Schizophrenie - Gegen Stigmatisierung und Ausgrenzung

Alltägliche Aufklärungsansätze wie Integration gelingen kann


Hausarbeit, 2005

41 Seiten, Note: "keine"


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Begründung meines Themas
1.2 Was heißt normal?

2 Die schizophrene Psychose – eine Erkrankung mit vielen Gesichtern
2.1 Abgrenzung zwischen Psychose und Schizophrenie
2.2 Krankheitsbild und Verlauf
2.2.1 Das Prodromalstadium
2.2.2 Plus-Symptomatik und Minus-Symptomatik
2.2.3 Auf der Suche nach den Ursachen
2.2.4 Die akute Symptomatik, Medikation und ihre Nebenwirkungen
2.3 Weiterer Verlauf der Krankheit und Prognose
2.3.1 Die Bedeutung der Rezidivprophylaxe
2.3.2 Die medikamentöse Rückfallschutzbehandlung
2.3.3 Unterschied zwischen klassischen und atypischer Depotform
2.3.4 Das „Image-Problem“ der Depotform

3 Die Angehörigen
3.1 Die Leistung der Angehörigen anhand der Geschichte von Dorina B
3.1.1 Beginn der Krankheit
3.1.2 Erster Rückfall
3.1.3 Zweiter Rückfall
3.2 Auswertung der Krankheitsgeschichte in bezug auf Angehörigenarbeit

4 Die akzeptierende Psychiatrie und ihre Hürden
4.1 Wo steht der Mensch in der Psychiatrie?
4.2 Die Ambivalenz der Psychiatrie

5 Dem Stigma mit einfachen Ansätzen begegnen
5.1 „Schizophren“ und „verrückt“ - die schrecklichen Worte im Alltagsgebrauch
5.2 Integrationsansätze
5.2.1 Aufklärungen auf einfachster Basis über Medien, Print und Face-to-face
5.2.2 Aufklärung über die Einbindung von Kultur in der Psychiatrie
5.2.3 Aufklärung durch frühkindliche Integrationspädagogik
5.2.4 Aufklärung über den Dialog mit den Betroffenen
5.3 Konzeption von einem simplen, biopsychosozialem Erklärungsmodell
5.4. Der Diagnose einen neuen Namen geben?
5.5. Ablegen von Konzepten, die Stigmatisierung fördern
5.6 Die Verantwortung der Gesellschaft im Umgang mit der Krankheit
5.7 Was bewirken Antistigma-Kampagnen tatsächlich?
5.8 Was unternimmt Soziale Arbeit gegen den Stigmatisierungsprozess?
5.8 Appellierendes Schlusswort

Literaturhinweis:

Quellenverzeichnis:

„ Die Schizophrenie galoppiert durch die Stadt ...

Für uns hat der Kampf gegen das schizophrene Stadion

jetzt erst richtig begonnen.“

Süddeutsche Zeitung 21.10.2000

1 Einleitung

Trotz vielfacher Anti-Stigmatisierungs-Kampagnen in Form von Internetauftritten der Betroffenen- und Angehörigen-Vereine und der Einführung des jährlichen Förderpreises für Entstigmatisierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen, der von der „ Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde “ (DGPPN) in Kooperation mit dem Verein „ Open the doors e.V. “ und der „ Sanofi-Aventis Deutschland GmbH “ mit 6000,- € dotiert wird, ist die gesellschaftliche Akzeptanz und das Verständnis gegenüber psychisch erkrankten Menschen* immer noch mehr als unzureichend.

Mangelnde Information und verzerrte Berichte in den Medien führen bei den Betroffenen zu einem verstärkten Schamgefühl, zu Resignation und sozialem Rückzug. Nicht zuletzt werden doch psychisch Kranke in der Öffentlichkeit oftmals als verwirrte Kreaturen (Psychopaten) dargestellt, die Böses und Gewalttätiges im Sinn haben.

