Der Wiener Kongress und die Beendigung des Sklavenhandels. Schritte, Gesetze, Umsetzung und Erfolg?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2020

22 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der Wiener Kongress – und die Frage des Sklavenhandels
2.1 Verhandlungen und politische/wirtschaftliche Manöver
2.2 Die Erklärung der Wiener Kongress Akte

3. Formalia und Legitimität
3.1 Wirkung & Konsequenzen
3.2 Die Bedeutung der Deklaration - Ein Dokument der Machtpolitik?

Fazit

Forschungsliteratur- und Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Die vorliegende Hausarbeit beschäftigt sich mit dem Oberthema des Wiener Kongresses, welcher zu den zu den markantesten Zäsuren der neueren deutschen Geschichte zählt. Im Zentrum der Hausarbeit steht dabei die dort verfasste Ächtungserklärung. Einzuordnen ist das gewählte Thema in den Bereich der Politik-, Rechts- und Verfassungsgeschichte, ferner fällt es durch die große Bandbreite der Betroffenen auch in das Spektrum der Sozialgeschichte. Die Hauptfrage dieser Hausarbeit beschäftigt sich konkret damit, ob der Wiener Kongress eine Zäsur in Bezug auf den Sklavenhandel war, oder nicht. Im zweiten Kapitel wird zunächst ein kurzer Einblick in die Vorgeschichte des Wiener Kongresses gegeben und die politische Lage in Europa kurz umrissen, um die Versammlung in Wien in den historischen Kontext einordnen zu können. Die Zusammenkunft in Wien ist das zentrale Ereignis, an dem alle wichtigen Staaten und Staatsmänner nach 20 Jahren Krieg zusammentreffen und eine Neuordnung Europas beschließen. Durch das Ausmaß großen Zusammenkommens der europäischen Staaten, ist es die Chance, grundlegende Fragen der Neuordnung zu klären, Diskussionspunkte aus dem Weg zu räumen und Verträge für die weitere Zusammenarbeit abzuschließen. Doch warum genau taucht hier die Frage des transatlantischen Sklavenhandels auf und wird dann zu einem zentralen Verhandlungsgegenstand?

Nach Klärung dieser Frage wird anschließend auf die Verhandlungen, deren Taktgeber die alliierten Mächte waren, eingegangen und herausgestellt, wer welches Anliegen und Position in der Frage des Sklavenhandels hatte und die Gründe dafür erläutert. Nachfolgend wird explizit auf die Erklärung, welche am 8. Februar 1815 unterzeichnet wurde, eingegangen. In dem dritten Kapitel der Arbeit soll anschließend geklärt werden, ob die Ächtungserklärung des Sklavenhandels auf dem Wiener Kongress überhaupt Einschränkungen für die Länder und deren Handel mit sich trug oder ob diese unterschwellig das Verbot umgingen. Des Weiteren wird untersucht, ob und inwieweit die staatlich angeordnete Kontrolle effektiv und zielführend war. Abschließend wird anhand der angestellten Überlegungen analysiert, welche Bedeutung die Deklaration und die Unterzeichnung dieser nach sich zog.

Gestützt wird die Arbeit auf Literatur von den deutschen Historikern Helmut Berding und Heinz Durchhardt, sowie dem amerikanischen Historiker Jerome Reich und weiteren. Ebenso wird Bezug auf die Literatur von dem Seminarleiter Fabian Klose genommen. Als Quellen dienen die Acten des Wiener Congresses, verfasst von dem badischen Staats­ und Kabinettsrat Johann Ludwig Klüber, welcher als Beamter seines Hofs für die gesamten Verhandlungen in Wien zugegen war. Weiterhin liefert der deutsche Völkerrechtler Max Fleischmann mit der ‚Declaration der Mächte über die Abschaffung des Negerhandels‘ einen wichtigen Beitrag zu den Quellen. Allgemein zählt die Abschaffung des Sklavenhandels in der Literatur des Völkerrechts „zu den folgenreichsten Ereignissen des Wiener Kongresses“1. Doch wie kann es sein, dass eine simple Ächtungserklärung, die nicht rechtsbindend ist, als solch ein Erfolg in der Geschichte des Völkerrechts dargestellt wird?

