Der Genie-Gedanke in der Literatur des Sturm und Drang und der Romantik. Zu Robert Schneiders "Schlafes Bruder" und Christa Wolfs "Der Schatten eines Traumes"


Diplomarbeit, 2006

132 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1 Einleitung

2 Der Genie-Gedanke im Sturm und Drang
2.1 Ausgangssituation - Der Genie-Gedanke vor dem Sturm und Drang
2.1.1 Johann Christoph Gottsched
2.1.2 „Die Schweizer“: Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger
2.1.3 Gotthold Ephraim Lessing
2.2 Der Sturm und Drang in Deutschland
2.2.1 Charakter der neuen literarischen Bewegung
2.2.1.1 Zeitlicher Hintergrund
2.2.1.2 Die Stürmer und Dränger
2.2.1.3 Die Revolte der Stürmer und Dränger
2.2.2 Die Wegbereiter des Sturm und Drang und ihr Einfluss auf den Genie-Gedanken dieser Zeit
2.2.2.1 Europäische Wegbereiter
2.2.2.1.1 Anthony Ashley Cooper – 3. Earl of Shaftesbury
2.2.2.1.2 Edward Young
2.2.2.1.3 Jean Jacques Rousseau
2.2.2.2 Deutsche Wegbereiter
2.2.2.2.1 Friedrich Gottlieb Klopstock - Die Rangerhöhung des Dichters und der Dichtkunst
2.2.2.2.2 Johann Georg Hamann
2.2.2.2.3 Johann Gottfried Herder
2.3 Der junge Goethe
2.3.1 Kunstreligion und religiöse Verehrung des Genies
2.3.2 Der moderne Kunstbetrachter
2.3.3 Goethes Hymnen - dichterischer Höhepunkt der Geniezeit
2.3.4 Das Vorbild William Shakespeare
2.3.5 Das Genie in Goethes „Die Leiden des jungen Werthers“
2.4 Zusammenfassung: Der Genie-Gedanke im Sturm und Drang - Das Originalgenie

3 Robert Schneider „Schlafes Bruder“
3.1 Johannes Elias Alder als Genie
3.2 Johannes Elias Alder - Originalgenie des Sturm und Drang?
3.2.1 Dichter vs. Musiker
3.2.2 Gefühl vs. Vernunft
3.2.3 Natur
3.2.4 Regellosigkeit
3.2.5 Das Gottesbild
3.2.6 Autonomie und Subjektivität
3.2.7 Hamanns Genie-Gedanke
3.2.8 Vergleich mit Goethes „Die Leiden des jungen Werthers“
3.3 Robert Schneiders Held - Konstruktion eines Sturm- und Drang-Genies?

4 Der Genie-Gedanke in der Romantik
4.1 Die Epoche
4.2 Wegbereiter der Romantik und ihr Einfluss auf den Genie-Gedanken
4.2.1 Immanuel Kant
4.2.2 Johann Gottlieb Fichte
4.2.3 Friedrich Wilhelm Schelling
4.3 August Wilhelm und Friedrich Schlegel
4.4 E.T.A. Hoffmann
4.5 Zusammenfassung: Der Genie-Gedanke in der Romantik

5 Christa Wolf „Der Schatten eines Traumes“
5.1 Das „weibliche Genie“ - Frauen in der Romantik
5.2 Karoline von Günderrode - das romantische Genie?

6 Schlusswort

7 Literaturverzeichnis

Erklärung

1 Einleitung

„Seit wohl 10 000 Jahren weiß der Mensch um das „cogito, ergo sum“, das heißt, er ist sich seiner Stellung sowohl zur Umwelt bewußt wie zum Gestern und zum Morgen, er hat ein Bewußtsein von sich selbst und wird damit zur Persönlichkeit. Und wenn in einem Exemplar dieser Gattung Mensch höchste Persönlichkeitswerte im Sinne von Ethos und Scientia gekoppelt sind, so spricht die Menschheit seit etwa 2500 Jahren von einem Genie.“[1]

Dieses Zitat spiegelt meines Erachtens die Bedeutung des Genie-Begriffs wider. Unabhängig von Zeitalter, Disziplinen, Einzelmenschen als auch ganzen Nationen und Völkern spielt dieser Begriff als Persönlichkeitsideal und Vorbild zur Nachahmung eine bedeutende Rolle. Weiter dient die Genie-Verehrung für den rational denkenden Kulturmenschen als Ersatz für die verloren gegangene Religion und damit als eine Art Rechtfertigung für das menschliche Dasein, seinen Zweck und das Ziel seiner Entwicklung. Wilhelm Lange-Eichbaum und Wolfram Kurth bezeichnen den Genie-Begriff als einen „ausgesprochen europäischen Begriff“[2], da zu seiner Entwicklung eine ganz bestimmte kultur- und geistesgeschichtliche Grundhaltung erforderlich ist. Seinen Ursprung hat der Genie-Begriff in der Mythologie und Religion der Antike. Das Wort „Genie“ leitet sich her aus „ingenium“, dem natürlichen und angeborenen Talent, und aus „genius“, dem Schutzgeist. Als beste deutsche Übersetzung von „Genie“ gilt der Begriff „Geist“.[3] Auch die Brüder Jakob und Wilhelm Grimm, setzen in ihrem „Deutschen Wörterbuch“ den Geist gleich spiritus, anima, mens und genius.[4] In der späteren Antike geht man davon aus, dass jeder Mensch bei seiner Geburt einen Genius - Schutzgeist - erhält, der sein ideales Ich und sein Schicksal repräsentiert. Ebenso haben Nationen, Städte und Legionen ihren eigenen Genius. Der Genius gilt also als ein übersinnliches Wesen, welches zwischen Gottheit und Menschen steht und Einfluss auf das Leben des Menschen ausübt. Jeder Mensch besitzt einen guten und einen quälenden Schutzgeist. Der moderne Genie-Begriff hat laut Lange-Eichbaum und Kurth zwei Wurzeln: auf der einen Seite die Lehre von der Gottbesessenheit (Enthusiasmus) und auf der anderen Seite die Lehre von der angeborenen Begabung (ingenium). Diese lässt sich nochmals auf vier Unterpunkte zurückführen: Antiker Dämon und Genius, inspirierender Dämon der Dichter, angeborene Anlage (ingenium) aller Menschen und hervorragende, besonders irrationale Anlage der hervorragenden Menschen.[5] Nur sehr zögerlich geht der Begriff „genius“ um die Mitte des 16. Jahrhunderts „als Personifikation der individuellen Eigenart“[6] in den allgemeinen Sprachgebrauch über. Die Bedeutung des Wortes im heutigen Sinne, nach der der Ausdruck „Genius“ einen Mensch mit einer unbegreiflichen, mystisch-göttlichen Schöpferkraft bezeichnet, entwickelt sich erst in der Barockzeit um 1650. Seinen Höhepunkt erreicht der Genie-Begriff im 18. Jahrhundert. Geprägt einerseits durch ein gesteigertes Gefühlsleben, vertreten vor allem durch die Stürmer und Dränger und andererseits durch die gegensätzliche Bewegung des gesteigerten Vernunftdenkens der Aufklärer und Rationalisten. Es bilden sich zwei Hauptrichtungen der Genie-Theorien heraus: „das Genie als Mysterium, eine Offenbarung des Metaphysischen, Göttlichen“[7] und „die Richtung des kritischen Verstandes, der aufkommenden Soziologie, Naturwissenschaft und Medizin“[8], welche das Genie „seines mystischen Gewandes entkleidet“[9]. Dem ersten Strang lassen sich die Genie-Theorien Shaftesburys, die der Stürmer und Dränger und auch der Romantiker zuordnen, während der zweite Strang für die Theorien Gottscheds und seiner Anhänger charakteristisch ist. Es bildet sich in der Welt der Literaten und Künstler ein neuer Begriff des Genius heraus, welcher dementsprechend auch nur in diesen Kreisen verwendet wird. Der Genie-Gedanke durchläuft in dieser Zeit eine Wandlung von der religiösen oder theologisch-philosophischen Vorstellung, hin zum ästhetischen und mystischen Wertbegriff.[10] Die Geschichte des Genie-Gedankens steht in direktem Zusammenhang zur literaturästhetischen Entwicklung des 18. Jahrhunderts, der Geniezeit. Dies wird durch viele Literaturabhandlungen zu diesem Thema deutlich.

Wie Jochen Schmidt in seinem aktuellen Werk über den Genie-Gedanken betont, steht das 18. Jahrhundert aber nur für den Anfang einer „viel weiterreichenden Gedankengeschichte“[11] des Genie-Gedankens. Die Entwicklung des Genie-Begriffs weist starke Wechselbeziehungen mit der Philosophie und der Politik auf, welche „keine strikt fachliche Reduktion“[12] zulassen. Besonders der Sturm und Drang und die Romantik haben weitreichenden Einfluss auf den Genie-Gedanken und seine heutige Bedeutung. Entstanden aus der politischen und gesellschaftlichen Enge der Zeit, bilden sich in beiden Fällen Gruppierungen junger Poeten heraus, welche für die Autonomie und regellose Entfaltungsfreiheit, vor allem des Künstlers, aber auch des menschlichen Ichs allgemein kämpfen. Das Genie - und hier, wie später noch näher behandelt wird, ausschließlich das männliche Genie - ist eine Person mit überragender schöpferischer Geisteskraft, welche sich vollkommen autonom und subjektiv, ohne Orientierung an traditionellen Normen oder Regeln in ihrem Kunstwerk verwirklicht.

Der in diesen Epochen geprägte Begriff des Genies dient im Laufe der Literaturgeschichte vielen Autoren als Motivation für ihre Werke. Helden mit genialen Fähigkeiten, Dichtergenies aber auch allgemein Künstlerfiguren jeglicher Art bevölkern die moderne Literatur. Dabei spielt es keine Rolle, ob das jeweilige Genie tatsächlich als solches gesehen werden kann oder nur ein verkanntes, verkümmertes oder auch gescheitertes Genie ist. Die Vorstellung und gleichzeitig der Konflikt der Fähigkeit Leistungen zu erbringen, welche ein normaler Mensch auch mit viel Anstrengung nicht hoffen kann zu erreichen, fasziniert die literarische Welt seit jeher und begründet auch meine Motivation zu dieser Arbeit.

