Die These, dass Demokratien keinen Krieg gegeneinander führen, ist keinesfalls neu. So beruft sich die Forschung noch heute auf Immanuel Kants „Schrift zum ewigen Frieden“. Bemerkenswert ist aber, dass das Theorem erst in den 1980er Jahren gleichsam wiederentdeckt wurde, durch Michael W. Doyle (1983). Zuvor war herrschende Meinung, dass Demokratien nicht weniger gewaltbereit agierten als andere Staaten auch.
Mittlerweile ist jedoch allgemein anerkannt, dass es sich beim demokratischen Frieden um so etwas wie das „einzige empirische Gesetz der Internationalen Beziehungen“ (Jack S. Levy) handelt – wenngleich die Forschung naturgemäß nur probabilistische Aussagen machen kann. Der Forschung zum demokratischen Frieden kommt auch eine besondere praktische Bedeutung zu, wurde das Theorem doch in der amerikanischen Außenpolitik mit dem Ende des Kalten Kriegs popularisiert.
Der Befund des demokratischen Friedens hat sich in zahlreichen Untersuchungen als ausreichend robust erwiesen, sodass es nur noch wenig grundlegende Kritik daran gibt.
Nichtsdestotrotz bleibt seine Erklärung äußerst strittig, bzw. gibt es noch keine zufrieden stellende Erklärung. Die Debatte darüber wird in der „scientific community“ sehr differenziert geführt und es gibt eine Vielzahl von Studien. Daher verfolgt diese Arbeit das Ziel, auf kompilatorische Weise den Stand der Forschung darzustellen.
Dazu wird in einem ersten Schritt die monadische von der dyadischen Sichtweise auf den demokratischen Frieden abgegrenzt. Sodann folgt eine Darstellung der verschiedenen Erklärungsansätze für den demokratischen Frieden, die einerseits von der inneren Verfasstheit von Staaten, andererseits von ihrem Beziehungsgeflecht her argumentieren.
Eine Erklärung des Phänomens zu finden ist in der Tat unerlässlich, will man die Ursachen des demokratischen Friedens verstehen und sichergehen, dass es sich nicht um ein bloßes statistisches Artefakt handelt.
Dieser Unterstellung und anderen Ansätzen der Kritik am liberalen Forschungsprogramm zum demokratischen Frieden wird in einem abschließenden Kapitel nachgegangen. Dort wird auch eine Problematisierung der verwendeten Begrifflichkeiten von Demokratie, Frieden und Krieg vorgenommen. In einer Schlussbetrachtung wird der Stand der Forschung kritisch beleuchtet.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Der Befund – zwei Sichtweisen auf den demokratischen Frieden
3 Klassische Erklärungen mit Blick auf die nationalstaatliche Ebene
3.1 Partizipation und Gewaltabneigung der Bürger
3.2 Demokratische Normen gewaltfreien Konfliktaustrags
3.3 Institutionalistische Argumentationen
4 Alternative Erklärungen mit Blick auf die Beziehungsebene
4.1 Internationale Organisationen als Friedensbünde
4.2 Ökonomische Interdependenz
5 Kritik am liberalen Forschungsprogramm
5.1 Ein statistisches Artefakt?
5.2 Demokratiespezifische Gewalt
5.3 Ein unscharfer Demokratiebegriff
5.4 Ein problematischer Friedens- bzw. Kriegsbegriff
6 Schlussfolgerungen
7 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Die These, dass Demokratien keinen Krieg gegeneinander führen, ist keinesfalls neu. Schon bei Immanuel Kant lesen wir in der „Schrift zum ewigen Frieden“:
„Wenn […] die Beistimmung der Staatsbürger dazu erfordert wird, um zu beschließen, ‚ob Krieg sein solle, oder nicht’, so ist nichts natürlicher, als daß, da sie alle Drangsale des Krieges über sich selbst beschließen müssten […], sie sich sehr bedenken werden, ein so schlimmes Spiel anzufangen […]“
(Kant 1973 [1795]: 127)
Zwar findet sich die Idee des demokratischen Friedens auch bei Rousseau, Abbé de St Pierre und Montesquieu, die aktuelle Forschung zum demokratischen Frieden beruft sich aber insbesondere auf die Vorstellungen Kants.
Bemerkenswert ist, dass das Theorem erst in den 80er Jahren gleichsam wiederentdeckt wurde, durch Michael W. Doyle (1983). Zuvor war herrschende Meinung, dass Demokratien nicht weniger gewaltbereit agierten als andere Staaten auch.