Nach meiner Themenbegründung werde ich zunächst auf die Frage „ Was heißt normal ? eingehen und Normalität in Relation zu Andersartigkeit setzen. Wie könnte der Umgang mit Andersartigkeit aussehen? Ist die gesellschaftlich gesetzte Norm Menschen mit psychischen Leiden als abnormal gelten zu lassen die einzig wahre Lösung? Im Folgenden werde ich auf die Klärung und Abgrenzung der Begriffe Psychose und Schizophrenie eingehen, um diesbezüglich Unklarheiten zu beseitigen. Die darauffolgende ausführliche Schilderung des Krankheitsbildes, der Ursachen, den Verlauf, die Medikation und die Rezidivprophylaxe ist mir ausgesprochen wichtig, da gerade Soziale Arbeit, um intensiver den Bereich der Stigmatisierung abdecken zu können, ein fundiertes Wissen über diese Krankheit haben sollte. Doch auch ein bestimmtes Grundwissen in der Bevölkerung wäre ebenso erstrebenswert, damit im Alltag ein besseres Verständnis für die Betroffenen erreicht werden kann. Genauso wichtig ist mir die Darstellung der medikamentösen Verabreichungsformen von Neuroleptika in bezug auf die immer noch aktuelle Problematik der Depotvergabe, die ich im Zusammenhang mit Stigmatisierung erläutern werde.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Hausarbeit werde ich beispielhaft mit der authentischen Krankheitsgeschichte von Dorina B. sporadisch und anschaulich untermauern und anhand ihrer Krankheitsbiografie die Bedeutung der Angehörigenarbeit aufzeigen. Da die humanistische Psychiatrie viel zur Enthospitalisierung und zu mehr Integration beigetragen hat, möchte ich im Anschluss auf einige positive wie auch kritische Aspekte eingehen. Hat die Ambivalenz der Psychiatrie noch ihre Berechtigung? Lässt sie immer noch genügend Raum für Stigma?

Alltägliche Aufklärungsansätze, die so konzipiert sind, dass möglichst viele Menschen erreicht werden können, sind ein weiterer Schwerpunkt meiner Hausarbeit. Die Ansätze sollen auch Nicht-Interessierte ansprechen und betroffen machen. Müssen Konzepte hinterfragt, oder sogar, um Stigma zu verhindern, ganz aufgegeben werden? Was bewirken Antistigma-Kampagnen und wie können sie gelingen? Was unternimmt Soziale Arbeit, um den Stigmatisierungsprozess aufzuhalten und was kann sie optimierend dazu beitragen?
All diese Fragen und darüber hinaus, sind meiner Meinung nach, wichtige stigmareduzierende Themen, die nicht fehlen dürfen.

Schizophrenie soll nicht als ein Kampf gegen die Kranken betrachtet werden, sondern der Kampf muss allein gegen die Krankheit gerichtet sein.

Das Bild einer galoppierenden Schizophrenie vor Augen, welches die Süddeutsche Zeitung im Eingangszitat metaphorisch beschreibt, brachte mich zu dem irrationalen Gedankengang: , Leben wir eigentlich in einem Irrstadion? ’ Sollten in diesem Irrstadion nicht erst die angeblich Normalen behandelt werden, damit die psychotische verrückte Grenze zwischen „d er ist normal!“ und „ der ist verrückt!“ endlich abgerissen wird? Ist es nicht nach all dem bösen Mythos in der Psychiatriegeschichte und ganz besonders nach der Verfolgung psychisch Kranker im Dritten Reich endlich an der Zeit das gesellschaftliche Irrstadion in ein Menschenstadion umzuwandeln?

Ist nicht jeder von uns anders und verschieden? Was kann jeder Einzelne von uns tun, um Stigmatisierung und Ausgrenzung zu verhindern und wie sehen ganz alltägliche Aufklärungsansätze aus? Diese zentrale Frage beschäftigt beinahe die ganze Hausarbeit, jedoch mit dem Bewusstsein, dass meine Gedanken zu diesem spannenden Thema gerade mal ein Tropfen auf dem heißen Stein sind. Doch genau in diesen Tropfen lege ich meine ganze Kraft, denn er ist mir persönlich sehr viel Wert.

Die Gesellschaft kann niemand von jetzt auf nachher verändern, aber wie jeder Einzelne von uns im Alltag mit diesem Thema umgeht, kann für die Betroffenen schon die Welt bedeuten. Psychisch kranke Menschen, aber auch andere geistig und körperlich kranke Menschen müssen denselben Stellenwert in unserer Gesellschaft haben, wie jeder andere Mensch auch, der sich in seiner Befindlichkeit und Subjektivität als gesund, als nur ein bisschen krank oder als schwerkrank einschätzt. Krankheit ist relativ, die Wertschätzung von Menschen kennt keine Relativität.