Anhand Roberts Schneiders Roman „Schlafes Bruder“ und Christa Wolfs Essay „Der Schatten eines Traumes“ soll der Transfer von der Vorstellung des Genie-Gedankens im Sturm und Drang bzw. in der Romantik auf zeitgenössische Literatur exemplarisch vorgenommen werden. Es soll untersucht werden, inwieweit sich die beiden Autoren an der Genie-Konzeption der jeweiligen Epoche orientiert haben und aus welchem Motiv heraus, dieser Rückgriff resultiert haben könnte. Dabei wird jedes literarische Werk nur einer Epoche zugewiesen: „Schlafes Bruder“ dem Sturm und Drang und „Der Schatten eines Traumes“ der Romantik. Um die theoretische Grundlage zu diesen Untersuchungen zu schaffen, wird zunächst der Genie-Gedanke in beiden Epochen herausgearbeitet. Voraus geht außerdem ein kurzer Überblick über den Begriff des Genies vor dem Sturm und Drang. Die jeweilige Epoche der Literaturgeschichte wird zunächst allgemein beschrieben, um dann das Augenmerk gezielt auf den Genie-Gedanken und seine Entwicklung zu richten. Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt dabei auf dem Sturm und Drang. Parallelen in der Entwicklung des Genie-Gedankens des Sturm und Drang finden sich auch in der Romantik. Diese Übereinstimmungen werden im Kapitel Romantik und der Untersuchung des Essays von Christa Wolf aufgezeigt, jedoch nicht gleichwertig ausführlich behandelt. Notwendigerweise ist in diesem Zusammenhang ungleich die Frage nach der Existenz des „weiblichen Genies“ zu stellen.

Die Themenstellung ist speziell auf die Betrachtung des Genie-Paradigmas in der deutschen Literatur eingegrenzt. Daher finden die für die einzelnen Epochen wichtigsten europäischen Wegbereiter, ihre Philosophien und Werke nur kurz Erwähnung. Als Basis für die theoretischen Betrachtungen dient in erster Linie das 2004 in zweiter Auflage erschienene Werk „Die Geschichte des Genie-Gedankens in der deutschen Literatur, Philosophie und Politik 1750-1945“ in zwei Bänden von Jochen Schmidt. Nicht hauptsächlich die systematischen Definitionen des isolierten Genie-Begriffs stehen[13] im Mittelpunkt, sondern vor allem die für den Genie-Gedanken und seine Entwicklung wesentlichen Faktoren wie Politik, Philosophie und Gesellschaftskritik. Methodischer Ansatz ist daraus resultierend ein hermeneutisches Verfahren, im Gegensatz zum positivistischen Aussondern von Belegen, wie in älteren literarischen Werken zum Genie-Gedanken typisch. Auf die eng an Schmidt orientierte Betrachtung des Genie-Paradigmas im Sturm und Drang und der Romantik, folgt jeweils direkt im Anschluss die Untersuchung des zeitgenössischen literarischen Werkes. Hierbei entstammt ein großer Teil der Kapitel eigener Interpretation, ohne Anspruch auf Vollständigkeit der Darstellungen, da die Komplexität des Themas Einschränkungen notwendig macht. Gerade auch der Vergleich der literarischen Werke mit weiteren Werken, wie z.B. in Kapitel 3.2.8 der Vergleich von „Schlafes Bruder“ mit Goethes „Die Leiden des jungen Werthers“, stellt im Hinblick auf das Werk Goethes keine vollständige Behandlung dar. Es werden lediglich Aspekte der Genie-Konzeption in Goethes „Werther“ herausgearbeitet und mit dementsprechenden Gesichtspunkten des Helden in Robert Schneiders Roman in Verbindung gebracht. Auf detaillierte Inhaltsangaben sowie Biographien der beiden Autoren, Robert Schneider und Christa Wolf wird verzichtet, um den Fokus auf die Kernaspekte der Themenstellung nicht aus den Augen zu verlieren. Wissenschaftliche Werke, welche als Sekundärliteratur gedient haben, und oftmals auch weiterführende Gedanken zum Thema, deren weitere Ausführung im Rahmen dieser Arbeit leider nicht möglich war, sind in den Fußnoten der jeweiligen Kapiteln angeführt. Eine ausführliche Zusammenstellung aller in dieser Arbeit genannten Werke findet sich im letzten Kapitel.

2 Der Genie-Gedanke im Sturm und Drang

2.1 Ausgangssituation - Der Genie-Gedanke vor dem Sturm und Drang

2.1.1 Johann Christoph Gottsched

Der 1700 in Ostpreußen geborene Professor der Philosophie und Dichtkunst wird oft aus der Perspektive Lessings als Pedant und trockener Schulmeister gesehen. Doch kann seine extreme Haltung nur richtig verstanden werden, wenn man sie als Gegenreaktion auf die ebenfalls extreme Stilrichtung des Barock begreift. Als Repräsentant der frühen Aufklärung wendet sich Gottsched im Namen rationaler Klarheit gegen das barocke Formideal. Er markiert die scharfe Grenze zwischen dem Literaturbarock und der beginnenden Aufklärung. Mit seinem 1730 erschienen Hauptwerk „Versuch einer kritischen Dichtkunst für die Deutschen“ kämpft er für strikte rationale Kontrolle, Vernunft, Verstand und Urteil und stellt damit ein eindrucksvolles Beispiel für den unbegrenzten Glauben der Frühaufklärer an die Vernunft dar.[14] Sein Ausgangspunkt ist vor allem, dass Dichtung in erster Linie nützen und gefallen sollte. Die ideale Form, die dieses verbindet ist für ihn die Fabel. Ganz im Sinne des Rationalismus will Gottsched auf Grund der Vernunft Regeln aufstellen. Dabei fordert er eine literarische Zucht nach dem Vorbild des französischen Rationalismus. Er empfiehlt das strenge, sich mit zweifelhaftem Recht auf Aristoteles berufende Regelsystem, wie es in der französischen Literatur des 17. Jahrhunderts kultiviert worden war.[15] Damit richtet sich Gottsched natürlich gleichzeitig gegen alles, wofür später im Sturm und Drang gekämpft wird, vor allem die Phantasie, damit die schöpferische Freiheit und alles Individuelle. Seine Methoden sind zwar geeignet, den „poetologisch angewandten Wildwuchs“[16] und den „Schwulst“[17] des Barock zu beseitigen, gleichzeitig bedeuteten sie aber eine Verarmung.

Gottsched ist für die Genie-Bewegung der Repräsentant der Gegenwelt.[18] Im Gegensatz zum Dichter der späteren Genie-Konzeption, der naturhaft und emotional arbeitet, konzipiert er den „poeta doctus“, den Dichter als gelehrten Vielwisser, der sein Wissen gekonnt kombiniert. Für ihn steht der rational kombinierte „Witz“ als produktives Vermögen im Vordergrund.[19] Anstoß daran nehmen bereits „die Schweizer“ Bodmer und Breitinger, Lessing und schließlich, ganz radikal, die Stürmer und Dränger. Nach und nach wird der Spielraum der schöpferischen Phantasie, die Darstellung der Empfindungen und das individuelle Leben Stück für Stück erweitert.

2.1.2 „Die Schweizer“: Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger

Bodmer und Breitinger, sowie ihre Anhänger, zu denen auch Klopstock zählt, sind absolute Gegner Gottscheds und dessen starren Regelsystems. Sie leiten die ersten Schritte auf dem Weg vom rigorosen Regelkonzept und dem von Vernunft, Moral und Geschmack bestimmten Bild des Dichters hin zum autonom und frei schaffenden Genie.

Dabei entwickeln Bodmer und Breitinger kaum mehr als Ansätze, doch wirken diese bis hin zu Klopstock und dem Beginn der eigentlichen Geniezeit. Die Schweizer sehen in der Natur im Gegensatz zu Gottsched weniger ein logisch strukturiertes Ordnungsgefüge, als einen psychologisch wirksamen Bereich lebendiger Erfahrungen.[20] Sie relativieren die von Gottsched so stark vertretene Rationalität und räumen dem „Wunderbaren“ und der „Einbildungskraft“ einen hohen Stellenwert ein. Damit bereiten sie bereits den Weg für die „Phantasie“ und das irrational-subjektive Schaffen, welches später im Sturm und Drang im Zentrum der Genie-Konzeption steht. Statt der rationalen steht nun die emotionale Wirkung im Mittelpunkt der Poesie. Dichtung soll nicht nur Verwundern und Erstaunen, sondern vor allem Gefühle erregen. Die „Einbildungskraft“ wird in der Nachfolge Bodmers und Breitingers für Jahre zu einem Zentralbegriff der ästhetischen Diskussion. Sie bildet das Grundvermögen des autonom aus sich heraus schaffenden Genies. Dem „Wunderbaren“ schreiben Bodmer und Breitinger etwas Göttliches, Großes, Außerordentliches und Leidenschaftliches zu.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Schweizer einen Poesiebegriff schaffen, bei dem Dichtung nicht mehr nur nach feststehenden Regeln und Mustern von einem rational und nach gutem Geschmack arbeitenden Poeten gemacht wird, sondern bei dem Dichtung aus der Subjektivität bzw. dem bewegten Inneren des genialen Dichters entsteht. Des Weiteren spricht sich Breitinger ausdrücklich gegen die schulmäßig mechanische Rhetorik aus. Er empfiehlt, die „schläfrige Schreibart durch kunstreiche Rhetorik“[21] anzufeuern. Dies ist der Beginn der Entstehung einer neuen Rhetorik, welche später im Stil des Sturm und Drang gipfelt.

2.1.3 Gotthold Ephraim Lessing

Lessings Genie-Begriff ist nicht so stark rationalisiert wie der Gottscheds. Bei ihm ist das Genie nicht mehr bloß gelehrt und verfährt nicht mehr nur rational kombinierend wie der „witzige Kopf“[22], sondern es orientiert sich an der Natur - allerdings der vernunftmäßigen Natur. Wie Jochen Schmidt betont, besteht der Unterschied zwischen Gottsched und Lessing einzig darin, dass Gottsched sich äußerer Regeln bedienen will, um rationale Klarheit in die Dichtung zu bringen, während Lessing dem Genie die intuitive Verwirklichung dessen zutraut, was das Regelsystem bloß äußerlich arrangieren will.[23] Lessing grenzt das Genie von Gottscheds „poeta doctus“ ab. Für ihn ist derjenige ein Genie, der logisch und mit moralischer Absicht verfährt. Dabei ist es dem Genie „vergönnt, tausend Dinge nicht zu wissen, die jeder Schulknabe weiß; nicht der erworbene Vorrat seines Gedächtnisses, sondern das, was es aus sich selbst, aus seinem eigenen Gefühl, hervorzubringen vermag, macht seinen Reichtum aus“[24].

Mit dieser Ablösung des „poeta doctus“ durch das Genie geht auch zumindest eine Vorform der Ablösung des rein auf Gelehrsamkeit und Regelkompetenz vertrauenden Kunstrichters einher. An dessen Stelle tritt ein mit einem besonderen Sensorium ausgestatteter Kunst- und Literaturkritiker oder ein entsprechend erlebnisfähiger Laie.[25]

In der Folge werden nun nicht mehr nur gelehrte Abhandlungen zu literarischen Werken verfasst, sondern auch lockere, feuilletonistische Artikel, welche z.B. als Literaturbriefe bezeichnet werden. Die Geniezeit lehnt sich später im Namen schöpferischer Individualität ebenfalls gegen die auf die Einhaltung der Regeln fixierte Kunstkritik und die entsprechend arbeitenden Kunstkritiker auf.

