In der Öffentlichkeit ist häusliche Gewalt eine männliche Domäne. Die konträre Vorstellung, dass die Frau den Mann schlägt und dieser sich nicht einmal wehrt, erscheint unglaubwürdig bis undenkbar und wird „unter einer Glocke des Schweigens versteckt“. Dieses Szenario kann nur, wenn überhaupt, als die Ausnahme der Ausnahme akzeptiert werden. Doch, dass es keine Ausnahme zu sein scheint, zeigen die kontrovers zu diskutierenden Hell- und Dunkelfeldwerte in diesem Bereich. Zur Untermauerung dieser Diskussion werden zwei Beispiele aus jeweils einer Hell- und Dunkelfeldstudie aus der Schweiz und Österreich aufgeführt. Die Statistik für das Jahr 2005 weist im Kanton Zürich bei den Hellfeldzahlen einen Anteil von 22% männlicher Opfern von häuslicher Gewalt aus. Die Gesamtzahl der ermittelten Fälle ist in der Regel hö-her, weil die Dunkelfeldzahlen nicht in der Statistik auftauchen. Bei den Dunkelfeldstudien stellt das österreichische Bundesministerium in der Zusammenfassung des Gewaltberichtes 2001 resümierend fest, „dass die meisten empirischen Untersuchungen insgesamt ungefähr gleich große Raten der Gewaltanwendung von Frauen und Männern in Lebensgemeinschaften und bei nicht zusammenlebenden Paaren nachweisen.“ Demzufolge sind die Schätzungen der Dunkelfeldstudien bis zu 50% Frauengewalt in heterosexuellen Beziehungen. Die Studien zu Gewalt gegen Männer unterscheiden sich in der Fragestellung, in der Methodik aber auch in der Frage wie stark sie das Dunkelfeld mit einbeziehen und welche Samplingmethode verwen-det wird. Für eine ganzheitliche Erfassung müssen die kognitiven Filtermethoden umgangen werden. Psychologische Faktoren (Angst, Scham…), aber auch Verdrängungs- und Kontroll-mechanismen, soziale Repräsentationen von Gewalt (wie schätzt der Gewaltbetroffene das Erlebte ein?), internalisierte Normen und Werte müssen bei der Befragung durch eine beson-dere Atmosphäre des Verständnisses und der Zusicherung von Anonymität so breit wie mög-lich ausgeschaltet werden.
Vielfältige, jedoch kritisch zu hinterfragenden wissenschaftlichen Forschungsberichte, internati-onale Studien sowie kriminologische, soziologische, psychologische und medizinische
Vergleiche in den jeweiligen Fachzeitschriften und ganz aktuell die Pilotstudie des außeruni-versitären Forschungsverbundes „Gewalt gegen Männer“ , geleitetet von Ludger Jungnitz, Hans-Joachim Lenz u.a. Projektbeteiligten zeugen, unabhängig des Ausmaßes, von der Exis-tenz dieses Phänomens im häuslichen Bereich. Die Pilotstudie wurde vom Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) im Jahre 2001 in Auftrag gegeben und die Ergebnisse in dem Buch „Gewalt gegen Männer“ 2007 veröffentlicht. Selbst die Forscher der Pilotstudie wiesen schon in den ersten Zeilen ihrer Einleitung darauf hin, dass, wenn ge-genüber Außenstehenden erwähnt wurde, dass diese Pilotstudie zu Frauengewalt stattfindet, diese sich immer nochmals vergewisserten, ob sie auch richtig gehört hätten. Der Kriminologe Prof. Dr. Michael Bock äußerte sich in der Sendung Kontraste wie folgt: „Die menschliche
Aggressivität ist nicht geschlechtsspezifisch und die Frage der Körperkraft spielt eine höchst untergeordnete Rolle, wenn man die Schwächen des Partners kennt, dann ist es überhaupt kein ins Gewicht fallender Faktor.“ In der Öffentlichkeit und sogar von ExpertInnen kann
dieser Sachverhalt kaum nachvollzogen werden.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Was ist Gewalt?
- Physische (körperliche) Gewalt
- Psychische, verbale und gestische Gewalt
- Sexualisierte Gewalt
- Strukturelle (systembezogene) Gewalt
- Gewalterfahrung versus Gewaltwiderfahrnis
- Häusliche Gewalt = männliche Gewalt?