1.1 Begründung meines Themas

Warum habe ich mich gerade für das Antistigma-Thema mit Integrationsansätzen ent-schieden? In erster Linie ist es der Umgang der Gesellschaft und ganz besonders der Um-gang der Medien mit dieser Krankheit. Genau dieser Umgang bewirkt ein zweites schlimmeres Leiden für die Betroffenen und deren Angehörigen. Die Stigmatisierung und Ausgrenzung psychisch kranker Menschen von den sogenannten Normalen sollte grundsätzlich bekämpft werden. Kein Mensch, mit der Diagnose Schizophrenie, darf ausgegrenzt und mit seinem schweren Schicksal allein gelassen zu werden.

1.2 Was heißt normal?

Wer entscheidet über das was wir als normal und in Abgrenzung davon als verrückt nennen? Ist doch der Normalitätsbegriff dem gesellschaftlichen und historischen Wandel unterworfen und vieles was früher nicht normal war, ist heute allgemein akzeptierte Normalität. Wer würde heute noch uneheliche Kinder verspotten und verstoßen und diese als Bastarde beschimpfen? Somit ist der Begriff verrückt oder normal eine Frage der gesellschaftlichen Vernunft, Toleranz und Akzeptanz. Jedoch empfinden Menschen immer eine Abweichung von der aktuell gesetzten Norm, als abnormal. Das kann letztendlich in einem Stigmatisierungsschicksal münden. Gerade Soziale Arbeit ist mit Normabweichungen ständig konfrontiert und muss immer wieder, um die betroffenen Menschen nicht ganz vom gesellschaftlichen Geschehen auszugrenzen, für ein besseres Verständnis der Abweichungen kämpfen.

Das heißt nicht, dass Soziale Arbeit jede Art von Abweichung akzeptieren muss, aber sie versucht die Abweichung zu verstehen, wenn sie erkennt, welche Rolle die soziale Lage des/der Klienten/in spielt und welche Art von Exklusionsprozesse in der Kindheit den/die Klienten/in zu dieser Normabweichung führten. Umso mehr ist dieses Verständnis gefordert, wenn es sich um psychische Erkrankungen handelt. Ein seelisch erkrankter Mensch, mit der Krankheit Schizophrenie, bleibt trotz einzelner Funktionsausfälle ein einzigartiges, menschliches Wesen, „ weil das grundsätzliche Kennzeichen der Schizophrenie darin besteht, dass das Gesunde dem Schizophrenen erhalten bleibt “ (Finzen 2004, 29). Gerade diese Aussage, dass „ das Gesunde dem Schizophrenen erhalten bleibt “ stammt von Bleuler, der Erfinder dieser Krankheit. Er hat diese Einsicht als ein besonderes Kennzeichen dieser Krankheit angesehen. Trotzdem wurde der ganze Mensch als „ verrückt “ verdammt, so dass schon die Diagnose Schizophrenie eine Abweichung von der Norm bedeutet. Durch diese Haltung können nur Vorurteile wachsen, die sich wie Unkraut vermehren. Dagegen kommt mir die Haltung von Asmus Finzen, mit seinem neu aufgelegten Buch „ Schizophrenie - Die Krankheit verstehen “ sehr entgegen. Das Buch ist ein Plädoyer zur Niederlegung aller Vorurteile und macht den Betroffenen Mut nicht mit dem Schicksal zu hadern. Es zeigt ihnen Wege auf, wie Stigmatisierung bewältigt werden kann. Finzen prangert Politiker, aber ganz besonders die Journalisten an, die als falsche Schizophrenie-Träger für die widersinnigsten Auffassungen dieser Krankheit verantwortlich sind. Schizophrenie wird gleichgesetzt für pure Unvernunft, Unberechenbarkeit, Unzurechnungsfähigkeit und Verantwortungslosigkeit. „ Schizophrenie signalisiert Gefahr “ (Vergl. Finzen 2004, 23).