2.2 Der Sturm und Drang in Deutschland

2.2.1 Charakter der neuen literarischen Bewegung

2.2.1.1 Zeitlicher Hintergrund

Das 18. Jahrhundert ist politisch vor allem durch immer weiter fortschreitende Aufklärung geprägt. Trotzdem herrschen auch im letzten Drittel des Jahrhunderts, der Zeit des Sturm und Drang, in Deutschland aufgeklärter Absolutismus und Ständegesellschaft. Das Bürgertum steht weiterhin in Verwaltung und Erziehung im Dienste der Fürsten und ist in Handel und Wirtschaft größtenteils erfolgreich. Der Emanzipationsprozess der Aufklärung ist bereits fortgeschritten und hat u.a. eine literarische Öffentlichkeit geschaffen, aufklärerisches Gedankengut verbreitet und ein kritisches Bewusstsein entwickelt. Durch erbrachte Leistungen auf allen Gebieten steigert sich das Selbstbewusstsein der Bürger, sie dürfen dichten und denken, selbständiges politisches Handeln allerdings gestattet man ihnen nicht. Nach wie vor ist das Bürgertum von der Teilnahme an der politischen Macht ausgeschlossen. Während Lessing in Hamburg um das Deutsche Nationaltheater kämpft, Wieland in Erfurt den „Goldenen Spiegel“ schreibt und Lichtenberg in Göttingen seine „Sudelhefte“ führt, meldet sich nun die junge Generation zu Wort. Als Vorkämpfer der neuen Literaturbewegung wendet sie sich scharf gegen das aufklärerische Glücksstreben, das Nützlichkeitsdenken, den Rationalismus und somit gegen die etablierte Dichtergeneration und ihre klassizistische Poetik. Sie fühlt sich eingeengt durch die bestehenden gesellschaftlichen Konventionen und geistig-literarischen Zustände. Die jungen Literaten drängen zum Aufbruch. Dabei fühlen sie sich durch das Drama von Friedrich Maximilian Klinger mit dem Titel „Sturm und Drang“ treffend selbst charakterisiert und finden so den passenden Namen für ihre Bewegung.

2.2.1.2 Die Stürmer und Dränger

Die meisten Stürmer und Dränger stammen ihrer Herkunft nach aus dem Kleinbürgertum und den noch darunterliegenden Schichten. Für viele ist es nur sehr schwer möglich, sich aus dem Milieu ihrer Herkunft zu lösen. Der angestrebte soziale Aufstieg ist nicht selten mit vielen Entbehrungen und entwürdigender finanzieller Abhängigkeit verbunden. Manche geraten in Konflikt mit ihrem Elternhaus und verdienen ihren kärglichen Lebensunterhalt als Hauslehrer, wo ihnen die tiefe Kluft zwischen ihrem weiten geistigen Horizont und ihrer niedrigen sozialen Stellung umso schmerzlicher bewusst wird. Die um die Jahrhundertwende Geborenen haben meist an den Universitäten der Miniaturstaaten studiert und fühlen sich unfrei durch die noch immer vorhandene Feudalordnung. „Sie [sehnen] sich danach, dem dumpfen kleinbürgerlichen Leben zu entrinnen.“[26] Geprägt durch die bedrückenden Erfahrungen in Kindheit und Jugend sind sie im Hinblick auf soziales Unrecht sehr empfindlich. Die jungen Stürmer und Dränger kompensieren ihre Lage durch ein gesteigertes Selbstwertgefühl und grenzen sich in Freundschaften von ihrer Umgebung ab.

Als die „Geburtsstunde“ des Sturm und Drang bezeichnet man das Zusammentreffen zwischen Goethe und dem fünf Jahre älteren Herder im Jahre 1770 in Straßburg.

Straßburg gilt damals als Zentrum höfischer Dichtung, Mystik sowie der späteren mittelalterlichen und barocken Satire. In ihr entsteht nun die neue Bewegung des Sturm und Drang. Um Goethe und Herder bildet sich in Straßburg und Frankfurt eine Gruppe junger Dichter. Der Straßburger Literaturzirkel um Goethe führt lebhafte Diskussionen mit Lenz, Wagner, Klinger und Herder. Ihr Organ ist die Schrift „Von deutscher Art und Kunst“. In Frankfurt, Goethes Heimatort, werden die jungen Rebellen unterstützt durch die wichtige Literaturzeitung „Frankfurter Gelehrte Anzeigen“. Parallel dazu schließt sich in Stuttgart um den jungen Schiller ein weiterer Kreis von jungen Autoren zusammen und auch in Göttingen bildet sich ebenfalls eine Gruppe junger Studenten. Ihr Vorbild ist Klopstock, nach dessen Ode „Der Hügel und der Hain“ sie sich „Hainbund“ nennen.

2.2.1.3 Die Revolte der Stürmer und Dränger

Grund für die Revolte der jungen Rebellen ist gesellschaftliche Frustration, welche durch antihierarchische, antifeudalistische und sozialkritische Züge geprägt wird. Der Protest der Stürmer und Dränger richtet sich gegen Standesvorurteile, hohle Konventionen, veraltete Erziehungsmethoden und zivilisatorische Unnatur. Zum ersten Mal in der deutschen Literatur wird die Ganzheit des Menschen gesehen und er selbst als denkende, empfindende und sich frei von politisch-sozialen Beschränkungen entfaltende Persönlichkeit aufgefasst. Im Namen der Autonomie des Menschen wird die Emanzipation der Sinnlichkeit, des Fühlens und der Einbildungskraft gefordert. Bezogen auf diesen Aspekt, lässt sich festhalten, dass die Stürmer und Dränger das Anliegen der Aufklärung weiterführen wollen, andererseits kritisieren sie aber konsequent den von der Aufklärung propagierten Rationalismus und die mit autoritären Zügen ausgestattete Form der Emanzipation. Stattdessen verlangen die jungen Autoren nach der unverfälschten Naturtheorie Rousseaus. In seinem Roman „Émile oder Über die Erziehung“ von 1762, den Goethe das „Naturevangelium der Erziehung“[27] nennt, stellt dieser die Forderung nach einer Verbundenheit des Menschen mit der Natur auf. Er begründet dies damit, dass, „die Natur […] unsere Fähigkeiten und unsere Kräfte“[28] entwickelt. Gleichzeitig kämpft er für die Rückkehr zur Natur als dem Urgrund alles Seins. Entgegen den aufklärerischen Tendenzen dieser Zeit plädiert er damit für ein Leben, das nicht im Denken und Meinen, sondern im persönlichen Fühlen beruht. Die Natur ist der diffuse Gegenbegriff zu allem Kritisierten. Sie bedeutet das Unverfälschte, das Lebendige, das Ursprüngliche, das Erlösende, das Absolute und das Göttliche. Weiter ist sie der Bereich der Liebe und Harmonie, in dem Selbstverwirklichung gesucht wird. Sie steht für das Schöpferische, das Individuell-Lebendige, für das Gefühl gegen das einseitig Rationale und damit gegen das regelhaft Geordnete. Der Aufforderung der Zeit, die Vernunft zur Führerin zu machen, stellt Rousseau seine These „Le sentiment est le plus que la raison“ - „das Gefühl ist mehr als die Vernunft“ entgegen.[29] Dieser Satz drückt zutreffend das Lebensgefühl der Sturm-und-Drang-Dichter aus. Geprägt durch die Grundüberzeugung, dass der Sinn des Lebens in der freien und unverfälschlichen Entfaltung der Natürlichkeit des Menschen liegt, der Realisierung dieses Lebens aber gesellschaftliche Grenzen gesetzt sind, richtet sich die Protest- bzw. Jugendbewegung des Sturm und Drang gegen den Absolutismus und den höfischen Adel, das für eng und freudlos gehaltene bürgerliche Berufsleben und die überkommende Tradition in Kunst und Literatur. Die Ursache dafür, dass der Mensch seine Natürlichkeit nicht frei entfalten kann, liegt für die Stürmer und Dränger in der Enge der gesellschaftlichen Konventionen. Diese kann nur durch eine wie von Rousseau vertretene Rückwendung zur Natur durchbrochen werden. Dabei müssen das Herz und das Gefühl unverstellt und frei von jeglichen gesellschaftlichen Zwängen zum Ausdruck gebracht werden können.

Hauptgattung des Sturm und Drang wird das Drama, da es als am besten geeignet erscheint zur Änderung von Missständen aufzurufen. Neben dem Drama von Klinger, dessen Titel ursprünglich „Wirrwarr“ lautet, dann aber der Epoche des Sturm und Drang seinen Namen gibt, lassen sich viele, für die damalige Zeit Aufsehen erregende Dramen nennen. Hauptthema der literarischen Werke ist der Konflikt zwischen dem natürlichen Menschen und der bestehenden Ordnung. Beispiele für die Auflehnung gegen die gesellschaftliche Ordnung sind u.a. Goethes „Götz von Berlichingen“ und Schillers „Die Räuber“; für die Kritik an der politischen und sozialen Unfreiheit lässt sich Schillers „Kabale und Liebe“ als charakteristisches Werk nennen.

Am meisten versuchen die Autoren ihr Empfinden hervorzuheben, durch die Befreiung des eigenen Ich von allen gesellschaftlichen Fesseln. Nur so kommt in ihren Augen die eigene Identität zu Geltung. Ein radikaler Subjektivismus, ein plötzlich erwachtes Schöpfergefühl, Rausch und Empörung sollen die normative Formstrenge der rationalen Regelpolitik zerschlagen. Leitfigur der literarischen Epoche und Sinnbild des ursprünglich, unmittelbar, mutig aus sich herausschaffenden Künstlers bzw. Dichters wird das Originalgenie. Was dieses Genie, den genialen Menschen, auszeichnet und wie sich seine Definition herausbildet und auch verändert, wird nun im Weiteren untersucht.

2.2.2 Die Wegbereiter des Sturm und Drang und ihr Einfluss auf den Genie-Gedanken dieser Zeit

2.2.2.1 Europäische Wegbereiter

Die Stürmer und Dränger orientieren sich mit ihren Motiven und Zielen an den Vorstellungen mehrerer sowohl deutscher als auch europäischer Philosophen und Schriftsteller.

Europäische Wegbereiter für die literarische Bewegung des Sturm und Drang und damit auch maßgeblich für die Entwicklung des Genie-Gedankens in dieser Epoche sind Anthony Ashley Cooper - 3. Earl of Shaftesbury, der englische Dichter Edward Young und der französisch-schweizerischer Philosoph, Pädagoge, Komponist und Schriftsteller Jean Jacques Rousseau.

