnt).

„In der Struktur dieser Handlungen gibt es ein Subjekt, ein Objekt und eine gewünschte Interaktion zwischen beiden. Je nachdem wo sich das Objekt in Relation zur Position des Subjekts befindet, wie das Subjekt Handlungsmacht attribuiert und wie die hedonische Tönung der Situation kogniziert wird, entstehen die Primäremotionen“ (Krause, 1990, S.639).

Folgende Abbildung macht dies deutlich:

Ort des Objektes im Endomorph im Ektomorph im optischen Feld in der Erinnerung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Korres- Sätti- Übel- Gebor- Schmerz Freude Kampf- Flucht- Sehnsucht Erleich-

Pondierende gung keit genheit bereit- bereit- terung

Organismische schaft schaft

Mentale

Abläufe

Abbildung 2: Die propositionale Struktur der Affekte (nach Krause, 1990)

Das Objekt kann sich entweder im Subjekt befinden (im Endomorph), an dem Subjekt (im Ektomorph), im optisch apperzeptiven Feld des Subjekts oder nur in der Erinnerung des Subjekts.

Im zweiten Schritt wird das Objekt aufgrund von bereits gemachten Erfahrungen entweder als gut und wohltuend oder als schlecht, schädigend oder schmerzend bewertet.

Danach entscheidet das Subjekt, ob es sich dem Objekt überlegen oder unterlegen fühlt.

Aus diesen Bewertungsschritten folgen dann die Affekte, die sich daraus bildenden Wünsche und die korrespondierenden organismischen mentalen Abläufe (Krause, 1990).

[...]

Ende der Leseprobe aus 107 Seiten

Details

Titel
Unterschiede im mimisch-affektiven Verhalten zwischen Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung und depressiven Patienten während der Selbstbeschreibung
Hochschule
Leopold-Franzens-Universität Innsbruck  (Institut für Psychologie)
Note
2
Autor
Jahr
2007
Seiten
107
Katalognummer
V88231
ISBN (eBook)
9783638023894
ISBN (Buch)
9783638924153
Dateigröße
849 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Unterschiede, Verhalten, Patienten, Borderline-Persönlichkeitsstörung, Patienten, Selbstbeschreibung
Arbeit zitieren
Kerstin Wenger (Autor:in), 2007, Unterschiede im mimisch-affektiven Verhalten zwischen Patienten mit Borderline-Persönlichkeitsstörung und depressiven Patienten während der Selbstbeschreibung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88231

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