Im Proömium zum Agricola lehnt sich Tacitus eng an die Tradition der antiken Geschichtsschreibung, indem er sowohl die Beschäftigung mit der Geschichte an sich als auch die Auswahl seines Themas darin rechtfertigt. Im Zuge dieser Rechtfertigung formuliert er gleich im ersten Satz folgenden Anspruch aus: Clarorum virorum facta moresque posteris tradere. Mit welcher Begründung aber stellt Tacitus Agricola in eine Reihe mit berühmten Männern, sind doch anderweitige literarische sowie nichtliterarische Zeugnisse über ihn spärlich bis nicht vorhanden? Welche Taten hat dieser in seinen Augen vollbracht und welche Sitten an den Tag gelegt, um sie der Überlieferung für wert zu erachten? In Hinblick auf seine Taten, auf deren Betrachtung sich diese Arbeit konzentrieren wird, ist die Antwort schnell gefunden. Tacitus sieht in Agricola den endgültigen Bezwinger Britanniens. Diese militärische Leistung dient dem Verfasser, ungeachtet des bereits 30 Jahre bestehenden Provinzstatus Britanniens, sowohl als Leitmotiv als auch Berechtigung für seine Biographie. Kann diese Behauptung einer kritischen historischen Überprüfung standhalten und inwieweit ist eine solche Prüfung überhaupt möglich?
Ziel ist es nun mit Focus auf die Textsequenz 24-26 - ohne das Gesamtwerk aus dem Blick zu verlieren - herauszuarbeiten, was für ein Bild Tacitus von Agricola als Britannieneroberer kreiert und wie er darüber hinaus seine Qualitäten als Offizier im Allgemeinen darstellt, um dieses Bild im Folgenden einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. Wie weit kann man der taciteischen Darstellung folgen und in Agricola einen überdurchschnittlichen Heerführer sehen? Was gilt als gesichert? Was bleibt im Dunkeln? Die Textfassung, die dieser Arbeit zugrunde liegt, folgt mit einer Ausnahme der angegebenen textkritischen Oxfordausgabe von 1975. Auch deren Sigla werden hier verwendet. Die Ausnahme findet sich in Abschnitt 25, 3, in dem das auch von Heubner bevorzugte castellum die bei Oglivie geführte Lesart castella ersetzt. Heubners Argumentation, dass für die aufkommende Panik die Bestürmung eines Kastells ausreiche und darüber hinaus nicht von einem für den Angriff auf mehrere Kastelle notwendigen Offensivplan auszugehen sei, ist in diesem Fall schlüssiger. Auch im Zusammenhang mit magno paratu, maiore fama lässt sich vermuten, dass Tacitus eine stärkere Betonung der Feigheit beabsichtigte, was wiederum den Singular stützt.
Inhaltverzeichnis
1. Einleitung
2. Interpretation der Textsequenz
2.1. Skandierung
2.2. Übersetzung
2.3. Historischer Kontext
2.4. Stellung im Werk
2.5. Die militärische Leistung Agricolas
2.5.1. Die taciteische Darstellung und Wirkung
2.5.1.1. Agricola - der Eroberer Britanniens?
2.5.1.2. Agricola – ein herausragender Heerführer?
2.5.2. Beurteilung
3. Fazit
Literatur
Textausgaben und Kommentare
Sekundärliteratur
1. Einleitung
Im Proömium zum Agricola lehnt sich Tacitus eng an die Tradition der antiken Geschichtsschreibung[1], indem er sowohl die Beschäftigung mit der Geschichte an sich als auch die Auswahl seines Themas darin rechtfertigt. Im Zuge dieser Rechtfertigung formuliert er gleich im ersten Satz folgenden Anspruch aus: Clarorum virorum facta moresque posteris tradere.[2] Mit welcher Begründung aber stellt Tacitus Agricola in eine Reihe mit berühmten Männern, sind doch anderweitige literarische sowie nichtliterarische Zeugnisse über ihn spärlich bis nicht vorhanden? Welche Taten hat dieser in seinen Augen vollbracht und welche Sitten an den Tag gelegt, um sie der Überlieferung für wert zu erachten? In Hinblick auf seine Taten, auf deren Betrachtung sich diese Arbeit konzentrieren wird, ist die Antwort schnell gefunden. Tacitus sieht in Agricola den endgültigen Bezwinger Britanniens.[3] Diese militärische Leistung dient dem Verfasser, ungeachtet des bereits 30 Jahre bestehenden Provinzstatus Britanniens, sowohl als Leitmotiv als auch Berechtigung für seine Biographie.[4] Kann diese Behauptung einer kritischen historischen Überprüfung standhalten und inwieweit ist eine solche Prüfung überhaupt möglich?