2.2.2.1.1 Anthony Ashley Cooper – 3. Earl of Shaftesbury

Der englische Philosoph Anthony Ashley Cooper, aufgrund seines Titels 3. Earl of Shaftesbury meist einfach Shaftesbury genannt, gilt als der bedeutendste englische Moralist und literarisch ausgezeichneter Schriftsteller. Beeinflusst von Plato, Aristoteles und den Stoikern begreift Shaftesbury die ungestörte harmonische Entfaltung der Sittlichkeit und Tugend als die natürlich mitgegebene Anlage im Menschen und stellt sie deshalb in den Mittelpunkt seiner Ethik.[30] Seine philosophische Bedeutung beruht vor allem auf seinen ethischen Überlegungen, mit denen er darauf abzielt, Thomas Hobbes und den von ihm gelehrten Egoismus zu widerlegen. Anhand der Methoden der empirischen Psychologie untersucht er den Menschen zuerst als Einheit in sich selbst und danach in den Beziehungen zu den größeren Einheiten der Gesellschaft und der Menschheit. Oberstes Prinzip ist dabei die Harmonie oder Balance, die er auf der Grundlage des guten Geschmacks oder Empfindens als Gegensatz zum Verstand aufbauen will. Danach ist der Mensch als Individuum zunächst eine Einheit aus Trieben, Leidenschaften, Gemütsbewegungen, mehr oder weniger perfekt kontrolliert vom zentralen Verstand. Die Triebe der tierischen und menschlichen Natur - der egoistische, der soziale - sind Grundlage des Sittlichen.[31] Daneben existieren unnatürliche Triebe, die wiederum Ursprung alles Unsittlichen sind.[32] Es gilt nun, diese Faktoren richtig zu ordnen, zu regulieren und in das richtige, verhältnismäßige Gleichgewicht zu bringen. Ideal ausbalanciert sind die Triebe oder auch Affekte des Menschen, nach Shaftesbury im moralischen Menschen. Der Mensch als soziales Wesen ist Teil einer größeren Harmonie. Nur wenn der Mensch seine inneren und sozialen Beziehungen nach diesem Ideal reguliert, kann er als moralisch betrachtet werden. Der Egoist und auch der Altruist sind nach Shaftesbury beide unvollkommen. Denn es ist „nicht möglich, daß richtige Urteilskraft und sittliches Gefühl sich da finden sollten, wo Harmonie und Redlichkeit mangeln“[33]. Er ist ein religiöser Denker, indem für ihn als Antriebskräfte des moralischen Handelns nicht der Druck der öffentlichen Meinung, die Angst vor Strafe und die Autorität des staatlichen Rechts gelten, sondern nur die Stimme des Gewissens und die Liebe zu Gott. „Gott ist nach ihm der in allen Dingen wirkende Weltgeist.“[34] Sein Gewissen und die Liebe zu Gott allein bewegen den Menschen zu seinem eigenen Nutzen nach der universalen Harmonie zu streben. Diese Idee der Harmonie überträgt Shaftesbury auch auf das Weltganze, das nach seinem Dafürhalten von Natur aus zweckmäßig, schön und gut ist.

Für die Entwicklung des Genie-Gedankens von Bedeutung ist vor allem Shaftesburys Erhebung des Gefühls zur Erkenntnisquelle. Das Genie sieht er als eine naturwüchsige Kraft, welche ohne Regelzwang und aus reinem Enthusiasmus heraus gestaltet. Genau mit dieser Vorstellung greift er die Problematik des gefühlsbetonten, selbst erlebenden und seine subjektiven Empfindungen schildernden Genies des Sturm und Drang auf. Shaftesburys Formulierung, der Dichter sei ein „second maker, a just Prometheus under Jove“[35], ist wegweisend für die besonders in Goethes Werken auftauchende Gleichsetzung des Dichters mit dem schöpferischen Prometheus.[36] Seine Aussagen über Prometheus sind für die Geniezeit von besonderer Bedeutung, da er den Begriff als Einziger mit einer dezidierten Konzeption des Dichtertums verbindet. Anstatt rein technischer und rhetorischer Kunstfertigkeiten fordert er vom wahren Dichter den Sinn für mikrokosmische Harmonie. Denn „der sittliche Künstler, der auf diese Weise dem Schöpfer nachahmen kann“[37], wird, so Shaftesbury, „schwerlich sich selbst mißkennen, oder über diejenigen Verhältnisse unwissend sein, die die Harmonie der Seele ausmachen“[38]. Er vertritt die Notwendigkeit, dass der Künstler sich nicht nur seiner Begabung überlasse, sondern sein Genie bilde. Die künstlerische Schöpfung ist für Shaftesbury keine Nachbildung der äußeren Erscheinung, sondern das Ergebnis einer Versenkung in ein innerliches, geistiges Prinzip der Dinge. „Gleich jenem obersten Künstler oder der allgemeinen bildenden Natur“[39] soll der geniale wahre Dichter „ein Ganzes"[40] formen - das dichterische Werk in spezifischer Ganzheit schaffen.[41] Diese Ganzheit wird später bei Herder und Goethe eine wesentliche Rolle spielen, ist aber nicht konstruierbar. Sie entsteht apriorisch durch ein plastisches Vermögen, das Shaftesbury „inward form“ nennt und später bei Goethe zur „inneren Form“ wird.[42]

2.2.2.1.2 Edward Young

Der 1683 geborene englische Dichter Edward Young gilt als großer Verehrer Addisons, welcher bereits 1711 in seinem berühmten Spectator-Artikel Shakespeare neben Pindar als den „great natural Genius“ bezeichnet.[43] Im Vergleich zu Addison, der Shakespeare immer nur in kurzen Partien als Genie charakterisiert, verbindet Young in seinen „Conjectures on Original Compositions“ von 1759 Shakespeares Namen mit einer vom Genie-Enthusiasmus getragenen Gesamtdarstellung. Er schreibt Shakespeare das „geniale Feuer zu, mit dem [er], wie Prometheus, dramatischen Werken Leben und Unsterblichkeit verleihen“[44] kann. Damit leistet er einen wesentlichen Beitrag zur Verbreitung der Genie-Stimmung und dem von ihr inspirierten Shakespeare-Kult. Wie Schmidt betont, findet nicht unbedingt das, was er sagt, sondern viel eher wie er es verkündet, gerade in Deutschland großen Anklang.[45] Dazu lässt sich sagen, dass er für seine Schriften genau den richtigen Zeitpunkt trifft. Herder schreibt 1767 in seinen Fragmenten „Über die neuere deutsche Literatur“: „Woher glühet uns bei der Youngischen Schrift über die Originale, ein gewisses Feuer an, das wir bei blos gründlichen Untersuchungen nicht spüren? Weil der Youngische Geist drinn herrscht, der aus seinem Herzen gleichsam ins Herz; aus dem Genie in das Genie spricht der wie der elektrische Funke sich mitteilt.“[46]

Youngs Ideal ist das „männliche Genie“, d.h. ein Genie, das keinerlei fremder Hilfe - vor allem nicht der der Gelehrsamkeit - bedarf, sondern von Anfang an naturhaft in sich vollendet ist. „Ein männliches Genie“, sagt Young, „ kömmt aus der Hand der Natur, wie die Pallas aus dem Haupte des Zeus, in völliger Größe und Reife. Von dieser Art war das Genie Schakespeare.“[47] In seinen „Conjectures on Original Composition“ - „Gedanken für Originalwerke“ lehrt Young, dass das Genie nicht der Krücken der Gelehrsamkeit bedarf, sondern frei von allen Gattungszwängen ist.[48] Damit greift er bereits dem von Klopstock später gegen Gottscheds „poeta doctus“, dem „Genie-Gelehrten“, gestellten „poeta vates“, „dem seherisch, begeisterten Dichter“, voraus. Beispielhaft dafür nennt er Shakespeare, dessen Größe die Unabhängigkeit ist. Zu dieser Unabhängigkeit gehört sein originales Wesen, welches ganz aus sich heraus ohne von außen auferlegte Zutaten und Normen sein Werk schafft. Anhand des Beispiels Shakespeare führt Young außerdem das Nachahmungsgebot ad absurdum. Er betont, dass nur die unmittelbaren eigenen Erfahrungen gelten. „Das Buch der Natur und das Buch des Menschen…Dieß sind die Brunnenquellen, woher die Castalischen Ströme der Original-Composition fließen…“[49]

2.2.2.1.3 Jean Jacques Rousseau

Wie bereits betont, übt Jean Jacques Rousseau besonders großen Einfluss auf die Generation der „jungen Rebellen“ aus. Der französische Aufklärer öffnet ihnen die Augen für die Probleme der Zivilisation und macht sie auf die Entfremdung des Menschen von der Natur aufmerksam. Er kritisiert als Erster das Unbehagen an der bestehenden Kultur und spricht den deutschen Intellektuellen dieser Zeit damit aus dem Herzen.

Rousseaus Satz „Le sentiment est le plus que la raison“ - „das Gefühl ist mehr als die Vernunft“ spiegelt das Lebensgefühl der Sturm-und-Drang-Dichter wider, die mit ihrer Bewegung für das individuell-schöpferische und gefühlsbetonte Schaffen des Dichters kämpfen. Wie ebenfalls bereits erwähnt, stellt er in seinem Roman „Émile oder Über die Erziehung“ von 1762 die Forderung nach einer Verbundenheit des Menschen mit der Natur auf. Er sieht im zivilisatorischen Fortschritt und im Menschenbild der Aufklärung mit seiner einseitigen Hochschätzung des menschlichen Geistes die Ursache für die ständig zunehmende Entfremdung des Menschen von seinem ursprünglichen Naturzustand. „Alles ist gut, wie es aus den Händen des Schöpfers kommt; alles entartet unter den Händen des Menschen.“[50] Seiner Meinung nach, gab es in der Vergangenheit einen Naturzustand der Unschuld und Harmonie, den der Mensch durch Privateigentum, Wissenschaft und Zivilisation zerstört hat. Einziger Weg, um eine freie Entfaltung der menschlichen Natur möglich zu machen, ist deshalb die Rückkehr zur Natur.

Rousseau plädiert mit seinen Schriften für ein Leben, das nicht nur aus Denken und Meinen, sondern vor allem auf persönlichem Fühlen beruht. Seine Werke verändern Europa. Ererbte Vorrechte und überkommene Standesprivilegien werden der Kritik unterzogen. Das Bürgertum, welches in ihm den Propheten besserer Zeiten sieht, fordert seine Rechte in der französischen Revolution von 1789. Auch die schöpferischen Kräfte Deutschlands, Herder, Hamann, der junge Goethe, Schiller und schließlich auch noch Hölderlin, lassen sich von Rousseaus Theorien anregen.

2.2.2.2 Deutsche Wegbereiter
2.2.2.2.1 Friedrich Gottlieb Klopstock - Die Rangerhöhung des Dichters und der Dichtkunst

Rückblick

Anfang des 18. Jahrhunderts gilt die Dichtung nach dem Horazischen Rezept „aut prodesse volunt aut delectare poetae“[51] als ergötzliche und belehrende Angelegenheit.

Die Dichter haben sich an den konkreten Gelegenheiten des höfischen Lebens zu orientieren, sind demnach „Hofdichter“. Damit genießen sie in der Regel Ansehen, sind aber sowohl gesellschaftlich als auch in ihrem dichterischen Tun nicht autonom.