Wer sich die Mühe macht zu versuchen, die Kranken und ihre Krankheit zu verstehen, wird mit Betroffenheit feststellen, in wie schrecklicher Weise das Klischee das Leiden verstärkt. Es verzerrt die Selbstwahrnehmung, untergräbt das Selbstbewusstsein der Kranken und es prägt den Umgang der Gesunden mit ihnen in fataler Weise. “ (Finzen, 2004, S 24)

Schizophrenie wird oft als Metapher im aberwitzigen Sinn missbraucht. „ Schizophrenie als Metapher ist nur abwertend “ (Finzen, 2004. 23). Wie soll Normalität in Beziehung zu Andersartigkeit aussehen? Es ist so einfach, doch viele haben aufgrund ihrer eigenen Sozialisation damit große Schwierigkeiten. Es geht nur über die Akzeptanz der Andersartigkeit. Dann wird es normal, dass Menschen mit einem psychischen Leiden mitten unter uns leben und dass Andersartigkeit von jedem respektiert wird. Dann wäre es normal, dass Betroffene ganz ungezwungen und schamfrei über sich und ihr Erlebtes in der Öffentlichkeit sprechen können. Der Pegel des Grundwissens von Nicht-Interessierten, was die Krankheit Schizophrenie betrifft, würde sich dadurch automatisch steigern. Viele Betroffene haben gerade aus Stigmatisierungsgründen große Scheu und empfinden Scham öffentlich über ihre Krankheit zu sprechen. Die Krankheitsgeschichte von Dorina B. (s. Kap. 3) ist ein exemplarisches Zeugnis von Verleugnung aus Schamgefühl. Dorina ist die Nachbarin meiner Freundin. Eines Tages rief mich meine Freundin an und erzählte mir, dass Dorina sich das Leben nehmen wollte. Sie hatte sie aufgefunden und den Krankenwagen gerufen. Es war schon ihr zweiter Suizidversuch. Später berichtete Dorina mir, dass sie aus Schamgefühl niemanden etwas von ihrer Krankheit erzählt hat. Zu oft wurde sie schon als die „ Verrückte “ abgestempelt und das sei sie eigentlich gar nicht. Bis dahin war sie uns als eine „ ganz normale “, sympathische Mutter von zwei kleinen Kindern bekannt. Sie ist rhetorisch sehr begabt, intelligent und freundlich. Umso mehr überraschte uns ihre plötzlich in Erscheinung tretende Krankheit. Als wir es erfuhren, hatte sie gerade ihren zweiten Rückfall. Dorina hatte ihre Krankheit die ganze Zeit geheim gehalten, weil sie selbst, wie sie sagte, damals noch nicht stark genug war, darüber zu sprechen. Den Spott, die Blicke und die Diskriminierung der Anderen, die sie immer als sehr verletzend empfand, hätte sie zu all dem, nicht auch noch ertragen können. Heute ist sie lt. ihrer Aussage „ stärker “ und könne wenigstens mit Freunden darüber sprechen. Schizophrenie als gesellschaftlich anerkannte Krankheit, würde eben gerade implizieren, dass jemand ganz offen und frei, ohne Diskriminierung, Arbeitsplatzverlust, Spott, Missachtung und andere verletzende Blasphemien befürchten zu müssen, darüber sprechen kann. Diese Hoffnung, dass all diese Dinge irgendwann ganz selbstverständlich zur gesellschaftlichen Normalität gehören, prägt nicht nur meine Arbeit, sondern jede Art von Anti-Stigmatisierungs-Kampagne.