- Erklärungsversuche der Zuschreibung von männlicher Gewalt in heterosexuellen Paarbeziehungen
- Die Interaktion von häuslicher Gewalt
- Erkenntnisse sowie Chancen und Grenzen der Pilotstudie „Gewalt gegen Männer“ unter konstruktiv-kritischen Gesichtspunkten
- Aufbaudesign der Pilotstudie
- Gewaltfeld: „Gewalt in Lebensgemeinschaften“
- Methodische Vorbehalte hinsichtlich der Nicht-Repräsentativität der Pilotstudie
- Kritische Gesichtspunkte aus Sicht der Pilotstudie
- Kritische Gesichtspunkte aus eigener Sicht
- Hilfesystem und Prävention
- Das notwendige Hilfesystem für „Gewalt gegen Männer“
- Individuelle und strukturelle Prävention von Gewalt
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Präsenz von Gewalt gegen Männer im Kontext von häuslicher Gewalt. Sie analysiert die Ursachen für die fehlende Wahrnehmung dieses Themas in der Öffentlichkeit und hinterfragt die zugrundeliegenden geschlechterstereotypen. Die Arbeit will dazu beitragen, das Thema zu enttabuisieren und betroffene Männer zu ermutigen, Hilfe zu suchen.
- Enttabuisierung des Themas Gewalt gegen Männer
- Analyse der Ursachen für die fehlende Wahrnehmung von Männergewalt
- Kritik an geschlechterstereotypen Vorstellungen von Gewalt
- Entwicklung eines neuen Geschlechtersystems, das auf Gleichheit und gegenseitigem Respekt basiert
- Analyse des Hilfesystems für Männer, die von Gewalt betroffen sind
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Einleitung stellt die Relevanz des Themas Gewalt gegen Männer in den Vordergrund und setzt die Diskussion in den Kontext von Hell- und Dunkelfeldstudien. Sie verdeutlicht die Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema und verweist auf die Pilotstudie "Gewalt gegen Männer" als zentrale Grundlage für die Arbeit.
- Was ist Gewalt?: Dieses Kapitel liefert eine Definition von Gewalt und unterscheidet verschiedene Formen: physische, psychische, verbale, gestische, sexualisierte und strukturelle Gewalt. Es beleuchtet die unterschiedlichen Dimensionen von Gewalterfahrung und -widerfahrnis.
- Häusliche Gewalt = männliche Gewalt?: Dieses Kapitel hinterfragt die weit verbreitete Annahme, dass häusliche Gewalt hauptsächlich von Männern ausgeübt wird. Es analysiert Erklärungsversuche für die Zuschreibung männlicher Gewalt in heterosexuellen Paarbeziehungen und diskutiert die Interaktion von häuslicher Gewalt.
- Erkenntnisse sowie Chancen und Grenzen der Pilotstudie „Gewalt gegen Männer“ unter konstruktiv-kritischen Gesichtspunkten: Dieses Kapitel analysiert die Pilotstudie "Gewalt gegen Männer" und ihre Erkenntnisse. Es beleuchtet das Aufbaudesign der Studie, das Gewaltfeld "Gewalt in Lebensgemeinschaften" und diskutiert methodische Vorbehalte hinsichtlich der Nicht-Repräsentativität der Studie. Weiterhin werden kritische Gesichtspunkte aus Sicht der Pilotstudie sowie aus eigener Sicht beleuchtet.
- Hilfesystem und Prävention: Dieses Kapitel beschäftigt sich mit dem notwendigen Hilfesystem für Männer, die von Gewalt betroffen sind, und den verschiedenen Formen der Prävention. Es geht auf individuelle und strukturelle Präventionsmaßnahmen ein.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den Themen Gewalt gegen Männer, häusliche Gewalt, Geschlechterrollen, Geschlechterstereotype, Pilotstudie "Gewalt gegen Männer", Hilfesystem, Prävention. Die Analyse konzentriert sich auf die Herausforderungen der Enttabuisierung und der Entwicklung eines neuen Geschlechtersystems, das auf Gleichheit und gegenseitigem Respekt basiert.
- Arbeit zitieren
- Theresia Friesinger (Autor:in), 2008, Gewalt hat kein Geschlecht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88233