Mittlerweile ist jedoch allgemein anerkannt, dass es sich beim demokratischen Frieden um so etwas wie das „einzige empirische Gesetz der Internationalen Beziehungen“ (Jack S. Levy) handelt – wenngleich die Forschung naturgemäß nur probabilistische Aussagen machen kann (vgl. Geis 2001: 286, Russett/Oneal 2001: 43) So hat Dixon bereits 1994 nachgewiesen, dass Demokratien Streitigkeiten untereinander überdurchschnittlich häufig auf dem Verhandlungswege bearbeiten.
Der Befund des demokratischen Friedens hat sich seither in zahlreichen Untersuchungen als ausreichend robust erwiesen, sodass es nur noch wenig grundlegende Kritik daran gibt.
Nichtsdestotrotz bleibt seine Erklärung äußerst strittig (vgl. Hasenclever 2002: 75), bzw. gibt es noch keine zufrieden stellende Erklärung (vgl. Geis 2001: 293).
Die Debatte darüber wird in der „scientific community“ sehr differenziert geführt, die Erklärungen haben sich unterdessen gehäuft und die metatheoretische Klassifizierung der Modelle droht aus dem Ruder zu laufen. (vgl. Hasenclever 2002: 84) Es gibt eine Vielzahl an Studien, vor allem empirischer Art, und „die Erklärungen können zwischen institutionalistischen, strukturellen, kulturell normativen, konstruktivistischen und auch neuerdings systemischen Ansätzen variieren oder sich vermischen“ (Geis 2001: 282-283).
Daher verfolgt diese Arbeit das Ziel, auf kompilatorische Weise den Stand der Forschung darzustellen.
Erschwert wird die Suche nach einer plausiblen Erklärung dadurch, dass Uneinigkeit darüber herrscht, ob Demokratien generell friedfertiger als Autokratien seien (monadische These) oder ob dies lediglich in ihren Beziehungen zu anderen Demokratien der Fall sei, nicht aber gegenüber Autokratien (dyadische These). Diese unterschiedlichen Sichtweisen auf den demokratischen Frieden werden zunächst in Kapitel zwei thematisiert.
In den Kapiteln drei und vier folgt dann eine Darstellung der verschiedenen Erklärungsansätze für den demokratischen Frieden, die einerseits von der inneren Verfasstheit von Staaten, andererseits von ihrem Beziehungsgeflecht her argumentieren.
Eine Erklärung des Phänomens zu finden ist in der Tat unerlässlich, will man die Ursachen des demokratischen Friedens verstehen und sichergehen, dass es sich nicht um ein bloßes statistisches Artefakt handelt. (vgl. Russett/Oneal 2001: 53)
Dieser Unterstellung und anderen Ansätzen der Kritik am liberalen Forschungsprogramm (liberal ist es schon deshalb, weil es im Kern um die Bedeutung der Innenpolitik für die Außenpolitik geht) wird in Kapitel fünf nachgegangen. Dort wird auch eine Problematisierung der verwendeten Begrifflichkeiten von Demokratie, Frieden und Krieg vorgenommen.
Vorneweg muss in diesem Zusammenhang angemerkt werden, dass „Frieden“ in der untersuchten Literatur meist als Synonym für einen negativen Frieden benutzt wird, das heißt für den Verzicht auf Gewaltanwendung in den internationalen Beziehungen.
Natürlich kommt der Forschung zum demokratischen Frieden auch eine besondere praktische Bedeutung zu, wurde das Theorem doch in der amerikanischen Außenpolitik mit dem Ende des Kalten Kriegs popularisiert. So stellte Präsident Clinton (zit. in Farber/Gowa 1995: 239) fest: „democracies rarely wage war on one another“ und erklärte die Demokratisierung zur dritten Säule seiner Außenpolitik. Die politisch-praktische Bedeutung der These für die Demokratisierung wird hier allerdings ausgespart bzw. nur am Rande behandelt, da es den Rahmen der Arbeit sprengen würde, auch die Diskussion um den Zusammenhang von Demokratisierung und Friedfertigkeit zu berücksichtigen.
2 Der Befund – zwei Sichtweisen auf den demokratischen Frieden
Wie bereits angesprochen, herrscht weitgehend Einigkeit über das empirische Phänomen, dass Demokratien untereinander keinen Krieg führen. Darauf wird an dieser Stelle deshalb nicht weiter eingegangen. Es gibt jedoch zwei Sichtweisen auf diesen demokratischen Frieden. Während einige Autoren am sogenannten Doppelbefund festhalten (dyadischer Ansatz: demokratischer Frieden herrscht nur unter Demokratien, nicht in gemischten Konstellationen), mehren sich die Stimmen, die Demokratien für generell friedfertiger als Autokratien halten (monadischer Ansatz).