2 Die schizophrene Psychose – eine Erkrankung mit vielen Gesichtern

2.1 Abgrenzung zwischen Psychose und Schizophrenie

Die Psychose ist der Sammelbegriff für psychische Erkrankungen, die mit Realitätsverlust, Bewusstseinsstörungen, Wahnvorstellungen und vielen anderen Symptomen einhergeht.
Die Schizophrenie ist den Psychosen untergeordnet. Damit wird eine besondere Ausprägung der Krankheit ausgedrückt. Man spricht auch von „ Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis “. Der schizophrene Formenkreis ist ein detailliertes Klassifikationssystem und ist notwendig, um der Vielfalt von Erscheinungsformen dieser Krankheit gerecht zu werden.
Das Wort Schizophrenie stammt aus dem Griechischen und heißt wörtlich übersetzt „ Abspaltung des Zwerchfells “. Für die Griechen war das Zwerchfell der Sitz der Seele.
Mit diesem Begriff wird die Spaltung der psychischen Funktionen ausgedrückt. Geprägt wurde er erst 1911 durch den Psychiater Eugen Bleuler. Bis dahin war die Krankheit unter der Diagnose „ Dementia praecox “ (vorzeitige Demenz) von Emil Kraepelin bekannt. (Vergl. wikipedia – Schizophrenie, 1)*. Der Psychologe Jens-Uwe Schmidt schreibt in Psychiatrie aktuell, dass es selbst Bleuler bewusst war, dass der Begriff eigentlich „ die Schizophrenien “ heißen sollte, „ da die durch den Begriff bezeichnete Erkrankungsgruppe außerordentlich vielgestaltig ist. Es gibt also nicht die eine Schizophrenie… “ (Vergl. Psychiatrie aktuell, 1). Gerade weil die schizophrene Psychose in einer akuten Phase häufig diagnostiziert wird, und die Erkrankten stationäre Hilfe benötigen, möchte ich näher auf das Krankheitsbild und den Verlauf dieser Krankheit eingehen.

2.2 Krankheitsbild und Verlauf

2.2.1 Das Prodromalstadium

Um die Diagnose der schizophrenen Psychose eindeutig stellen zu können, müssen mehrere Symptomatiken auftreten, dabei spielt die Dauer innerhalb der Symptome eine bedeutsame Rolle, gewisse Symptome müssen korrelieren und nicht selten kündigt sich die Krankheit durch Vorboten-Symptome (Prodromi) an. Diese können schon in der Adoleszenz auftreten, sich später manifestieren und dann in eine akute Schizophrenie übergehen. Viele Depressionen und Angstzustände werden verkannt und nicht als Zeichen einer späteren Schizophrenie entlarvt und entsprechend therapiert. Allgemein bekannt ist, dass je früher eine Therapie beginnt, umso erfolgversprechender wird später die Heilung sein. In manchen Fällen kann das Prodromalstadium schon einige Jahre vor dem Ausbruch der Krankheit beginnen, aber es gibt auch die Variante, des akuten Erkrankungsbeginns. Das ist in etwa so, als würden die Wehen einer schwangeren Frau ohne Vorwehen einsetzen.

Vorboten können depressive Stimmungen, Schlafstörungen, innere Unruhe, vermehrte soziale Isolation, ewiges Grübeln und viele andere ähnliche Symptome sein. Nicht jede Schlafstörung bedeutet gleich einen Erstausbruch oder Wiederbeginn der Krankheit. Sollten jedoch diese Frühwarnzeichen über längere Zeit andauern ist es ratsam, mit Freunden, Angehörigen und mit dem Arzt darüber zu sprechen.

Noch ganz im Anfangsstadium der Erkrankung lassen sich zwei komplementär wirkende
Zustände erkennen. Der Betroffene ist gesund und krank zugleich. Das Nebeneinander von gesundem Verhalten und seltsam erscheinenden Verhaltensweisen ist anfangs noch nicht von der Umwelt zu unterscheiden. Die eigene Identität wird plötzlich zerrissen. Der Betroffene erlebt sich selbst als fremd. Viele Handlungen werden nicht mehr als selbst gesteuert wahrgenommen. Das veränderte Erleben wird oft verschwiegen. Die Erkrankten sind Genies im Chaos. Sie haben eine übersteigerte Wahrnehmung, wundern sich darüber, fühlen sich zum Teil als etwas Besonderes, aber es macht ihnen auch Angst. Das Gehirn eines gesunden Menschen selektiert wichtige und unwichtige Informationsinhalte, die überlebensnotwendig sind, ansonsten würden wohl viele innerhalb kürzester Zeit einen Nervenzusammenbruch erleiden. Dieser natürliche Selektionsprozess scheint bei den Betroffenen nicht mehr richtig zu funktionieren. Sie kommen anfangs noch im Alltag mit dieser intensiven Wahrnehmung zurecht, jedoch lösen sie starke Verunsicherungen aus, da sich die Grenzen zwischen Realität und individuellem Wahn-Wahrnehmen immer mehr verwischen, was wiederum Schlafstörungen zur Folge haben kann.

2.2.2 Plus-Symptomatik und Minus-Symptomatik

Kurt Schneider, unterscheidet schon in dieser Anfangssymptomatik, „ Symptome ersten und zweiten Ranges “, von denen jeweils eine unterschiedliche Anzahl vorhanden sein müssen,
die auch in dem ICD 10 der WHO vorkommen. Er unterschied positive Symptome
(Plus-Symptomatik) und negative Symptome (Minus-Symptomatik) (Vergl. wikipedia – Psychose, 2).