2. Der Wiener Kongress – und die Frage des Sklavenhandels

Der in Wien tagende Kongress, kann, aufgrund seiner Lokalität, als „Zufallsprodukt“2 angesehen werden, denn eigentlich hatten Russlands Kaiser Zar Alexander I., Kaiser Franz I. von Österreich und Preußens König Friedrich Wilhelm III. geplant das Zusammentreffen nach dem Sturz Bonapartes gleich in Paris abzuhalten.3 Aus Zeitgründen wurde jedoch hier nur der erste Pariser Friedensvertrag geschlossen, in dessen Schlussbestimmung festgehalten wurde, alle weiteren Entscheidungen auf einem Kongress in Wien zu treffen. Gastgeber dieses Kongresses war der österreichische Kaiser Franz I., sowie der österreichische Außenminister Clemens Fürst von Metternich4, dessen Amtssitz, das Palais am Ballhausplatz, zur Austragungsstätte der Verhandlungen wurde. Die Zahl der geladenen Gäste belief sich auf etwa 200 Vertreter, darunter 130 akkreditierte Abgesandte der europäischen Staaten, sowie Diplomaten und weitere Interessenvertreter5. Eröffnet wurde der ein dreiviertel Jahr andauernde Kongress im September 1814 und dauerte bis Juni 1815 an.6 Das Gremium dieser multinationalen Zusammenkunft bestand zuerst aus einem Vierer- (Russland, Österreich, Preußen, England), später dann aus einem Fünferausschuss (Frankreich).7 Um die nachfolgenden Gedanken und die Komplexität des Kongresses und der Frage des transatlantischen Menschenhandels verständlich zu machen, wird zuerst grob der Kontext und die Vorgeschichte des Wiener Kongresses erläutert. Der Sturz Napoleons am 11. April 1814 legte einen Grundstein für die Notwendigkeit einer Zusammenkunft der Großmächte. Das Zusammentreffen der Mächte, welches nach fünfundzwanzig Jahren geprägt von kriegerischen Auseinandersetzungen war, dessen Hauptverantwortlichkeit in den Augen der Alliierten bei Frankreich lag, war ohne Zweifel eine Grenzziehung gegenüber der französischen Regierung. So sollte Frankreich weder jetzt noch später gänzlich zerstört oder seine Landkarte auseinandergerissen werden, jedoch schien es von Nöten den Staat, nicht zuletzt als Machtdemonstration, in politische Schranken zu verweisen und eine stabile Neuordnung zu schaffen.8 Denn die Schließung des ersten Pariser Friedens am 30. Mai 1814, konnte die geopolitische Verwüstung nur marginal in Schach halten. Zwar war Großbritannien mit diesem Vertrag auf Frankreich zugegangen, doch das war nicht das einzige Problem in Europa. Seit der Niederlegung der Kaiserkrone, im Jahr 1806 durch Franz II., hatte das Heilige Römische Reich deutscher Nation aufgehört zu existieren9, was weitreichende, territoriale Fragen aufwarf. Zu weiteren Punkten auf der Tagesordnung zählten eine neue Verfassung für die Schweiz, die Gründung des neuen deutschen Staatenbundes, der anstelle des Heiligen Römische Reiches treten sollte, sowie Freiheit der Rheinschifffahrt.10 Auf diesem Gipfeltreffen der höchsten Güte, bei dem alle führenden Staatsmänner zusammen kommen, wird nun über die maßgebende geopolitische Neuordnung der europäischen Staaten verhandelt, ebenso kommt es zu einer Umgestaltung deren internationalen Beziehungen. Wie kam es also, dass auf dem Wiener Kongress die Sklavereifrage im Raum stand? Die britischen Abolitionisten üben solch einen enormen Druck aus und wollen den Moment des Kriegsendes dazu nutzen, ein universelles Verbot der Sklaverei durchzusetzen. Denn der „atlantische Sklavenhandel gehört zu den dunkelsten Kapiteln der neueren Geschichte“,11 daher ist es umso bedeutender, sich mit der Abschaffung und Eindämmung auseinander zu setzen. Über zehn Millionen Afrikaner wurden von Mitte des 15. Jahrhunderts bis Ende des 19. Jahrhundert aus ihrer Heimat vertrieben, gefangen und in die Kolonien verschifft.12 Sklaven wurden als Waren, als dinglich angesehen, die Humanität wurde ihnen vollends aberkannt. Das nachfolgende Kapitel wird die allgemeine Situation nach dem Moment des Kriegsendes genauer beleuchten, sowie auf die politischen Verhandlungen und den Versuch eingehen, Abolition auf internationaler Ebene allgemeingültig durchzusetzen. Was man in der Hast nicht klären konnte, nahm man mit nach Paris und regelte es im zweiten Pariser Friedensvertrag am 20. November 1815.13 Hier fallen zusätzlich die Umstände von Napoleons Flucht von Elba und die darauffolgenden Ereignisse ins Gewicht, die, samt ihrer Folgen, in Kapitel vier näher erläutert werden.