Ganz im Gegensatz zu Horaz Aussage, nach der „nicht egozentrisches Geniegebaren […] den Dichter [macht], sondern fundierte Menschenkenntnis, [welche] teils auf philosophische[n] Studien, teils auf der Beobachtung der Lebenswirklichkeit beruht“[52], ist ihr Dichten weniger auf die Aussprache eigener Erfahrungen und Empfindungen als auf höfische Anlässe ausgerichtet. Neben dieser höfischen Bindung sind viele Poeten der damaligen Zeit dem ständischen Gelehrtentum verpflichtet. Die Werke der Dichter sind also zusätzlich zum höfischen Hintergrund durch die spezifischen Belange, Fähigkeiten und Wertungen der Gelehrtenzunft beeinflusst. Erst durch die Loslösung des Poeten aus der exklusiven Gelehrtenzunft und seine Eingliederung in die sich bildende bürgerliche Gesellschaft kommt es hier zu einer Änderung. Dieser Befreiungsakt fördert auch wesentlich die Entstehung eines bürgerlichen Lesepublikums und damit eine sich selbst verständigende bürgerliche Öffentlichkeit, welche dann besonders durch die Bemühungen der Frühaufklärer angesprochen und verstärkt wird.

Einen wesentlichen Beitrag zur Rangerhöhung des Dichters leistet vor allem auch Friedrich Gottlieb Klopstock.

Die Rangerhöhung des Dichters und der Dichtkunst

Klopstock plädiert als Gegner Gottscheds und Anhänger Bodmers und Breitingers für „pathetische Inversion“[53], was später zu einem poetischen Grundsatz der Stürmer und Dränger wird. Als extreme Reaktion auf die schon von Gottsched propagierte Vereinnahmung der Poesie durch die Prosa, fordert er, inspiriert durch die Bestrebungen der Gottsched-Gegner Bodmer und Breitinger, die strikte Unterscheidung von Prosa und Poesie, um damit der Poesie ein fundamentales Eigenrecht zu sichern. Während Gottsched und seine Schüler die prosaische Sprache generell zum Grundsatz - auch der Dichtkunst - machen, plädiert Klopstock für die Eigenständigkeit der Poesie. Für ihn ist sie Ausdruck gefühlshafter Begeisterung und durch ihre Abweichung von der normalen Wortfolge im Gegensatz zur „vernünftigen und klaren“ Prosa, die der normalen Syntax folgt, geeignet, um „besonderen Erregungsgehalt“[54] intensiv zum Ausdruck zu bringen. [55] Klopstock setzt also den Poeten über die geltenden rationalen Normen, was zu einer allgemeinen Rangerhöhung des Dichters führt. Der Poet nimmt dabei für Klopstock nicht nur eine Sonderstellung, sondern auch eine besonders hohe Stellung ein. Für Klopstock ist sein Dichtertum religiöse Berufung. Er erklärt: „Der Gegenstand seines Gefühls und seiner Verehrung - das ist der Messias“[56]. Der von Gottsched idealisierte „poeta doctus“, der nicht bloß gelehrte, sondern auch streng rational organisierte Dichter, wird hier durch den „poeta vates“, den seherischen, begeisterten und inspirierten Dichter abgelöst.[57] Das der Dichtung von Klopstock zugeschriebene Religiöse fällt durch die Religionskritik der Aufklärung nach und nach weg, die neue Würde des Dichters bleibt jedoch erhalten. Klopstocks subjektiv bereits überformte Religiosität begünstigt sogar die Entfaltung eines irrationalen Dichter- und Dichtungsbegriffs. So sind seine religiösen Gedichte kosmische Wahrnehmungen und Darstellungen des Göttlichen und werden von einer gefühlshaft erlebenden Innerlichkeit getragen.[58] „Religiöses Gefühl und Gefühlsreligion gehen ineinander über. Die gefühlshafte Feier des Heiligen und die Heiligung des Gefühls bilden bei Klopstock eine untrennbare Einheit.“[59]

Wie für die Zeit der Aufklärung schon angesprochen, vollzieht sich hier ein weiterer Schritt zur Anerkennung der eigenen Gefühlshaftigkeit und Subjektivität des Dichters.

Der ehemals unautonome Hofdichter nutzt nun seine Kunst, um eigene Gefühle und Ansichten wiederzugeben. Er ist nicht mehr nur ein aufklärerisches Popularisierungsinstrument, sondern durch die Anerkennung des irrationalen Moments der Dichtung ein von Gefühlen ergriffener und geleiteter Künstler. Dichtung wird zum Überbringer von subjektiven Gefühlen und Motivationen, und der Dichter - durch seine Subjektivität zu einer Ausnahmestellung erhoben - ist keiner Norm und Autorität mehr unterworfen. Klopstock selbst bezeichnet den besonderen Rang und die Sonderstellung des Dichters als genial. In seinem Aufsatz „Von der heiligen Poesie“ schreibt Klopstock „Die höhere Poesie ist ein Werk des Genie“[60].

Des Weiteren ist Genie für ihn die „gefühlshafte Begabung, deren Zentrum das Herz ist“[61]. Und allein das geniale Werk vermag es, das Herz zu rühren, weil es eben im Herzen seinen Ursprung hat. Der Dichter ist nicht mehr nur, wie von Gottsched und seinen Anhängern vertreten, Repräsentant eines Aufklärungspotentials, das vorwiegend wegen seiner praktischen Vermittlungsfähigkeit wichtig ist, sondern als idealer Dichter ist er der Inbegriff des Genies und damit selbst höchste Instanz und Autorität.[62]

Während die meisten Abhandlungen über das Genie zu dieser Zeit theoretische Postulate blieben, gibt Klopstock durch seine eigenen dichterischen Arbeiten ein Beispiel schöpferischer Verwirklichung. Bedeutend für die Entwicklung des Genie-Gedankens des Sturm und Drang sind vor allem seine Gedichte in freien Rhythmen, mit denen er im Prinzip schon an die vorhandene Theorie der Ode anschließt. Ganz im Sinne der Vorstellung des nach Freiheit und Autonomie strebenden subjektiven Dichters setzt sich Klopstock selbst gegen alle Normen hinweg, lässt sich von dem ins rauschhafte gesteigerten Gefühl leiten und übergeht bewusst alle damals üblichen poetischen Gesetze wie etwa Versmaß und Strophenform. „Das Lied wird nicht kunstvoll gemacht, sondern taumelt aus der schaffenden Seele.“[63]

In der Nachfolge Klopstocks schreibt dann Goethe seine großen Sturm-und-Drang-Hymnen und auch Hölderlin orientiert sich in der Romantik noch mit seinen Hymnen in freiem Rhythmus daran.[64]

2.2.2.2.2 Johann Georg Hamann

Hamanns Adaption des Genie-Gedankens ist vor dem Hintergrund seiner Kampfansage an den Rationalismus der Aufklärung zu sehen. Er lehnt den absolutistischen Rationalismus der preußischen Staatsverwaltung ab. Die Bilder und Mythen der Bibel sind für ihn wahrer als logisch zwingende Beweise. Hamann will die ungeteilte Freiheit einer religiösen Existenz. Seine Kampfansage ist demnach vorwiegend religiös fundiert, was bedeutet, dass der Genie-Gedanke Hamanns vor allem als willkommenes Hilfsmittel bei der Auseinandersetzung mit den Rationalisten dient. Schmidt betitelt sein Kapitel über Hamann dementsprechend mit „Das irrationale Genie und seine religiöse Rechtfertigung“[65]. Die Eigenschaft des Genies, aller bloßen Vernunft zu spotten, macht es in Hamanns Augen zu einem idealen Alliierten im religiösen Kampf gegen die Aufklärung mit dem Zweck, die Vernunft als höchste Instanz zu entthronen. „Genie“ ist bei ihm demnach nicht anthropozentrisch, sondern nur als „relative Größe“[66] zu verstehen. Wahres Genie in höchstem und radikalem Sinn ist nur Gott. Hamann verehrt das menschliche Genie, das emotional, im Affekt und leidenschaftlich handelt, dies allerdings nur, da es von Gott so gewollt und geschaffen wurde. Für ihn ist menschliches Genie eine durch das göttliche Genie ermöglichte Gabe. „Es ist nicht selbstherrliches Sein, sondern mitgeteiltes Sein.“[67] Das wahre menschliche Genie kennt diese Abhängigkeit und Schwäche und ist sich der Schranken seiner von Gott gegebenen Gaben sehr wohl bewusst. „Die Gleichung seiner Kräfte ist eine negative Größe.“[68] Der religiöse Hintergrund seiner Genie-Konzeption und seine Auffassung von der Allmächtigkeit Gottes stehen im Gegensatz zum Genie-Ideal des Sturm und Drang, da im Sinne Hamanns der Mensch nicht vollkommen frei von aller Autorität ist. Der für die Genie-Bewegung des Sturm und Drang später zentrale Begriff der vollkommenen Autonomie des Genies ist bei ihm noch nicht vorhanden.

Religiös fundierter Irrationalismus: „Sokratische Denkwürdigkeiten“ und „Wolken“

Erstmals formuliert Hamann seine Kampfansage gegen den Rationalismus der Aufklärung in seiner 1759 erschienenen Schrift „Sokratische Denkwürdigkeiten“. Diese erscheint im gleichen Jahr, in dem auch zwei weitere für den Genie-Gedanken wichtige Schriften veröffentlicht werden: Lessings 17. Literaturbrief, in dem er sich vehement gegen Gottsched und seinen „französischen Geschmack“[69] ausspricht und Youngs „Conjectures on Original Composition“, nach welchem das Genie nicht der Krücken der Gelehrsamkeit bedürfe und frei sei von Gattungszwängen.

Aufgrund seines „Daimonion“[70], dem Genius, sieht Hamann in dem griechischen Philosophen Sokrates einen „Propheten gefühlshaft-genialer Frömmigkeit“[71], der ihm als unfehlbare Instanz der reinen Innerlichkeit gegen den rationalen Erkenntnisoptimismus der Aufklärung dient. Entscheidend ist für ihn Sokrates Einsicht in seine Unwissenheit. Sie ist für Hamann der befreiende Schritt zur Überwindung der den Blick auf die Wahrheit verstellenden Vernunftgläubigkeit hin zu der alleinigen Erkenntnis der Wirklichkeit - dem Weg über die unmittelbare Empfindung und den Glauben. Gemäß dem überlieferten Ausspruch des Sokrates: „Ich weiß, dass ich nicht weiß“, nimmt er das „Nicht-Wissen“ des vom „Genius-Beseelten“ als Vorbild für sein Denken und benutzt die sokratische Theorie als Ferment einer irrationalistischen, letztlich aber religiös fundierten Verschärfung des Genie-Gedankens.[72] Genie ist für Hamann Ersatz für die Unwissenheit und Nichtbeachtung von Regeln und Gesetzen.