Ziel ist es nun mit Focus auf die Textsequenz 24-26 - ohne das Gesamtwerk aus dem Blick zu verlieren - herauszuarbeiten, was für ein Bild Tacitus von Agricola als Britannieneroberer kreiert und wie er darüber hinaus seine Qualitäten als Offizier im Allgemeinen darstellt, um dieses Bild im Folgenden einer kritischen Betrachtung zu unterziehen. Wie weit kann man der taciteischen Darstellung folgen und in Agricola einen überdurchschnittlichen Heerführer sehen? Was gilt als gesichert? Was bleibt im Dunkeln?
2. Interpretation der Textsequenz 24-26
Die Textfassung, die dieser Arbeit zugrunde liegt, folgt mit einer Ausnahme der angegebenen textkritischen Oxfordausgabe von 1975.[5] Auch deren Sigla werden hier verwendet. Die Ausnahme findet sich in Abschnitt 25, 3, in dem das auch von Heubner bevorzugte castellum[6] die bei Oglivie geführte Lesart castella ersetzt. Heubners Argumentation, dass für die aufkommende Panik die Bestürmung eines Kastells ausreiche und darüber hinaus nicht von einem für den Angriff auf mehrere Kastelle notwendigen Offensivplan auszugehen sei, ist in diesem Fall schlüssiger. Auch im Zusammenhang mit magno paratu, maiore fama lässt sich vermuten, dass Tacitus eine stärkere Betonung der Feigheit beabsichtigte, was wiederum den Singular stützt. Da castellum zudem sowohl grammatikalisch unproblematisch und in Verbindung mit adoriri belegt ist[7] als auch der Überlieferungsstrang E möglich ist, wird es in dieser Textfassung verwendet.
2.1. Skandierung
24 (1) Quinto expeditionum anno nave prima transgressus ignotas ad id tempus gentes crebris simul ac prosperis proeliis domuit; eamque partem Britanniae quae Hiberniam aspicit copiis instruxit, in spem magis quam ob formidinem, si quidem Hibernia medio inter Britanniam atque Hispaniam sita et Gallico quoque mari opportuna valentissimam imperii partem magnis in vicem usibus miscuerit. (2) spatium eius, si Britannae comparetur, angustius nostri maris insulas superat. solum caelumque et ingenia cultusque hominum haud multum a Britannia differunt; [in] melius aditus portusque per commercia et negotiatores cogniti. Agricola expulsum seditione domestica unum ex regulis gentis exceperat ac specie amicitiae in occassionem retinebat. (3) saepe ex eo audivi legione una et modicis auxiliis debellari obtinerique Hiberniam posse; idque etiam adversus Britanniam profuturum, si Romana ubique arma et velut e conspectu libertas tolleretur.
25 (1) Ceterum aestate, qua sextum officii annum incohabat, amplexus civitates trans Bodotriam sitas, quia motus universarum ultra gentium et infesta hostili exercitu itinera timebantur, portus classe exploravit; quae ab Agricola primum adsumpta in partem virium sequebatur egregia specie, cum simul terra, simul mari bellum impelleretur, ac saepe iisdem castris pedes equesque et nauticus miles mixti copiis et laetitia sua quisque facta, suos casus adtollerent, ac modo silvarum ac montium profunda, modo tempestatum ac fluctuum adversa, hinc terra et hostis, hinc victus Oceanus militari iactantia compararentur. (2) Britannos quoque, ut ex captivis audiebatur, visa classis obstupefaciebat, tamquam aperto maris sui secreto ultimum victis perfugium clauderetur. (3) ad manus et arma conversi Caledoniam incolentes populi magno paratu, maiore fama, uti mos est de ignotis, oppugnare ultro castellum adorti, metum ut provocantes addiderant; regrediendumque citra Bodotriam et cedendum potius quam pellerentur ignavi specie prudentium admonebant, cum interim cognoscit hostis pluribus agminibus inrupturos. (4) ac ne superante numero et peritia locorum circumiretur, diviso et ipse in tres partes exercitu incessit.