2.1 Verhandlungen und politische/wirtschaftliche Manöver

Taktgeber der Verhandlungen war Großbritannien, obwohl laut den ‚Wiener Congress Acten‘ der französische Außenminister Talleyrand in puncto Sklavenhandel das erste Wort hatte.14 Demnach soll eben dieser in der am 10. Dezember 1814 abgehaltenen Sitzung der akkreditierten acht Mächte als Erster seine Stimme erhoben und eine Achter Kommission zur Aufhebung des „trait de négres“15 gefordert haben.16 Laut den bis dahin verankerten Gesetzmäßigkeiten waren es, nach den Dänen 1805, dennoch die Briten, die im Jahr 1807 als erste maritime Großmacht den Handel mit Menschen national auf britischen Schiffen, sowie in britischen Kolonien verboten und damit als Initiator und Protagonist bezüglich der Abolition agierten. Ebenso setzte der britische Außenminister Castlereagh die Frage der Abolition auf die Besprechungshistorie des Wiener Kongresses.17 Diese Frage auf die Tagesordnung eines Kongresses solch einer herausragenden Güte zu setzen, kennzeichnet einen gewaltigen Mobilisierungsprozess.

Doch warum nahm sich ausgerechnet Großbritannien dieser Sache an? Seit der 1770er Jahren arbeitete das britische Königreich an einer Lösung, den transatlantischen Menschenhandel zu unterbinden. Als Initiatoren dessen gelten William Wilberforce, Thomas Clarkson und noch einige weitere Persönlichkeiten – die Abolitionisten formieren sich. Britische Politiker beider Parteien, die breite Masse, sowie Publizisten fordern alsbald die Abschaffung des Sklavenhandels und treiben die Abolitionsbewegung weiter positiv an.18

Zwar stellte der Sklavenhandel, zusammen mit der Kolonialwirtschaft eine tragende ökonomische Säule Großbritanniens dar, die durch den wirtschaftlichen Wandel allerdings in Schwanken geraten drohte.19 Dies ist anhand von drei Gründen zu verdeutlichen: Die britischen Zuckerplantagen in Westindien befanden sich in einer ökonomischen Absatzkrise. Zudem verschiebt sich durch die voranschreitende Industrialisierung in Großbritannien der wirtschaftliche Fokus des Landes: Es wird sich weniger auf den Import von Kolonialwaren konzentriert, sondern auf den Export von eigens hergestellten Industrieprodukten. Zuletzt sind die Briten die bis dato größte maritime Macht und usurpieren während der napoleonischen Kriegen die Kolonien von Frankreich, Spanien und den Niederlanden; ergo können sie dort ebenfalls über die Dauer des Krieges den Sklavenhandel verbieten.20 Nach Kriegsende hebt sich diese sogenannte „Kontinentalsperre“21 und das im Krieg geltende Prisenrecht auf, die Staaten erhalten ihren Kolonien zurück, die Nachfrage nach Kolonialprodukten steigt und somit auch die Nachfrage nach Sklaven und deren Handel. Dennoch liefern diese Geschehnisse die Grundvoraussetzungen für das schleichende Erliegend es transatlantischen Sklavenhandels. Für die Briten entsteht ein enormer Druck, weil ihnen bewusst ist, dass sie sich als Einzige dem Handel entziehen. Daher wollen sie die anderen Mächte mobilisieren, in der Frage des Sklavenhandels nachzuziehen. Durch die erneute Öffnung der Tore für den Zuckerhandel, ist die Nachfrage nach Sklaven, gerade auf Kuba, so groß wie eh und je, was für die Briten einen riesigen Wettbewerbsnachteil darstellt. Die Briten profitieren insofern von einem ganzheitlichen Verbot, als dass sie sich ansonsten der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den anderen Ländern entziehen würden. Diese könnten weiter Sklaven auf ihren Plantagen beschäftigen, während die Briten leer ausgehen. Wegbereitend für die Verhandlungen auf dem Wiener Kongress war für die Briten der 1807 von ihnen abgeschlossene Abolition Act, in dem drei Hauptschritte verankert waren:

1. Die Schiffe der Royal Navy dürfen illegal fahrende Sklavenschiffe aufbringen, Act somit als rechtliche Basis der Royal Navy22
2. Ausübung von diplomatischem Druck, um Sklavenhandel in anderen Ländern zu unterbinden
3. in den Tiefen der britischen Politik und dem Volk verankern, dass Abolition nun zur britischen Vorbildfunktion gehört und diese gepflegt werden müsse

Bis 1807 durfte Großbritannien also, da sie sich mit Frankreich im Krieg befanden französische Schiffe kontrollieren und aufbringen. In den Jahren 1812/13 herrschte ein Kriegszustand mit USA, weshalb dort ebenfalls vom Kriegsrecht (Prisenrecht) Gebrauch gemacht wurde und sich der Schiffe legal bemächtigt wurde. Ab Ende 1813 ist es den Briten jedoch nicht mehr erlaubt. Da der Krieg beendet ist, gilt nun auch das Prisenrecht nicht mehr und es wäre ein kriegerischer Akt gewesen auf andere Schiffe zu gehen und diese aufzubringen. Demzufolge musste Großbritannien eine andere Übereinkunft der Kontrolle mit den anderen Mächten abschließen. Seit der Abschaffung des Sklavenhandels in Großbritannien sind bis 1814 sieben Jahre vergangen. In diesem Zeitraum entwickelte sich die humanitäre „Massenbewegung“23 zu solch einer treibenden politischen Kraft, dass seitens der britischen Regierung kein Richtungswechsel mehr vollzogen werden konnte. Durch die relativ eng gesetzte politische Handlungsfähigkeit bot sich einzig die Flucht nach vorn und damit die Lösung, sämtliche weiteren Großmächte dazu zu bewegen, sich dem Verbot anzuschließen.24

Das diplomatische Ziel Großbritanniens war daher die vollständige Abolition. Da sich dies jedoch als schwierig erweist, versucht man durch das Abschließen einzelner bilateraler Verträge auf dem Wiener Kongress zu erreichen, dass sich die anderen Staaten, vorrangig Frankreich und die iberischen Mächte Spanien und Portugal, so gut es geht aus dem Sklavenhandelsgeschäft zurückziehen. Insgesamt waren fünf Sitzungen zur Klärung der Frage des Sklavenhandels notwendig. Am 16. Januar 1815 beschließt der britische Außenminister Lord Castlereagh, dass es kein Sonderkomitee geben soll, welches sich mit der Frage des Sklavenhandels auseinandersetzen muss. Es reiche, wenn bei einem Anliegen ein Abgesandter des jeweiligen Staates zu einem dafür angesetzten Treffen schicke. Deshalb schlägt er vor, das Anliegen des transatlantischen Sklavenhandels in vier Sondersitzungen zu klären und den Handel gänzlich abzuschaffen.25 Daraufhin lässt Fürst von Metternich in einer ja/nein Abstimmung über das Stattfinden der Sitzungen abstimmen, in der Spanien und Portugal mit ihren Gegenstimmen unterliegen und die Sondersitzungen einberufen werden.26 Ab der ersten Sitzung, die am 20. Januar 181527 tagte, waren die Briten durch Lord Castlereagh