„Was ersetzt bey Homer die Unwissenheit der Kunstregeln, die ein Aristoteles nach ihm erdacht, und was bey einem Shakespear die Unwissenheit oder Uebertretung jener kritischen Gesetze? Das Genie ist die einmüthige Antwort. Sokrates hatte also freylich gut unwissend seyn; er hatte einen Genius…“[73]

In seinem für die Entwicklung des Genie-Gedankens wichtigsten Werk, dem 1761 erschienen „Wolken“, die ein Nachspiel der „Sokratischen Denkwürdigkeiten“ sein sollen, macht Hamann schließlich einen weiteren Schritt von der Konzeption eines vorrationalen Genies zur strikt irrationalen Auffassung desselben. Er erklärt den Wahnsinn und die Besessenheit aller außerordentlichen Menschen als Eigenschaften des Genies. Ironisch kontert er mit dieser Ansicht, auf eine zu seinen „Sokratischen Denkwürdigkeiten“ erschiene Rezension, in der seine Normalität und sein gesunder Menschenverstand angezweifelt wurden. Hamanns Intention ist es, alles das, was der „platten, aufklärerischen Vernunft“[74] als krankhaft erscheint, als Zeichen des Genies zu vermitteln. Er beschwört die klassische Überlieferung vom „genialen Invaliden“, dem „heroischer, philosophischer, poetischer und religiöser Wahnsinn“[75] zugeschrieben wird.[76] Die Juden zählen u.a. die griechischen Philosophen Sokrates und Platon zu diesen „genialen Invaliden“. Dazu stellt er dem Wahnsinn als Gegenteil der sich aufgeklärt fühlenden Vernunft noch die „Thorheit“[77] zur Seite. Wahnsinn und Torheit sind nach Hamann Eigenschaften eines Genies. Damit kommt Hamann zum eigentlichen Ziel seiner Ausführungen: dem Angriff auf die selbstbewusste und vernünftige Aufklärung, die nichts von den eigenen geistigen Fähigkeiten und alles vom Geist Gottes erhoffen darf. Er kehrt die Wertungen von „Krankheit und Torheit“ und schreibt diese Eigenschaften nicht denjenigen zu, welche von den Vertretern der „gesunden Vernunft“ dafür erklärt werden, sondern erklärt diese mit ihrer „vordergründigen Vernüftelei“[78] selbst zu „Narren“[79].

Aktualisierung der traditionellen Verbindung von Genie und Melancholie

Als weiteres Mittel in diesem Kampf gegen die rationalistische Aufklärung befasst sich Hamann mit der „schwarzen Galle“ des Genies, der Melancholie.[80] Verankert und Begründet in einer bis auf Aristoteles und Cicero zurückgehenden europäischen Tradition geht er auf die Verbindung zwischen Genie und Melancholie ein. Er bezeichnet die Melancholie als die „geniale Krankheit“. Um diesen Melancholiebegriff zu verstehen, ist es wichtig, seine historische Bedeutung zu betrachten. Demnach wird der Melancholie die gleiche Wirkung wie dem Wein zugeschrieben. Auch er erzeuge, allerdings im Unterschied zur Melancholie nur kurzzeitig, das Wechselspiel des Gefühls zwischen Begeisterung, Ermüdung und Gedrücktheit. Populär wird diese Definition der Melancholie und ihre Verbindung mit dem Genie durch Ciceros Feststellung in den „Gespräche[n] in Tusculum“.[81] In Aristoteles und Ciceros Nachfolge bleiben viele Autoren der Antike und auch die Scholastiker diesem Melancholiebegriff treu und seine Wirkung bleibt, trotz des zunehmenden negativen und einseitigen Verständnisses der Melancholie als depressive Phase in der medizinischen Literatur, bis zur Renaissance bestehen.[82] Die Verbindung von Melancholie und Genie zieht sich bis in die Neuzeit hinein. So reimt Tirso de Molina: „Toda melancholia/ ingeniosa, es un ramo de mania;/ y no hay sabio que un poco/ (si a Platón damos fé) no toque en loco“[83], was auf Deutsch soviel bedeutet wie: „Alle Melancholie ist genial, ist ein Zweig des Wahnsinns; und es gibt keine Weisheit, die nicht- wenn wir Platon Glauben schenken - ein wenig an Tollheit rührt“[84]. Goethe schreibt später die Verse: „Zart Gedicht, wie Regenbogen,/ Wird nur auf dunklen Grund gezogen;/ Darum behagt dem Dichtergenie/ Das Element der Melancholie.“[85] Für den Rückgriff auf das alte aristotelische Junktim von Genie und Melancholie, als Gegenposition zur durch die Aufklärer immer mehr propagierten Kritik am Enthusiasten, am Schwärmer und auch der Melancholie, ist die Geniezeit deshalb bestens geeignet. Erwähnenswertestes Beispiel solcher Dichtermelancholie, einer Melancholie, die die Züge des Tragisch-Genialen enthält, ist Goethes „Tasso“.

Hamann, selbst unverkennbar ein schwerer Melancholiker und „Hyperchondrist“[86], nutzt seine Theorie von der Verbindung zwischen melancholischer „Krankheit des sokratischen Schriftstellers und [der] poetischen Ahndung von seinem Genie“[87] auch, um sich selbst als Genie darzustellen.[88]

Wendung gegen die Normen: Natur und Leidenschaft als Bedingungen genialer Poesie

Befreiend für die Generation der Stürmer und Dränger sind vor allem auch Hamanns Gedanken zur Vernunft.

Die Aufklärung ist davon überzeugt, dass es eine in jedem verständigen Menschen gleich bleibende Vernunft gibt, welche sich selbst über Ländergrenzen, Kulturen und geschichtlichen Epochen hinwegsetzt. Auch wenn sich Glaube, Sitten, Werte und Normen, Urteile und Vorurteile im Laufe der Zeit ändern, liegt den Menschen doch immer die gemeinsame Vernunft zu Grunde. Bei Hamann gibt es keine wie von den Aufklärern vermittelte Vernunft jenseits der Geschichte und des Individuums. Für ihn ist diese Vorstellung reine Illusion. Vernunft ist allein durch Erziehung, Erfahrung und die Sinne geprägt. Sie ist etwas sehr Persönliches und wird von individuellen Neigungen und Abneigungen beeinflusst. Es gibt damit keine Trennung von Vernunft und Gefühl, Empfindung und Erkenntnis. Er schreibt 1776:

„Die Gesundheit der Vernunft ist der wohlfeilste, eigenmächtigste und unverschämteste Selbstruhm, durch den alles zum voraus gesetzt wird, was eben zu beweisen war, und wodurch alle freye Untersuchung der Wahrheit gewältthätiger als durch die Unfehlbarkeit der römisch-katholischen Kirche ausgeschloßen wird.“[89]

Hamann betont die Subjektivität des Menschen, indem er erklärt, dass Erziehung, Begabung, Interessen und Neigungen nicht nur den Charakter eines Menschen, sondern auch seine Erkenntnisse prägen. Für ihn gehört der Glaube zu den wichtigsten natürlichen Erkenntniskräften des Menschen und den Grundtrieben der menschlichen Seele.[90] Dieser Glaube schließt dabei die Vernunft keineswegs aus, er widerspricht nur der von der Aufklärung vermittelten Art von Vernunft.

Aus diesem Verständnis der Vernunft heraus, entwickelt sich Hamanns Abneigung gegen sämtliche von der Aufklärung vertretene Richtlinien für die Erschaffung von schriftstellerischen Werken und Dichtungen. Normen sind für ihn „Gerinnungsformen der sich illegitim verselbständigenden Vernunft“[91]. Er wendet sich vor allem gegen abstrakte Begrifflichkeit der Schulphilosophie, die Kunst-Regeln und den konventionellen Geschmack. In seinen Werken spottet er in einzigartiger Weise den Schreibnormen und irritiert den auf Konventionen basierenden Geschmack mit „bewussten Geschmacklosigkeiten“[92]. Er plädiert für die Natur und die Leidenschaft als Grundbedingung schöpferischen Tuns, für „regelmäßige Unordnung“ und Spontaneität. In diesem Zusammenhang feiert er die Natur und die Leidenschaft in den „Aesthetica in nuce“, was Grund dafür ist, dass das Werk für die Sturm-und-Drang-Genies zu einer Grundschrift wird. Auch schreibt er der menschlichen Sprache göttlichen Ursprung zu: „Reden ist übersetzen – aus einer Engelsprache in eine Menschensprache,…“[93]. Die Frage, wie geniale Poesie, welche als „Muttersprache des menschlichen Geschlechts“[94] der Natur und der Wahrheit entspricht, auszusehen hat, beantwortet er mit der Freiheit der Poesie von allen Abstraktionen der Begrifflichkeit. Die Poesie soll nach dem Zeugnis der Sinne und auch der ältesten poetischen Überlieferungen in Bildern sprechen. Das Evangelium ist für ihn die ideale Poesie. Hamann bezeichnet es als „die stärkste, sinnlichste und überschwänglichste Offenbahrung der Natur des göttlichen Willens.“[95] Mit den Worten „Sinne und Leidenschaften reden und verstehen nichts als Bilder“[96], weist Hamann gleichzeitig auf die Genialität seines eigenen Stils hin.

Johann Gottfried Herder greift das Thema der Sprache und die besondere Hervorhebung der Muttersprache als „Hort aller Genialität“[97] in der Nachfolge von Hamann wieder auf.

Es lässt sich festhalten, dass Hamann eine für den Genie-Gedanken im Sturm und Drang zweideutige Person verkörpert. Schmidt bezeichnet ihn als „bizarre Übergangsgestalt“[98]. Auf der einen Seite spricht er sich gegen den aufklärerischen Rationalismus, die gelehrten Theorien und „totes Wissen“ aus, ist gegen alles Abgeleitete, Nicht-Spontane und Konventionelle, auf der anderen Seite ist sein Genie-Begriff immer noch mit der Funktion der Gelehrsamkeit ausgestattet und geradezu theologisch überformt.

Zwischen seinen wahren Intentionen und der späteren Rezeption durch die Stürmer und Dränger besteht deshalb ein großer Unterschied.

