Der Mode-Katalog von Diesel zeigt sich aufgrund seiner Gestaltung nicht nur den postmodernen Kommunikationsbedingungen gewachsen, sondern integriert einen zentralen Punkt der postmodernen Theoriebildung, nämlich Baudrillards Simulationstheorie. Dies geschieht dadurch, dass die Mode in einer simulierten Welt nach der Klimakatastrophe präsentiert wird. Legt nun dieses Zusammenfallen eine besondere Verbindung zwischen Postmoderne und Mode nahe oder stellt Diesel mit seinem Katalog eine Ausnahme dar? Ersteres scheint der Fall zu sein, denn sonst würde Gail Faurschou nicht bereits 1988 feststellen, dass Mode zu der „commodity ‚par exellence’“ der Postmoderne geworden ist; sonst würde Baudrillard der Mode kein ganzes Kapitel in „Der symbolische Tausch und der Tod widmen“ , um die spezifischen Bedingungen des Modediskurses als Merkmal der eigenen Zeit zu exponieren. Die strukturelle Affinität zwischen Postmoderne und Mode widerlegt somit die Annahme, dass Diesel in seinem Katalog rein zufällig die Simulation als gestalterisches Prinzip einbinden könnte. Wenn also diese direkte Verbindung zwischen Mode und Postmoderne existiert, so ließe sich nun hier im konkreten Fall fragen, inwiefern es Überschneidungen und Analogien zwischen Baudrillards Simulationstheorie und dem „World’s coolest Hotspots Guide“ gibt. Welche Theoreme der Simulation finden sich also in einem unter postmodernen Vorzeichen konzipierten Modekatalog des Jahres 2007 wieder? Um dies herauszufinden, stelle ich zuerst die Grundzüge der Simulationstheorie vor, um sie daraufhin mit dem Diesel-Katalog abzugleichen. Dabei soll jedoch nicht die Frage aufgeworfen werden, ob der Katalog die Theorie ausschließlich illustriert oder veranschaulicht, was von einer Medienvergessenheit zeugen würde, sondern welchen werberelevanten Mehrwert Diesel durch das simulatorische Gestaltungsprinzip des Katalogs erzielen kann. Ein solcher Versuch kommt einer exemplarischen Auswertung einer postmodernen Kommunikationsstrategie der Werbung gleich, die ebenfalls darüber Auskunft gibt, wie heute über Mode gesprochen werden kann bzw. muss.
Inhaltsverzeichnis:
1. Die Mode und die Postmoderne: eine postmoderne Mode?
2. Baudrillards Simulationstheorie
3. „Cross the boarder – close the gap“: „World’s coolest Hotspot Guide“ und die Simulationstheorie
4. Simulierter Erfolg oder Erfolg der Simulation?
5. Bibliographie:
1. Die Mode und die Postmoderne: eine postmoderne Mode?
„Der Mode entkommt man nicht.
Denn auch wenn Mode aus der Mode kommt,
ist das schon wieder Mode.“[1]
Karl Lagerfeld
New York unter Wasser, London eine Insel, Papageie auf dem Markusplatz und mittendrin junge Models, die ihren hedonistischen Freizeitbeschäftigungen nachgehen: so präsentiert die italienische Modefirma Diesel ihre Frühjahr/Sommer-Kollektion 2007 in einem Katalog, der den Titel „World’s coolest Hotspots Guide“ trägt. Dieser Katalog führt den Leser mit allerlei nützlichen Tipps an äußerst prominente Reiseziele in der ganzen Welt, die jedoch eine deutliche Differenz zu den real existierenden Orten aufweisen: die Welt im Diesel -Katalog ist bereits von den tief greifenden Auswirkungen der globalen Erwärmung unmittelbar betroffen. Die Aufwendigkeit und Stringenz der Inszenierung von Mode deuten dabei auf ein zeitgenössisches Spannungsfeld hin, das unter der Bedingung massenmedialer Kommunikation noch verschärft wird. Einerseits will bzw. muss die Firma Diesel ihre Produkte, sprich ihre Kollektion, in der Öffentlichkeit kommunizieren, andererseits jedoch besteht sowohl im Mode-Diskurs als auch in der massenmedialen Kommunikation nicht nur ein Glaubwürdigkeits-, sondern auch ein Evidenzmangel auf Seiten der Rezipienten. Der Glaubwürdigkeitsmangel rührt von der Verabschiedung einer modernen, vom Avantgardismus geprägten Kommunikation her, der eine unschuldige Eigentlichkeit[2] im Sprechakt innewohnt. Auf die Werbung übertragen bedeutet dies, dass das Herausstellen der positiven Eigenschaften des Produktes genügte, um es erfolgreich verkaufen zu können. In dem Moment jedoch, in dem diese Form der Kommunikation durch die Fortschreibung des Diskurses auf ihrer eigenen Metaebene angelangt ist, wenn sich die Signifikanten nicht mehr auf Signifikate, sondern auf weitere Signifikanten beziehen, kann nun nicht mehr in dieser rhetorischen Eigentlichkeit das Produkt beworben werden.[3] Was Umberto Eco programmatisch für die Kunst beschreibt, potenziert sich innerhalb der massenmedialen Kommunikation der Werbung durch den bereits angedeuteten Evidenzmangel, also einem Verlust an Überzeugungskraft:
Wenn es zutrifft, dass die massenmediale Kommunikation konstitutiv zwischen Vertrauen und Verdacht oszilliert, dann wird erstens deutlich: der Evidenzmangel ist im Vergleich zu einer Kommunikation unter Anwesenden verschärft, und zweitens: rhetorische Strategien müssen eingesetzt werden, um mit dem Evidenzmangel umgehen zu können.[4]
Diese beiden Bedingungen, der postmoderne Verlust der Unschuld des Sprechens sowie der akute Evidenzmangel massenmedialer Kommunikation, lassen die Firma Diesel, die ja über ihren Produkten unmöglich den Mantel des Schweigens ausbreiten kann, zu einer „rhetorischen Strategie“ greifen, die keineswegs auf Sprache beschränkt ist, um dennoch über ihre Kollektion sprechen zu können. Unter den erschwerten Kommunikationsbedingungen der Postmoderne bedient sich Diesel zur Steigerung von Glaubwürdigkeit und Authentizität seiner Werbung eines Vorgangs, der nach Jean Baudrillard für die Postmoderne selbst kennzeichnend ist: die Simulation. Der Mode-Katalog von Diesel zeigt sich aufgrund seiner Gestaltung, die in Kapitel 3 noch genauer besprochen werden wird, nicht nur den postmodernen Kommunikationsbedingungen gewachsen, sondern integriert einen zentralen Punkt der postmodernen Theoriebildung.[5] Legt nun dieses Zusammenfallen eine besondere Verbindung zwischen Postmoderne und Mode nahe oder stellt Diesel mit seinem Katalog eine Ausnahme dar? Ersteres scheint der Fall zu sein, denn sonst würde Gail Faurschou nicht bereits 1988 feststellen, dass Mode zu der „commodity ‚par exellence’“[6] der Postmoderne geworden ist; sonst würde Baudrillard der Mode kein ganzes Kapitel in „Der symbolische Tausch und der Tod widmen“[7], um die spezifischen Bedingungen des Modediskurses als Merkmal der eigenen Zeit zu exponieren. Gäbe es diese Verbindung nicht, würde sich Jennifer Craik in den 90er Jahren nicht zu dieser Formel verleiten lassen: „Fashion is the perfect foil for a world of fragmented and incommensurate identities and personae, offering a dynamic procession of free-floating signs and symbolic exchanges.“[8] Die strukturelle Affinität zwischen Postmoderne und Mode widerlegt somit die Annahme, dass Diesel in seinem Katalog rein zufällig die Simulation als gestalterisches Prinzip einbinden könnte. Wenn also diese direkte Verbindung zwischen Mode und Postmoderne existiert, so ließe sich nun hier im konkreten Fall fragen, inwiefern es Überschneidungen und Analogien zwischen Baudrillards Simulationstheorie und dem „World’s coolest Hotspots Guide“ gibt. Welche Theoreme der Simulation finden sich also in einem unter postmodernen Vorzeichen konzipierten Modekatalog des Jahres 2007 wieder? Um dies herauszufinden, stelle ich zuerst die Grundzüge der Simulationstheorie vor, um sie daraufhin mit dem Diesel -Katalog abzugleichen. Dabei soll jedoch nicht die Frage aufgeworfen werden, ob der Katalog die Theorie ausschließlich illustriert oder veranschaulicht, was von einer Medienvergessenheit zeugen würde, sondern welchen werberelevanten Mehrwert Diesel durch das simulatorische Gestaltungsprinzip des Katalogs erzielen kann. Ein solcher Versuch kommt einer exemplarischen Auswertung einer postmodernen Kommunikationsstrategie der Werbung gleich, die ebenfalls darüber Auskunft gibt, wie heute über Mode gesprochen werden kann bzw. muss, je nachdem ob man sich an ein älteres oder ein junges, d. h. postmodernes Publikum wendet.