Frankreich durch Talleyrand, Spanien durch den Diplomaten und Aristokraten Labrador, Portugal mit allen drei Gesandten Pedro de Sousa Holstein (Palmela), Saldanha und Lobo, Russland durch Außenminister Nesselrode und Schweden durch Minister Löwenhielm. Österreich war vorübergehend durch Binder, einem engen Mitarbeiter Metternichs vertreten. Ab der zweiten Sitzung nahm der österreichische Fürst von Metternich selbst teil. Das Protokoll wurde, wie bei den Achter Konferenzen auch, von Gentz, einem Berater Metternichs geführt.28 Bereits in der ersten Sitzung verlangt der britische Castlereagh jeder Nation ab, den Sklavenhandel mit sofortiger Wirkung zu beenden29. Talleyrand beteuert erneut, dass eine sofortige Abschaffung des Sklavenhandels in Frankreich unmöglich sei. Bereits am 5. November 1814 hatte Castlereagh Talleyrand den Vorschlag unterbreitet, den französischen Sklavenhandel zu unterbinden. Dieser lehnte britischen Antrag vehement ab, da weder die französischen Kolonien, noch die französische Öffentlichkeit bereit für die Abolition seien.30 Auf dem Wiener Kongress stellt sich der französiche Minister abermals gegen Großbritannien, mit der Begründung „that it was a matter of honor for the French not to have any conditions attached to the return of their colonies”.31 Doch für die Briten war es unverzichtbar, Frankreich als Verbündeten zu gewinnen, nicht zuletzt, um gegen die iberischen Mächte gestärkt hervortreten zu können. Schlussendlich schließt sich Frankreich sehr widerstrebend und weitestgehend aus strategischen Gründen dem Ziel der Briten an. Durch diese Nachgiebigkeit wollte Frankreich sich im Gegenzug den britischen Beistand sichern, um diesen als Pluspunkt für seine territorialen und politischen Interessen in Europa innezuhaben.32 Denn der französische Minister ist auf Unterstützung angewiesen um eine Deklaration zu bewirken, die Ferdinand IV. als König von Neapel anerkennt.33 Zwar konnte Frankreich nicht zum sofortigen Verzicht bewegt werden, Castlereagh erzielte aber eine fünf Jahres Frist, in welcher der französische Handel abzuschaffen sei. Auf weitere Zugeständnisse ließ Talleyrand sich nicht ein, höchstens wolle er eine Verkürzung der fünf Jahre in Betracht ziehen, wenn dies individuell von Frankreichs Seite aus umsetzbar sei. Doch Spanien und Portugal stellen Castlereagh vor ein neues Problem: Durch die wirtschaftliche Abhängigkeit und den guten Gewinn, den Spanien und Portugal mit ihren Überseekolonien erzielen konnten, befürchteten sie diesen Status, ohne die vorhandenen Arbeitskräfte, zu verlieren und wollten daher daran festhalten.34 „Man [Labrador] entgegnete Henry Wellesley35, dass wenn England ‚zwanzig Jahre‘ [1788-1807] zur Abschaffung des Sklavenhandels gebraucht hätte, es nur gerecht wäre, wenn auch Spanien die Zeit für einen reibungslosen Übergang zugestanden würde.“36 England hingegen hätte sich in den zwanzig Jahren einen regelrechten Vorrat an Sklaven verschafft. Spanien hätte diese Möglichkeit aufgrund der Kriegszustände und der Partizipation der spanischen Schiffe im Kampf gegen Napoleon nicht gehabt. Ansonsten würden sie, genau wie England, den Sklavenhandel direkt einstellen, seien so aber momentan von ihm wirtschaftlich abhängig.37 Sollte eine Grundsatzerklärung erreicht werden, solle diese unverbindlich sein, damit die wirtschaftlichen Interessen Spaniens und Portugals weiterhin bestehen können.38 Direkt auf die britische Seite schlugen sich hingegen Dänemark, die den Handel ohnehin seit 1805 verboten hatten, sowie Schweden und die Niederlande, die allesamt aber nur einen Bruchteil der sklavenhandelnden Masse ausmachten. Einmal zugestimmt, mussten sich die Staaten zudem beugen, dass ihre Flaggen nicht für illegalen Sklavenhandel verwendet werden, sei dies nun im Eigeninteresse oder als Verschleierungstaktik und Beihilfe.39