Trotz allem gilt Hamann mit seinen Theorien und Werken als ein wichtiger Wegbereiter des Sturm und Drang. Entscheidend für die weitere Entwicklung des Genie-Gedankens ist vor allem auch seine Art, mit gelehrtem Wissen umzugehen. Sein fast „spielerisches Umspringen“ mit dem Gelehrten, die oftmals assoziative Willkür und sein ironischer Gebrauch des Wissens vermitteln den jungen Stürmern und Drängern später eine gewisse genialistische Unbekümmertheit.[99] Mit Ironie und Spott provoziert er in seinen Werken kodifizierten Regeln, erstarrten Begriffen, die Geschmacksnorm und den aufklärerischen Systemgeist und plädiert stattdessen für geniale Spontaneität, lebendige Bilder, geniale Exzentrik und schöpferische Unordnung.[100] Entscheidend für den Sturm und Drang werden auch seine Hinweise auf Homer und Shakespeare, die er als Genies versteht. Nach Ulrich Karthaus sind, ohne Hamanns Anregungen Herders und Goethes Begeisterung für Homer und Shakespeare oder die deutsche Romantik undenkbar. Mit seinen Ausführungen über das Genie verfolgt er gleichzeitig die Absicht sich selbst als Genie bzw. seine Werke als genial verstanden zu wissen. Er wird zum „Magus aus Norden“[101], was an die Weisen aus dem Morgenland erinnern soll. Goethe erklärt in „Dichtung und Wahrheit“: „Indessen fühlte ich wohl, daß mir in Hamanns Schriften etwas zusagte, dem ich mich überließ, ohne zu wissen, woher es komme und wohin es führe“[102]. Viele literatur- und ideengeschichtliche Forscher nennen sein Denken irrational und ihn den Begründer des Irrationalismus. Seine Bestrebungen, wenn auch vor dem Hintergrund den Vernunftbegriff der Aufklärer zu widerlegen, dem Genie und seinem Schaffen irrationale Charakterzüge zuzuschreiben, stellen einen bedeutenden Fortschritt in die Richtung des späteren Sturm-und-Drang-Genies dar. Allerdings fehlt Hamanns Genie noch die vollkommene Autonomie. Er umschreibt die lebendige Subjektivität des Menschen. Die freie und von Regeln ungebundene Subjektivität stellt später für die Dichter des Sturm und Drang die Wahrheit eines Kunstwerkes dar. Ein Kunstwerk gilt hier dann nur noch als solches, wenn sich darin die Genialität des Künstlers, seine schöpferische Eigenständigkeit und sein individuelles Lebensgefühl ausdrücken. Der von Gottsched noch 1757 als „undeutsches Ding“ aus der Erörterung ästhetischer Fragen verbannte Genie-Begriff rückt mit Hamanns bzw. den später über Herder vermittelten Einsichten in den 1770er Jahren in die Mitte der Kunsttheorie.[103] Das Wort „Genie“ wird durch ihn zum Grundbegriff der Kunst und diese befreit sich dadurch aus der Herrschaft eines geschrumpften Vernunft- und eines verkümmerten Naturbegriffs.[104]

2.2.2.2.3 Johann Gottfried Herder

Auch Johann Gottfried Herder übt, eng verbunden mit Hamanns Denken, ebenfalls entscheidenden Einfluss auf den Genie-Kult des Sturm und Drang aus.

Herder kommt schon als Student der Königsberger Universität in intensiven Kontakt mit dem 14 Jahre älteren Hamann. Aus dieser Beziehung ableiten lässt sich sicher Herders Begeisterung für Shakespeare und auch sein „Lieblingsthema“[105], die Sprache.

Ebenso wie Hamann beschäftigt er sich mit dem Ursprünglichen, dem Genie und der notwendigen „Ganzheit“ des Vollkommenen in Leben und Kunst. Wie Schmidt erklärt, adaptiert Herder Hamanns Lehren vom Genie und dem Einhauch des „sokratischen Dämons“, gibt ihnen aber eine neue Qualität.[106] Die vorher schwerfälligen Theorien werden nun zu dynamischen und ansprechenden Verkündigungen.

Herder verabscheut, genau wie Klopstock und Hamann, den friderizianischen Absolutismus, dessen Soldatendienst er durch die Übersiedlung nach Riga entgangen ist. Er leidet unter der Enge und dem politischen und sozialen Druck seiner Zeit. Das im 18. Jahrhundert von der bürgerlichen Intelligenz herausgebildete Buch- und Gelehrtenwesen - Goethe nennt es später in „Dichtung und Wahrheit“ eine „theoretische Salbaderei“[107] - empfindet er als äußerst erdrückend. Seiner Meinung nach kann die Revolte des Sturm und Drang eine so große Dynamik entwickeln, weil in ihr zwei Tendenzen dieser Zeit verbunden sind: die Auflehnung des Bürgertums gegen die höfische Welt und die Reaktion der Wortführer dieses Bürgertums, die Gelehrten- und Literatengruppe, welche gegen ihre spezifisch berufliche Entfremdung rebellieren. Folge ist die ideologische Hinwendung zum genuin und genialistisch Humanen, also der „Ruf nach dem Genie“[108].

Das Genie als Gegenpol zu Gelehrsamkeit und kultureller Überfremdung

Dem als Gängelung empfundenen Erziehungsgedanken der Aufklärung, die den Menschen zu belehren und zu bessern versucht und den Dichter, ganz im Sinne Gottscheds und seiner Anhänger, als Gelehrten versteht, setzt Herder die Auffassung entgegen, dass der Dichter sein Herz, sein Gefühl und seine Empfindungen im Hier und Jetzt unmittelbar zum Ausdruck zu bringen habe.

„...der ganze Verfall der Dichterei, daß man sie der Mutter Natur entführte, in das Land der Kunst brachte, und als eine Tochter der Künstelei ansah: der Fluch, der auf dem Lesen der Alten ruhet, wenn wir bloß Worte lernen, oder Inhalt historisch durchwandern, oder aesthetische Regeln suchen, oder Beispiele ausklauben, kurz! wenn wir Gedanken und Worte in ihnen abgetrennt betrachten: nicht das schöpferische Ohr haben, das die Empfindung in seinem Ausdrucke, in vollem Tone höret; nicht jenes dichterische Auge haben, das den Ausdruck als einen Körper erblickt, in welchem sein Geist denket und spricht und handelt.“[109]

Die Aufklärer sind von dem hoffnungsfrohen Bewusstsein erfüllt, dass sich die Leistung ihrer Dichtkunst umso mehr verbessern wird, je genauer sie über die Aufgabe und die Regeln der Poesie nachdenken. Mit seinem oben aufgeführten Zitat nimmt Herder dieser Auffassung jede Grundlage. Für ihn ist nicht, wie von den Aufklärern vertreten, der Verstand Ursprung wahrer Dichtung. Ganz im Sinne von Rousseau vertritt er die Meinung, dass das Gefühl mehr ist als die Vernunft. Er wendet sich entschieden gegen den aufklärerischen Rationalismus, da dieser einseitig den Verstand bevorzugt und das Gefühl und die Leidenschaft missachtet. Rousseaus Forderung „zurück zur Natur“ und die Meinung, dass der Mensch nur richtig lebt, wenn er den natürlichen Regungen seines Herzens nachgibt, prägen auch Herders Schriften. Die Welt lässt sich auch seiner Meinung nach nicht mit dem Verstand erkennen, sondern nur mit dem Herzen erfahren und erleben. Alles, was aus dem Gefühl kommt, ist Natur des Menschen und darf nicht unterdrückt werden. „Leidenschaft bedeutet Kraft und Reichtum und die Sinne helfen die Welt zu verstehen.“[110] Herder schreibt der Dichtung eine vollkommen andere Aufgabe zu als Gottsched oder Gellert. Dichtung kann seiner Meinung nach nicht nach ihrem Zweck und ihrer erzieherischen Wirkung bewertet werden, sondern nur nach ihrem Ursprung im Herzen des Dichters. Nur was der Dichter aus eigener Erfahrung und Empfindung zu Papier bringt und deshalb frei von angelernten Regeln ist, kann wahre Kunst sein. Deshalb ist es nach Herder falsch zu glauben, man könnte sich dichterisches Können durch Studium und Fleiß aneignen. Dieses muss aus der Tiefe des Unbewussten hervordringen.

Herders Genie-Konzeptionen befassen sich vor allem mit der Sprache. Er nennt die Muttersprache den „Hort aller Genialität“[111] und die Genialität ein „ganzheitliches Vermögen“[112]. Wie bei Hamann ist auch bei Herder die Sprache die eigentliche poetische Energie. Er kritisiert das Abhandengekommensein der deutschen Muttersprache durch die bereits über ein Jahrhundert zurückreichende, vom Lateinischen bestimmte Schulbildung und der gerade an Fürstenhöfen sehr beliebten modischen Adaption des Französischen. Dadurch wird seiner Meinung nach in den jungen Menschen in ihren bildsamsten und aufnahmefähigsten Jahren das Eigene, Individuelle und Natürliche unterdrückt, was dazu führt, dass die potentiell geniale Natur sich nicht entfalten kann. Die lateinische Sprache an deutschen Schulen widerspricht absolut dem von Rousseau geäußerten und von Herder übernommenen Gedanken der natürlichen Erziehung. Stattdessen wirkt sie als regelrechtes Entfremdungsprinzip. Denn da das Geniale durch die Natur ausgesprochen wird bzw. die Natur sich am reinsten und mächtigsten im Genie ausspricht, stellt die lateinische Sprache in diesem Zusammenhang den antigenialen Gegenpol dar.

„Seufzen muß der Menschenfreund, wenn er sieht, wie in den Schulen, die mit dem Namen: ‚lateinische Schulen’ prangen, die erste junge Lust ermüdet, die erste frische Kraft zurückgehalten, das Talent in Staub vergraben, das Genie aufgehalten wird, bis es, wie eine gar zu lange zurückgehaltne Feder seine Kraft verliert.“[113] „--Unterdrückte Genies! Märtrer einer bloß lateinischen Erziehung!...“[114]

Weiter kritisiert Herder die wegen ihrer Eleganz und Geschmeidigkeit vor allem an den Fürstenhöfen sehr hoch angesehene französische Sprache. Er vertritt die Meinung, dass nicht, wie die Rationalisten glauben, der Verstand sich der Sprache bedient, sondern die Sprache das ist, was unser Denken bestimmt. Und deshalb ist es nur möglich, geniale Werke hervorzubringen, wenn sie sich der schöpferischen, weil genuin in ihnen veranlagten, Kraft ihrer eigenen Sprache bedienen und sie zur Grundlage ihrer Literatur machen. Außerdem verlangt Herder eine Literatur für das Volk, „ den Menschen, den Bürger, für seine Denkart und für sein Herz, für seinen Stand und Bedürfnis…“[115]. Das Volk ist für ihn Träger der Geschichte und damit Ursprung und Quelle der Genie-Dichtung. Darüber hinaus, strebt er eine für das Volk verständliche und handhabbare Dichtung an, die weniger Kunst-Dichtung als Gebrauchs-Schrifttum ist und die damit eine gewisse kommunikative Funktion übernimmt.

[...]


[1] Lange-Eichbaum/ Kurth, 1967, S. 23.

[2] ebenda, S. 26.

[3] ebenda, S. 26.

[4] Vgl. Grimm, 1897, S. 2623.

[5] Vgl. Lange-Eichbaum/ Kurth, 1967, S. 29.

[6] ebenda, S. 29.

[7] ebenda, S. 30f.

[8] ebenda, S. 31.

[9] ebenda, S. 31.