Bei der Plus-Symptomatik kommt praktisch „etwas dazu“, was vorher nicht da war. Die Betroffenen sind hochsensibel und von Kreativität durchdrungen, da sie die Fähigkeit besitzen mehr wahrzunehmen als zuvor. Sie büßen wider allen Annahmen keinerlei Intelligenz ein. Jedoch verlieren sie schnell den Bezug zur Außenwelt, da der sogenannte Wahn, was nichts anderes als eine Art von Denkstörung bedeutet, immer intensiver wird. Das führt dann soweit, dass die Betroffenen Halluzinationen haben, Dinge sehen und hören, welche so in der Realität nicht vorfindbar sind. Besonders die akustischen Halluzinationen, die in Form von Imperativen und Kommentaren wahrgenommen werden, bereiten den Betroffenen große Probleme. Andere Halluzinationsformen sind Geschmacks- und Geruchshalluzinationen (olfaktorische Halluzinationen) und die eher seltenen Körperhalluzinationen (coenesthetische Halluzinationen). Zur Positivsymptomatik gehört auch die Vorstellung der Betroffenen, dass alle ihre eigenen Gedanken sehen oder sie haben die Überzeugung, sie könnten die Gedanken der anderen lesen. Zu Zufälligem und Gehörtem wird ein direkter Bezug hergestellt. Eine Korrektur der eigenen Vorstellung ist nicht oder kaum möglich und in der Regel können selbst Beweise sie nicht vom Gegenteil überzeugen. Dieser Wahn ist von einer Unverrück-barkeit und von einer nicht überbrückbarer Standhaftigkeit gekennzeichnet. Fachliche Kreise sprechen auch von einer „ Wahngewissheit„…der Kranke ist keinerlei Argumenten zugänglich und wird unter keinen Umständen von seiner Vorstellungswelt abrücken, und sei sie von außen betrachtet auch noch so offensichtlich falsch (ver-rückte Sicht der Welt!) (wikipedia – Psychose, 2). Hierzu darf ich mit Genehmigung von Frank C. (ein enger Freund meines Mannes) diese Plus-Symptomatik lebensnah und kurz schildern. Nach seiner akuten Phase sprach Frank oft über eine „ nicht zu kontrollierende Invasion der Gedanken “. Er erklärte uns immer wieder:

Die Logik ist außer Kraft gesetzt und nichts ist logischer als diese Unlogik.“ Dieses Stadium wird von der Außenwelt als „ verrückt “, verworren und sprunghaft wahrgenommen und ist, durch die meist abrupten Gedankengänge, nicht immer nachvollziehbar. Als einzig verbliebene Vertrauensperson, hat mein Mann Frank immer zum Psychiater begleitet. Er hatte in seiner Vergangenheit viele schlechte Erfahrungen mit Psychiatern gemacht und deshalb wünschte er sich die Begleitung und Unterstützung meines Mannes. Sein Leben war von unvorstellbaren Ängsten geprägt. Schweißperlen an der Schläfe und nasse verschwitzte Haare waren sein alltägliches Erscheinungsbild. Auf dem Weg zum Psychiater hatte er, für den Fall, dass er in die Psychiatrie eingewiesen wird, immer seinen Rucksack dabei, in dem „ alles “ enthalten war, was er zur Flucht benötigen würde. Entschlossen zeigte er jedes Mal den Inhalt mit Proviant meinem Mann. Seine Basketball-Mütze war mit einer Alufolie ausstaffiert. „ Die schützt mich vor den Sonnenstrahlen !“ war seine überzeugte Begründung dazu. Nachdem mein Mann ihm immer wieder versichert hat, dass er es nicht zulassen wird, dass er erneut in eine Psychiatrische Klinik kommt, ließ er sich schließlich wieder darauf ein, sein abgesetztes Neuroleptikum zu nehmen. Mein Mann hat seinen Freund in jeder Situation ernst genommen und versucht in seine Logik einzutauchen, um ihn zu verstehen. Dieses Vertrauen hat Frank C. geholfen, sich letztendlich wieder von einem neuen Psychiater helfen zu lassen. An dieser Stelle zeichnet sich schon ab, wie wichtig Angehörige und Bezugspersonen als konstante Begleiter dieser Krankheit sind, besonders in der Zeit, in der die Plus-Symptomatik, aber auch die nachfolgend aufgezeigte Minus-Symptomatik am höchsten ist.