In der darauffolgenden Sitzung am 28. Januar 1815 versucht Castlereagh, zumindest den Sklavenhandel nördlich des Äquators zu unterbinden, wenn schon eine ganzheitliche Abschaffung nicht möglich sei.40 Problematisch erweist sich hierbei eine Aussage Palmelas, denn er hält den Sklavenhandel für „keinen Belang des Völkerrechts“.41 Ebenso vertritt Spanien die Ansicht, die Sache gehe nur die Mächte an, die Kolonien hatten und höchstens Mittlermächte, wie Österreich oder Russland, die den Sitzungen dann beiwohnen. Daher schlägt Palmela vor, das Sklavereiabkommen nur mit Mächten mit Überseekolonien zu verhandeln42, was aber zu keiner universell gültigen Übereinkunft geführt hätte. Castlereagh hingegen bezeichnet die Ächtung und das Verbot des Sklavenhandels als „Angelegenheit der gesamten Menschheit“43 und hält an seiner Zielsetzung fest. Weiterhin verstärkt Palmela seine Position, indem er zu bedenken gibt, dass Portugal gar nicht mit Sklaven handele, es sei lediglich ein Transport von der portugiesischen Kolonie in Westafrika nach Brasilien – dies sei nur eine Beförderung von Menschen von einem Teil des Reiches in einen anderen.44 Da Portugal in den napoleonischen Kriegen allerdings ein Verbündeter Großbritanniens war, sind die Briten der anderen Macht jedoch noch gut gesinnt. Portugal ist nach den napoleonischen Kriegen bankrott und hängt an den Gebieten, die aus Großbritannien kommen. Damit hat Castlereagh das ultimative Druckmittel, warum sie den Portugiesen einen Kredit gewähren und nach den Kriegen Entschädigung für aufgebrachte portugiesische Sklavenschiffe zahlen – damit haben die beiden Mächte einen Deal. Somit zahlt Großbritannien 300.000 britische Pfund an Portugal, als Entschädigung für beschlagnahmte Sklavenschiffe45 und kauft ihnen somit die Zustimmung ab, da sie wissen, dass diese dringend Fregatten benötigen, um gegen die atlantischen Revolutionen in ihren Kolonien vorzugehen. Die Motivation, die ebenfalls ein Einlenken Spaniens bewirkt, ist gleichen Ursprungs. Die Spanier sind, aufgrund ihrer befürchteten kolonialen Einbußen, nicht erfreut sich beugen zu müssen, allerdings brauchten auch sie Geld, um ihrerseits die atlantische Revolution vorwärtszubringen. Zwar scheitert, dieser Versuch später, da sie marode Schiffe von Russland kaufen, die sie dann nie einsetzen, jedoch reicht es für Großbritannien aus, um die zweite iberische Macht auf ihre Seite zu ziehen. Der spanische Bevollmächtigter Pedro Labrador will die ihm gesetzte Frist von acht Jahren bis Abschaffung einhalten, ist aber, genau wie die anderen Mächte, gegen eine weitere Verkürzung der Deadline.46 Die Gründe, warum nach der langen Zeit des Handels auf dem Atlantik eine juristische Aufarbeitung so essentiell ist, werden erst in den Folgen der Wiener Sitzungen deutlich. Großbritannien versucht, den Sklavenhandel zur Piraterie zu erklären. Wäre dies geschehen, hätte man einen großen Vorteil gehabt, denn so ist der Handel zwar auf der Nordhalbkugel verboten, auf der Südhalbkugel aber weiterhin (unter bestimmten Voraussetzungen, siehe Kapitel 3.1) erlaubt. Aufgrund der ihnen zugestandenen Fristen konnte der Sklavenhandel in Frankreich noch fünf und in den iberischen Mächten noch acht weitere Jahre fortgesetzt werden. Nach Ablauf dieser Frist waren die Staaten lediglich nur verpflichtet, dem Handel nördlich des Äquators zu entsagen.47 Diese Verwirrung und Abschließung solch einzelner Verträge hätte man umgehen können, wenn sich alle Verhandlungspartner direkt dem Willen Castlereaghs und damit auch dem der Abolitionisten gebeugt hätten. Jetzt versucht die britische Regierung sich Stück für Stück an ihr diplomatisches Ziel heranzuarbeiten und Schadenbegrenzung zu betreiben, indem sie verschiedene Gebiete festzulegt, in denen der Handel verboten ist. Es ist nicht verwunderlich, dass die in Wien abgeschlossenen Verträge relativ schnell ausgebaut werden. Denn beispielsweise Portugal besitzt hauptsächlich westafrikanische Kolonien (heutiges Angola) und transportiert seine Sklaven nach Brasilien, was bedeutet, dass sie eigentlich überhaupt nicht eingeschränkt sind, da beide Gebiete geografisch südlich des Äquators liegen. Seinem Ziel ein vermeintlich großes Stück näher versucht Castlereagh weiterhin ein universelles völkerrechtliches Verbot für alle Staaten durchzusetzen, damit durch Kolonialbesitz und ähnliches keine gesetzlichen Schlupflöcher mehr bestehen bleiben. Wie gerade an diesen politischen Manövern aufgezeigt werden kann, hat die Grundlage der zu Wien abgeschlossenen Deklaration zuerst weniger mit Humanität, sondern mit außenpolitischen Vorteilen zu tun.