[10] Wobei ein „religiöser Beigeschmack“, wie wir im Laufe dieser Arbeit immer wieder erfahren werden, jedoch weiterhin erhalten bleibt. Vgl. ebenda, S. 29.

[11] Schmidt, 2004a, S. XI.

[12] ebenda, S. XII.

[13] Einen hervorragenden Überblick über die Geschichte des Genie-Begriffs in Deutschland bietet der Artikel „Genie“ im „Deutschen Wörterbuch“ der Brüder Grimm. Vgl. Grimm, 1965, S. 3396-3450.

[14] Vgl. Schmidt, 2004a, S. 38.

[15] Dieses Regelsystem besteht aus der „Wahrscheinlichkeitsregel“, welche besagt, dass in der Poetik nur Geschehnisse dargestellt werden dürfen, auf die das Kriterium der Wahrscheinlichkeit zutrifft, der „Angemessenheitsregel“, nach der die Gestalten der Dichtung so auftreten müssten, wie sie es auch im Leben normalerweise und typisch tun und dem „Regelkomplex der drei Einheiten“. Dieser gilt als der bekannteste und gleichzeitig unwichtigste Regelkomplex. Er besteht aus den drei Einheiten: Einheit der Handlung, Einheit der Zeit und Einheit des Ortes. Nur wenn diese drei Einheiten erfüllt sind, bildet die Handlung einen festen inneren Zusammenhang und nur so können die beiden ersten Regeln, die „Wahrscheinlichkeitsregel“ und die „Angemessenheitsregel“, erfüllt sein.

Nach Schmidt führen die drei Einheiten zu einer rationalistisch strengen Vereinheitlichung und einer klassizistischen Reduktion aller Elemente auf wenige klare Grundlinien. Vgl. ebenda, S. 23-29.

[16] ebenda, S. 22.

[17] ebenda, S. 22.

[18] Vgl. ebenda, S. 31.

[19] Vgl. ebenda, S. 48.

[20] Vgl. ebenda, S. 47.

[21] ebenda, S. 59.

[22] ebenda, S. 87.

[23] Vgl. ebenda, S. 89.

[24] Göpfert, 1973, S. 385.

[25] Vgl. Schmidt, 2004a, S. 83.

[26] Hoffmann/ Rösch, 1996, S. 155.

[27] Grabert/ Mulot/ Nürnberger, 1990, S. 101.

[28] Rousseau, 1989, S. 10.

[29] Vgl. Grabert/ Mulot/ Nürnberger, 1990, S. 101.

[30] Vgl. Baitinger, 2003, o.A.

[31] Vgl. Ziertmann, 1905, S. VIII.

[32] Vgl. ebenda, S. VIII.

[33] Walzel, 1969, S. 14.

[34] Baitinger, 2003, o.A.

[35] Walzel, 1969, S. 12.

[36] Neuerer Forschung nach, ist Shaftesburys Prägung nicht so isoliert und voraussetzungslos zu sehen, wie Oskar Walzel es in seinen Abhandlungen tut. Bereits vor Shaftesbury haben andere den dichterischen Prometheus mit seiner genialen Schöpferkraft hervorgehoben. Vgl. Schmidt, 2004a, S. 259.

[37] Walzel, 1969, S. 14.

[38] ebenda, S. 14.

[39] ebenda, S. 13f.

[40] ebenda, 1969, S. 14.

[41] Vgl. Schmidt, 2004a, S. 260.

[42] Vgl. ebenda, S. 260.

[43] Vgl. ebenda, S. 154.

[44] Young, 1977, S. 78.

[45] Vgl. Schmidt, 2004a, S. 155.

[46] Herder, 1985a, S. 275.

[47] Young, 1977, S. 32.

[48] Vgl. ebenda, S. 29.

[49] ebenda, S. 69.

[50] Rousseau, 1989, S. 9.

[51] Vgl. Fuhrmann, 1973, S. 100-134.

[52] ebenda, S. 114.

[53] Schmidt, 2004a, S. 62.

[54] ebenda, S. 62.

[55] Auch wenn sich diese radikale Trennung von Poesie und Prosa in der Folgezeit nicht behaupten kann, so ist sie doch für den herausbildenden neuen Begriff vom Dichter und damit für die Genie-Konzeption des Sturm und Drang symptomatisch. Denn sie betont die unvergleichliche Sonderstellung und das Eigenrecht des Dichters. Diese Eigengesetzlichkeit wird als poetische Autonomie zu einem wesentlichen Grundelement der Genie-Ideologie. Vgl. ebenda, S. 63.

[56] Kaiser, 1963, S. 329.

[57] Vgl. Schmidt, 2004a, S. 63f.

[58] Vgl. ebenda, S. 64.

[59] ebenda, S. 64.

[60] Klopstock, 1962, S. 1000.

[61] Schmidt, 2004a, S. 65.

[62] Vgl. ebenda, S. 46.

[63] ebenda, S. 66.

[64] Wie Schmidt erklärt, haben Goethe und Hölderlin später zwar nicht mehr das starre, linear durchgehaltene Pathos und die Unanschaulichkeit Klopstocks; auch ist ihr dichterischer Ausdruck reicher und modulierter, doch der Horizont ist immer noch der einer schöpferisch-genialen Unmittelbarkeit.

Vgl. ebenda, S. 66.

[65] ebenda, S. 96.

[66] ebenda, S. 99.

[67] Jörgensen, 1983, S. 191.

[68] Hamann, 1950d, S. 260.

[69] Schmidt, 2004a, S. 73.

[70] Das Daimonion bezeichnet in der griechischen Antike einen persönlichen weisen Berater, der ein vom Ich des Beratenen unabhängiges Eigenleben führt. Den verschiedenen Darstellungen zufolge wacht es über die Taten und Gedanken des Menschen. Es wird von Sokrates als eine sich „akustisch“ und sonst auch in Form von Träumen mitteilende „innere Stimme“ göttlichen Ursprungs erklärt. Sokrates beruft sich bei seinem Handeln immer wieder auf diese innere Stimme, welche sich unaufgefordert, i.S. einer Intuition, meldet, um ihn von lebenssinnwidrigen Verfehlungen abzuhalten, dabei aber keinesfalls Hinweise auf die richtige Entscheidung gibt. Das Daimonion ist streng getrennt vom Verstand. Es ist die innere Stimme, welche den Menschen warnt, wenn er gegen seine Intuition handelt. Sokrates versteht das Daimonion als Gegeninstanz zum Ich, die das erkennt, was dem Ich mit seiner vernunftgemäßen Rationalität verborgen bleibt. Diese Weisheit seines Daimonion schätzt Sokrates so hoch bzw. als so unfehlbar ein, dass er ihren Anweisungen auch gegen seine rationale Einsicht gehorcht. Er lässt sich durch sie auf seine sonst sinnwidrigen Irrtümer aufmerksam machen. Seine für die Philosophiegeschichte wohl wichtigste Offenbarung ist die Erkenntnis, dass das Unvermögen des Ichs unerschütterliches Wissen nur aus sich selbst zu gewinnen vermag und das Ich nur wissen kann, dass es nichts weiß. Gegenteilig zu der Meinung der Rationalisten und Empiristen der Philosophie stammt die Weisheit eines Menschen nach Sokrates ausschließlich aus dessen Daimonion. Vgl. o.V., 2004, o.A. u. Vgl. Döring, 1998, S. 152./

S. 160f./ S. 170ff.

[71] Schmidt, 2004a, S. 100.

[72] Vgl. ebenda, S. 100.

[73] Hamann, 1950a, S. 75.

[74] Schmidt, 2004a, S. 101.

[75] ebenda, S. 101.

[76] Vgl. Hamann, 1950b, S. 104.

[77] ebenda, S. 107.

[78] Schmidt, 2004a, S. 101.

[79] ebenda, S. 101.

[80] Vgl. Schings, 1977, S. 60ff.

[81] Vgl. Cicero, 1984, S. 81.

[82] Vgl. Schmidt, 2004a, S. 106.

[83] Weinrich, 1956, S. 55.

[84] ebenda, S. 55.

[85] Goethe, 1977c, S. 429.

[86] Schmidt, 2004a, S. 109.

[87] Hamann, 1950b, S. 106.

[88] In dem 1762 auf die „Wolken“ folgenden „Kreuzzügen des Philologen“, zeigt sich Hamann sogar mit Marsilio Ficino vertraut, der das Genie als den „Dämon“ des Sokrates und damit als saturnisch bezeichnet. Die Anschauung, Saturn sei der Planet der Melancholiker, stammt aus der Astrologie und reicht bis zu Verlaines „Poèms saturniens“. Hamann schreibt: „ Mit diesem höchsten Planeten Saturn und seinem Ringe verglich Marsilius Ficinus zu seiner Zeit das Genie des Sokrates.“ Hamann, 1950c, S. 115f. u.

Vgl. Schmidt, 2004a, S. 110.

[89] Hamann, 1951, S. 189.

[90] Vgl. Karthaus, 2000, S. 34.

[91] Schmidt, 2004a, S. 110.

[92] ebenda, S. 118.

[93] Hamann, 1950c, S. 199.

[94] ebenda, S. 197.

[95] Hamann, 1949, S. 226.

[96] Hamann, 1950c, S. 197.

[97] Schmidt, 2004a, S. 127.

[98] ebenda, S. 96.

[99] Vgl. ebenda, S. 96.

[100] Vgl. ebenda, S. 110-117.

[101] ebenda, S. 97.

[102] Goethe, 1992, S. 369.

[103] Vgl. Karthaus, 2000, S. 36.

[104] Vgl. ebenda, S. 35.

[105] Schmidt, 2004a, S. 120

[106] ebenda, S. 120.

[107] Goethe, 1992, S. 99.

[108] Schmidt, 2004a, S. 121.

[109] Herder, 1985b, S. 403f.

[110] Rinsum van, 1984, S. 96.

[111] Schmidt, 2004a, S. 127.

[112] ebenda, S. 129.

[113] Herder, 1985b, S. 389.

[114] ebenda, S. 390.

[115] ebenda, S. 400.

Ende der Leseprobe aus 132 Seiten

Details

Titel
Der Genie-Gedanke in der Literatur des Sturm und Drang und der Romantik. Zu Robert Schneiders "Schlafes Bruder" und Christa Wolfs "Der Schatten eines Traumes"
Hochschule
Universität Konstanz
Note
1,0
Autor
Jahr
2006
Seiten
132
Katalognummer
V89070
ISBN (eBook)
9783638025461
ISBN (Buch)
9783638921787
Dateigröße
953 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Genie-Gedanke, Literatur, Sturm, Drang, Romantik, Verwirklichung, Robert, Schneiders, Schlafes, Bruder, Christa, Wolfs, Schatten, Traumes, Thema Sturm und Drang
Arbeit zitieren
Caroline Veeser (Autor:in), 2006, Der Genie-Gedanke in der Literatur des Sturm und Drang und der Romantik. Zu Robert Schneiders "Schlafes Bruder" und Christa Wolfs "Der Schatten eines Traumes", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/89070

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