Vorsichtig drückt sich diesbezüglich noch Anna Geis aus:
„Uneinigkeit gibt es […] über die Frage, ob Demokratien generell friedlicher sind als andere Herrschaftstypen: wurde dies lange fast durchweg verneint, tendieren jetzt doch mehr Forscher dazu, sich der Minderheitsmeinung von R. J. Rummel (1979, 1995) anzuschließen.“
(Geis 2001: 283)
Andreas Hasenclever bestätigt diesen seit Mitte der Neunzigerjahre bestehenden Trend: „Die alte These von der gleich hohen Kriegsbeteiligung von Demokratien und Autokratien wird in jüngeren Veröffentlichungen angezweifelt.“ (Hasenclever 2006: 221)
Monadische Ansätze vertreten unter anderem Benoit 1996, Czempiel 1996, Gleditsch/Hegre 1997, Ray 2000, Russett/Oneal 2001 (36: „although this proposition is more controversial and the evidence more mixed“).
Rummel, der 1995 nachgewiesen hatte, dass die Neigung zu auswärtiger Gewaltanwendung mit dem Grad interner Repression ansteigt (vgl. Czempiel 1996: 81), ist also längst nicht mehr der einzige Vertreter der monadischen Sichtweise.
Selbst Bruce Russett, zuvor einer der Hauptvertreter des dyadischen Forschungsansatzes, nähert sich mittlerweile der monadischen These an, was laut Andreas Hasenclever ein Indiz dafür ist, dass die Trennung der beiden Perspektiven schon immer künstlich war. (vgl. Hasencelver 2006: 215)
Für die monadische Sichtweise spricht, dass Kriegsbeteiligung nicht gleich Kriegsbeteiligung ist - was in empirischen Studien jedoch oft unterstellt wird. Unter Demokratien gibt es etwa die Tendenz zu Allianzenbildung mit nur symbolischer Beteiligung. Das führt zu einer scheinbar hohen Gewaltbereitschaft der Demokratien in zu wenig differenzierenden statistischen Analysen.
Hasenclever konstatiert dennoch, dass nach wie vor erklärungsbedürftig bleibe, „warum selbst defizitäre Demokratien untereinander den Frieden wahren und gegenüber Staaten mit anderen Herrschaftssystemen immer wieder zu kriegerischen Mitteln greifen.“ (Hasenclever 2002: 84)
Anomalien aus Sicht der monadischen These sind zum Beispiel die imperiale Politik Frankreichs und Großbritanniens im 19. und 20. Jahrhundert oder die Kolonialkriege nach 1945, oder auch die Situationen, in denen mächtige Demokratien kleine Autokratien mit Gewalt überzogen haben, ohne das eine reelle Gefahr von diesen ausging. (vgl. Hasenclever 2006: 223)
Gegen die monadische Variante des demokratischen Friedens spricht auch, dass Demokratien mitunter aufgrund ihrer normativen Orientierung zu militärischem Eingreifen motiviert werden, etwa bei massiven Menschenrechtsverletzungen. (vgl. Müller 2002: 61)
Das letzte Wort ist in diesem Zusammenhang noch nicht gesprochen. Die beiden Ansätze koexistieren und die verschiedenen Autoren vertreten sie in Abhängigkeit ihrer jeweiligen Erklärungsmuster des demokratischen Friedens.
3 Klassische Erklärungen mit Blick auf die nationalstaatliche Ebene
Die drei Erklärungsansätze, um die es in diesem Kapitel gehen soll, werden der Übersicht halber konzeptuell getrennt dargestellt, obwohl einige Autoren betonen, dass enge Wechselwirkungen etwa zwischen politischer Kultur und politischen Institutionen bestehen. (vgl. Russett/Oneal 2001: 53)
3.1 Partizipation und Gewaltabneigung der Bürger
Hier geht es um die ursprünglich von Kant dargelegte Begründung für den demokratischen Frieden, die darauf abzielt, dass die Bürger, sofern die äußere Sicherheit gewährleistet ist, kein Interesse an kriegerischen Abenteuern haben, deren Kosten sie womöglich zu tragen hätten.