[...]


1 Berding, Helmut, Die Ächtung des Sklavenhandels auf dem Wiener Kongress 1814/15, in: Historische Zeitschrift 219/2 (Oktober 1974), S. 266.

2 Durchhardt, Heinz,Der Wiener Kongress,München 2013, S.15.

3 Vgl. Durchhardt, Der Wiener Kongress, S.15.

4 Vgl. Widmer, Paul, Das Konzert der Grossen. Der Wiener Kongress, die Diplomatie und die Neugestaltung Europas vor zweihundert Jahren, in: Neue Züricher Zeitung, 22. März 2014.

5 Vgl. Olechowski, Thomas/Mazohl, Brigitte et al., Der Wiener Kongress 1814/15, Wien 2015, S.21.

6 Vgl. Olechowski, Der Wiener Kongress 1814/15, S.7.

7 Vgl. Widmer, Das Konzert der Grossen.

8 Vgl. Lentz, Thierry, 1815. Der Wiener Kongress und die Neugründung Europas, München 2014, S. 9

9 Durchhardt, Der Wiener Kongress, S.15.

10 Durchhardt, der wiener Kongress, S. 10.

11 Berding, Die Ächtung des Sklavenhandels, S. 18

12 Berding, Die Ächtung des Sklavenhandels, S. 18.

13 Widmer, Das Konzert der Grossen.

14 Vgl. Klüber, Johann Ludwig (Hrsg.), Acten des Wiener Congresses in den Jahren 1814 und 1815, Bd. 8, Erlangen 1818, S. 518.

15 Stauber, Reinhard, Der Wiener Kongress, Wien et al. 2014, S. 74.

16 Vgl. Wiener Congress Acten, S. 518; Stauber, Der Wiener Kongress, S. 74.

17 Vgl. Berding, Die Ächtung des Sklavenhandels, S. 273.

18 Vgl. Berding, Die Ächtung des Sklavenhandels, S. 274.

19 Grundlegend dafür waren auch der 1806 von James Stephens initiierte ‚Foreign Slave Trave Act‘, der bereits etwa 70% des britischen Sklavenhandels unterband. Die letzten Überbleibsel wurden dann 1807 mit dem Abolition Act beseitigt, der jedoch kein Menschenrechtsdokument darstellt, da sich das Gesetz immer noch an der Logik des Handelsrechts orientiert, was darin deutlich wird, dass für die aufgebrachten Sklaven Prisengeld bezahlt wird und die Preise, je nach Mann, Frau und Kind gestaffelt betrachtet werden.