2. Baudrillards Simulationstheorie
Der französische Soziologe und Medienwissenschaftler Jean Baudrillard entwickelte ab Mitte der 70er Jahre in mehreren Schriften seine Theorie der Simulation, um damit die sich verändernden Wirklichkeitsbedingungen in industrialisierten Gesellschaften zu beschreiben. Ausgangspunkt für die Theorie ist die verstärkte Medialisierung dieser Gesellschaften, die nur auf der Grundlage komplexer werdender Informations- und Kommunikationstechnik bei gleichzeitiger Reduktion der Nutzungsanforderungen an den Rezipienten vonstatten gehen konnte. Dadurch ist die Wirklichkeitskonstruktion dieser Gesellschaften zunehmend (massen-)medial vermittelt und erfolgt nicht mehr im unmittelbaren Austausch von Individuen. Zwischen diese schieben sich nun die hoch technisierten Dispositive der Massenmedien. Erst daraus ergibt sich der zentrale Stellenwert der Medien innerhalb Baudrillards Theorie, da diese nun in einem vorher nie da gewesen Ausmaß das Verständnis und das Wissen über Wirklichkeit bedingen. In dieser epistemologischen Disposition liegt die theoretische Möglichkeit einer horizontalen Verbreitung von Wissen und Bedeutung innerhalb einer Gesellschaft, die dadurch im Sinne der Aufklärung zu einer Perfektionierung ihres Wissens und damit einer Teleologie des Geistes gelangen würde. Baudrillard zufolge bewirken die technisierten Dispositive jedoch genau das Gegenteil, nämlich den Verlust an Bedeutung:
There is a rigorous and necessary correlation between the two [information and meaning, F. D.], to the extent that information is directly destructive of meaning and signifycation, or that it neutralizes them. The loss of meaning is directly linked to the dissolving, dissuasive action of information, the media and the mass media.[9]
Die Annahme, dass die verstärkte Medialisierung zu einer aufgeklärteren Gesellschaft führe, denunziert Baudrillard als Mythos und leitet daraus den Kollaps sozialer Organisationsformen ab, „because where we think that information produces meaning, the opposite occurs.“[10] Die massenmedialen Dispositive befördern also keineswegs eine Zunahme an Bedeutung, sondern tilgen im Gegenteil diese aus der Gesellschaft zugunsten eines Prozesses der Selbstreferentialisierung der Medien: „Rather than creating communication, it [information, F. D.] exhausts itself in the act of staging communication.“[11] Am Ende dieses Kommunikationsprozesses, dessen Qualität der Öffentlichkeit verborgen bleibt, wird keine tatsächliche Information mehr übermittelt, sondern nur noch ein Diskurs über Informationsvermittlung geführt, da keine metaphysische Instanz mehr für den Sinn hinter den Zeichen bürgt.[12] Diese Selbstfixierung führt nun nach Baudrillard zu einer „Implosion der Bedeutung“[13] innerhalb des Mediums. Die technischen Dispositive neutralisierten die Bedeutung in einem solchen Ausmaß, dass das Reale „in a sort of hyperreal nebula“[14] verschwinde. Zurück bleibt die Vortäuschung von Realität, welche jedoch die Referenz zur tatsächlichen Realität verloren habe. Diese Trugbilder bezeichnet Baudrillard als Simulakren, den Prozess der Evokation als Simulation. Nun unterliegt er jedoch nicht der Versuchung, die Simulakren als Neuerung des Medienzeitalters darzustellen, sondern entwirft eine historische Abfolge der Simulakren, die sich folgendermaßen darstellt: die erste Stufe stelle die „Imitation“ dar, die von der Renaissance bis zur französischen Revolution vorherrschend gewesen sei. Daran anschließend folge das Zeitalter der „Produktion“ des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, das schließlich in der Phase der „Simulation“ des ausgehenden 20. Jahrhunderts münde.[15] Die Merkmale und Konsequenzen des „bestimmende[n] Schema[s] der gegenwärtigen Phase“[16] versucht Baudrillard in seinen Texten nun genauer zu bestimmen. Die zentrale These bildet dabei den bereits angedeuteten Verlust des Realen, das Verschwinden des Referenten zu einer den medialen Dispositiven vorrangigen Realität. Die Simulation beziehe sich nicht mehr auf „ein referentielles Wesen oder auf eine Substanz“, sondern bediene sich „verschiedener Modelle zur Generierung eines Realen ohne Ursprung oder Realität“[17]. Während in den ersten beiden Phasen, der Imitation und der Produktion, noch eine deutliche Verweisstruktur zu einer Realität existiert[18], so löscht die Phase der Simulation diese aus und geht in einer von der Metaphysik entleerten Selbstbezüglichkeit auf. Die Zeiten der Imitation und der Produktion, für die die Unterscheidung zwischen Original und Kopie sowie die Serialität von Bedeutung sind, werden von einer Zeit abgelöst, in der die allumfassende Simulation ohne göttliche Sinnzuschreibung „in einem ununterbrochenen Kreislauf ohne Referenz und Umfang“[19] waltet. Die Folie, auf der sich die Simulation entwickelt, bildet also nicht mehr die Realität, sondern das Modell, selbst eine Simulation, die bereits von der Realität abstrahiert ist. Realität selbst kommt nur noch vermittelt über Zeichen vor:
Es geht nicht mehr um die Imitation, um die Verdopplung oder um die Parodie. Es geht um die Substituierung des Realen durch Zeichen des Realen, d. h. um eine dissuative Operation, um die Dissuasion realer Prozesse durch ihre operative Verdopplung.[20]
[...]