Nach liberaler Auffassung sind Kriege dem Steuerzahler ein Greuel und folglich werden rechenschaftspflichtige Regierungen sich erst darauf einlassen, wenn sie über sehr gute Gründe verfügen. (vgl. Hasenclever 2006: 218)
Autokratische Herrscher sind hingegen eher in der Lage, Kriege zu führen ohne die Kosten ihrer Klientel (ob Großgrundbesitzer, Industrielle, Kleriker, Militärs oder Staatsbürokraten) aufzubürden. Sie können vielmehr die Kosten sozialisieren und die Gewinne privatisieren, was dem eigenen Machterhalt dienlich ist. (Vgl. ebd.: 218)
Dieser Befund scheint zunächst in Widerspruch zum dyadischen Doppelbefund zu stehen, dass sich Demokratien gegenüber Autokratien durchaus gewaltbereit verhalten. (vgl. Geis 2001: 287) Ernst-Otto Czempiel (1996) bietet hierfür jedoch eine recht einfache Erklärung: In seinen Augen sind die westlichen Demokratien noch unvollkommen, weshalb Kants Theorem nicht voll zum Tragen komme. Für Czempiel sind alle westlichen Demokratien nach wie vor durch eine privilegierte Mitsprache partikularer Interessengruppen gekennzeichnet – es sei nur wenig übertrieben, sie als kollektive Monarchien zu bezeichnen. (vgl. Czempiel 1996: 86) Entscheidungskompetenz auf der einen und Belastung durch Krieg und Gewalt auf der anderen Seite seien allzu oft entkoppelt. (vgl. ebd.: 92)
Czempiel offeriert damit Auflösung der geschilderten empirischen Widersprüchlichkeiten (wie etwa dem Einsatz von Gewalt durch Demokratien gegenüber Kleinstaaten).
Er plädiert für qualitative Studien, bei denen die Außenpolitik eines Staates über mehrere Zeitintervalle mit sich selbst verglichen wird, um auf diese Weise festzustellen, inwiefern Mitbestimmung stattgefunden habe. (vgl. Czempiel 1996: 83) Die Forschung müsse präzisere Fragen stellen als jene, ob Demokratien friedlich sind. Es müssten nämlich mehrere Voraussetzungen erfüllt sein, damit das kantische Theorem seine Wirkung entfalten könne. (Vgl. ebd.: 89)
Ein offenkundiges Problem ist dabei, dass der Bürger sich über außenpolitische Vorgänge nur schwerlich selbst informieren kann. Behauptete Handlungszwänge oder auch etwaige Bündnisverpflichtungen kann er nicht nachprüfen. Das Theorem verlangt weiterhin, dass sich der Bürger für die Außenpolitik überhaupt interessiert und sie rational, nicht emotional behandelt. (Vgl. ebd.: 90-91) Hajo Schmidt fragt deshalb, ob Kants friedlicher Besitzbürger überhaupt noch als Modell für den konsumtiv orientierten und politisch nur schwach interessierten Wahlbürger unserer Tage gelten könne. (vgl. Schmidt 1996: 107)
Czempiel entgegnet, trotz der Komplexität von Sachfragen der Außenpolitik sei nachweisbar, dass in den großen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik die öffentliche Meinung zur Mäßigung tendiere. (vgl. ebd.: 91)
In der Tat ist Außenpolitik kein besonders vergesellschaftetes Politikfeld. (vgl. Geis 2001: 287) Allerdings bemerkt Hasenclever: „[…] entgegen aller Beschwörung […] wird unverständlich, warum selbst dergestalt defizitäre Demokratien bislang keine Kriege gegeneinander geführt haben und auch sonst im wechselseitigen Verhältnis nur sehr selten auf Gewaltstrategien zurückgreifen.“ (Hasenclever 2006, 227)
Es kann gerade auch als eine Stärke der empirischen Studien angesehen werden, dass die These des demokratischen Friedens bereits bei minimalen Anforderungen an die praktizierte Mitbestimmung der Bürger standhält. (vgl. Maoz 1997: 180)
Weitere Probleme ergeben sich durch die Gefahr, dass auch in einer Demokratie wohlorganisierte Partikularinteressen die Regierung für ihre expansionistischen Interessen instrumentalisieren. (vgl. Geis 2001: 287)
Harald Müller (2002: 59-61) gibt darüber hinaus zu bedenken, dass pluralistische Systeme auch eine Plattform für nationalistische und rüstungsfreundliche Kräfte bieten, die sogar Vorteile aus ihrem hohen Organisationsgrad schöpfen können. Sie können so den Effekt des „rallying around the flag“ erzeugen helfen.
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