20 Vgl. Berding, Die Ächtung des Sklavenhandels, S.276.

21 Berding, Die Ächtung des Sklavenhandels, S.276.

22 Vgl. Klose, Fabian, „To maintain the law of nature and of nations“ – Der Wiener Kongress und die Ursprünge der humanitären Intervention, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht, Jhg. 65, H. 3/4, März-April 2014, S. 221.

23 Vgl. Durchhard, Heinz/Wischmeyer, Johannes, Der Wiener Kongress - eine kirchenpolitische Zäsur?, Göttingen 2013, S.193.

24 Vgl. Dies. Ebd.; Vgl. Reich, Jerome, The Slave Trade at the Congress of Vienna. A Study in English Public Opinion, in: The Journal of Negro History, Vol. 53, No. 2, Chicago 1968, zit. n. Talleyrand, S. 135: “[…] the slave trade question had ‘become for the English people a passion carried to fanaticism and one which the ministry is no longer at liberty to check’ ”.

25 Vgl. Reich, The Slave Trade, S. 137.

26 Vgl. Stauber, Der Wiener Kongress, S. 74.

27 Vgl. Reich, The Slave Trade, S. 137.

28 Vgl. Stauber, Der Wiener Kongress, S. 74f.

29 Vgl. Reich, The Slave Trade, S. 137.

30 Reich, The Slave Trade, S. 153.

31 Reich, The Slave Trade, S. 130, vgl. Klose, To maintain the law, S. 223; Castlereagh will die Abschaffung des Sklavenhandels als Bedingung für die Rückgabe der Kolonien an Frankreich durchsetzen (Wilberforce, Life of William Wilberforce, S. 172).

32 Durchhard/Wischmeyer S.193

33 Vgl. Stauber, Der Wiener Kongress, S. 158.

34 Berding, Die Ächtung des Sklavenhandels, S.279.

35 Britischer Bevollmächtigter unter Castlereagh und Teilnehmer an der Sitzung.

36 Lentz, 1815, S. 325; vgl. Rie, Robert, Der Wiener Kongress und das Völkerrecht, Bonn 1957, S. 129.

37 Vgl. Rie, Der Wiener Kongress, S. 128f.

38 Olechowski, Der Wiener Kongress 1814/15, S. 162 / vgl. Böttcher, Winfried, Die “Neuordner” Europas beim Wiener Kongress 1814/1815, Baden Baden 2017, S.209.

39 Vgl. Reich, The Slave Trade, S. 132.

40 vgl. Reich, The Slave Trade, S. 138.

41 Olechowski, Der Wiener Kongress 1814/15, S. 165.

42 Böttcher, Die “Neuordner” Europas, S. 206.

43 Wiener Congress Acten, S. 518.

44 Vgl. Böttcher, Die “Neuordner” Europas, S. 207.

45 vgl. Reich, The Slave Trade, S. 138.

46 Böttcher, Die “Neuordner” Europas, S. 206.

47 Berding, Die Ächtung des Sklavenhandels, S.277.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Der Wiener Kongress und die Beendigung des Sklavenhandels. Schritte, Gesetze, Umsetzung und Erfolg?
Hochschule
Universität zu Köln
Note
2,3
Autor
Jahr
2020
Seiten
22
Katalognummer
V888985
ISBN (eBook)
9783346194589
ISBN (Buch)
9783346194596
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Wiener Kongress, Sklavenhandel, Transatlantischer Sklavenhandel, Wiener Congress Acte
Arbeit zitieren
Freda Jansen (Autor:in), 2020, Der Wiener Kongress und die Beendigung des Sklavenhandels. Schritte, Gesetze, Umsetzung und Erfolg?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/888985

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