[1] http://www.zitate.de/detail-kategorie-6777.htm, 21.08.2007.
[2] Diese Eigentlichkeit impliziert die Annahme, dass das Gesagte mit seiner tradierten Bedeutung übereinstimmt und auch genauso vom Rezipienten verstanden werden kann. Unter postmodernen Bedingungen jedoch verflüchtigt sich das Äquivalenzprinzip zwischen Signifikant und Signifikat aufgrund der Aporie einer finalen, d. h. metaphysischen Sinnzuschreibung und führt zu einer Krise der Legitimation des Wissens, vgl. Norbert Bolz: Chaos und Simulation, München 1998, S. 104f.
[3] Vgl. Umberto Eco: Postmodernismus, Ironie und Vergnügen, in: Wolfgang Welsch (Hg.): Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion, Weinheim 1988, S. 76: „Es kommt jedoch der Moment, da die Avantgarde (also die Moderne) nicht mehr weitergehen kann, weil sie inzwischen eine Metasprache hervorgebracht hat […]. Die postmoderne Antwort auf die Moderne besteht in der Einsicht und Anerkennung, daß die Vergangenheit, nachdem sie nun einmal nicht zerstört werden kann, da ihre Zerstörung zum Schweigen führt, auf neue Weise ins Auge gefaßt werden muß: mit Ironie, ohne Unschuld.“
[4] Almut Todorow, Sven Grampp, Bernd Schmid-Ruhe: Medien unter Verdacht. Selbstreflexivität als Glaubwürdigkeitsstrategie, in: Aleida Assmann u. a. (Hgg.): Zwischen Literatur und Anthropologie. Diskurse, Medien, Performanzen, Tübingen 2005, S. 207.
[5] Vgl. zur Theoriebildung der Postmoderne: Wolfgang Welsch (Hg.): Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion, Weinheim 1988.
[6] Gail Faurschou: Fashion and the Cultural Logic of Postmodernity, in: Arthur und Marilouise Kroker (Hgg.): Body Invaders. Sexuality and the Postmodern Condition, Houndmills 1988, S. 82.
[7] Jean Baudrillard: Der symbolische Tausch und der Tod, München 1991, S. 131-152.
[8] Jennifer Craik: The Face of Fashion. Cultural Studies in Fashion, London 1996, S. 8. Vgl. dazu Ewa Borkowska: The ‘Culture’ of Simulation, in: Wojciech H. Kalaga, Tadeusz Rachwal (Hgg.): Signs of culture: simulacra and the real, Frankfurt a. M. 2000, S. 94.
[9] Jean Baudrillard: Simulacra and Simulation, Michigan 1994, S. 79.
[10] Ebd. S. 80.
[11] Ebd. S. 80.
[12] Vgl. Jean Baudrillard: Agonie des Realen, Berlin 1978, S. 14: „Im gesamten (abendländischen) Glauben hat man gewettet, daß Zeichen stets nur auf die Tiefe eines Sinns verweisen und sich gegen den Sinn austauschen lassen – wobei jemand als Bürge in diesem Tausch auftritt – natürlich Gott. Doch wie, wenn sich Gott selbst auf Zeichen reduzieren ließe? Wie, wenn man in der Lage wäre, IHN zu simulieren?“
[13] Vgl. ebd. S. 82.
[14] Ebd. S. 82.
[15] Zur Ordnung der Simulakren vgl. Jean Baudrillard: Der symbolische Tausch und der Tod, a. a. O., S. 79.
[16] Ebd. S. 79.
[17] Jean Baudrillard: Agonie des Realen, a. a. O., S. 7.
[18] Vgl. Jean Baudrillard: Der symbolische Tausch und der Tod, a. a. O., S. 87f.
[19] Jean Baudrillard: Agonie des Realen, a. a. O., S. 14.
[20] Ebd. S. 9.
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