Die Minus-Symptomatik zeichnet sich durch den Wegfall früherer Persönlichkeitsmerkmale aus. Das hat Lustlosigkeit, Kommunikationsarmut, mangelnde Körperpflege, Rückzug, Abulie (Willensschwäche), Verlangsamung der Psychomotorik, Gefühlsverflachung, kognitive Defizite (Denk- und Sprachstörungen) bis hin zum Identitätsverlust zur Folge. Grundsätzlich sind die produktiven positiven Symptome besser behandelbar, als die nach einer akuten Phase oft weiter andauernden Negativsymptome.

Wie stark all diese einzelnen Symptome im Einzelfall ausgeprägt sind, ist sehr unterschiedlich und objektiv kaum bis in jede Einzelheit nachprüfbar. Die Suizidalität hängt davon ob, wie stark gewisse Symptome ausgeprägt sind. Besonders die Symptomatik des Stimmenhörens und des Verfolgungswahns und die daraus resultierenden Ängste lösen den Wunsch nach Suizid aus. Nur in Ausnahmefällen kann es bei einem stark ausgeprägten Verfolgungswahn zu Übergriffen auf Unbeteiligte kommen. Es ist aber nicht die Regel, wie viele fälschlicherweise verinnerlicht haben.

Die Plus- wie auch die Minussymptomatik sind Basisstörungen, die im Prodromalstadium und nach der akuten Phase, aber auch in der symptomfreien Zeit auftreten können. Diese Basisstörungen (Störungen des Denkens, der Sprache, der Wahrnehmung, der Gefühle und Bewegung) sind nicht nur aufgrund der Diagnose Schizophrenie festzumachen, sondern auch Menschen die starken Belastungen ausgesetzt sind und mit Bewältigungsproblemen zu kämpfen haben, können Basisstörungen aufweisen. Das Wissen über die Interdependenz zwischen einer Basisstörung und die anschließenden Bewältigungsmöglichkeit könnte bei der Vermeidung von Rezidive gerade in der Sozialen Arbeit eine Schlüsselrolle spielen. Soziale Arbeit hat, besonders in dem personenzentrierten Ansatz viel Spielraum Stigmatisierungsprävention zu leisten. (s. Kapitel 5.8)

2.2.3 Auf der Suche nach den Ursachen

Nach wie vor sind die Ursachen für Schizophrenie immer noch weitgehend ungeklärt. Das Vulnerabilitäts-Stress-Modell nach dem Schweizer Luc Ciompi gewinnt immer mehr an Bedeutung. (Laging 2005 - Skript) In diesem Modell geht man von einer vulnerablen (empfänglichen) Anlage aus, das durch Stressoren ins Ungleichgewicht geraten kann. Zeiten in denen psychosoziale Faktoren mehr im Vordergrund standen, wechseln sich ab mit Zeiten in denen die biologischen Faktoren der Vulnerabilität (Krankheitsbereitschaft, Disposition) wieder mehr an die Oberfläche kommen. Unterschiedliche Institutionen und Pharmakonzerne haben großes Interesse daran, den genetischen Anteil zu stärken, weil dadurch neue und auch entsprechend teure Medikamente abgesetzt werden können. Doch sollte nicht der finanzielle Aspekt zur Kondemnation von Medikamenten führen, weil gerade viele neue atypische Neuroleptika, (siehe Kapitel 2.2.4) dazu beitragen, dass Betroffene ihr Alltagsleben auch außerhalb von sozial-psychiatrischen Einrichtungen und geschlossenen Stationen verbringen können. Ein Forscherteam der Qeensland University of Technology (QUT), im australischen Brisbane, hat dieses Jahr ein Gen entdeckt, das in Verbindung mit der Schizophrenie gebracht wird. Es handelt sich um ein Dopamin-Rezeptor-Gen. „ Das Vorhandensein dieses Gens äußert sich durch eine übergroße Anzahl besonderer Gehirnzellen, den so genannten D2-Dopamin-Rezeptoren.“ berichtet ein Artikel des australisch-neuseeländischem Hochschulverbundes. Nicht unbekannt ist, dass die meisten Neuroleptika die Aktivität der D2-Rezeptoren blockieren und dezimieren. Deshalb ist lt. dem Artikel der Psychiater Dr. Lawford, ein renommiertes Mitglied des Forschungsteams, überzeugt, „ dass dem D2 Rezeptor eine Schlüsselfunktion bei der Erkenntnisgewinnung über Schizophrenie zukommt “ und „ Menschen, die besonders gefährdet sind, Schizophrenie zu entwickeln, könnten mit Hilfe eines genetischen Tests diagnostiziert werden “ (idw – Australisch-Neuseeländischer Hochschulverbund).