26 (1) Quod ubi cognitum hosti, mutato repente consilio universi nonam legionem ut maxime invalidam nocte adgressi, inter somnum ac trepidationem caesis vigilibus inrupere. iamque in ipsis castris pugnabatur, cum Agricola iter hostium ab exploratoribus edoctus et vestigiis insecutus, velocissimos equitum peditumque adsultare tergis pugnantium iubet, mox ab universis adici clamorem; et propinqua luce fulsere signa. (2) ita ancipiti malo territi Britanni; et nonanis rediit animus, ac securi pro salute de gloria certabant. ultro quin etiam erupere, et fuit atrox in ipsis portarum angustiis proelium, donec pulsi hostes, utroque exercitu certante, his, ut tulisse opem, illis, ne eguisse auxilio viderentur. quod nisi paludes et silvae fugientes texissent, debellatum illa victoria foret.
2.2. Übersetzung
24 (1) Im fünften Jahr der Feldzüge setzte er mit dem Feldherrenschiff über und besiegte zu dieser Zeit noch unbekannte Stämme in zahlreichen erfolgreichen Gefechten. Den Teil Britanniens, der nach Irland blickt, belegte er mit Truppen, mehr in Hoffnung denn aus Furcht, weil nämlich Irland, das mitten zwischen Britannien und Spanien liegt und auch vom gallischen Meer aus günstig zu erreichen ist, den stärksten Teil des Reiches zu großem allseitigem Nutzen miteinander verbinden würde. (2) Sein Umfang ist, verglichen mit Britannien geringer, übertrifft aber den der Mittelmeerinseln. Wetter und Boden wie auch Art und Lebensweise der Menschen unterscheiden sich nicht sehr von Britannien. Die Zugänge und Häfen sind ziemlich bekannt durch den Handelsverkehr und Kaufleute. Agricola hatte einen der kleinen Könige dieses Volkes, der durch einen Aufstand im eigenen Land vertrieben worden war, aufgenommen und sparte sich ihn unter dem Anschein von Freundschaft für eine günstige Gelegenheit auf. (3) Ich habe oft von ihm gehört, dass Irland mit nur einer Legion und nicht allzu großen Hilfstruppen bezwungen und behauptet werden könne. Und das werde auch gegen Britannien von Nutzen sein, wenn römische Waffen überall und die Freiheit gleichwie aus dem Blickfeld geschaffen würde.
25 (1) In dem Sommer dann, in dem er sein sechstes Amtsjahr antrat, schloss er die jenseits der Bodotria lebenden Stämme in seine Unternehmungen ein, und weil ein allgemeiner Aufstand der jenseitigen Stämme sowie durch ein feindliches Heer gefährliche Marschrouten gefürchtet wurden, kundschaftete er mit der Flotte die Häfen aus. Diese, von Agricola erstmals als ein Teil der Streitkräfte eingesetzt, begleitete ihn, und es war ein vortrefflicher Anblick, als der Krieg gleichzeitig zu Wasser und zu Lande vorwärts getrieben wurde und die häufig im gleichen Lager untergebrachten Infanteristen, Kavalleristen und Marinesoldaten Rationen und Frohsinn einander teilend, oder mit Taten ? und Abenteuern prahlten. Bald wurden die Tiefe der Wälder und Gebirge, bald die Widrigkeiten der Stürme und Fluten, von den einen das Land und der Feind, von den anderen das überwundene Meer in der den Soldaten eigenen Prahlerei miteinander verglichen. (2) Auch die Britannier versetzte, wie er von Kriegsgefangenen erfuhr, der Anblick der Flotte in Entsetzen, gleichwie durch die Zugänglichkeit ihres abseitigen Meeres im Falle einer Niederlage die letzte Fluchtmöglichkeit versperrt sein würde. (3) Die in Kaledonien ansässigen Völker entschlossen sich zum Kampf und mit großen Streitkräften, und noch größerem Gerücht, wie es bei unbekannten Dingen immer der Fall ist, begannen sie von sich aus ein Kastell zu belagern. Panik verbreiten sie, indem sie die Initiative an sich gerissen hatten. Man müsse sich hinter die Bodotria zurückziehen und lieber weichen, als dass man vertrieben werde, rieten die Feiglinge, Weisheit vortäuschend. Agricola erfuhr jedoch zwischenzeitlich, dass der Feind im Begriff sei, mit mehr als einer Kolonne einzufallen. (4) Und damit er nicht infolge ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit und ihrer besseren Ortskenntnis umgangen wird?, setzte er sein Heer, nachdem er es auch seinerseits in drei Teile geteilt hatte, in Marsch.
[...]
[1] Jason 1964, 72.
[2] Tac. Agr. 1, 1
[3] Tac. Agr. 10, 1
[4] Nesselhauf 1952, 224 f.
[5] Winterbottom, M./Oglivie 1975.
[6] Heubner 1984, 79-80.
[7] Liv. 35, 51, 8
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