Das Tagebuch des unbekannten Söldners, eines Mannes, der von 1625 bis 1649 im Dreißigjährigen Krieg kämpfte, stellt eine bisher in Deutschland einmalige Quelle dar, denn es zählt zu den überaus wenigen überlieferten und eigenhändig verfassten Selbstzeugnissen eines einfachen bezahlten Kriegsmannes der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. In der Regel gehörten die Söldner jener Zeit der illiteraten Schicht an und konnten sich deshalb schriftlich nicht äußern. Im Gegensatz etwa zu Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausens Simplicissimus handelt es sich beim Lebensbericht des anonym gebliebenen Söldners weder um große (Welt)Literatur, noch um eine (nachträglich) Sinn stiftende Darstellung. Vielmehr werden darin mit einer meist „von Sprödigkeit und Knappheit gekennzeichnete[n] Sprache“ (Krusenstjern 1999: 492) Ereignisse aus dem Leben eines glaubwürdigen Vertreters seiner Zunft geschildert. Es ist somit ein nicht zu unterschätzendes Zeugnis für die Betrachtung der Denk- und Empfindungsperspektive eines aktiv am großen Kriege Teilnehmenden, denn „es konserviert den Krieg als Beruf, Form und Ordnung“ (Burschel 1999: 185). Letztlich lebte der Autor davon, anderen Menschen in alltäglicher Ausübung Gewalt anzutun und innerhalb eines von ihm internalisierten kriegerischen Treibens vor extremen Daseinsbedingungen „funktions- und lebensfähig“ zu bleiben (Peters 1993a: 238). Für die (historische) Gewaltforschung sind seine Wahrnehmungen, Beschreibungen und Deutungen daher von größtem Interesse, lassen sie doch Charakterisierungen von Gewalt und Gewalttätern zu, die den fernen Raum der theoretischen Spielerei oder der politischen Vogelperspektive verlassen und eine verständige Behandlung dieses Themas von „unten“ her ermöglichen.
In dieser Arbeit nun soll eine solche Charakterisierung der Gewaltwahrnehmungen und -beschreibungen des unbekannten Söldners versucht werden, wie sie sich Dank seiner Tagebuchnotizen aus den 25 Kriegsjahren darstellen. Dabei ist zu erhellen, was dieser Mann (möglicherweise) als Gewalt thematisiert und auf welchem Wege er sie gerechtfertigt, lediglich beschrieben oder fundamental verinnerlicht hat. Ein solches Unterfangen kann jedoch nur erfolgreich sein, wenn man „seine Lebensweise auch als soziale Daseinsform“ erfasst (Peters 1993a: 236) und die Lebensumstände mitberücksichtigt, die einen Söldner im Dreißigjährigen Krieg prägten.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- I Das Tagebuch des Unbekannten Söldners – Ein populares Selbstzeugnis
- II potestas und violentia - Zum Gewaltbegriff des 17. Jahrhunderts
- III Zu Person und Lebenswelt des unbekannten Söldners
- IV. Die Gewaltbeschreibungen und -wahrnehmungen im Tagebuch
- IV.1 Gewalt im Umgang mit Kombattanten
- IV.2 Gewalt im Umgang mit Nichtkombattanten
- IV.3 Gewalt in der militärischen Disziplinierung
- IV.4 Weitere Gewaltdarstellungen
- IV.5 Betroffenheit über das Wirken von Gewalt
- IV.6 Der Umgang mit Tod und Körperschmerz
- Zusammenfassung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit setzt sich zum Ziel, die Gewaltwahrnehmungen und -beschreibungen eines unbekannten Söldners im Dreißigjährigen Krieg aus seinem Tagebuch zu analysieren. Dabei soll untersucht werden, wie dieser Mann Gewalt thematisiert, rechtfertigt oder verinnerlicht hat. Die Arbeit erforscht die Denk- und Empfindungsperspektive eines einfachen Kriegsmannes und untersucht, wie Gewalt in seiner Lebenswelt wahrgenommen wurde.
- Das Tagebuch als Quelle für die Analyse von Gewaltwahrnehmungen im 17. Jahrhundert
- Der Gewaltbegriff im 17. Jahrhundert und seine Anwendung im Kontext des Dreißigjährigen Krieges
- Die Lebenswelt eines Söldners im Dreißigjährigen Krieg und seine Prägung durch Gewalt
- Die verschiedenen Formen von Gewalt im Tagebuch: Gewalt im Umgang mit Kombattanten und Nichtkombattanten, Gewalt in der militärischen Disziplinierung, weitere Gewaltdarstellungen
- Die Betroffenheit des Söldners über das Wirken von Gewalt und sein Umgang mit Tod und Körperschmerz
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt das Tagebuch des unbekannten Söldners als einmalige Quelle dar, die Einblicke in die Lebenswelt eines einfachen Kriegsmannes bietet. Es wird die Bedeutung des Tagebuchs für die historische Gewaltforschung hervorgehoben. Das erste Kapitel beschäftigt sich mit dem Tagebuch als "popularem Selbstzeugnis" und untersucht seine Authentizität und seinen Wert als empirische Quelle. Das zweite Kapitel beleuchtet den Gewaltbegriff im 17. Jahrhundert und definiert den Begriff "potestas" und "violentia". Das dritte Kapitel widmet sich der Person und Lebenswelt des unbekannten Söldners, um seine Erfahrungen und seine Wahrnehmung der Welt besser zu verstehen. Im vierten Kapitel werden die verschiedenen Gewaltdarstellungen im Tagebuch analysiert. Es wird untersucht, wie der Söldner Gewalt im Umgang mit Kombattanten und Nichtkombattanten, in der militärischen Disziplinierung und in anderen Kontexten wahrgenommen und beschrieben hat. Das vierte Kapitel untersucht außerdem die Betroffenheit des Söldners über das Wirken von Gewalt und sein Umgang mit Tod und Körperschmerz.
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Schlüsselwörter und Themen der Arbeit sind: Gewalt, Dreißigjähriger Krieg, Söldner, Tagebuch, Selbstzeugnis, Gewaltwahrnehmung, Gewaltbeschreibung, historische Gewaltforschung, potestas, violentia, Lebenswelt, Kriegserfahrungen, Tod, Körperschmerz, Betroffenheit.
- Quote paper
- Dominik Jesse (Author), 2008, Der Dreißigjährige Krieg. Aus dem Tagebuch des unbekannten Söldners: „angezundet vndt lassen brenen“, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/88690