Aktuellen Statistiken zu Folge erlebt jeder Hundertste eine schizophrene Episode. (Köhnke 2005 – Vortrag Tübingen), das heißt das Lifetime-Risiko an dieser Krankheit zu erkranken, ist ein Prozent und in Anbetracht der Schwere der Krankheit nicht ganz unerheblich. Schizophrenie kommt überall in der Welt vor, jedoch verändert sich je nach soziokulturellem Hintergrund das Erscheinungsbild. Das ist gewissermaßen auch ein Beweis, dass psychosoziale Ursachen eine große Rolle spielen. Deshalb kann man nicht nur von einer genetisch-biologischen Ursache ausgehen, sondern ein multifunktionales Kombi-Modell ist heute weitgehend anerkannt. Es liegt auch die Vermutung nahe, dass lebenseinschneidende und -verändernde Stressfaktoren wie eine neue Arbeitsstelle, neues Studium, Ehekrisen, Renteneintritt oder eine plötzliche Konfrontation mit dem Tod eines nahen Verwandten der Auslöser für die Krankheit sein könnte. Deshalb spricht man heute von biopsychosozialen Faktoren, die sich gegenseitig bedingen.

Als überholt gilt auf alle Fälle die „ frühere Annahme eines schizophrenieauslösenden Familien-milieus (insbesondere der ,schizophrenogenen Mutter ’)“ (wikipedia – Schizophrenie, 5).

Ebenfalls umstrittene familiäre psychologische Faktoren sind Hospitalismus, das Fortbestehen der Mutter-Kind-Symbiose, Erziehungsstil, Missbrauch und Familien-Atmosphäre. Jedoch könnte der EE-Index (Index, der die Familien-Atmosphäre misst) aus der „ expressed emotion-Theorie “ nach Vaughn und Leff, eine Rolle bei den Ursachen mitspielen und auch für den weiteren Erkrankungsverlauf von großer Bedeutung sein (Vergl. Laging 2005 – Skript).

Der EE-Index misst die Intensität, das Niveau, der in der Familie gegenüber dem Patienten zum Ausdruck gebrachten negativen Gefühle, insbesondere ausgedrückte Feindseligkeit, Kritik und emotionales Überengagement. “ (Laging, 2005 - Skript)

Frühkindliche Hirnschädigungen, Infektionen wie Herpes simplex Typ II, Influenza- und Borna Viren, sowie auch gewisse Borrelien stehen unter strengem Verdacht das Ausbrechen der schizophrenen Psychose zu begünstigen. Das dialektische Spiel vieler Faktoren, die ungünstig aufeinander treffen, können zum Ausbruch der Krankheit führen. So könnte eine Abfolge von Negativ-Faktoren, z.B. eine genetische Disposition, Sauerstoffmangel bei der Geburt und eine darauffolgende Infektion zu einer Entwicklungsstörung des Gehirns führen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 41 Seiten

Details

Titel
Schizophrenie - Gegen Stigmatisierung und Ausgrenzung
Untertitel
Alltägliche Aufklärungsansätze wie Integration gelingen kann
Hochschule
Hochschule Esslingen
Note
"keine"
Autor
Jahr
2005
Seiten
41
Katalognummer
V88473
ISBN (eBook)
9783638024747
Dateigröße
1073 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
11 Literaturquellen und 11 Onlinequellen
Schlagworte
Schizophrenie, Gegen, Stigmatisierung, Ausgrenzung
Arbeit zitieren
Theresia Friesinger (Autor:in), 2005, Schizophrenie - Gegen Stigmatisierung und Ausgrenzung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88473

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